Seite 37 von 68 ErsteErste ... 2733343536373839404147 ... LetzteLetzte
Ergebnis 541 bis 555 von 1007

Thema: Die wunderbare Welt des Mongke K.

  1. #541
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055

    Eigene Hefe [1/2]

    Dann will ich mal über meine ersten Hefeversuche berichten Emoticon: tanne

    Hintergrund: zu meiner milden Überraschung waren im Zuge der coronoakrisenbedingten Supermarktplünderungen Mitte April nicht nur Klopapier und das geringlagige Klopapier, das sonst keiner kaufen will, ausverkauft, sondern auch Hefe. So als ob die sich normalerweise mit Bäckereiproduktapproximationen aus besagten Supermärkten eindeckende Hälfte der Bevölkerung auf einmal das gute alte Backen für sich entdeckt hätte.

    Lückenhafte Erinnerungen an den Biologie-Unterricht ließen es nicht schwer erscheinen, Hefe selbst zu züchten: das Zeug braucht eigentlich nur Zucker und Zeit. Ersteres war nicht ausverkauft, zweiteres hatte ich unfreiwillig auch, also wieso nicht eigene Hefe fürs Backen benutzen? Fehlte ja nur ein Hefekultur und da ich im April bei meinen Eltern in Bayern war, war auch diese vorhanden. Also alles da:

    Bild

    100ml Hefeweizen, 1 EL Mehl und 1 TL Zucker wurden zusammengemischt...

    Bild

    ...und über Nacht stehen gelassen. Die restlichen 400ml Bier wurden fachgerecht entsorgt. Hefeweizen trifft meinen Geschmack jetzt eh nicht unbedingt, da der namengebende Teil, den man beim Einschenken zum Schluss kurz schwenkt um den einzigartigen Geschmack zu entfalten, war es aber ganz ok; bisschen fad.

    Am nächsten Morgen hatte sich tatsächlich ein nach Hefe riechender Bodensatz gebildet

    Bild

    Dieser Ansatz wurde dann in ein Bett aus Mehl gegeben um die Vorhefe(?) anzusetzen:

    Bild

    Ich hab die Erklärung des Rezepts und meiner Mutter nicht mehr genau im Kopf, aber die Vorhefe lässt man dann erstmal etwas wachsen und schmuddelt später den eigentlich Teig zusammen. Zumindest wuchs die glibberige Hefe weiter an und sah laut meiner Mutter vielversprechend aus

    Mit Brotgewürzen garniert war der Teig fertig für die eigentliche Verteigung:

    Bild

    [...]
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  2. #542
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055
    [...]

    Das Verteigen war wohl das anstrengendste, was ich dieses Jahr gemacht hab

    Technisch gesehen muss man nur den Teil mit der Vorhefe gut durchkneten und vom Rand weg immer Mehl und Wasser dazugeben, damit der Teig nicht zu trocken und nicht zu klebrig wird. Nach ner Weile wurde mir immerhin ein Handmixerknetstabgerät zur Verfügung gestellt:

    Bild

    Wegen der etwas krampfartigen Handhaltung über längere Zeit konnte ich auch nach dem Kneten ne Weile nicht richtig schreiben, weil meine Hand gezittert hat

    Das abschließende Kneten des ganzen Teigs per Hand war mein Highlight, weil der Teig etwas zu klebrig geraten war und ich da schön mit den Händen rummatschen konnte. Die Menge (1000g Mehl, das Rezept war dieses hier: http://www.mamas-rezepte.de/rezept_B...Hefe-3-70.html) hat für zwei Laibe gereicht, die dann noch gehen gelassen wurden :

    Bild

    Schließlich wurden sie noch aufgeschlitzt (ich glaube, damit es professioneller aussieht)...

