Brian Nash hatte sich lange genug in der Nähe der Barbarenstadt Avar aufgehalten, um die Geflogenheiten der vier stationierten Kriegereinheiten zur Genüge kennengelernt zu haben, als die lang erwartete Truppe Axtkämpfer endlich eintraf. Er hatte Johnson den Tipp gegeben, Leute aus dem Norden der Insel zu rekrutieren, handfeste und zupackende Männer und keine waschlappigen Stadtlümmel. Und so war es auch kein Wunder, dass Brians Cousin Mark O'Toole die Truppe führte und dessen Jugendfreund Peter Gill seine Leute im Süden von Avar positioniert hatte. Alle Männer hatten zwar nur wenig Erfahrung an der Axt, waren aber zuvor schon als Krieger ausgebildet worden und waren daher mit deren Kampftaktiken vertraut - ein nicht zu unterschätzender Vorteil, der ihnen zusammen mit der besseren Ausrüstung einen großen Vorteil gegenüber den barbarischen Einheiten bringen würde. Alle waren sie bis in die Haarspitzen motiviert und kampfhungrig.
Im Gegensatz zu vielen anderen Anführern hielt Nash von Glitzer und militärischer Ehre nur sehr wenig. Für ihn gab es nur zwei wichtige Dinge: Den Gegner tot und seine eigenen Leute am Leben. Daher ließ er die prächtigen Bronzehelme, die selbst im Mondlicht noch ganz famos funkelten und damit jeden Blitzangriff unmöglich machten, mit Lianen umwickeln und mit allerlei Grünzeug behängen. Die Männer mussten außerdem ihre Gesichter und den Oberkörper einschwärzen.
So getarnt lagen sie jetzt zusammen im hohen Gras am Fuße eines Hanges und waren selbst für ein geübtes Auge nur auf sehr kurze Entfernung auszumachen. Sie hatten sich ein Zeichen ausgedacht, damit man parallel angreifen von zwei Seiten angreifen konnte. Getrocknete Banenenblätter wurden um das eine Ende einer Liane gewickelt, so dass man diese mittels einer schnellen Drehbewegung beträchtlich weit schleudern konnte. Die getrockneten Bananenblätter brannten zudem wie Zunder und das Ganze würde in der Nacht nicht nur über eine weite Strecke zu sehen sein, sondern auf die befestigte Stadt geschleudert auch noch für einen ordentlichen Tumult sorgen.
Die Absprache war, den Angriff zu starten, nachdem die Sonne vollkommen untergegangen war. Die hölzerne Stadtpalisade war in einiger Entfernung auszumachen. O'Toole liegt etwa 20 Meter hinter Nash. Die beiden hatten bereits in frühesten Kindertagen die Nachbarsjungs 'überfallen', wenn die mal wieder im Freien übernachtet hatten. Damals war es nur Spaß gewesen, aber die Routinen hatten sich eingeschliffen. Sie verstanden sich blind, und so braucht es auch nur ein leises "Kuruuu" von Nash und O'Toole gibt seinen Leuten ein Zeichen, mit dem Anzünden der Banenenfackeln zu beginnen.
Die erste Fackel brennt, als Mark O'Toole hinter sich ein Geräusch hört.
"HALLO?"
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Der Weg war beschwerlicher gewesen als angenommen. Und bedeutend länger. Sie waren den Dschungel nicht gewohnt, weder die Hitze, noch die drückende Schwüle, und mehrfach mussten sie eine Pause machen, weil wieder jemand von einem Tier gebissen worden war oder sich mit dem Fuß in einer Schlingpflanze verfangen hatte. So kamen sie nur mühsam und sehr langsam voran und die Sonne neigte sich am dritten Tage bereits, als sie endlich die Bananenstauden erreicht hatten, welche ihnen beschrieben worden waren. Hier musste sie irgendwo sein, die madagaskamerikanischen Axtkämpfer. Nur wo? Sie suchten vergeblich, bis auch das restliche Sonnenlicht verschwunden war, und bereiteten sich ein kleines Camp. Ihre Wasservorräte waren nahezu aufgebraucht, aber die Bananen lieferten wenigstens etwas Nahrung. Feuer machten sie nicht, aus Angst davor, entdeckt zu werden. Sie waren sich der Gefährlichkeit der Gegend bewusst und die Dunkelheit der Nacht war ihr einziger Schutz.
