Das mit dem politischen Kommentar hat Jon doch sogar erwähnt, wenn ich mich nicht täusche?
Aber Ferguson wird dennoch als ernstzunehmender Historiker akzeptiert, weil er abseits zugespitzter Aussagen durchaus quellenbasiert argumentiert. Darauf kommt es an, wenn man eine These - und sei sie noch so strittig und steil - in diesem Fachbereich zur Diskussion stellen möchte. Sein Vorschlag, die britische Politik mehr aus der Beziehung zu Russland heraus zu deuten, hat durchaus einige Unterstützer gefunden und kann anhand einiger Aussagen britischer Staatsmänner im späten 19. Jh. auch in gewisser Weise begründet werden. Bloß gibt es halt noch deutlich mehr Quellen gerade aus dem frühen 20. Jh., die auf Deutschland und seine Flottenrüstung verweisen.
Die Aussage, dass bei einem deutschen Blitzsieg 1914/15 eine von Berlin dominierte EU eben ein knappes Jahrhundert früher entstanden wäre, ist offensichtlich eine kontrafaktische Spekulation, die zudem auch im Hinblick auf die Deutung der Gegenwart nicht sehr überzeugend wirkt. Ferguson stellte die Behauptung mW 2012 oder 2013 auf, als die Finanzkrise mehrerer südeuropäischer Staaten im Vordergrund stand, über den Brexit noch nicht entschieden war und Deutschland sehr dominant wirkte. Schon bei der Flüchtlingskrise 2014/15 zeigte sich, dass es diese deutsche Vorherrschaft nicht gab, wenn die anderen Länder nicht mitziehen wollten und nicht gerade akut auf Kredite angewiesen waren. Mir fällt auch kein Historiker ein, der Ferguson bei dieser Spekulation gefolgt wäre.
Welche Völker/ Nationen haben östlich von Russland gelebt, vor dessen Expansion zum Pazifik?
In Wikipedia Artikel ist nur die Rede davon, dass die Kosaken nach Osten ritten und Leute sich dann niederließen. Deshalb gehörte es von nun an zu Russland bis diese an den Pazifik stießen. Dort gab/gibt es noch Grenzstreitigkeiten mit China... Auch in vielen YouTube Videos ist die Gegend in der Regel nicht eingefärbt.
Aber da muss doch irgendwas/wer gewesen sein? Was ist mit den Khanaten? Mongolen? China hat doch nicht umsonst die Mauer nach Norden gebaut?
Und selbst wenn da keine Reiche waren, finde ich ich die Erklärung, dass ein Kosake vorbei geritten ist und die Leute deshalb festgestellt haben: ok, bin ich halt Russe.... ziemlich dürftig.
Zb hier. "Die Koskaken stießen auf wenig Widerstand". *Zack* Beringstraße.
Naja die Kosacken haben eben ne ganze Menge Leute in Sibirien ermordet, einige Volksgruppen wurden ganz ausgelöscht, andere anderweitig unterjocht, und dann wurde das Gebiet mit Russen, Ukrainern und was sonst noch alles Teil des Reiches war kolonialisiert (ziemlich ähnlich zu dem, was zur gleichen Zeit in Nordamerika stattfand). Die Kosacken haben dabei natürlich besser organisierte Reiche wie die mongolischen Khanate größtenteils in Ruhe gelassen, kann man schön auf dieser Karte (Qing-Dynastie im Jahre 1638) sehen. Bis auf die Buryaten sind die meisten mongolischen Reiche dann später stattdessen von den Chinesen annektiert worden.
Die Chinesische Mauer war da übrigens schon lange Zeit im Inneren Chinas (auf der Karte die gestrichelte Linie, die hier Qing und Ming-Dynastie trennen - die Qing haben ein paar Jahre gebraucht, um Ingenieure ect. anzuwerben).
Danke, Vimal. An Nordamerika/ Oregon-Trail habe ich bei meiner Frage auch schon gedacht. Aber da weiß man ja, selbst aus der Popkultur, dass es dort Widerstand der Eingeborenen gab. Russland hat das Wissen wohl unterdrückt?![]()
Davon ist mir jetzt nichts im Gedächtnis geblieben, ich denke eher, dass das schlicht eine Mischung aus Gleichtgültigkeit (es waren ja "heidnische Primitive") und, da das Land in großen Teilen ja von Leibeigenschaft geprägt wurde, hatten die meisten Leute auch einfach ganz andere Probleme.
