Hallo allerseits,
ich habe jetzt glaube ich endlich oft genug Civ6 gespielt um meinen Frust hier leider mal ein wenig breittreten zu können.
Das soll kein sinnloses Gemotze sein, ich würde nur gerne wissen wie andere das sehen und ob Ihr ähnliche Erfahrungen mit dem Spiel gemacht habt.
Also, wie der Titel sagt: Civ 6 ist unter allen Civs die ich je gespielt habe, das sind Teil 4, 5 und 6 (interessanterweise obwohl ich alt genug dafür bin, nie die älteren Versionen), das mit Abstand schwächste.
Das Spiel empfinde ich als unausgereift, miserabel gebalanced, voll mit Bugs und undurchdachten Designentscheidungen, und mit einer politischen und militärischen KI die den Namen nicht verdient.
Die Bugs
Schon das Forum hier ist voll davon und ich kann mich nicht erinnern dass das bei den anderen Teilen auch so war. Viel davon ist vernachlässigbar; Flieger, die in der Anzeige dem Träger nicht folgen; Unterstützungseinheiten, die in der Anzeige nicht mit in die eroberte Stadt ziehen, Mausklick-rechts um einen Bewegungsbefehl abzubrechen, den er dann damit aber ausführt - natürlich dann irgendwo in die Pampa, unbesetzte Werkstätten, die aber trotzdem den Produktionsbonus liefern und so weiter.
Oft werden auch von eigenen Fliegern erreichbare Angriffsziele gar nicht als solche angezeigt - obwohl man sie trotzdem anwählen kann.
Das Balancing
Man kann es auf einen Punkt zusammenfassen: Wissenschaft+Produktion > alle anderen Strategien.
Es ermöglicht den Wissenschaftssieg und was andere Spieler sich mit Musik, Bildern oder Inquisitoren aufhalten kann man mit jeglicher Armee zunichte machen - den Eiffelturm erobern ist nunmal viel einfacher als ihn zu bauen.
Mir kommen die Sprünge der Einheitenstärken zwischen den Techlevels auch viel zu stark vor. Früher gab es zwischen Musketieren und Infantrie noch die Schützen. Jetzt ist der Sprung ohne die Schützen viel größer.
Allgemein geht das alles viel zu schnell - man schickt Armee los und muss fürchten dass sie bei Ankunft beim Gegner schon hoffnungslos veraltet sind. Kampfpanzer um 1500 herum sind keine Seltenheit. Und ja, ich spiele schon immer die größten Karten und langsamstes Gameplay.
Die Entwicklung ist so zügig und Politiken so unansgeglichen, dass es nie sinnvoll ist eine ausgeglichene Armee zu bauen, sondern einfach das was man sich mit Politiken billig machen kann - ab dem Panzer sind das in aller Regel einfach nur noch aberdutzende Panzer.
Flugzeuge hingegen sind durch ihre zu zahlreichen Bedingungen zu aufwändig - und auch zu wenig effektiv. Ich kann mich erinnern dass in Civ4 ganze Kriege durch das Erreichen und den Bau von Fliegern entschieden wurden, hier kann man komplett auf sie verzichten.
Dieses mit Civ5 eingeführte Stadtstaatensystem ist auch eindeutiges Symptom davon dass man nicht weiß wie man dem zu leichten Militärsieg etwas entgegensetzen soll. Eroberungen unsinnig zu machen wie in Civ5, das wollten sie ja gottseidank nicht mehr. Aber was zur Hölle ist ein Stadtstaat? Ein Staat der von sich aus sagt "wir erobern nix." Leider gabs das nie und die existierenden Stadtstaaten bestehen aus ganz anderen Gründen. Es fühlt sich daher irgendwie falsch an und rein dem Balancing bzw. Spielmechaniken geschuldet.
Das Kampfsystem
Mal wieder musste man sich damit behelfen Städte schießen lassen zu können - über alle Geländefelder hinweg. Weil man sich offenbar des schiefen Balancings bewusst war und auf diese Weise hoffte, allzu schnelle Vormärsche des Spielers gegen die KI aufzuhalten.