Da sahen sie in einiger Entfernung ein Feuer auflodern und in dessen Schein zwei Schemen, die sie entfernt an Äxte erinnerten. Das mussten sie sein! Sie liefen auf den Feuerschein zu und riefen dabei laut "HALLO!", als vor ihnen zwei dunkle Gestalten wie aus dem Nichts aus dem Boden emporkamen und sie mit einem Schlag zu Boden streckten. Sie spürten, wie sich eine kalte Klinge in ihren Nacken bohrte und aus den Augenwinkeln konnten sie mehrere furchteinflößende Kämpfer erkennen, mit tiefdunklen Gesichtern, in denen nur ihre funkelnden Augen zu erkennen waren.
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Mark O'Toole war sofort aufgesprungen und hatte den Mann, der ihm da entgegenlief, mit einem gekonnten Hieb zu Boden gestreckt. Der andere Mann war zeitgleich überwältigt worden, und jetzt lagen die beiden zitternd im hohen Gras und es bedurfte nur eines kurzen Zuckens, und die schwarze Axtklinge würde sie einen Kopf kürzer machen.
"Verdammte Scheiße, was ist hier los", hört er Nash hinter sich zischen, der sich gewohnt geräuschlos zu ihm herangerobbt hat.
Die beiden Gestalten am Boden wimmern unverständlich, da kann Brian im Schein der immer noch brennenden Fackel weitere Gestalten ausmachen, die sich seiner Truppe nähern. Beinahe hätte er das Zeichen zum Frontalangriff gegeben, da sieht er plötzlich mehrere Röcke und ein Geheul erhebt sich, das unschwer zu deuten ist.
"Nein, hilfe, nicht angreifen, wir sind doch Amerikaner!"
Scheiße, denkt Nash, und schaut den verdutzten O'Toole an, dem gerade eine in Tränen aufgelöste Frau die Axt aus der Hand reißt und sich schluchzend über den noch immer vor Schock am Boden liegenden Mann wirft.
Sie hätten fast eine Gruppe Siedler abgemurkst.
Dementsprechend aufgebracht hält O'Toole den verschreckten Siedlern jetzt eine Standpauke. Wie gefährlich ihre Aktion gewesen sei, warum sie alleine nachts durch den Dschungel laufen würden, ob sie nicht wüssten, dass gleich nebenan auf dem Hügel Barbaren gleich dutzendweise warten würden, um sich an unbewaffneten Siedlern vergreifen zu können. Dann schimpft er über Johnson und dessen idiotischen Auftrag, die Siedler alleine loszuschicken, um sie die Axtkämpfer suchen zu lassen, damit diese sie dann - Ironie! - beschützen können.
"Wir müssen weiter nach Norden, dort sollen wir in der Nähe eines Sees eine Stadt errichten, das ist von äußerster Wichtigkeit!"
"Ja", poltert O'Toole, "und dazu noch leichtsinnig und dumm!"
Und mutig, denkt Nash und ist mit seinen Gedanken längst weiter. Er hat schließlich den Auftrag, die Barbaren zu schlagen. Und im Süden wartet Peter Gill mit seinen Truppen immer noch auf das vereinbarte Zeichen.
Er gibt O'Toole einen Wink und die beiden gehen ein paar Schritte in die Dunkelheit.
"Mark, Du bleibst mit Deinen Leuten hier und passt auf die Siedler auf. Ihr werdet diese Nacht nicht angreifen. Wir können nicht riskieren, dass die Barbaren Euch geschwächt angreifen werden und dann auch noch die Siedler dabei drauf gehen."