Vielleicht noch ergänzend: Die "Tataren" als erste "Opfer" der russischen Ostexpansion eigneten sich kaum als edle Wilde im Sinne Winnetous, weil sie lange eine Tributherrschaft über die russischen Fürstentümer beansprucht hatten. Weiter im Nordosten handelte es sich dann nicht selten noch um Jäger- und Sammlerkulturen, die anders als die nordamerikanischen Prärievölker kaum zu anhaltendem Widerstand in der Lage waren. Die heute unabhängigen zentralasiatischen Republiken wurden dann erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. erobert. Das waren wiederum wohlhabende Khanate, die den Handel in der Region kontrollierten.
Dazu kommt dann vermutlich noch, dass unser kulturelles Gedächtnis stark von den USA geprägt ist; auch in der Erinnerung an das vorkolumbianische Amerika spielen die Völker der Great Plains eine viel bedeutendere Rolle als beispielsweise die mittel- und südamerikanischen Kulturen.
Der letzte Satz ist mMn recht wichtig und so ungefähr habe ich mir die Situation auch vorgestellt. So ein wenig abgelehnt an die Kommune bei Ritter der Kokosnuss. Die kennen ihren König ja auch nicht. Und dann kommt der Kosake vorbei und dann sagen die sich halt: ok, bin ich Russe, whatever. ..Die Frage ist dennoch: was waren sie vorher? Kann man das überhaupt beantworten?
Habe ich zu lange am Handy getippt, so dass sich unsere Antworten trotz großer Differenz überschnitten haben. Kkar, jeder kennt die Filmszene dass jemand in der WWStadt ruft, dass die Indianer kommen und zack schlagen die Brannttpfeile ein. Aber die Sache die ich nicht verstehe ist, dass in dem Bereich in Russland im Gegensatz zu NA zuvor schon verschiedene Reiche existiert haben
Ganz so einfach war das nicht, weil mit der "Anerkennung" bzw. Erzwingung der russischen Herrschaft auch eine Steuerpflicht verbunden wurde. Viele Völker wurden genötigt, große Mengen an Pelz abzuliefern, und es wird durchaus von Widerstand berichtet.
Die politische Struktur zuvor habe ich ja bereits angedeutet: In den südlicher gelegenen Regionen handelte es sich meist um mongolische Nachfolgekhanate, im Norden eher um Jäger- und Sammlerkulturen ohne echte staatliche Strukturen.
Edit: Jetzt haben wir uns erneut überschnitten.![]()
In Zentralasien gab es bereits in der Antike immer wieder (halb-)nomadisch geprägte Reichsbildungen, die militärisch sehr gut mit ihren sesshafteren Nachbarn mithalten konnten und diese manchmal sogar regelrecht unterwarfen oder ihnen zumindest Tribute abverlangten. Nachfolgestaaten dieser Reiche - besonders natürlich mongolische Khanate - bestanden dann bis weit ins 19. Jh. hinein. Selbst das Mogulreich in Indien geht auf eine mongolische Reichsbildung zurück.
Naja in Russland leben doch auch heute über 100 Völker und auch heute ist in Nordasien nicht viel los. Da reitet man ziemlich mühelos durch endlos leere Weiten an Jägern und Sammlern und hat dann erst in der Mongolei und China wieder ernsthafte Staatlichkeit als Gegner.
Das stimmt (und natürlich auch das, was Bassewitz sagt). Hier könnte die eher "westliche" Prägung unserer kulturellen Erinnerung eine gewisse Rolle spielen. Außerdem waren viele der Prärievölker zum Zeitpunkt der US-amerikanischen Westexpansion bereits mit europäischen Kampfmethoden und Waffen vertraut. Mehr noch: Die Lebensweise von Apachen, Comanchen, Shoshone etc. entstand erst im nachkolumbianischen Amerika, als Pferde verfügbar wurden. Die Comanchen führten im frühen 19. Jh. sogar so erfolgreiche Raubzüge gegen das gerade unabhängig gewordene Mexiko durch, dass man dort weite Teile des Nordens praktisch aufgab. Der militärische Widerstand der nordsibirischen Völker war dagegen viel sporadischer und hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Das wäre dann vielleicht eher mit der Situation der australischen Aborigines zu vergleichen.
Geändert von Jon Snow (15. Mai 2023 um 18:39 Uhr)