Das Gegenteil ist richtig: Da die KI zu dumm ist ordentliche Angriffe zu fahren, braucht man nichtmal Besatzungstruppen in eroberten Städten lassen; denn kaum ist eine Stadt erobert, ist sie von sich aus wehrhaft.
Civ4 hatte das doch perfekt vorgemacht: die Stimmung in kulturfremden, also eroberten Städten, muss durch Besatzungstruppen kontrolliert werden. Davon genug zu produzieren und auch finanzieren zu können war z.T.recht aufwändig - und es fühlte sich realistisch an. Man konnte Städte nicht einfach ohne Armee lassen weil jede gegnerische Einheit sie auch einnehmen konnte - was bei unverteidigten Städten ebenfalls realistisch ist.
Designentscheidungen
Das ist vielleicht eher persönlich, aber ich finde die Anordnung diverser Buttons und Anzeigen nicht nur unübersichtlich, z.T. stören sie den Spielablauf erheblich. Ich weiß auch nicht inwiefern manches davon sogar als Bug gelten kann, z.B. wenn automatisch zur nächsten Einheit geschaltet wird, aber davor automatisch auf eine andere Einheit geschaltet wird...man diese mittes "m" und klick irgendwohin ziehen lassen will, aber der Rechner dazwischenfeuert und eine andere Einheit auswählt so dass die Bewegung für diese dann übernommen wird...oder wieso muss man eigentlich nachdem man "nächste Runde" geklickt hat, nochmal für diese Runde unbewegte Einheiten die der Rechner offenbar vergessen hat, bewegen? Das alles wirkt einfach extrem schludrig.
Eine Anzeige, ob die Stadt die ich mir gerade ansehen beispielsweise von einem Zoobonus einer benachbarten Stadt profitiert wäre sinnvoll gewesen...ehe ich da anfange auch einen Zoo zu bauen...
Politische KI
Da fällt mir nur eines ein: Rotz.
In früheren Civs bildeten sich durch ein einfaches System Allianzen heraus: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die KI war schlau genug, gemeinsame Gegner als Bonus für die mitstreitende Nation zu bewerten. So teilte sich die Welt oft in zwei Blöcke auf, und in Defensivallianzen gebunden musste man sich schon gut überlegen ob man nun einen Alleingang macht, damit Vertrauen befreundeter KIs verspielt, und einen in Defensivallianzen gesicherten Gegner angreift.
Wie läuft das in Civ6 ab?
ALLE meine Spiele hatten dieses Muster:
Befreundetes Land greift mich überraschend an, wird zurückgeschlagen. Ich erobere eine Stadt des Agressors.
OK, dann kann ich auch weitermachen, gegnerische Städte besetzen während das Land noch existiert ist auch eher nachteilig, also weitermachen.
Plötzlich gelte ich bei allen KIs als Kriegstreiber für einen Krieg den ich nichtmal begonnen habe.
Es gibt also zahllose Casus Belli um den Kriegstreiberbonus klein zu halten wenn man einen Krieg beginnt - Krieg beginnen ist also nicht schlimm. Aber wehe man gewinnt einen Krieg, selbst wenn man diesen auferzwungen bekam!
Das idiotischste Spiel damit hatte ich vor kurzem: Länderanordnung war Russland-Rom-ich. Mit Russland hatte ich eine Allianz. Rom greift Russland an, erobert zwei Städte. Ich greife Rom nach Denunzierung an, erobere die ersten Städte, gelte sofort bei allen als Kriegstreiber, und bis ich endlich zu den russischen Städten vorgedrungen bin, die ich für Russland zurückerobern will, gelte ich sogar bei Russland als Kriegstreiber und werde denunziert!
Ehrlich: what the fuck.
Oft kam es dann dazu dass viele andere Länder mir "wegen Kriegstreiberei" (von Kriegen die ich nie begann) den Krieg erklärten. Freilich ohne auch nur ein bisschen für solche Kriege vorbereitet zu sein, resultierend in immer gleichen Spielen:
Ich starte mit (z.B.) Griechenland, beginne direkt am Kultursieg zu arbeiten, Kriegserklärung eines Nachbarstaats, Eroberung des Nachbarstaats, ich gelte als Kriegstreiber und bekomme weitere Kriegserklärungen, schmeisse den Kultursieg in die Tonne und erobere halt den Rest der Welt.
