Die alte Villa stand kalt und dunkel in der Nacht. Chloé war offenbar ausgezogen oder nicht zu Hause, zumindest wieß nichts darauf hin, dass das Gebäude in letzter Zeit bewohnt worden war.
Vier Jahre waren vergangen, seit Burnsy, Ken, Nahoimi, Gevatter, Chris und Schlumpf es als Jugendliche zum letzten Mal betreten hatten. Vier Jahre. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.
Viel war seither geschehen. Sie hatten studiert. Manche hatten sich sogar verlobt! - Ja, man konnte wohl zu recht behaupten, die Sechs waren nicht nur älter, sondern regelrecht erwachsen geworden.
Und jetzt standen sie wieder hier, vor der Fassade der Villa aufgereiht, wie damals, nach dem Tod ihrer Eltern.
Wie damals wussten sie auch heute nicht, wohin sie sonst hätten gehen sollen. Sicher, sie konnten Wohnungen mieten oder eigene Häuser bauen - aber es fühlte sich richtiger an, erst einmal hierher zu kommen.
Und es gab da noch eine Sache, die sie erledigen mussten.
Die Jun... die Brüder blickten sich an. Es herrschte betretenes Schweigen. "Sollen wir es jetzt gleich tun?" Chris' Stimme zerschnitt die Stille. Sie bebte leicht. Die anderen nickten langsam. Wozu warten?
Nahoimi rückte seinen Spitzhut zurecht, dann führte er seine Geschwister am Haus entlang in den Garten, in dem sie als Kinder so oft gespielt hatten.
Er fühlte sich bereit.
Goethes Grab lag kalt und dunkel wie die Villa da. Moosflechten hatten sich im verwitterten Stein festgekrallt und die Erde war noch weich vom letzten Regen. Unschlüssig bauten sich die Brüder darum herum auf.
"Und du bist dir sicher, dass es diesmal wirklich funktioniert? Ich meine, das im Wohnheim..." Schlumpf blickte skeptisch auf den Grabstein. "Vertrau mir. Ich bin jetzt einer von den Guten". Ein schiefes Grinsen zeigte sich auf Hoimels Gesicht. "Sicher? Ich meine... du bist immer noch... grün!" - "Das ist jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt für Rassismus. Außerdem war das in der Geschichte bislang auch egal!", ging Ken dazwischen. "Wenn du jetzt anfangen würdest, Nahoimi? Bringen wir es hinter uns..."
Der Angesprochene nickte wieder, dann schob er die goldverwirkten Ärmel seines Seidenumhangs nach oben. Man konnte die darin verwobene Magie förmlich Rascheln hören. Aber der Spruch würde auch viel Kraft verbrauchen... Nahoimi schluckte ein letztes Mal, dann flüsterte er leise die Zauberworte...
Goldene Funken begannen, über dem Grab zu tanzen. Ansonsten geschah nichts. Burnsy verschränkte die Arme - halb aus Skepsis, halb, weil er nicht wusste, was er mit ihnen tun sollte.
Nahoimi presste die Lippen zusammen und sein Blick verlor sich in unbekannter Ferne, während er versuchte, den Magiestrom aufrecht zu erhalten. Wie alt war Goethe eigentlich? Wie viele Jahre musste er ihm wieder schenken? Wie viel Magie... plötzlich krümmte sich der grüne Zauberer zusammen. Seine Hand ließ den Zauberstab fallen und er ging mit einem überraschten Aufschrei auf die Knie.
Mit schreckgeweiteten Augen drehten sich seine Brüder zu ihm um. "Hoimi, ist alles..." - ein grüner Lichtblitz erstickte die Frage. Als die Dunkelheit der Nacht zurückkehrte, konnte man im fahlen Mondlich Nahoimi sehen...
...aber er sah nicht mehr aus, wie ein Zauberer. "...in Ordnung?", brachte Schlumpf den begonnenen Satz zu Ende. "Ich fühle mich... schwach...", entgegnete Nahoimi mit zitternder Stimme. Das beherzte Eingreifen von Ken und Chris hinderte ihn daran, umzukippen. "...so... leer... Hat es... hat es...?" stammelte der einstige Zauberer. Seine Brüder blickten sich ratlos an. Dann wanderten ihre Blicke wieder zum Grab. Eine Hand schob sich zwischen den lockeren Erdklumpen hervor...
[...]