Winter 272 v. C.
Ein Holzscheit knackte im Feuer so laut, dass Postumia erschrocken zusammenfuhr.
Da wäre sie doch beinahe in der Wärme eingeduselt!
Der Würzwein war zwar lausig gewesen, ein saurer Hund hier aus der Gegend, mit einer Menge Honig und Kardamon trinkbar gemacht, aber heiß getrunken sehr entspannend. Der Wirt war eben Bäcker und das Brot roch und schmeckte fantastisch, die Schänke war nur ein Zubrot und anscheinend liebte der Wirt Geselligkeit.
Der Laden war jedenfalls gerammelt voll und dank des Backofens angenehm warm.
An einem kalten und nassen Januarabend mit Sicherheit auch fördernd für die Kundschaft.
Postumia hob den Blick zu den Wandgemälden, die mythologische Szenen in lieblicher Gartenlandschaft darstellten, meist nackte Nymphen und gut bestückte Satyrn.
Dieses und das Kommen und Gehen auf der Außentreppe verrieten ihr, dass an die Bäckerei/Gastschänke noch ein Bordell angeschlossen war.
Ob Brot, Glühwein oder Freier, Hauptsache etwas warmes im Bauch …
Diese Kombination warf augenscheinlich einiges ab, selbst hier etwas vom Stadtzentrum Velathris entfernt. Der Aufstieg zur alten etruskischen Königsburg und das Forum waren ein ganzes Stück entfernt.
Die Frau des Wirtes war Keltin, die Tochter, die beim Ausschank half, hatte die Reize beider Völker geerbt: schlanker hoher Wuchs, blondes, ins Rote spielendes Haar, dunkler Teint und leicht schräg stehende Augen, die ihr einen geheimnisvollen und doch einladenden Blick verliehen. Wahrscheinlich verdiente sie sich im ersten Stock ein erkleckliches Zubrot, zumindest förderte sie den Umsatz in jedweder Hinsicht. Wiegenden Schrittes ging sie gerade zurück zum Tresen und wackelte dabei mehr als nötig mit dem Hintern.
Postumia versuchte sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, sie war schließlich nicht zu ihrem Vergnügen hier. Der Tag war lang gewesen und um diese Jahreszeit war die Dunkelheit schnell hereingebrochen. Ihr Zielobjekt saß schräg gegenüber dicht am Ofen.
Ein kleines verhutzeltes Männchen mit langem weißen Bart, dass in seinem dunkelbraunen Mantel gewickelt nur mit Mühe auszumachen war. Wenn sie nicht nach ihm gesucht hätte, hätte sie es sicher übersehen, und anscheinend wollte es auch nicht auffallen.
Auffallender dagegen war ein anderer Typ, der dies wohl auch zu vermeiden suchte, aber weit weniger geschickt darin war als der Alte. Es war ein nicht sehr großer, aber doch stämmiger Mann mit schwarzem Haar und Bart. Auch er hatte im Laufe des Abends dem Wein kräftig zugesprochen und sich dabei mit ein paar Müßiggängern und einer Reisegruppe aus dem Norden lautstark unterhalten.
Anscheinend kamen sie alle als Gruppe aus der venetischen Hauptstadt Patavium, wobei „Stadt“ eine schmeichelhafte Bezeichnung für eine Ansammlung von Glashütten war. Aber die transparenten Erzeugnisse waren beliebt, auch im Süden, da der Weg kürzer war, und die Preise entsprechend nicht ganz so horrend wie die der phönizischen Konkurrenz aus Afrika.
Der Mann war ihr mindestens zweimal in der Stadt aufgefallen, seine Anwesenheit hier konnte kein Zufall sein. Sie musste ihn abschütteln und das ging zuverlässig nur auf eine Art. Postumia kramte in ihrer Geldkatze nach einer Vierteldrachme. Das war hier ein gängiges Zahlungsmittel und neben der Bezahlung ihres Abendessens und Weins ein erkleckliches Trinkgeld.