    Bild

    ...und kamen dann in den Ofen. Die Spannung stieg mit der Backofentemperatur auf ca. 230 Grad Celsius. Vom Teig her hatte es bis zum Gehenlassen vielversprechend ausgesehen, aber die Hefe hatte allem Anschein an nicht mehr viel Bock auf Hefesex. Dementsprechend war das erste Brot nach dem Backen auch noch recht klein und fladig:

    Bild

    Geschmacklich... also die Kruste war richtig geil Das Innere war ziemlich kompakt. Also so kompakt, dass man es lieber nicht (oder zumindest nicht zu viel davon) essen wollte - leider.
    Ich hab es am nächsten Tag noch mit weniger, dafür besserem Mehl bei gleicher Hefemenge und mit einem Referenzteigansatz mit Trockenhefe probiert. Das Brot mit richtiger Hefe war auch sehr gut, aber die Hefeweizenbierhefe scheint fürs Backen nicht so gut geeignet zu sein. Leuchtet natürlich auch ein, wenn die jeweiligen Industrien die Hefen zweckgebunden kultivieren. Das Ergebnis war trotzdem essbar, wenn es also wirklich mal Brotknappheit gibt, kann man damit was Essbares backen.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  3. #543
    Sie/Er/Whatever Avatar von Fimi
    Registriert seit
    12.08.10
    Beiträge
    24.267
    Brauhefe ist ja nicht für die Luftblasen da
    "La majestueuse égalité des lois, qui interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain." - Anatole France

    Zitat Zitat von Fonte Randa Beitrag anzeigen
    Manchmal kann ich Fimi verstehen...
    Zitat Zitat von Kaiserin Uschi Beitrag anzeigen
    Ja, aber das ist nur ein Grundgesetzbruch, aber kein Verfassungsbrauch. Bring das mal vors Bundesgrundgericht ;)

  4. #544
    Registrierter Benutzer
    Registriert seit
    21.03.12
    Beiträge
    22.446
    Wenn du den ersten Hefeschlonz mit Mehl und Wasser verpanschst und ein paar Tage lang täglich mehr Mehl und Wasser unterrührst, bekommst du Sauerteig (gut, dafür brauchts die Ansatzhefe auch garnicht, aber damit dürfte es schneller gehen).

  5. #545
    Registrierter Benutzer Avatar von WeissNix
    Registriert seit
    18.02.03
    Ort
    Hansekontor Lübeck
    Beiträge
    2.064
    Mein Chef hat kürzlich auch mal Hefe angesetzt, aber er verwendete ungeschwefelte Datteln + etwas Zucker. Es sollte auch mit anderem Trockenobst wie Rosinen, Pflaumen oder Aprikosen gehen; wichtig ist nur das ungeschwefelt.

    Ich backe mein Vollkornbrot ja schon seit ... lange vor Corona selbst. Nachdem ich meinen Mixer dabei mal geschrottet habe (im schlechten Winkel geknetet), benutze ich einen festeren Reisheber (handtellergroßer, flacher Plastiklöffel) zum Kneten, das geht super. Und es trainiert den Karpaltunnel und mehr..
    Geändert von WeissNix (09. Mai 2020 um 07:59 Uhr)
    Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.

  6. #546
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055
    Kein längerer Beitrag, eher eine Randnotiz in der wunderbaren Welt des Mongke K.: an meiner Uni ist eine Bombe gefunden worden und wenn evakuiert werden muss, werde ich die Evakuierung um ca. 100 bis 200m verpassen. Das ist das nächste, was ich jemals an so was Spannendem dran war

    Umgekehrt: wenn das Teil hochgeht, kann ich es vom Balkon aus sehen
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  7. #547

  8. #548
    Süß und knuddlig Avatar von Schlumpf
    Registriert seit
    03.11.13
    Beiträge
    7.968
    Mach ein Video!
    Meine Liste:
    1. K
    2. T
    3. V

  9. #549
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055
    Der Blindgänger war eine Luftnummer
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  10. #550
    Registrierter Benutzer Avatar von Brandschutzverordnung
    Registriert seit
    03.05.13
    Ort
    Niedersachsen
    Beiträge
    5.179
    Ich musste vor fünf oder sechs Jahren zweimal innerhalb weniger Wochen evakuiert werden, weil da gleich zwei Bomben gefunden wurden. Hatte damals sehr dicht am Bahnhof gewohnt, da ist halt einiges runtergegangen.
    .

