Zitat von
Jon Snow
Vielleicht kann ich meinen Gedanken andersherum ausdrücken: Wenn du ein junger, um 1740 herum geborener Adliger oder Bürgersohn aus Hessen wärst, dann gäbe es keine Regierung, die von dir einen bestimmten Dialekt fordern würde. Es gäbe auch keine staatliche Schule, auf die du gehen und wo du eine bestimmte Art der deutschen Sprache lernen müsstest. Für dein persönliches Fortkommen wäre es sicherlich günstig, in Wien oder Berlin oder an einer anderen Residenz nicht als Hinterwäldler zu erscheinen, aber dazu würde der Dialekt nur als ein kleines Puzzlestück gehören. Wichtiger wären die Konfession (die man aber zur Not wechseln könnte, was damals recht häufig geschah), die Beherrschung von Latein und Französisch (beides würdest du aber sicherlich schon von Jugend an lernen), die richtigen Manieren und natürlich die nötigen Kontakte.
Über die Universität oder vielleicht (wie Goethe sagte) auch durch Theaterstücke und die Lektüre der Lutherbibel oder moderner aufklärerischer Schriften, möglicherweise auch durch Hauslehrer würdest du dann trotzdem einen Dialekt lernen, der ursprünglich aus dem östlichen Sachsen stammt, auch wenn du deine Karriere andernorts verfolgen würdest. Dahinter stünde aber kein staatlicher Druck, sondern einfach ein persönliches Interesse bzw. ein persönlicher Werdegang. In Wien würdest du übrigens auf eine Kaiserin treffen, die einen starken lokalen Dialekt hätte, in Berlin auf einen König, der mit Vorliebe auf Französisch mit dir spräche.
Das waren alles noch keine Nationalstaaten, die ein besonderes Interesse an bestimmten Dialekten hatten, sondern Monarchien, die meist aus Ländern mit ganz verschiedener Rechtsstellung und politischer Kultur zusammengesetzt waren.