März 2024
Xiran Jay Zaho:
Iron Widow
erschienen: 2021
Auf dieses Buch wurde ich durch eine Kontroverse aufmerksam: Im Januar wurde bekannt, dass bei den Hugo-Awards 2023, dem renommiertesten Preis für Fantasy und Science Fiction, eine Handvoll Titel mysteriöserweise nicht auf die Wahlzettel kamen, obwohl sie von den Stimmen eigentlich hätten dabei sein müssen. Brisanterweise waren zwei von chinesischstämmigen Autorinnen geschrieben worden und der Veranstaltungsort war Chengdu. Es schwebt der Verdacht im Raum, dass die Chinesen Titel unter den Tisch fallen lassen haben, die ihnen irgendwie unlieb waren.
"Iron Widow" spielt in der Zukunft, in einer chinesisch geprägten Welt, die nach Katastrophen und Krieg sehr viel Wissen verloren hat, von einer Mauer umgeben lebt, während draußen mechanische Wesen sie mit Krieg überziehen. Von ihren Vorfahren haben sie große Kampfroboter geerbt, die immer von einem Mann und einer Frau gesteuert werden müssen. Brisant dabei: Die Energiequelle ist das Qi, das die Menschen dabei aus sich selbst entwickeln, und das Qi von Männern ist statistisch einfach immer höher als das von Frauen - meistens sterben die Frauen deswegen, weil sie die starken Qi-Ladungen nicht kontrollieren können. Der Traum eines jeden Mädchens ist es aber trotzdem, das weibliche Gegenstück eines Piloten zu werden, die alle "Konkubinen" genannt werden, und vielleicht sogar ein Match hinzubekommen, bei dem sie einem Piloten ebenbürtig sind. Die Piloten werden nämlich wie Popstars verehrt.
Protagonistin des Buchs ist Zetian, ein junges Mädchen aus einer ländlichen Grenzstadt, die in dieser Gesellschaft aufwächst, und ebenfalls Pilotin werden möchte - aber nicht weil sie von Ruhm träumt, sondern weil sie ihre große Schwester rächen möchte, die bei einem solchen Einsatz von einem Piloten getötet wurde. Ich spoilere gar nicht zu viel, wenn ich bereits verrate, dass es ihr tatsächlich gelingt, "Konkubine" zu werden - und dass sie damit Ereignisse in Gang setzt, die alles verändern.
Denn natürlich ist hier nichts, wie es scheint. Hinter jeder Ecke lauern Lügen und Geheimnisse und Plot-Twists. Natürlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet immer die Frauen sterben. Aber ganz so einfach wie die Story nach den ersten Kapiteln wirkt, ist es ebenfalls nicht.
Ich habe mich anfangs gefragt, was genau jemand aus chinesischer Sicht gegen dieses Buch haben soll. Ja, das Setting ist eine Allegorie auf China. Die Große Mauer, das Familiensystem, sogar die Namen. "Wu Zetian" ist die einzige Kaiserin, die China jemals hatte (aber wem erzähle ich das, ihr spielt ja alle Civ ), und bis heute wird sie eher als Ursupatorin und intrigante Frau verunglimpft. Es ist auch sicherlich nicht zufällig passiert, dass unsere Protagonistin Wu unter anderem alte archaische Schönheits-Ideale verkörpern muss und ihr die Füße zu den so genannten Lotosfüßen gebrochen werden - was sehr drastisch geschildert wird, inklusive der Folgen einer auch später nie verheilenden, schwärenden Wunde.
Aber das alles ist ja teilweise historisch, also was wäre jetzt das politische Problem?
Am Ende wurde es mir dann klar. "Iron Widow" ist eine feministische Kampfansage, ein wütender Rachefeldzug einer jungen Frau, in der unter anderem ein Regierungsmitglied am Ende von ihr gefoltert und ermordet wird. Aber es ist mehr als das, denn die Autorin gibt sich hier keiner Utopie hin: Immer wieder stößt Zetian an Grenzen, muss sich arrangieren, mit einem Medienmogul, mit den Herrschenden oder mit der Konkurrenz, weil sie einsehen muss, dass sie sonst ihre Ziele nicht erreichen kann - und weil sie zu schwach und zu wenig einflussreich ist. Am Ende lauert nochmal ein Plot-Twist, der nicht nur das gesamte Setting der Kampfroboter sondern sogar die Welt an sich von oben nach unten kehrt. Und überall: Lügen der Mächtigen, Politik und eine Elite, die verzweifelt versucht, im Althergebrachten zu verharren, damit sie ihre Privilegien nicht aufgeben will. Zu Lasten, unter anderem, der Frauen.
Ich habe mich nach dem ersten Kapitel erstmal schwer getan, in die Welt reinzukommen, war aber nach dem zweiten Kapitel so hooked, dass ich das Buch sehr schnell gelesen habe. Und das Finale ist tatsächlich nochmal groß, episch, packend. Sehr schönes Buch, es hat einen Award für YA-Novels bekommen, aber sonderlich "Young Adult" fand ich es ehrlich gesagt nicht, auch wenn die Hauptdarsteller vergleichsweise jung sind und, ja, eine Liebesgeschichte ist auch mit drin. Aber auch die bekommt einen Twist. Hätte die Hugo-Nominierung auf jeden Fall verdient gehabt. Nebenbei wird einem übrigens auch nochmal bewusst, dass sehr viele Sci-Fi-Welten und Gesellschaften stark amerikanisiert sind, bzw. durch diese kulturelle Brille gesehen werden. Das ist natürlich auch ein Stückweit logisch, denn jeder schreibt aus der Kultur, aus der er kommt. Aber das gesamte Chinesische Setting wirkt auf den ersten Blick für eine Zukunftswelt "fremd" - dabei ist es das gar nicht. Wir sind es nur nicht gewöhnt.