Melio kroch über den noch feuchten Waldboden und sammelte ein paar Eicheln und Steine auf und packte sie in seinen Beutel. Ein paar schöne Blätter nahm er ebenfalls. Er liebte den Duft der Natur. Darin konnte er sich fast verlieren. Doch gerade heute hätte er keine Zeit dazu. Er stand wieder auf und reckte sich. Dann ging er zu einem Baum und knickte mehrere kleine Äste ab. Mit dem vollgepackten Beutel und einem Bündel dünner Ästchen unter dem Arm machte er sich auf den für ihn ungewohnten Weg.
Ja, er kannte den Weg zu Feldern. Aber er war ihn seit seiner Kindheit nicht mehr gegangen. Damals hatte er mit seiner Schwester und zwei anderen Freunden immer im Wald gespielt. Und es war ihm immer eine Freude den Frauen bei der Feldarbeit zuzusehen. Er erinnerte sich, dass sie ihnen damals immer fröhlich zuwinkten, wenn die Kinder zu Besuch kamen. Sie sahen damals immer so fröhlich aus, dass er dasselbe machen wollte, wenn er groß war. Doch als er dann älter wurde und Interesse an der Landwirtschaft zeigte, wurde er schnell ausgegrenzt. Zunächst rieten ihm nur alle davon ab sich damit zu intensiv zu beschäftigen, aber mit der Zeit hielten sich auch immer andere Dorfbewohner von ihm fern. Einzig seine große Schwester ließ sich nicht erschrecken von den Gerüchten und hatte sogar Verständnis für sein ungewöhnliches Hobby.
Die Matri sagte damals, dass er Unglück über das Volk bringen würde und verstieß ihn aus der Dorfgemeinschaft als er alt genug war um für sich selbst zu sorgen. Der Zeitpunkt war aber eher willkürlich denn objektiv. Ein Junge der weder wusste wie man jagte, geschweige denn Pflanzen nutzbar macht. Auf sich allein gestellt hat er damals auch überlegt die Seguan Range zu verlassen. Doch wohin hätte er gehen sollen? Er kannte nichts von der Welt und er war froh genug, dass die Range im täglich Beeren, Wurzeln oder auch Molluske in den kleinen Seen bot um zu überleben.
Melio erinnerte sich an den ersten Ruhezyklus nachdem er ausgestoßen wurde. Er hatte keinerlei Vorräte und hatte nur provisorisch Quartier in einer kleinen Höhle am Ufer des Mare-Sees bezogen. Jeden Tag kam seine Schwester den beschwerlichen Weg durch die Kälte und brachte ihm einen kleinen Beutel mit Brot, Früchten und ab und zu sogar einem kleinen Stück Fleisch. Und was noch wichtiger war, sie redete mit ihm. Wenn sie ging fühlte er eine erdrückende Stille um sich. Aber sie baute ihn wieder auf, jedes Mal wenn sie ihn besuchte. Und im kommenden Frühjahr hatte er sich dann heimlich die Frauen angeschaut, wie sie das Land urbar machten und welche Pflanzen sie wann aussäten. Abends imitierte er dann was er den Tag über gesehen hatte auf einem kleinen Feld vor seiner Höhle.
Mit jedem Tag schien ihm das Leben als Eremit leichter zu fallen und schon im folgenden Jahr konnte er nichts mehr von den Dorffrauen abschauen. Damals war er verwundert gewesen. Er hatte gedacht, dass sich etwas ändern müsste oder, dass man sich weiterentwickeln kann. Damals fing er an auch andere Pflanzen zu ziehen. Und manchmal konnte er erstaunliches sehen, wie die unterschiedlichen Pflanzen miteinander „arbeiteten“. Doch in dem Maße in dem sich selbst zu steigern glaubte, desto weniger kam seine Schwester zu Besuch. Und wenn sie kam, dann brauchte meist eher sie die Hilfe. Dass war auch einer der Gründe, warum Melio nicht an die Götter glauben konnte. Warum hatten sie seiner geliebten Schwester, die so gutherzig war, ein solches Schicksal aufgebürdet? Kein gerechter Gott hätte das übers Herz gebracht, dachte er. Aber jedes Mal wenn sie ihn besuchte konnte er sie an ihrer Aufgabe zerbrechen sehen und doch versuchte er sie immer mit einem Lächeln zu empfangen. Und eigentlich hatte sie von den beiden das wohl härtere Schicksal. Doch immer wenn er ihr das sagte lächelte sie nur und wechselte das Thema.
