Einer jedoch entging seinem Schicksal nicht: „Nachdem Gott ihm den großen Sieg geschenkt hatte, nahm der Sultan in dem Vorraum seines Zeltes Platz, denn es war noch nicht vollständig aufgebaut, während die Soldaten ihm Gefangene vorführten und alle Anführer, die sie hatten finden können. Als das Zelt errichtet war, nahm er darin mit großer Freude Platz und dankte Gott für die Gunst, die er ihm gewährt hatte. Dann ließ er König Guy, seinen Bruder und den Fürsten Rainald herbeirufen. Er reichte dem König einen Becher mit einem eisgekühlten Getränk, von dem dieser trank, denn er war schrecklich durstig, dann reichte der König den Becher dem Fürsten Rainald. Der Sultan sagte zu dem Dolmetscher: „Erkläre dem König, dass er ihm den Trunk gereicht habe. Nicht ich.“
Was der Sultan damit sagen wollte, bezog sich auf die Etikette, die die Muslime pflegten: Ein Gefangener, dem man zu essen und zu trinken anbot und der das annahm, durfte nicht getötet werden. Er hatte gewissermaßen den Sieg des anderen über ihn anerkannt. Wem jedoch der Sieger eine solche Geste verwehrte, dessen Leben war verwirkt: „Er, der Sultan, befahl ihnen, sich an einen Ort zu begeben, der als ihre Unterkunft vorgesehen war. Sie taten das und aßen etwas. Dann ließ der Sultan sie erneut zu sich rufen. Er bot dem König einen Platz im Vorraum an und wandte sich dann an den Fürsten Rainald, wie er es angekündigt hatte. Er sagte zu ihm: „Hier stehe ich nun, der ich Mohammed um Hilfe gebeten habe, und Gott hat mir den Sieg über dich gewährt.“ Er bot ihm an, den Islam anzunehmen, doch Rainald lehnte ab. Da zog der Sultan seinen Säbel und versetzte ihm einen Hieb, so dass er den Arm von der Schulter trennte.
Die übrigen Anwesenden gaben ihm den Rest, und Gott schickte seine Seele augenblicklich ins Höllenfeuer.“
Das eigentliche Ziel von Saladin war Jerusalem. Der Ayyubide wollte das Ergebnis des ersten Kreuzzugs rückgängig machen und sie wieder aus der Heiligen Stadt vertreiben. Nach der Schlacht von Hattin, von der nur 3.000 Kreuzritter zurückkehrten, war das Königreich Jerusalem tödlich angeschlagen. Einen besonders hohen Blutzoll hatten die Mitglieder der christlichen Orden zahlen müssen: Saladin übergab sie Glaubenseiferern in seinen eigenen Reihen, die sie erbarmungslos niedermachten.
Am 20. September 1187 stand Saladins Heer vor Jerusalem, am nächsten Tag begann der Angriff. Inzwischen hatte der Sultan nach der Schlacht von Hattin praktisch das gesamte Königreich aufgerollt: Akkon, das Einfallstor zum Heiligen Land, war am 8. Juli gefallen. Bis hinauf nach Beirut und im Süden nach Askalon, das den Zugang zu Jerusalem beherrschte, hatte Saladin die Küsten zurückerobert. Lediglich Tyrus, Tripolis und Antiochia verblieben noch in der Hand der Kreuzfahrer, ferner die Gebiete in Transjordanien und Jerusalem. Die Belagerung Jerusalems zog sich fast zwei Wochen hin. Erst ein zweiter Angriff am 26. September konnte immerhin eine Bresche in die Mauer schlagen. Die Verteidiger der Stadt erkannten, dass sie verhandeln mussten. Doch davon wollte Saladin nichts wissen, er wollte Genugtuung für das Massaker von 1099, als die Christen ihrerseits die muslimische (und jüdische) Bevölkerung von Jerusalem niedergemacht hatte. Da offenbarte auch der Unterhändler der christlichen Seite, Balian von Ibelin, sein wahres Gesicht:
„Wisse, Sultan, wir sind in so großer Zahl in der Stadt, dass nur Gott sie kennt. Jetzt fürchten sich alle zu kämpfen, denn noch hoffen sie auf ihr Leben, darauf, dass du es ihnen schenkst, wie du es anderen gewährt hast. Sie wehren sich gegen den Tod und wollen leben. Sehen wir aber den Tod unvermeidbar vor uns - bei Gott, wir töten unsere Frauen und Kinder und stecken unsere Habe in Brand! Wir lassen euch keinen einzigen Dinar noch eine Drachme in die Hände fallen, keinen Mann und keine Frau in die Knechtschaft schleppen. Dann zerstören wir den Felsendom, die Moschee al-Aqsa und die anderen heiligen Orte und töten die gefangenen Muslime – es sind fünftausend. Kein Pferd und kein anderes Tier findet ihr lebend bei uns. Endlich ziehen wir alle zum Kampf gegen euch heraus und streiten wie Männer, die um ihr Leben kämpfen. Dann wird kein Mann getötet, ohne vorher seinesgleichen umgebracht zu haben. Ehrenvoll sterben wir oder siegen edel!“
Die beherzte Rede Balians verfehlte ihre Wirkung nicht. Saladin besprach sich mit seinen Ratgebern, und es wurde ein Kompromiss ausgehandelt: Freier Abzug gegen Zahlung eines Kopfgeldes (Pech nur für diejenigen, die sich diese Zahlung nicht leisten konnten). Die Bedingungen wurden angenommen, und so konnte Saladin am 2. Oktober 1187 im Triumph in Jerusalem einziehen. Saladin hielt Wort, es gab kein Massaker und auch keine Plünderungen. Selbst die Großen, darunter das Königspaar Sybille und Guy, ließ er mitsamt ihrer Schätze abziehen. Solch einen Großmut hatten sie noch nicht erlebt.
Von nun an wehten wieder die islamischen Banner auf den Mauern der Heiligen Stadt.