"Na alter Junge, was geht Dir so durch den Kopf?"
Nash schaut Johnson aus den Augenwinkeln an und zuckt mit den Schultern.
"Alles und nichts."
Er lässt den frisch verliehenen Orden durch seine Finger gleiten.
"Disziplin, ha? War das Eure Idee?"
Johnson lacht laut auf. "Nee, ganz bestimmt nicht."
Nash ist nicht zu Lachen zumute. "Es hat mich fast zwei Monate gekostet, diesen schwachsinngen blinden Gehorsam aus meinen Leuten wieder rauszukriegen. Disziplin...pfff. Die Ämmer sollen ihren Kopf benutzen. Disziplin hindert sie nur daran."
"Naja", sagt Johnson, "etwas Disziplin kann aber schon nicht schaden."
"So?", erwidert Nash und seine Augen blitzen. "Wobei denn?"
"Na, Hygiene zum Beispiel."
Nash dreht sich zu ihm hin. "Hygiene, ja? Gutes Beispiel. Also meine Männer verstehen, warum sie sich waschen müssen. Wann sie krank werden und wodurch. Die brauchen keine tägliche Bartkontrolle oder vorgeschriebene Waschzeiten."
Er dreht sich wieder zurück und schaut auf das vor ihnen liegende Meer hinaus. "Disziplin ist etwas für die Ausbildungskaserne. Für Paraden und um Orden zu bekommen. Aber da draußen" - er macht eine Kopfbewegung Richtung Horizont - "gewinnt man damit gar nichts."
Johnson tritt an ihn heran und legt seine Hand auf Nashs Schulter.
"Brian, Du hast sicher...", fängt er an, als Nashs sehniger Körper herumschnellt und Johnsons Mantel aufreißt. Im Mondlicht funkelt ein Orden - derselbe, den Brian heute verliehen bekommen hatte.
"Ich...nunja", stammelt Johnson, "der Alte war der Meinung, dass wir alle großes geleistet haben in Afrika."
Brian knüpft Johnson wortlos den Orden von der Brust und hält ihn neben seinen.
"Was meinst Du, ob die wertvoll sind? Also aus Gold oder Silber?"
"Nein nein, vielleicht Kupfer", will Johson ihn beruhigen, da fliegen beide Orden auch schon in hohem Bogen in den dunklen Ozean.
Johnson guckt erst verdattert, dann beschämt.
Genau das ist der Grund, warum Brain keine Orden mag, denkt er.
Sie können niemals gerecht sein.
Nash schließt Johnsons Mantel und deutet gen Osten.
"Ich brauche keine billigen Auszeichnungen, um mich zu motivieren. Oder gar Denkmäler. Mir reicht es, unsere Städte zu befreien. Und wenn auf ihren Zinnen wieder amerikanische Flagge wehen, dann ist das Auszeichnung für mich genug."
Er dreht sich zum Gehen um. "Ich werde jetzt noch eine runde schlafen, bevor wir morgen früh anlanden."
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Als die fünf Schiffe die Küste Afrikas erreichen, schließt sich ihnen das sechste Schiff an, welches seit Monaten die ehemaligen Fischbestände von Kirschlokör bewacht hatte. Johnson erschrickt, als er die vollkommen verlausten Männer der Armbrustschützeneinheit sieht. Sie sehen bleich und ausgemergelt aus.
Oh je, denkt er,
die werden wir wohl nur als Notfallreserve einsetzen können.
Umso erstaunter ist er über den Zustand der Axtkämpfer. Deren Hallo mit ihrem Anführer Brian Nash fällt verhalten, aber kameradschaftlich aus. Sie berichten davon, wie sie jeden Tag im Ozean schwimmen waren und mit den Ruderern der Triere um die Wette gefahren sind, nur um fit zu bleiben. Nash wirft Johnson einen vielsagenden Blick zu und Johnson versteht:
Eigenverantwortung geht vor Disziplin.
Nash besteht darauf, mit seinen Axtkämpfern als erstes an Land zu gehen und die Lage zu sondieren. Johnson ist nicht wohl bei dem Gedanken. Sollten sich im Hinterland starke Truppenverbände verschanzt haben, würde die Anlandung vorerst abgeblasen werden und Nash mit seinen Leuten auf sich alleine gestellt sein. Auf der anderen Seite war keine Truppe kampferprobter. Sie hatte zahlreiche Barbaren in die Flucht geschlagen und einmal sogar einen römischen Angriff abgewehrt.
Also stimmt Johnson zu.
Es dauert nicht lange, bis sie an der felsigen Küste einen geeigneten Ort zum Ankern finden und Nash mit seiner frisch vereinten Truppe im oberen Küstenbereich ins Hügelland verschwindet. Nach wenigen Stunden erscheint der Trupp wieder am Steilhang und meldet: Alles frei.
Jetzt beginnt der schwierigste Teil der Mission, denn die schweren Holzkatapulte wollen die zwar flache, aber trotzdem mit einer Steigung versehenen Küste hochgeschleppt werden. Doch ist Johnson zufrieden, denn der ausgewählte Landabschnitt erweist sich mit seinen sanft geschwungenen Hügel als ideales Terrain, um unbemerkt auf die anzugreifende Stadt vorzustoßen.
Am Ende sind neben Nashs Axtkämpfern drei Einheiten an Katapulten und mehrere hundert Armbrustschützen in acht Kompanien vor den Toren der Stadt angelandet.
"Und, was denkst Du? Werden wir die Stadt zurückerobern können?"
Nash wiegt den Kopf hin und her. "Unter Verlusten, ja."
"Aber das war abzusehen."
"Ja, vermutlich." Er stößt einen Seufzer aus. "Wenn wir mehr Zeit hätten..."
"Wir haben aber nicht mehr Zeit", unterbricht ihn Johnson. "Ich habe auch kein Problem damit, alle drei Katapulteinheiten zu opfern, wenn das unsere Truppen schont."
Er klopft Nash auf die Schulter. "Kopf hoch, alter Junge, das wird schon."
Das wird schon, wiederholt er zu sich.
Wir haben auch gar keine andere Wahl.