Genau deswegen konnte er ihr jetzt auch diesen Wunsch nicht versagen. Es war das erste Mal, dass sie ihn um etwas gebeten hatte. Er glaubte zwar nicht so recht an den Erfolg ihrer Idee und er würde wohl auch nicht ins Dorf zurückkehren, aber er könnte ihnen auf dem Feld helfen. Denn darin war er schon ganz gut geworden, befand er stolz. Ob es besser war, als das was die Frauen machten wusste er nicht. Aber es war anders und er hegte ja keinen Groll gegen die Dorfbewohner. Sie hatten ja nur gemacht, was die Matri ihnen damals gesagt hatte….
Inzwischen war er auf der Lichtung der Felder angekommen und er löste sich von den Gedanken an die Vergangenheit. Er blieb vor einem Rechteck das er aus größeren Ästen gelegt hatte stehen, legte die Äste ab und entleerte seinen Beutel. Er fing an die Utensilien in dem Rechteck zu verteilen. Das würde er nutzen um seine Ideen zu veranschaulichen.

Als er nach Fertigstellung des kleinen Schaubildes aufstand, spürte er schon die Sonne auf seinem Kopf. Es konnte nicht mehr lange dauern bis seine Schwester kommt. Er nahm einen der längeren Äste und nutzte ihn als Zeigestock. Es war zwar nicht viel was er anders machte, aber das musste er gut rüberbringen um Erfolg bei den Frauen zu haben. Er besann sich noch einmal und ging gedanklich den Vortrag durch. „ Keine großen Felder mit Monokultur, sondern je zwei Frauen bekommen ein kleines Feld auf dem sie anbauen können was sie wollen. Aufgrund des unterschiedlichen Geschmacks würde man auch so eine breite Vielfalt erhalten. Dazu mache ich noch ein paar Vorschläge von neuen Pflanzen, die ich auf ihren Äckern noch nicht gesehen habe."
Plötzlich hörte Melio ein Rascheln hinter sich was ihn beim Denken unterbrach. Er wandte sich, doch niemand war zu sehen. Und die einzigen Geräusche waren Vogelgezwitscher oder das Plätschern des nahen Flusses. Er schüttelte kurz den Kopf und knüpfte an seinen Gedankengang an, „Und das mit den Bewässerungskanälen lassen wir auch lieber weg. Die Kanäle versanden viel zu schnell und sind zu arbeitsintensiv. Und so kommt alles zusammen: Kleinere Felder mit Sachen die man gerne isst brauchen nicht so viel Wasser und im Endeffekt sollte so jeder sogar mehr Freizeit haben.“ Melio war zufrieden mit seinen Gedanken. Er hatte zwar noch einige Ideen mehr, aber er konnte ja jetzt nicht kommen und gleich alles über den Haufen werfen. Damit würde er die Dorffrauen sicher nicht mitreißen können…
Wieder hörte er ein Rascheln. Reflexartig drehte er sich um, doch wieder war nichts zu sehen. Aber dieses Mal ging er auf eine hohe Buschreihe zu von wo er die Geräusche vermutete. Am Busch angekommen schob er mit beiden Händen des Gestrüpp zur Seite und musste feststellen, dass dort nichts mehr war. Er kam zu dem Schluss, dass es vielleicht ein kleines Wildschwein oder ein anderes Tier gewesen war. Er seufzte einmal und klopfte sich mit seiner rechten Faust an den Kopf. Gerade als er sich umdrehen wollte spürte er wie jemand eine Hand auf seine Schulter legte. Er erschrak kurz, drehte sich dann um und hatte ein Lächeln auf den Lippen.
„Hallo Schwester, wer ist denn die hübsche Frau die du mitgebracht hast?“
-Ende der Erste Risse Saga-
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Von wegen Wildschwein! So ein mieser Chinese betreibt Industriespionage!

Noch irgendwelche Fragen offen zur abgeschlossenen Saga?