"Das ist nicht Dein Ernst, Brian..."
"Mein vollster. Bis zum Sonnenaufgang müsste ich es bis zu Peter geschafft haben."
"Wenn Du glaubst, dass ich Dich in dieser Dunkelheit alleine durch den Dschungel laufen lasse, dann hast Du Dich aber geschnitten."
"Mark, es geht nicht anders. Wenn wir Peter und seine Leute alleine angreifen lassen, werden sie eiskalt in die Falle laufen. Einer muss dorthin und es ihnen sagen."
Sein Blick sagt: Und derjenige bin ich, denn ich habe die letzten Wochen nichts anderes gemacht, als hier nachts um die Stadt zu schleichen.
Er dreht sich zum Gehen, aber O'Toole hält ihn an der Schulter fest. "Ich komme mit Dir."
"Unsinn, Du musst bei Deinen Männern bleiben."
Er schaut seinem Cousin fest in die Augen.
"Bei aller Blutsverwandtschaft...ich kann Dir auch den Befehl dazu geben."
O'Toole möchte Nash am liebsten umarmen, aber er weiß, dass Brian für solche Sentimentalitäten nichts übrig hat. Er lässt ihn los und es dauert nur Sekunden, bis er ihn in der dunklen Nacht nicht mehr ausmachen kann.
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Peter Gill ist beunruhigt. Sie liegen jetzt schon gefühlt viel zu lange an dem südlichen Hang der Barbarenstadt. Die Anspannung weicht langsam der Müdigkeit, welche sich mit sinkendem Adrenalinspiegel breit macht. Er kannte Nash und O'Toole schon viel zu lange, als dass sie es vertrödelt hätten. Irgendetwas musste passiert sein. Hoffentlich, denkt er, nichts Schlimmes.
Jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, erwacht der Dschungel wieder zum Leben. Ein buntes Geräuschportfolio legt sich wie ein Klangteppich über die Baumwipfel, und trotz des immer lauter werdenden Pegels dringt plötzlich ein Laut an Gills Ohr, dessen Klang ihm nur allzu vetraut ist und ihn sofort wieder hellwach macht: "Kuruuu!"
Er dreht sich um und kann im fahlen Mondlicht eine untersetzte Gestalt ausmachen, die ohne jeden Laut zumachen neben in gleitet.
"Verdammt Brian, was war los? Wir haben die ganze Zeit auf Euer Zeichen gewartet!"
"Das kommt auch nicht mehr. Es gibt eine kleine Planänderung. Wir werden heute nicht angreifen."
Peter Gill stößt einen Laut der Verwunderung aus. "Warum das nicht?"
"Weil wir drüben bei den Bananen auf einen Haufen Siedler aufpassen müssen."
"Nicht Dein Ernst."
"Mein vollster."
"Und jetzt?"
"Warten wir noch eine Nacht."
"Können wir uns das erlauben?"
Nash seufzt. "Eigentlich nicht. Aber es nutzt nichts, selbst wenn wir heute ein paar Barbaren erledigen können, haben wir sie auf uns aufmerksam gemacht, und dann greifen sie uns morgen an, wenn wir geschwächt sind."
Er kann Gill zwar kaum sehen, mein aber trotzdem zu hören, wie dieser ihn angrinst.
"Na dann sollen sie doch kommen."
"Bist Du jetzt tollkühn oder leichtsinnig geworden?"
"Weder noch. Aber gestern nachmittag ist hier eine Truppe Bogenschützen eingetroffen. Die könnten uns den Rücken freihalten."
Nash spürt, wie Adrenalin durch seine Adern strömt. "Shit. Worauf warten wir dann noch?"
Die Bogenschützen werden kurz instruiert und begeben sich in Verteidigungsstellung.
Achtung Spoiler: