Chipahuas Überfahrt dauerte mehrere Wochen. Der Frachter, mit dem er reiste, musste den osmanischen Schiffen ausweichen, um nicht gekapert oder versenkt zu werden. Nach seiner Ankunft im Hafen von Genua reiste er auf dem Landweg weiter nach Palenque, um eine Audienz beim König zu erbitten. Stundenlang wartete er vor dem Thronsaal, ehe ihm die Diener endlich Einlass gewährten.
Dort saß nun König Cahuac, gekleidet in das farbige Gewand, geschmückt mit der traditionelle Federkrone. Ohne den Austausch von Grußformeln sprach er zu dem Priester: "Ich hörte, Ihr bringt mir Kunde von Chilan?" Chipahua verneigte sich und sprach: "Ja, mein König. Der Hohepriester ist in tiefer Sorge ob des Krieges. Dieser Konflikt ist nicht der Weg, den Itzamná für unser Volk vorgesehen hat. Im Namen Chilans bitte ich Euch deshalb: Schließt Frieden mit dem Sultan! Auch die Gunst unserer Götter ist endlich, und sie wird gerade auf eine harte Probe gestellt." Einen Augenblick lang schwieg Cahuac und dachte über das Gesagte nach. Wenngleich er wenig für die Priesterschaft übrig hatte, so fürchtete er doch den Zorn der Götter. Dann aber sprach er: "Ich danke Euch für Eure offenen Worte, Priester. Doch vergesst nicht die Sünden der Osmanen: Sie folgten dem falschen Weg. Sie bezeichneten unseren Glauben als ketzerisch, und sie betraten den heiligen Wald von Palenque. Nein, dieser Krieg wird weitergehen, bis ein Exempel statuiert ist. Die osmanischen Küstenstädte sollen brennen. Ich habe bereits mit dem Ältesten der Hunnen gesprochen, und er wird uns gewähren lassen, solange wir die Städte vernichten und nicht behalten." Als Chipahua das hörte, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Lag dem König tatsächlich nur noch an weltlichen Machtspielen? Ein letztes Mal versuchte er, den König zu überzeugen: "Mein König, denkt doch an die Menschenleben..." - "Das ist mein letztes Wort", unterbrach ihn Cahuac. "Geht nun, ehe ich Euch für Eure Widerworte einsperren lasse."
Chipahuas Knie zitterten noch auf der gesamten Rückfahrt nach Genua. Es war bereits nach Mitternacht, als er endlich seine Unterkunft erreichte. Am nächsten Tag sollte bereits das Schiff zurück nach Bagdad gehen. Am Eingang empfing ihn der Wirt. "Ah, Signore! Telegramme per Lei!" Chipahua öffnete den Brief, las die wenigen Zeilen - und ließ das Papier vor Schreck fallen. Der Wirt runzelte die Stirn. "Was ist es, Signore?" Chipahua atmete tief durch und sagte dann: "Nichts. Es ist nichts." Der Genuese würde nicht verstehen, auch wenn die Stadt offiziell schon lange dem Pfad des Lichts folgte. Chipahua bückte sich und hob den Brief auf. Noch einmal las er die Zeilen:
Chilan verstorben - STOPP - Bleibe in Genua - STOPP - Einzelheiten folgen
***
Es folgten Jahrzehnte des Krieges und tiefen Leids an der osmanischen Westküste. Städte wurden bomardiert, Schiffe versenkt; doch die osmanischen Streitkräfte hielten den Kampf fern von den Machtzentren des Sultans und brachten den mayaischen Verbänden schwere Verluste bei. Keine einzige osmanische Stadt sollte in dieser Zeit fallen, allem Beschuss zum Trotze.
Von der Westgrenze mehrten sich indes die Nachrichten von hunnischen Truppenansammlungen. Lange ignorierte Cahuac diese Warnungen, doch als eine größere Kriegsflotte südlich von Palenque gesichtet ward, schickte er eine Botschaft an den Hof des Hunnenkönigs.
"Seid gegrüßt, Ältester der Hunnen!
Eines unserer U-Boote stieß bei seiner Patrouillenfahrt auf ein kleines Expeditionskorps Eures Reiches mit Kurs Ost-Nordost. Wir gehen derzeit davon aus, dass es sich um einen Navigationsfehler Eurer Truppen handelt und nicht um eine Landungsmission auf unserem Kontinent. Seid versichert, dass wir die Souveränität über unser Land und die ansässigen Stadtstaaten ebenso vehement verteidigen werden wie Ihr die Eure. Wir fordern Euch daher auf, Euch umgehend zu erklären und den Kurs der Schiffe zu korrigieren. Anderenfalls sehen wir uns gezwungen, dem U-Boot den Feuerbefehl zu erteilen.
gez. Cahuac, König des Mayaischen Großreiches"
Die Worte des Großkönigs zeigten Wirkung, denn der Älteste lenkte ein:
Die Hunnen grüßen die Maya!
Nun denn,dann müssen wir ehrlich antworten,das Ziel unserer kleinen Armee war Venedig,um im Falle einer Eroberung einer Osmanenstadt durch euch,ebenso einen Stützpunkt auf eurem Kontinent zu haben. Es war als eine kleine Absicherung der hunnischen Intressen gedacht,da ihr aber nun offen mit Krieg droht,werden wir uns fügen und haben die Heimkehr unserer Truppen angeordnet.
Hunnische Grüße
Rocko,Ältester der Hunnen
Ein Krieg war abgewendet, doch das Band des Vertrauens zwischen den beiden Völkern zerschnitten. Schon bald berichteten mayaische Spione darüber, dass die ehemaligen Freunde erfolgreich an einer Waffe gearbeitet hatten, die ganze Landstriche mit einem einzigen Angriff einzuäschern vermochte. Und es war dies der Beginn der Ära des Feuers.