  11. #551
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055

    Numerische Simulation einer Krankheitswelle [1/2]

    Das Projekt, das ich am längsten plane, kann ich wohl dieses Jahr komplett vergessen. Mein Plan war vom Film "100 Dinge" inspiriert. Der ist zwar ziemlich scheiße, auch weil er die ihm zu Grunde liegende Idee völlig inkonsequent umsetzt, aber die Idee fand ich lustig: zwei Typen wollen Konsumkritik üben, indem sie nur noch 100 Dinge behalten wollen. Sie starten mit 0 Dingen und dürfen jeden Tag einen weiteren Gegenstand dazunehmen.
    Einige Anpassungen hätte ich vorgenommen (z.B. jede Stunde ein Gegenstand statt jeden Tag, Regeln für Internet und Lebensmittel, "berührt geführt", ...) aber realistischerweise hätte ich dafür ein paar Tage (eher ne Woche) gebraucht, in denen ich sonst absolut nichts machen muss. Mitte April wäre die Zeit dagewesen, wenn nicht Corona gekommen wäre. Vielleicht wird es in den nächsten Semesterferien was, wenn die Klausuren glücklich liegen.

    Sei's drum, wenn ich das schon nicht machen kann, will ich wenigstens mehr über dieses garstige Corona wissen. Genauer gesagt: mit welchen Methoden kann man Krankheitswellen simulieren? Von derartigen Modellen ist in den Nachrichten hin und wieder die Rede, von der Reproduktionszahl [math]R_0[/math] hat inzwischen wohl auch jeder schon gehört. Aber wie genau "berechnet" man die? Eines dieser Modelle, das in diesem Paper (https://epubs.siam.org/doi/pdf/10.1137/140996148) von 2015 beschrieben wird (also zumindest nicht gaaanz alt), hab ich deshalb implementiert.

    Disclaimer (weil Reizthema und so): was ich in ein paar Stunden zusammengecodet habe, wird wohl eher nicht die aktuelle Forschung und Simulationen auf millionenteuren Großrechnern ersetzen können. Es soll darum gehen, wie so ein Modell beschrieben werden kann und darum, ein "Gefühl" dafür zu bekommen. Das Modell soll aber auch nicht zu primitiv sein, also ein bisschen was können.

    Jetzt aber, worum geht's?

    * * *

    SIR-Netzwerke und die Basisreproduktionszahl
    Wir wollen simulieren, wie sich eine Krankheitswelle in einer Stadt verbreitet. Genauer gesagt: unter den Einwohnern der Stadt. Den Konventionen folgend bezeichne ich die als unsere Population, [math]N[/math] .
    Die Stadt soll hermetisch abgeriegelt sein, d.h. keiner verlässt die Stadt und keiner kommt rein. Wir wollen auch einen relativ kurzen Zeitraum (eine Grippesaison, ~ 100 Tage) betrachten, damit globale Populationseffekte (Geburten, natürliche Tode, ...) vernachlässigbar sind. Einfach eine Stadt, wo Leute von Stadtteil A nach Stadtteil B gehen und das immer genau so und in vorhersagbarer Weise tun.

    Der erste Schritt ist getan, wir wissen was wir modellieren wollen. Klingt trivial, erstaunlich oft habe ich im Unialltag aber den Eindruck, dass sich viele nicht klar machen, was sie modellieren wollen. Führt dann zu so amüsanten Situationen, wo ein Kommilitone beim Simulieren eines Fluges zum Mond physikalischen Effekte unter der Mondoberfläche berücksichtigen will, aber ignoriert, dass die Rakete wohl ganz andere Sorgen hätte, wenn sie diese unterschreitet...

