Die Macht des Verstandes ... sie wird auch im Fluge dich tragen - Otto Lilienthal
Schweinepriester: Ihr habt euch alle eine Fazialpalmierung verdient.
Naja, Hiob ist doch wahrscheinlich genauso geschichtlich, wie Esther, oder? Oder Tobit und Judith, for that matter![]()
Zitat von Meister Wilbur
Ich geb uns übrigen mal eine Kostprobe dessen, was uns erwartet: Hiob 1
Achtung Spoiler:
Bemerkungen/ Gedanken:
- Laut Wikipedia weiß man nicht wirklich, wo das Land Uz liegt. Ein Joch ist laut Elberfelder ein Gespann.
- Viele Kinder, viel Kleinvieh, viel Großvieh und viel Gesinde - der Hiob nagt wohl nicht am Hungertuch
- Allzu großes Vertrauen hat Hiob in seine Kinder aber nicht, wenn er sie präventiv vor Gott entschuldigt.
- Wo man im letzten Buch den Herrn noch vermisst hat, taucht er hier direkt zu Beginn des Buches recht prominent auf. Wir haben außerdem Satan als handelnde Figur; den hatten wir nur ein mal bei Samuel und da auch nicht als "Teufelsgestalt"). Den Text könnte man sogar so lesen, als sei der Satan einer der Söhne Gottes (daher auch gefallener Engel und so?)
- Ich bin mir nicht sicher, wer von beiden (Gott oder Satan) hier der "üblere" von beiden ist: einerseits will Satan Hiob versuchen, andererseits hat er damit Recht, dass Hiob (der ja als wohlhabend eingeführt wurde) es bislang nicht schwerfallen kann, zu Gott zu halten. Nicht auf Hiob bezogen wirft das die Frage auf: kann man wirklich gläubig sein (im Sinne von auf Gott vertrauen), wenn man nie geprüft wurde? Ist es rechtens, jemanden zu prüfen, um das herauszufinden? Erinnert mich an einen Fall vor ein paar Tagen, als die Uni Minnesota vom Linux-Projekt ausgeschlossen wurde, weil ein paar Sicherheitsforscher es für ne gute Idee hielten, absichtlich Bugs einzuschleusen, um den Integrationsprozess zu testen (https://www.theverge.com/2021/4/22/2...l-ban-research) - einerseits ne kluge Idee, andererseits ziemlich fahrlässig
- Alles, was Hiob hatte, ist auf einmal weg - Kleinvieh, Kamele, Rinder, Eselinnen, Gesinde, Söhne, Töchter. Der Satan fackelt nicht lange (außer vielleicht beim Feuer Gottes
).
- Die Nacht in Vers 21 ist tatsächlich ein Typo.
- Hiob besteht die Prüfung auf jeden Fall bis dahin. Damit haben wir (nach Mardochai bei Esther) schon wieder einen "Guten", seit die Israeliten wieder im Spiel sind.
- Dem Gedanken (ohne es jedoch von einer göttlichen Entität abzuleiten), dass man mit nichts kommt und mit nichts gehen wird, kann ich aber etwas abgewinnen. Erinnert mich an das Leben des Brian: "You know, you come from nothing - you're going back to nothing! What have you lost? Nothing!"
Das mein ich nicht. Wo man darüber natürlich auch diskutieren kann, aber das ist nicht der Punkt.
Es geht mir um den Charakter des Textes. Der ist ab Hiob 3 komplett anders als in allen Büchern davor. Wir wechseln sozusagen von Erzählprosa oder Gesetzestexten in weisheitliche Poesie.
Die Macht des Verstandes ... sie wird auch im Fluge dich tragen - Otto Lilienthal
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Wenn es erst ab Hiob 3 abgefahren wird, wird heute ja nochmal entspannt: Hiob 2
Achtung Spoiler:
Bemerkungen/ Gedanken:
- Satan ist schon ein kleiner Streuner. Und ein Schlawiner - jetzt soll es an Hiob selbst gehen. Er knann es wohl nicht akzeptieren oder begreifen, dass Hiob vielleicht wirklich so fromm ist. Ich mag Satan hier irgendwie
- Er schabt sich mit einer Tonscherbe? Also kratzt er die Geschwüre auf oder so?
