Der Kalender zeigte das Datum 7.19.18.5.8
(1), als die ersten Soldaten aus Canuls Stamm die Grenzen der englischen Stadt übertraten. Die wenigen zur Verteidigung von York abgestellten Rotröcke waren sichtlich überrascht, als der erste Pfeilhagel auf ihre Stellungen niederging. Es war nur ein Vorgeschmack auf das, was ihnen noch blühen sollte. Zeitgleich ließ der Maya-König eine Depesche nach London schicken:
Rotröcke aus dem Osten!
Viele Jahre ist es nun her, dass unsere Stämme einander erstmals begegnet sind. Wir reichten Euch damals die Hand zur Freundschaft, doch auf unsere Nachrichten folgte Eurerseits nur Schweigen. Als wäre dies nicht genug, habt Ihr den guten Willen der Maya ausgenutzt, um inmitten unserer heiligen Wälder eine Stadt zu gründen. Für diesen Frevel soll Euch nun der Zorn der Götter treffen. Hiermit erklären Euch die Maya den Krieg. Möge Euch das Ende schnell ereilen!
gez. Canul der Erleuchtete
Derweil hatte sich Cahuac mit seinen Schützen weit nach Osten geschlichen. Seine Aufgabe bestand eigentlich darin, einen möglichen Gegenangriff auszubremsen, bis York genommen wäre. Doch schon nach wenigen Stunden wurde ihm der Auftrag, nichts als Vorhut zu sein, zu eintönig. "Mein Vater stürzt sich in die Schlacht, während meine Waffe niemals das Blut unserer Feinde zu schmecken bekommt. Ich will ihm zeigen, dass ich ein würdiger Thronfolger bin", sprach er und machte sich mit einigen seiner Schützen auf den Weg nach Nottingham. Nur wenige hundert Meter von der Stadt entfernt bestellten einige Arbeiter gerade eine Gewürzplantage. Cahuac ließ zehn von ihnen erschlagen, nahm die übrigen gefangen und sagte: "Von nun an werdet ihr für unseren Stamm arbeiten, wenn euch euer Leben lieb ist." Und der Himmel weinte ob des Blutes unschuldiger Menschen, das an diesem Tage vergossen ward.
***
Die Schlacht um York dauerte drei Tage. Eilig hatten die Engländer Soldaten rekrutiert und Palisaden errichtet. Sie sandten Pfeilhagel auf die Belagerer nieder; selbst die Bauern hatten sich mit Äxten und Bögen bewaffnet, um ihre Stadt zu verteidigen. Doch auf Canuls Seite standen die Gerechtigkeit und die Weisheit der Götter. Die Maya hatten kurz vor dem Einmarsch die benachbarten Stadtstaaten um Gold gebeten und damit ihre Kämpfer mit Eisenrüstungen bewaffnet, an denen die englischen Pfeile einfach zerbarsten. Und als die Engländer das sahen, ergriffen bereits viele von ihnen die Flucht.
Nach zwei Tagen schließlich waren die sechs mächtigen Katapulte in Stellung gegangen, die Canul im Verborgenen in Auftrag gegeben hatte. Und sie ließen Feuer auf Yorks Verteidigungsanlagen niederregnen, das schließlich auch die Tore der Stadt verschlang. Der Weg war frei, die Engländer geschlagen.
Wenig später marschierte Canul der Erleuchtete in die Stadt ein. Den wenigen Rotröcken, die noch in der Stadt geblieben waren, schenkte er das Leben unter der Bedingung, dass sie die Stadt verließen: "Die heiligen Wälder unserer Ahnen sind kein Ort für die Euren. Verlasst dieses Land, und kehrt nie mehr zurück!" Und weil die eroberte Stadt im Heiligsten des Mayalandes lag, gab ihm der Erleuchtete einen Namen in der Zunge seiner Väter. "Diese Stadt soll von nun an den Namen Chilans, unseres Hohepriesters, tragen. Denn seinen Fähigkeiten verdanken wir die schnelle Eroberung."
Die Soldaten rasteten einige Tage. Dann brach das Heer auf - zum Erstaunen der Krieger in Richtung Süden. Lag Nottingham nicht im Osten?
Bei der ersten Rast nahm einer der Generäle all seinen Mut zusammen und trat in das Zelt des Königs. Canul stand dort über einen kleinen Tisch gebeugt und studierte eine Karte, die seine Männer in York erbeutet hatten. "Eure Hohheit, was habt Ihr vor? Der Weg nach Nottingham ist frei - warum sollten wir den Umweg über den Süden inkauf nehmen? Im schlimmsten Fall ziehen die Rotröcke bis dahin Truppen zur Verteidigung heran!"
Der König richtete sich auf, drehte sich um und lächelte. "Sollen Sie nur! Bei Itzamná, sie können eine ganze Hundertschaft nach Nottingham schicken, wenn es nach mir geht." Einen Augenblick hielt er inne, amüsierte sich über das verduzte Gesicht des Generals. Dann ergriff er seine Schulter und fügte hinzu: "Mein treuer Freund, wir reisen nicht nach Nottingham." Der General nickte, als hätte er verstanden. Ohne ein weiteres Wort beugte sich Canul wieder über die Karte. Sanft strich sein Zeigefinger über das Pergament. Er konnte die eilig hingekritzelten Linien nicht entziffern, doch er erkannte die Stellen, an denen Palenque und auch Tikal liegen mussten, auch wenn dort nur Wald aufgemalt war. Sein Finger reiste weiter nach York, dann über Waldstriche, Ebenen und Flüsse. Ganz im Südosten machte er Halt. Der Kartograf hatte sich hier besondere Mühe gegeben. Saftige Ebenen waren da zu sehen, eine Küste mit Fischen und Walen, und auf einem Berg erhob sich eine prächtige Stadt. Zufrieden schaute der König auf die Schriftzeichen. Er musste sie nicht lesen können. Seine Späher hatten ihm bereits berichtet, wie sie gesprochen wurden.
L O N D O N
Canul rollte die Karte zusammen und gab den Befehl zum Aufbruch.