Wir schreiben das Jahr 69 nach der Ārōhaṇa/Ascensión,
Mein Name war Alfonso Espiridión Huerta, ich wurde vor 49 Jahre als zweiter Sohn in eine lateinamerikansche Familie im ehemaligen Venezuela geboren. Wie mein Vater wurde ich nach meiner Kindheit Schreiner, ein Mitglied der Kaste der Saudāgara-Śilpī, der Händler-Handwerker, obwohl man mir Anbot die Viśvavidyālaya, die hohe Schule, von Īśvarīya zu besuchen.
Im Kerngebiet Reiches führte ich ein relativ friedliches Leben, es gab ausreichend Essen und Kleidung für jedermann. An den Rändern des Reiches sah es ganz anders aus, so sagten die Reisenden und Heimkehrer, marodierende Banden griffen dort die Dörfer an, plünderten die Silos und hinterließen verwüstete Landstriche. Die Werber des Samrāt bescheinigten mir einen zu schwachen Körper, mein Bruder jedoch wurde in an die Grenzen entsandt. Meiner Mutter brach es das Herz, als man uns die Nachricht seines Todes überbrachte, gefallen im Kampf gegen Räuber. Wenige Jahre später starb sie an Malaria, wodurch sie zumindest den Verlust ihres zweiten Sohnes nicht miterleben musste.
Im Jahre 45 nach der Ārōhaṇa/Ascensión kamen die Pujari, die Priester, in mein Dorf. Sie untersuchten nach und nach jeden Mann, jede Frau, jedes Kind, stellten Fragen über alltägliche Dinge, unsere Lieblingsfarbe, ob wir gerne Musik hören oder machen würden, was für einen Wunsch wir an den Samrāt herantragen würden, wenn wir die Möglichkeit dazu hätten. Einige wenige verweigerten sich den Pujari, doch zu unser aller Verwunderung respektierten diese deren Ablehnung. Dann verschwanden die Priester, erst einen Monat später sollten sie zurückkehren. Sie traten an mich alleine heran und baten mich darum mit ihnen zu gehen, um an einem wichtigen Ritual teilzunehmen, ich sei einer der wenigen die man auserwählt habe.
In meiner Jugend besuchte ich oft den Gottesdienst am heiligen Sonntag und lauschte den Worten des kleinen alten Mannes in der Kanzel die ihn groß und jung erscheinen ließen, nach dem Tod meines Bruders begann ich zu zweifeln am Willen Bhagavan-Gottes. Als dieser mir nun offensichtlich die Hand reichte ergriff ich sie. Warum ich es tat weiß ich nicht mehr, vielleicht um ihm eine zweite Chance zu geben?
Die Pujaria brachten mich in einer Kutsche nach Īśvarīya und von da aus mit einem Ruderboot zum Jal Mahal, dem Palast in der Mitte des Īśvarīya-Sees. Vom Boot sah ich wie man weitere Auserwählte herbrachte, eine junge, indisch aussehende Frau und mittelalten Mann hispanischer Herkunft. Meine Fragen nach diesen beiden wurden mir nicht beantwortet und im Palast trafen wir uns nicht, ich nehme an, dass wir jeder in einem anderen Teil des Palastes untergebracht wurden.
Nach einer rituellen Waschung brachte man mir ein weißes Gewand und machte ein Foto von mir. Danach gab man mir ein Gebetsbuch und trug mir auf an jedem Tag mindestens zwei davon zu sprechen.
Meine Gemächer waren weitaus luxuriöser als mein Haus daheim, jedoch empfand ich sie als goldenen Käfig, da man mir verbat sie zu verlassen, außer um das Dach aufzusuchen.
Sieben Tage betete ich täglich dreimal, dann am Abend näherten sich aus allen Richtungen mit Blumen geschmückte Boote und brachten bunte Vasen zum Jal Mahal. Als letztes kam ein kleines Segelschiff, dessen einziger Schmuck große Bahnen weißen Stoffes waren. Auf ihm kamen die Tathya-Vaktā, die Wahr-Sprecher, die hohen Beamten des Reiches, seltsam anzusehen mit ihren kahlgeschorenen Köpfen und den kunstvollen Tätowierungen auf ebendiesem.
Nacheinander öffneten sie die Vasen und entnahmen diesen allerlei Zettel, welche sie wiederum in eine von drei großen Vasen warfen, die in der Mitte des Hofes aufgestellt waren. Dies dauerte beinahe die ganze Nacht.
Im Morgengrauen kamen sie dann zu mir. Ātmā nannten sie mich, Geist-Seele.
Mein Name ist Samrāt Chakravartin Sikandar III. Pratihara, ich bin der Herrscher des Heiligen Indischen Reiches.