- Und: Satan hat ihm ja gar nicht alles genommen in Kapitel 1: seine Frau hat er noch.
- Auf Kapitel 3 bin ich jetzt ein wenig gehypt. Satan gefällt mir ja schon, Hiob wirkt auch wie ein Charakter, mit dem es spannend werden kann. Bislang hat Gott zumindest verziehen, dass er alles verloren hat und jetzt auch noch Schmerzen leidet.
![]()
Na ja, Satan ist hier in der ursprünglichen Wortbedeutung immer noch der "Ankläger". Bei der Beurteilung der Menschen durch vertritt er die Position "die Menschen sind schlecht und verdienen Strafe" - quasi als Staatsanwalt. Im Judentum ist er das im Wesentlichen wohl auch geblieben und immer als Untergebener Gottes in spezieller Funktion gedeutet worden, nie als sein Gegner, soweit er nicht eh nur als Metapher aufgefasst wird.
Exkurs zum Thema Hebräische Dichtkunst.
Der Inhalt stammt hauptsächlich aus dem Buch hier: https://www.amazon.de/Das-Alte-Testa.../dp/3765595594
Egelkraut, "Das Alte Testament", dort aus dem Kapitel 23 "Die hebräische Dichtkunst"
Ich hab allerdingt noch ne älteres Ausgabe. Der Deutsche Mitautor/Übersetzer hat das englische Orginal später noch mal massiv ergänzt, es kann also sein, dass in jetzigen Ausgaben noch mehr dazu steht. Alle angeführten Beispiele finden sich so auch im Egelkraut.
Mit Hiob starten wir in die Weisheitsliteratur. Viele der 5 Weisheitsbücher (Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohelied) sind komplett durchgedichtete Poesie. Auch in den Prophetenbüchern sind häufig lange Passagen poetisch verfasst. Wir sollten uns also auf eine blumige Sprache, Übertreibungen, Metaphern und andere Sprachliche Mittel, die bestimmt viele von euch noch aus dem Deutschunterricht kennen, einstellen.
Das bemerkenswerteste Kennzeichen von hebräischer Lyrik im Alten Testament ist der Parallelismus. Da werde ich etwas genauer drauf eingehen, weil wir im Deutschen das so gar nicht verwenden.
Parallelismus bedeutet, dass man eine Aussage auf 2 Arten und Weisen nacheinander bringt. Beide Zeilen stehen sozusagen Parallel.
Beispiel: (Spr. 20,1)
Wein ist - ein Spötter
Starkes Getränk - ein Lärmer (Starkes Getränk = Bier)
Das inhaltliche Schema wäre hier:
A - B
A' - B'
Es kann auch vorkommen, dass in einer Zeile ein Teil weggelassen wird: (Amos 8,10):
Und ich will machen - eure Feste - zu Trauer: A - B - C
und alle eure Lieder - zu Wehklagen: B' - C'
Das Verb "ich will machen" wird nicht wieder holt.
Es gibt jetzt Sonderformen von diesem Parallelismus:
a) Antithetischer Parallelismus:
Hierbei wird in der zweiten Zeile eine doppelte Verneinung eingebaut, und damit auch die eigentlich Aussage wiederholt, aber von der anderen Seite: (Spr 10,1)
Ein weiser Sohn - erfreut - einen Vater: A - B - C
ein törichter Sohn - grämt - seine Mutter: (-)A' - (-)B' - C
weise und töricht - und erfreut und grämt sind hier die Gegenteilpaare.
b) synthetischer Parallelismus:
Hierbei wird in der zweiten Zeile nicht der Inhalt wiederholt sondern weiterentwickelt: (Am 1,7)
Und ich werde Feuer senden - in die Mauern Gazas: A - B
und es wird verzehren - seine Paläste: ->A' - ->B'
Das senden und Verzehren und die Mauern und Paläste sind nicht wirklich Synonyme. Aber der Gedanken wird in der parallelen Struktur weiterentwickelt.
c) Es kann vorkommen, dass die Paare in der zweiten Zeile getauscht sind: Jes 40,3:
In der Wüste - bereitet - den Weg - dem Herrn: A - B - C - D
Macht eben - in der Steppe - einen Weg - unserem Gott: B' - A' - C' - D'
Dieser Parallelismus ist das wichtigste Stilmittel der Poesie und ganze Bücher bestehen nur aus diesen Zeilenpaaren.
