Ah ja! Mit zittrigen Händen schlug der Greis das vor ihm liegende Buch auf und strich liebevoll über die erste Seite. Es muss wohl im Frühling des Jahres 1300 gewesen sein, ich war damals ein junger Mann von 20 Jahren, voller Tatendrang den Namen meiner Familie in die Welt hinauszutragen. Ich erinnere mich noch genau, wie nur einige Tage zuvor mein im Sterben liegender Vater mich zu sich hereingebeten hatte und mir in seinen letzten Atemzügen noch Glück wünschte, ich, so sprach er, möge es weiter bringen als er, all das erreichen, wonach er zwar sein Leben lang gestrebt, jedoch durch ein grausames Schicksal kläglich versagt hatte. Dies waren seine letzten Worte, ehe das Licht in seinen Augen erlosch...
Der Blick des alten Mannes glitt ins Leere,
Mein Vater!, fuhr er schließlich fort, Unzähligen Rückschlägen zum Trotz hatte er sich in Hamburg dennoch einen Namen als ehrlicher Händler gemacht und es zu einem kleinen Vermögen gebracht. Mir ließ er als seinem einzigen Sohn eine umfassende Bildung zuteil werden, stundenlang konnte er mit mir über Gott und die Welt debattieren und war unermüdlich mir an seinem Wissen und Erfahrungen teilhaben zu lassen.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des alten Mannes, doch wich es sogleich einem düsteren Gesichtsausdruck, als dieser mit trauriger Stimme fortfuhr, dass seinem Vater der große Durchbruch nichtsdestotrotz verwehrt blieb, Piraten - die Pest der Meere - beraubten ihm dieser Möglichkeit. Sein Leben lang hatte er fortan damit zugebracht seinen Gläubigern ihr Geld zurückzuzahlen, er zeigte sich hierbei unermüdlich, doch als er es endlich wieder zu einigen Hundert Mark gebracht hatte, von vorne hätte beginnen können, verwehrte ihm sein hohes Alter diese zweite Chance. Umso mehr war ich daher entschlossen den Wunsch meines Vaters zu erfüllen, koste es was es wolle! Nun, da ich alt geworden bin, möchte ich Euch meine Geschichte erzählen. Möge sie unterhaltsam sein, werter Freund, oder gar die Abenteuerlust in Euch wecken, auf dass Ihr Euer Glück in der Hanse macht, so wie auch ich es einstmals tat.
10. Mai Anno Domini 1300
Der Mörtel bröckelte an unzähligen Stellen, viele Schindeln fehlten, der Dachboden war morsch und modig, das Lager bis auf zahlreiche Spinnweben schon seit Jahren leer. Mein Vater hatte nie die Mittel gehabt den Kontor zu renovieren, lediglich sein Büro hatte er vor jeglichen Verfall bewahrt. Hamburg selbst, ihr, werter Freund, hättet es kaum wieder erkannt. Zwar gingen weitaus weniger Einwohner denn heute ihrem Tagewerk nach, doch waren selbst die wenigen gepflasterten Straßen der Stadt ungleich dreckiger und von Unrat verschmutzt. Spitäler, Kapellen, Brunnen gab es kaum und auch die Kirche war wenig beeindruckend. Dennoch war Hamburg die größte Stadt der gesamten Hanse, ein Zentrum des Handels und ich auf nichts als auf den von meinem Vater mir vermittelten Erfahrungsschatz aufbauen könnend, mittendrin. Nun, nichts trifft es nicht ganz, nein, ganz und gar nicht, denn abgesehen von dem halb verfallenem Kontor, hatte mir mein Vater vor seinem Ableben noch ein kleines Vermögen, von einigen Hundert Mark, sowie ein Schiff, eine Schnigge, in tadellosem Zustand vermacht, die im Hafen der Stadt Hamburg nur auf ihren Einsatz wartete.