Da das System "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" auch unter den einzelnen KIs nicht greift, sind die auch zu blöd sich zu verbünden und mir dann gemeinsam den Krieg zu erklären. Stattdessen habe ich immer gemütliche 1-3 Gegner und wenn die weg sind kommen die nächsten dran.
Micromanagement KI
Hier wütet das Desaster am meisten.
Ich fange gar nicht damit an dass die KI nicht in der Lage ist (anders als z.B. Uralt-Spiele wie Panzergeneral) Einheiten sinnvoll zu bewegen und mit einer gewissen Logik anzugreifen oder Verteidigungslinien aufzubauen - die KI ist nichtmal in der Lage zu begreifen wann man angreifen oder besser nur verteidigen sollte.
Angriffe einzelner Musketiere gegen Kampfpanzer kommen genauso regelmäßig vor wie dass Landeinheiten sinnlos und ohne Ziel aufs Meer hinausgeschippert werden, auf dem es von feindlichen Kriegsschiffen nur so wimmelt. Angriffe einzelner Einheiten gegen ein halbes Dutzend gegnerischer sind genauso regelmäßiger Blödsinn. Die Bewegung der KI-Einheiten wirkt wie aus einem Zufallsgenerator heraus...meine Fresse, wir schreiben 2018 und das Verhalten der KI im Spiel ist wie aus den 1980er Jahren. Halt, nein, sogar UMSII von 1989 (?) hatte schon in der Analyse drin ob man sich in einem Krieg nun defensiv oder offensiv verhält indem die KI das jede Runde auf Basis ihrer Informationen abschätzte.
Summa sumarum...als Einzelspieler bin ich einfach komplett enttäuscht wie lieblos und hirnlos Civ6 programmiert wurde.
Vergangene Versionen hatten so tolle Dinge vorgemacht, die sich positiv auf die KI und das Balancing auswirkten, wie etwa Vasallenstaaten (was es lohnenswerter machte einen Gegner nicht komplett zu erobern), Kulturanteile in Städten (eigene oder ausländische) oder die Freund/Feind-orientierte KI...aber kaum kam mit Civ5 und 6 endlich das Hexagonalraster und keine Armeenhaufen mehr, wurde all das Gute einfach über Bord gekippt.
Ich würde mir ein Civ wünschen, welches:
-Natürlich das Hexraster verwendet
-Weiter das System 1 Feld = 1 Einheit verwendet
-aber wie in Civ4 müssen eroberte Städte auch die eigene Kultur aufgedrückt bekommen, was sehr lange dauern sollte. Die Produktion sollte ohne Dominanz der eigenen Kultur in solchen Städten stark gehemmt sein.
-Auch die Politiken aus Civ4, die auf die Struktur des Landes eingingen (groß/klein), erforderten auch für militärisch starke Länder enorme Kulturbemühungen, da man sonst kein Riesenreich verwalten konnte.
-eine politische KI verwendet, die Freunde und Feinde erkennt bzw. dieses Muster fördert, und Gesamtpolitische Lagen erkennt und darauf reagieren kann (sich z.B. mit anderen Ländern verbünden um einem gemeinsamen Gegner den Krieg zu erklären...der auch durch Rüstung vorbereitet wurde).
-eine Micromanagement-KI verwendet, die den Namen auch verdient. Das muss nun nicht gleich ein DeepBlue oder so sein, aber die aktuelle, hirnlose KI ist einfach unwürdig.
Das ganze ist als Diskussionsgrundlage gedacht von mir, der ich wirklich unzufrieden bin damit, wie sich Civilization entwickelt hat.
Das dürft Ihr natürlich anders sehen, vielleicht werde ich ja auch in dem einen oder anderen Punkt eines besseren belehrt. :-)
Gruß Silbad