Andere Stilmittel finden sich hingegen nicht: Reim und Metrum. (Obwohl manche Sprachwissenschaftler beim einer Metrik anderer Ansicht sind, es ist aber sehr umstritten, ob es überhaupt eine Metrik gibt) - Man braucht also kein Reimschema oder einen 6-hebigen Jambus suchen. Das würde in einer Übersetzung auch schwer fallen, denn das geht mit einer anderen Sprache ja meist verloren. Ansonsten hat man sehr viele Metaphern und Vergleiche, manche, die uns auch heute merkwürdig vorkommen werden, weil der Antike Hebräer einen anderen Vergleichspunkt nimmt als der moderne Mensch. Man kann ja z.B. mal darüber nachdenken, was damit gemeint ist, wenn im Hohelied gesungen wird: "Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen"...
und ja: Schade, dass es im Forum keine Tabulatoren gibt.![]()
Die Macht des Verstandes ... sie wird auch im Fluge dich tragen - Otto Lilienthal
Schweinepriester: Ihr habt euch alle eine Fazialpalmierung verdient.
Klingt jetzt in den Beispielen ganz einleuchtend und spannend. Mal schauen wie das ist, wenn da ganze Bücher derart gestaltet sind. Kann vermutlich etwas ermüdend sein, denke ich mir. Aber die blumige, altertümliche Sprache des (Mittleren) Ostens gefällt mir. Kenne ich z.B. so von den Iranern, wenn sie mal wieder vor der UN poltern.Sehr wortschöne Vergleiche gibt es da.
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Das ist nur, um euch Leser am Anfang drauf zu stupsen. Man erkennt die ganz schnell von alleine, wenn man weiß, wonach man suchen muss.
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Ich überlass das mal auch den Lesern, so als Suchspiel![]()
Hiob 3
Achtung Spoiler:
Bemerkungen/ Gedanken:
- Da hat sich bei Hiob wohl ein wenig Wut aufgestaut
- Ich sehe im ersten Teil auf jeden Fall einen übergeordneten (polarer) Parallelismus darin, wie Tag und Nacht gleichermaßen verdammt werden ("Jener Tag möge zu Finsternis werden" (V. 4), "jene Nacht bleibe unfruchtbar" (V. 7))
- Den Leviathan kannte ich v.a. als Titel des gleichnamigen Buches von Thomas Hobbes. In diesem Kontext soll es (laut Wiki) ein "kosmisches Seeungeheuer" sein - wobei ich "Kosmos" und "See" etwas widersprüchlich finde. Aber ganz am Anfang wurde mal erwähnt, dass man sich den Himmel als umgekipptes Meer vorstellt?
- Die blumige Sprache ist echt super
- Vers 11 sieht mir auch nach nem Parallelismus aus, aber eher ein synonymer. Genauso Vers 12.
- Vers 20 klingt eher wie ein chiastischer Parallelismus (Licht vs. Leben - mühselig vs. verzweifelt (ok, das passt nicht ganz)). Chiastische Strukturen bieten sich hier natürlich an, um den von Hiob empfundenen Widerspruch zu unterstreichen.
- Inhaltlich sagt Hiob nicht so viel:
- Er verflucht den Tag seiner Geburt und
- er wünscht sich, schon als Kind gestorben zu sein,
- denn nie gelebt zu haben ist besser, als sein Leben.
- Er beschreibt auch das Leben nach dem Tod (und das klingt recht sozialistisch, vgl. 19) und
- schließt damit, dass bei ihm alles scheiße ist