    Als nächstes kann man sich überlegen, mit welchen Größen man es zu tun hat. Man kann sich auch überlegen, mit welchen Größen man es nicht zu tun haben will, heißt, welche man weglässt weil sie z.B. zu schwierig abzubilden sind oder (vermutlich!) keinen großen Effekt haben. Was können wir für unsere Population festhalten, was wissen wir über Infektionskrankheiten? Dafür muss man nicht mal in ein schlaues Paper gucken: wer in seinem Leben z.B. schon die Windpocken hatte weiß, dass man die einmal bekommt und danach "nie wieder". Ausnahmefälle mag es geben, weil das aber Ausnahmen sind ignorieren wir die.
    Wir können unsere Population also ganz allgemein in drei Gruppen einteilen:

    • Diejenigen, die noch nicht krank waren, also anfällig sind: [math]S[/math]
    • Diejenigen, die zur Zeit infiziert sind: [math]I[/math]
    • Diejenigen, die nach Überstehen der Krankheit resistent sind: [math]R[/math]


    Benutzt man englische Begriffe, weil Fachsprache und klingt geiler, hat man im Kern das, was ein SIR-Modell ist - S steht für Susceptible, I für Infected und R für Recovered). Bei tödlichen Infektionskrankheiten kämen eigentlich noch die Toten dazu, aber die betrachten wir als "recovered" - ansteckend sind sie ja nicht mehr

    Wir müssen uns noch darüber Gedanken machen, wie diese Größen miteinander zusammenhängen.
    • Gesunde Personen können von Infizierten angesteckt werden: Übergang [math]S \rightarrow I[/math] .
    • Infizierte werden gesund (oder sterben): Übergang [math]I \rightarrow R[/math]

    Der erste Punkt, die Infektionsrate, hängt eigentlich von solchen Sachen wie der Inkubationszeit ab, aber in dem einfachen Modell passieren Ansteckungen "sofort". Der zweite Punkt hängt vor allem von der Krankheitsdauer ab. Auch das unterscheidet sich sicherlich von Mensch zu Mensch, in unserer Stadt sollen aber alle Menschen gleich sein.

    Weil Infektionsrate und "Krankheitsdauer" in unterschiedlichen Szenarien verschieden sein können (Gibt es in der Stadt eine Maskenpflicht? Dauert die Genesung ein paar Tage oder ein paar Wochen?), beschreiben wir beide mit Parametern, [math]\beta[/math] und [math]\gamma[/math] . Die Basisreproduktionszahl [math]R_0[/math] also wie viele Leute der Gruppe [math]S[/math] einer der Gruppe [math]I[/math] ansteckt, bekommen wir durch [math]R_0 = \frac{\beta}{\gamma}[/math] . Sie führt dann unmittelbar auf das vor einigen Wochen heiß diskutierte exponentielle Wachstum - aber das soll hier nicht unser Problem sein.

    Stöpseln wir alles zusammen und beschreiben es mathematisch, damit es mehr nach Wissenschaft aussieht (Emoticon: voodoo) können wir festhalten (mit von der Zeit [math]t[/math] in Tagen abhängigen Größen [math]S(t), I(t), R(t) [/math] ):
    • [math]S(t+1) - S(t) = -\beta S(t) \frac{I(t)}{N}[/math]
    • [math]I(t+1) - I(t) = \beta S(t) \frac{I(t)}{N} - \gamma I(t)[/math]
    • [math]R(t+1) - R(t) = \gamma I(t)[/math]


    Da stehen jetzt ein paar Sachen, deshalb eins nach dem anderen:
    • Die Anzahl der Anfälligen am nächsten Tag [math]S(t+1)[/math] ist im Prinzip die Anzahl der Anfälligen vorher. Sie nimmt ab (am Anfang sind alle anfällig) und zwar proportional zur Infektionsrate [math]\beta[/math] und dem Anteil der Infizierten [math]I(t)[/math] an der Gesamtbevölkerung [math]N[/math]
    • Die Anzahl der Infizierten nimmt zum nächsten Tag um den entsprechenden Anteil zu. Sie nimmt um die Anzahl derer, die resistent werden, ab ( [math]-\gamma I(t)[/math] )
    • Die Anzahl derer, die resistent werden, ist die Anzahl der Infizierten proportional zu [math]\gamma[/math]



    Vieeel Text, aber ich hoffe, bis dahin ist erst einmal klar, was das Modell macht. Es ist einfacher, als ich vor dem Lesen gedacht habe, aber der Teufel steckt im Detail: die Parameter [math]\beta[/math] und [math]\gamma[/math] muss man erst einmal bestimmen. Vor allem, wenn diese sich im Lauf der Zeit verändern.