Diese Halunken haben sich alle schon aus dem Staub gemacht, sagte Otto nachdem er mir schon zum wiederholten Male sein Beleid ausgesprochen hatte und dabei nervös auf seinem Dreispitz herumknetete, doch, fuhr er schnell fort, dürfte es kein Problem sein in der Kneipe eine Handvoll Matrosen zu finden. Mehr brauche die 'Canis' auch gar nicht, selbstredend würde er sich um eine ordentliche Mannschaft kümmern - keine Säufer, die ohnehin nur Probleme bereiten würden.
Ich nickte geistesabwesend, tut das, hörte ich mich sagen. Ich merkte gar nicht, wie Otto, mein Steuermann, der meinem Vater die letzten Jahre schon gute Dienste geleistet hatte, Richtung Taverne verschwand, in Gedanken war ich schon längst bei den Händlern der Stadt, von denen ich in Kürze Waren einkaufen wollte, um sie dann mit der 'Canis' in eine andere Stadt zu bringen, in der man mir für diese mehr bezahlen würde, als es hier der Fall war, so hoffte ich zumindest und wollte keine Zeit verlieren.
Während Otto also in der Kneipe Schipbreuk eine halbwegs brauchbare Mannschaft suchte, begab ich mich unverzüglich zur Markthalle der Stadt. Es dauerte eine Weile bis ich mich in dem Gewirr von Fässern, Kisten, Verkaufsständen und im Geschrei der Händler, die lautstark die Vorteile ihrer Waren preisten, zurechtfand. Nur mit Mühe konnte ich einige der Händler in ein Gespräch, das sich nicht nur über den Preis der feilgebotenen Waren drehte, verwickeln, doch die Mühe lohnte sich, denn bereits nach kurzer Zeit hatte ich nicht nur ein ungefähres Bild über den derzeitigen Warenbestand meiner Heimatstadt, sondern weiters den ungefähren Wochenverbrauch, sowie sogar die wöchentliche Produktion in Erfahrung bringen können. Da mein Vater, als gewissenhafter Händler, sich ständig Informationen zu den Hamburg am Nächsten gelegenen Städten gemacht hatte, konnte ich erahnen, welche Waren ich dort gewinnbringend verkaufen würde können. So beschloss ich Fisch, an dem es hier in Hamburg, wie ich schon aufgrund des penetranten Geruchs am Markt nicht umhin kam festzustellen, scheinbar nicht mangelte, soviel ich eben zu kaufen in der Lage war, auf die 'Canis' zu verladen um sodann Kurs auf Bremen zu nehmen, welches, so wusste ich aus Vaters Unterlagen, immer Bedarf an Fischen hatte, da es diesen zu decken selbst nicht in der Lage war.
Frohen Mutes und sämtlichen Befürchtungen, die sich in mir aufdrängten, ob mir nicht bereits ein Konkurrent zuvor gekommen war, zum Trotz eilte ich sogleich zum Hafen, wo mich bereits Otto erwartete, der mir die von ihm angeheuerte Mannschaft vorstellte. Gute Männer, allesamt verheiratet, kein Gesindel, wie es sich hier nur in allzu großer Zahl herumtreibt, versicherte mir Otto. Ich teilte beim Anblick dieser Ottos Optimismus zwar nicht unbedingt, doch hatte ich in dieser Hinsicht auch kaum Erfahrung, weshalb ich nur kurz nickte und sogleich Befehle gab, klar schiff zu machen, wir würden noch heute ablegen und Kurs auf Bremen nehmen. Ohne Zögern leistete die Mannschaft meinen Befehle Folge, in einem Tempo, das ich diesen zerlumpten Gestalten nicht zugetraut hätte, Otto schien sein Handwerk zu verstehen. Um keine weitere Zeit zu verlieren, begann ich unverzüglich mit den gut und gerne eintausend Mark, die mir mein Vater vermacht hatte, zwei Last Fisch zu kaufen und nur wenige Stunden später legte die 'Canis' auch schon ab. Bremen lag nicht einmal eine Tagesreise entfernt, bereits am nächsten Morgen würde ich wissen, ob sich die Reise gelohnt hatte, doch nun, da ich nichts mehr tun konnte, als zu warten, kamen die ersten Zweifel... |