"Majestät, es ist soweit" - Der klein gewachsene Mann im feinen Zwirn machte eine Pause. Sein Blick ging unter leisem Seufzen zu Boden, aus Verlegenheit und Scham über die eigene Ohnmacht. Was sollte er tun außer davonlaufen wie ein ehrloser Krimineller? Die Jahre als Kanzler hatten Papenburg mitgenommen. 'Wie ein gehetzter Hund' sähe er aus, hatte der Kaiser gesagt. '
Reichsrat und Volk' stünden schon lange nichtmehr hinter ihm, seine Uhr sei abgelaufen. Die politischen Gegner ließen ihn keine Sekunde aus den Augen, ihr Sperrfeuer aus Anschuldigungen und Diffamierungen ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Doch auch wenn er versuchte es zu verdrängen: Sein Zenit war weit überschritten, sein politisches Kapital verbraucht und die letzte Patrone Autorität verschossen. Lange hatte das Wort des Kaisers gereicht, um seine 'Macht' zu sichern. Zumindest auf dem Papier, während die Realität ihm immer weiter entglitt. Die Politik seines obersten Dienstherren sei ’nicht mehr auf der höhe der Zeit’ erklärten seine Gegner. Er hatte die Kontrolle über Wirtschaft und Finanzmärkte verloren, zu viel Druck vom Proletariat genommen, als dass es der Regierung noch mit Ehrfurcht begegnen würden. Unüberlegtes Handeln auf dem internationalen Parkett, schwaches Auftreten gegenüber 'alten Feinden' und mangelnde 'innenpolitisches Durchgreifen' schadeten nicht nur seinem Ansehen, sondern seinem auch Stand am kaiserlichen Hofe. Die militärischen Konflikte der Vergangenheit und ihre politisch-gesellschaftlichen Folgen drückten wie eine tonnenschwere Last auf die Verantwortlichen des
Reiches.
Zwar wurde seine Regentschaft verfassungsgemäß demokratisch durch die
Reichsratswahlen legitimiert, doch unter dem Druck wachsender, politischer Extreme sah er die kaiserliche Mehrheit seiner konservativ-nationalistischen Partei über Jahre abschmelzen. Die letzten Reichsratswahlen hatten dann endgültig das Schicksal besiegelt: Absolute Mehrheit für ein 'Bündnis des Bösen', einen 'politischen Bastard erster Güte', wie der Kaiser sagte. Die Revolutionäre Vaterländische Partei vereinte mit dem Zusammenschluss dreier Parteien, die wohl vor allem durch eine nationalistisch-imperialistische Tendenz verbunden wurden. Drei kleine Konkurrenten wurden zu einem mächtigen Feind, der sich als Avantgardistische Arbeiterpartei, Verteidiger der nationalen Ordnung und Retter aus dem Elend, den Ketten der Vergangenheit verstand. Getrieben vom Willen zur Macht.
Ungeachtet der Gegensätze erlangte die neue '
RVP' durch Populismus und intensive, zielgruppenorientierte Propaganda starken Einfluss in den
Reichsprovinzen. Durch Soziales Engagement, Kontakt zu Wirtschaft und gesellschaftlicher Elite, generell mit Maß, an den richtigen Stellen jedoch mit der nötigen Radikalität - vermutlich besonders aber mit dem Versprechen des 'Wechsels', der ‚Transformation' - unermüdlich gepredigt durch charismatische Führungskräfte mit heilsbringerischer Ausstrahlung und weißer Weste - gelang ihr Zug um Zug der zunächst Einmarsch in die regionalen Parlamente.
Nach dem Erlangen der Absoluten Mehrheit auf
Reichsebene reagierte der Kaiser dann im Affekt mit der Auflösung des Reichrates, der Proklamation einer Neuwahl und einem Aufruf an 'sein Volk'. Es brauche keine Transformation, sondern vielmehr eine Restauration. Sein
Reich sollte sich hinter ihn stellen und er würde es zu alter Größe führen. Er hatte sich nie mit der neuen Tragweite der Demokratischen Strukturen im
Reich abfinden können - Ebensowenig dann mit dem Niedergang unserer politischen Dynastie.