Sie ließ es auf dem Tisch liegen und stand schwerfällig auf. Sie streckte sich ein bisschen und ging dann langsam schleppenden Schrittes auf die kleine Pforte zu, die aus dem Schankraum in den angrenzenden Hof mit demAbort führte.
Als wäre es reiner Zufall, lag auf dem Weg von ihrem Platz zur Tür die Ecke, an der der Tisch des Schwarzen stand. Sie passte den Augenblick ab, an dem ein Mann der Reisegruppe aufstand und augenscheinlich ebenfalls diesen Ausgang anstrebte. Als sie sich direkt neben dem Tisch begegneten, presste der Angetrunkene sie an sich und griff ihr unversehens an den Busen. „Wie wär’s mit ein bisschen Spaß?“ lallte er und versuchte sie zu küssen.
Obwohl innerlich vorbereitet zuckte sie zusammen, dann aber traf ihn ihr Knie empfindlich. Geschickt löste sie sich aus seiner Umklammerung mit einem schnippischen „Umsonst ist nur der Tod, und der kostet noch das Leben!“, ging sie weiter. Der aufdringliche Mann ächzte, rang nach Luft und stützte sich schwer auf den Tisch, rutschte aber letztendlich zu Boden.
Der Schwarze, Zeuge aus nächster Nähe, brach in brüllendes Gelächter aus, den Kopf weit zurückgebogen, mit den Händen auf die Schenkel klatschend. Die anderen Gäste stimmten ein und bald dröhnte es in der ganzen Spelunke. Der gut gelaunte Mann nahm den noch halb vollen Krug und leerte ihn in einem Zug. Dann stand auch er auf, folgte Postumia und wollte sie auf dem Hof einholen.
Allerdings kam er nicht weit, denn die Beine versagten den Dienst und er brach fast lautlos zusammen. Postumia näherte sich vorsichtig und wartete ab, bis der Mann nicht mehr zuckte.
Ein kaltes Lächeln spielte um ihre Lippen.
Niemand hatte mitbekommen, wie sie das Gift in dem Handgemenge in den Wein befördert hatte. Derart kräftig gewürzt war der Geschmack auch nicht aufgefallen. Wie gut, dass sie ein so schnell wirkendes Mittel gewählt hatte, sonst hätte die Szene böse enden können, denn auch der Schwarze wollte wohl zur Tat schreiten.
Eine kurze, oberflächliche Durchsuchung erbrachte nichts, nur ein Beutel mit Kleingeld und ein hässliches gebogenes Kurzschwert, die Klinge der Meuchelmörder.
Kein Zweifel, dieser Mann war auf sie angesetzt gewesen.
Aber von wem?
Sie besann sich nicht lange, griff nach dem Saum ihrer bodenlangen Tunika, zog ihn hoch und stopfte ihn in ihren Gürtel. So deutlich beweglicher nahm sie Anlauf und griff im Sprung nach der Mauerkante auf de Rückseite des Hofes. Kurzes Hochziehen, dann vorsichtiges Heruntergleiten auf der anderen Seite. Man konnte ja nie wissen, vielleicht wartete hier Verstärkung …
Aber alles war still und die Gasse leer. Schnell hastete Postumia um die Ecke und konnte noch gerade erkennen, wie der Alte den Laden verließ. Er hatte wohl Lunte gerochen und den Moment zum Untertauchen benutzt. Aber vergeblich, sie verlor ihn nicht aus den Augen.
Jetzt, wo sie wusste, dass auch sie entdeckt worden war, rauschte ihr das Blut schneller durch die Adern.
Köstliche Gefahr!
Sie musste sich zu Ruhe zwingen um sich nicht zu verraten. Der Alte konnte das hohe Tempo nicht lange durchhalten und versuchte bald ein Stadttor zu erreichen. Anscheinend wollte er im Schutz der Wache verschnaufen. Aber soweit kam er nicht.