    Im nächsten Post beschreibe ich noch kurz, wie man das Modell auf Netzwerke erweitert und dann das ganze auf Karlsruhe loslassen (dann gibt es auch Bilder ))
    Geändert von Mongke Khan (23. Mai 2020 um 13:27 Uhr)
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  12. #552
    Registrierter Benutzer
    Registriert seit
    21.03.12
    Beiträge
    22.446
    Zum Modell kann ich jetzt nicht viel sagen außer dass es nach einem sinnvollen Ansatz klingt. Kommt halt ein logistisches Wachstum der Resistenten bei rum.

    Was ich allerdings berichten kann: auf dem Handybildschirm sind die Formeln völlig kaputt.

    Bild
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken

  13. #553
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055

    Numerische Simulation einer Krankheitswelle [2/2]

    Schauen wir uns Karlsruhe mal genauer an:



    Es leben ca. 300.000 Menschen dort in 27 Stadtteilen. Wer z.B. in Knielingen wohnt, ist vor allem in Knielingen und (zum Arbeiten, Einkaufen, ...) in den benachbarten Stadtteilen Nordweststadt, Neureut und Mühlburg unterwegs. Viele gehen in der Innenstadt einkaufen etc.

    Wenn wir die Stadtteile durchnummerieren, können wir diese Abhängigkeiten kann man durch eine Matrix [math]\Phi[/math] beschreiben. In der i-ten Zeile und j-ten Spalte steht, zu wie viel Prozent Einwohner aus Stadtteil i sich in Stadtteil j aufhalten. Ich habe eine parametrisierte Matrix benutzt, die einfach in der Diagonalen [math]alpha \in [0,1][/math] stehen hat und bei ausgewählten Nebendiagonaleinträgen den Rest so, dass die Zeilensumme [math]1[/math] gibt. Für [math]alpha = 0.95[/math] sieh die z.B. so aus:

    Achtung Spoiler:

    Grö Wol Obe Grtt Rüp Pal Hoh Wal WS Wei I-W NS Dax NWS SS Stu Müh Rin GrWi Kni Dur SWS OS Bei I-O Neu Hag
    Grö
    0.95 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.025 0 0 0 0 0 0.025
    Wol 0 0.95 0 0.0125 0.0125 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0
    Obe 0 0 0.95 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.025 0 0 0 0 0.025 0 0 0
    Grtt 0 0.0125 0 0.95 0 0.0125 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
    Rüp 0 0.01666667 0 0 0.95 0 0 0 0 0.01666667 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01666667 0 0 0 0 0 0
    Pal 0 0 0 0.025 0 0.95 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.025 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
    Hoh 0 0.0125 0 0.0125 0 0 0.95 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0
    Wal
    0 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01666667 0 0 0.01666667 0.01666667
    WS 0 0 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0.00714286 0.00714286 0 0.00714286 0 0.00714286 0.00714286 0 0.00714286 0 0 0.00714286 0 0 0 0 0
    Wei 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0 0.95 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0 0 0.01 0.01 0 0.01 0 0 0
    I-W 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0.95 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0.0125 0 0
    NS 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0.01 0.95 0 0.01 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0.01 0
    Dax 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0 0 0.025 0 0.025 0 0 0 0 0 0 0 0
    NWS 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0.01 0 0.95 0 0 0.01 0 0 0.01 0 0 0 0 0 0.01 0
    SS
    0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0 0.95 0 0 0 0 0 0.01 0.01 0.01 0 0.01 0 0
    Stu 0 0 0 0.0125 0 0.0125 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0
    Müh 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0.01 0.01 0 0 0.95 0 0.01 0.01 0 0 0 0 0 0 0
    Rin 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0 0.0125 0 0.0125 0 0 0 0.0125
    Grwi 0 0 0.01 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0.01 0 0 0 0.01 0 0.95 0 0 0 0 0.01 0 0 0
    Kni 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01666667 0 0 0.01666667 0 0 0.95 0 0 0 0 0 0.01666667 0
    Dur 0.005 0.005 0 0 0.005 0 0.005 0 0 0.005 0 0 0 0 0.005 0.005 0 0.005 0 0 0.95 0 0.005 0 0 0 0.005
    SWS
    0 0 0 0 0 0 0 0 0.01 0.01 0.01 0 0 0 0.01 0 0 0 0 0 0 0.95 0 0.01 0 0 0
    OS
    0 0 0 0 0 0 0 0.00714286 0 0 0 0.00714286 0 0 0.00714286 0 0 0.00714286 0 0 0.00714286 0 0.95 0 0.00714286 0.00714286 0
    Bei
    0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0.0125 0 0.95 0 0 0
    I-O
    0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.01666667 0 0 0 0.01666667 0 0 0 0 0 0 0 0.01666667 0 0.95 0 0
    Neu
    0 0 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0 0.01 0 0.01 0 0 0 0 0 0.01 0 0 0.01 0 0 0.95 0
    Hag
    0.0125 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0.0125 0 0 0.0125 0 0 0 0 0 0.95


    Wenn z.B. in Zeile "Durlach" und Spalte "Durlach" eine 1 steht, heißt dass, dass die Durlacher nur unter sich bleiben.

    Man kann mit dieser Matrix das SIR-Modell relativ einfach zu einem Netzwerk erweitern. Man erhält sozusagen ein Modell für jeden der [math]i\in{1,...,27}[/math] Stadtteil und hat Interaktionsterme:

    • [math]S_i(t+1) - S_i(t)= - \sum_{j=1}^{27}\sum_{k=1}^{27} \beta \Phi_{ij}S_i(t)\frac{\Phi_{kj}I_k(t)}{N_j}[/math]
    • [math]I_i(t+1) - I_i(t) = \sum_{j=1}^{27}\sum_{k=1}^{27} \beta \Phi_{ij}S_i(t)\frac{\Phi_{kj}I_k(t)}{N_j} - \gamma I_i(t)[/math]
    • [math]R_i(t+1) - R_i(t)= \gammaI_i(t)[/math]


    Mit [math]N_j[/math] der Anzahl an Leuten, die in Stadtteil i "beschäftigt ist".

    Ab hier ist es nur noch Parameter einsetzen und gucken, was passiert. Mit [math]\beta = 0.75[/math] und [math]\gamma = 0.25[/math] wäre das eine heftige Grippewelle und man sieht (bei [math]alpha = 0.95[/math] , d.h. die Leute bleiben hauptsächlich in ihrem Stadtteil) wie diese einmal vom Stupferich aus über Karlsruhe rollt:



    Mit [math]\beta = 3.75[/math] und [math]\gamma = 0.25[/math] sind wir ( [math]R_0 = 15[/math] !) wäre das eher ein wütendes Masernfest. Bei [math]alpha = 0.95[/math] sieht man die gleiche Welle, nur in heftiger:



    Bei [math]R_0 < 1[/math] sieht man auch, dass die Infektionskrankheit wegstirbt, weil sie sich nicht weit genug verbreiten kann.