Er saß auf einem schweren, reich verzierten Sessel. Das Kaminzimmer war durch die letzten Reste der verglühenden Hölzer spärlich beleuchtet.
"Majestät, die Zeit ist gekommen." Sein Blick wich keinen Moment von der Glut. "
Wir müssen aufbrechen!" Aufbrechen wohin? Er war der Kaiser, wohin sollte er gehen? Es war sein Pflicht, sein Geburtsrecht als Herrscher von Gottes Gnaden über Volk und Vaterland zu herrschen. Seine Feinde hatten es geschafft ihn in seiner Position zu Schwächen, ihn an die Demokraten zu binden. Doch noch immer suchte er sich seine Regierung aus. Er machte die Politik im
Reiche und er würde sich Zepter und Krone nicht von minderen Emporkömmlingen ohne politische Einheit, ohne Programm nehmen lassen.
"Alles steht bereit. Wie gewünscht wurde auch die kaiserliche Chronik verladen, Majestät. Wir befürchten das RSA-Beamte bereits auf dem Wege hierher sind." Das RSA. Der Krake. Ein außer Kontrolle geratene Monster. Seine eignen Beamten richteten sich gegen ihn. Doch er hatte beschlossen dies nicht ungestraft zu lassen. Wenn er wieder in der Lage dazu wäre würden die nötigen repräsentativen Prozesse geführt werden müssen. Doch zunächst musste er sich selbst dem Prozess entziehen. Er selbst war nun auch zum 'gehetzten Hund' geworden. Musste sich auf seinen Kanzler als Fluchthelfer verlassen.
"Wer bin ich, Papenburg?", fragte er ruhig.
"Ihr seid mein Kaiser.", antworte Papenburg unruhig. Seien Augen waren nun nicht mehr dem Boden zugewandt, sonder auf die Tür gerichtet, so als würde er jeden Moment das eintreten eine Greifkommandos erwarten.
"Und, sagt mir, ist es eines Kaisers würdig bei Nacht und Nebel zu fliehen - Wie ein Sträfling, mit nichts als dem Leben und ohne wirkliches Ziel?" Eine Diskussion wollte der Kanzler unbedingt vermeiden. Der Kaiser war stur und hatte sich nur schwerlich davon 'überzeugen' lassen das Land zu verlassen, um dem Zugriff durch die neue Regierung zu entgehen.
"Majestät, wir haben einen sicheren Ort gefunden. Für Euch selbst, Eure Familie und Euren Stab. Wir werden den Widerstand von dort aus fortsetzen. Das Volk wird bald einsehen, dass die neue Regierung nicht fähig ist das Reich zu erretten." Draußen waren Stimmen zu hören. Schritte.
"Dann - Papenburg - dann wird das Reich im Chaos versinken. Unsere Feinde werden es reißen wie ein schwaches Vieh", sprach er, während er sich langsam erhob. Der Kanzler reichte ihm seinen Helm. Eine traditionelle, militärische Kopfbedeckung mit den Insignien der kaiserlichen Herrschaft. "Wir werden das nicht geschehen lassen. Zuvor werdet ihr wieder unter Jubel in die Hauptstadt einziehen, Majestät." Er wusste genau wie unwahrscheinlich diese Vorstellung war. Sein Realismus hatte ihn eingeholt, nicht jedoch das Staatsoberhaupt, dessen Glaube an eine Zeit der Restauration zwar hin und wieder durch Zweifel ins Wanken geriet, grundsätzlich jedoch noch immer vorhanden war. Als der altgewordene Kaiser den Helm aus Händen Papenburga entgegennahm klopfte es an der Tür. Bevor jemand hätte reagieren könnte betrat ein Ordonanzoffizier des Reichsheeres das Zimmer.
"Sie kommen. In spätestens zehn Minuten sind sie da."