Kurz vor der letzten Ecke vor dem Torplatz holte Postumia ihn ein und riss sein Kinn mit einem Ruck ihrer Linken zurück, während die Rechte mit einer langen schmalen Klinge von unten die Kehle aufwärts in den Kopf stieß. Dabei verschloss die Zunge des Opfers durch die Stoßrichtung die Kehle, so dass es nicht schreien konnte, und der Stich in den Kopf tötete schnell.
Postumia ließ den Alten zu Boden gleiten, sah sich sichernd um und begann dann eine gründliche Untersuchung. Sie fand einen Brief aus Pergament, in griechischer Schrift, aber offensichtlich verschüsselt oder in einer ihr unbekannten Sprache verfasst.
Auf der Briefkapsel standen nur zwei Worte:
Glauke – Ephesos
Sie zuckte die Schultern. Das war nicht ihr Problem, sondern das ihrer Auftraggeber Sie verbarg die Leiche so gut es ging. Bevor sie sich endgültig entfernte, fiel ihr noch etwas ins Auge: Ein Anhänger, an einem schlichten Lederband um den Hals getragen. Sie riss ihn ab und betrachtete ihn genauer, so gut das im Dunkel noch ging.
Er war aus massivem Gold, aber zierlich gearbeitet. Ein langstieliger Hammer und eine stark gebogene Sichel kreuzten sich diagonal und wurden dabei von einem gleichseitigen Dreieck eingefasst. An der oberen Spitze des Dreiecks befand sich die Öse für das Halsband. Diese Öse war als Auge ausgeführt, durch die Pupille war das Lederband gezogen.
Eine solche Arbeit hatte sie noch nie gesehen, sie schien nicht etruskischer Herkunft zu sein, obwohl ihr Besitzer diesem Volk angehört hatte.
Zur Sicherheit steckte sie ihn ein, auch wenn sie sich damit selbst belastete, sollte sie angehalten und durchsucht werden. Aber irgendwie kam er ihr seltsam vor, so als ob er eine Bedeutung hätte.
Na ja, darüber sollten sich die hohen Herren daheim den Kopf zerbrechen.
Ob die magere Ausbeute den ganzen Aufwand wert war? Postumia hätte zu gerne gewusst, was in dem Brief stand, aber sie machte sich wenig Hoffnung, dass es ihr jemand in Rom mitteilen würde, im Allgemeinen handelten ihre Auftraggeber nach der Devise: Je weniger sie wusste, desto weniger konnte sie preisgeben, falls sie geschnappt würde.
Postumia zog die Leiche weiter in den dunklen Winkel, ordnete dann ihre Kleider und entfernte sich vom Tor. Etwa hundert Schritte weiter kam ein in die Mauer eingelassener Wachturm in Sicht. Sie hatte die Tür zum Treppenaufgang bereits am frühen Morgen so manipuliert, dass sie nicht zu versperren war und sie fand sie auch offen vor, einfach nur angelehnt.
Vorsichtig schlich sie auf die Mauerkrone, aber kein Wächter war zu sehen.
Wenn sich die Etrusker weiterhin so lax gaben, würde die römische Armee leichtes Spiel mit den Verteidigern haben.
Postumia raffte wieder ihre Tunika zusammen und wickelte von ihrer Hüfte ein dünnes Seil ab.
Mit einem Laufknoten versehen, hangelte sie sich außen an der hier nicht sehr hohen Mauer herab. Unten angekommen verstaute sie das Seil wieder an seinem Platz und schlich zu dem Stall vor den Toren, in dem ihr Maultier untergestellt war. Sie suchte sich einen großen Strohhaufen und legte sich zum Schlafen nieder. Wenn die Leichen in der Stadt entdeckt würden, wer käme auf den Gedanken, außerhalb nach den Mördern zu suchen?