    Fazit:
    Wie schon disclaimt erwarte ich, dass im wissenschaftlichen Umfeld, das gerade Corona untersucht, mehr "Power" (in Form von ausgefeilteren Modellen, feinerer Auflösung und mehr Rechenkraft) steckt. Trotzdem finde ich es schön, einmal selbst so ein Modell umgesetzt zu haben, weil dieses "Wissenschaftliche Modelle besagen..." oder "mit statistischen Methoden..." in den Nachrichten nervt (nen Durchschnitt zu bilden ist btw auch ne statistische Methode, man kann auch "unbiased estimator for expected value" sagen, dann klingt es krasser ). Jetzt kann ich mir quasi selber anschauen, warum $R_0 < 1$ so wichtig ist oder wie man die Infektionswelle abbremsen kann.
    Geändert von Mongke Khan (23. Mai 2020 um 13:28 Uhr) Grund: Spoiler für die große Tabelle
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  14. #554
    Wolf im Krokodilpelz Avatar von Mongke Khan
    Registriert seit
    25.06.11
    Ort
    KA
    Beiträge
    19.055
    Zitat Zitat von Flunky Beitrag anzeigen
    Zum Modell kann ich jetzt nicht viel sagen außer dass es nach einem sinnvollen Ansatz klingt. Kommt halt ein logistisches Wachstum der Resistenten bei rum.

    Was ich allerdings berichten kann: auf dem Handybildschirm sind die Formeln völlig kaputt.
    Aus biologischer Sicht kann ich da auch wenig zu sagen; die Überlegungen klingen sinnvoll
    Formeln sind im Forum leider allgemein irgendwie broken. Im Browser am PC sieht es bei mir ok aus


    Hier die Stellen, wo es viel Geformel gibt, als Bild:

    Bild
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
    Zitat Zitat von Ghaldak Beitrag anzeigen
    Wären die Beiträge der Admins alles, was zählt, dann wäre dieses Forum eine Geisterstadt mit Adventskalender.

  15. #555
    Antiker Benutzer Avatar von BoggyB
    Registriert seit
    21.08.11
    Beiträge
    7.043
    Schöne Erklärung

    Zitat Zitat von Mongke Khan Beitrag anzeigen
    Stöpseln wir alles zusammen und beschreiben es mathematisch, damit es mehr nach Wissenschaft aussieht (Emoticon: voodoo) können wir festhalten (mit von der Zeit [math]t[/math] in Tagen abhängigen Größen [math]S(t), I(t), R(t) [/math] ):
    • [math]S(t+1) = -\beta S(t) \frac{I(t)}{N}[/math]
    • [math]I(t+1) = \beta S(t) \frac{I(t)}{N} - \gamma I(t)[/math]
    • [math]R(t+1) = \gamma I(t)[/math]


    Da stehen jetzt ein paar Sachen, deshalb eins nach dem anderen:
    • Die Anzahl der Anfälligen am nächsten Tag [math]S(t+1)[/math] ist im Prinzip die Anzahl der Anfälligen vorher. Sie nimmt ab (am Anfang sind alle anfällig) und zwar proportional zur Infektionsrate [math]\beta[/math] und dem Anteil der Infizierten [math]I(t)[/math] an der Gesamtbevölkerung [math]N[/math]
    • Die Anzahl der Infizierten nimmt zum nächsten Tag um den entsprechenden Anteil zu. Sie nimmt um die Anzahl derer, die resistent werden, ab ( [math]-\gamma I(t)[/math] )
    • Die Anzahl derer, die resistent werden, ist die Anzahl der Infizierten proportional zu [math]\gamma[/math]
    Ich bin hier ein bisschen verwirrt. Du schreibst, S(t+1) ist die Anzahl der Anfälligen am Tag t+1. Aber so wie ich deine Formeln lese, beschreiben sie, um welches Delta sich S, I, R von t auf t+1 ändert. Sind die Formeln nicht eigentlich so gemeint?:
    • [math]S(t+1) - S(t) = -\beta S(t) \frac{I(t)}{N}[/math]
    • [math]I(t+1) -I(t) = \beta S(t) \frac{I(t)}{N} - \gamma I(t)[/math]
    • [math]R(t+1) - R(t) = \gamma I(t)[/math]
    "Only Germans, perhaps, could make a game about economics - a stylish, intelligent and captivating one at that." - The New York Times

Seite 37 von 68 ErsteErste ... 2733343536373839404147 ... LetzteLetzte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •