Warnung: Wer sich dies durchlesen möchte, sollte genügend Zeit und Muße mitbringen.
Vor dreißig fahren haben Sie, damals als Fernsehdirektor des WDR, geklagt, das Fernsehen nutze seine Bildermöglichkeiten nur unzulänglich und leiste in der Analyse nicht das, was es könnte. Trifft das heute auch noch zu?
Verglichen mit heute waren das damals goldene Zeiten. Es gibt praktisch keine analysierenden Dokumentationen mehr. Auch nicht bei kriegerischen Ereignissen, die dringend einer kritischen Hintergrundbeleuchtung bedürften. Oder die auch historisch, auch religiös betrachtet werden müssten. Es wird aber nur der humanitäre Aspekt gezeigt, weil man damit an die Rührseligkeit der Menschen appellieren kann. Damit wird ein seltsamer Voyeurismus auf das Elend anderer geschürt. Der Kosovo-Krieg war ein typisches Beispiel dafür, als man dauernd die flüchtenden Albaner sah. Dabei sind in Bosnien viel schlimmere Sachen passiert als dort.
Also ein Niedergang in der Realisierung, auch bei den wahrgenommenen Möglichkeiten?
Ein krasser Niedergang. Als ich Anfang der 70er Jahre Fernsehdirektor war, habe ich mich um die Einschaltquoten nicht gekümmert. Damals konnte man allerdings auch so verfahren, weil es keine Konkurrenz gab. Seither ist das öffentlich-rechtliche System sehr stark verändert worden. Nicht unbedingt durch den Kommerz an sich, sondern durch die kommerzielle Mentalität.
Es gibt aber doch für die von Ihnen geforderten Dokumentationen eine Fülle von neuen Plätzen und Möglichkeiten, neben den Hauptprogrammen: mit Phoenix, mit ARTE, mit 3sat. Warum werden dann die notwendigen Formen nach Ihrer Auffassung nicht ausreichend eingesetzt?
Gut, man findet überall gelegentlich etwas. Ich selbst kann mich auch nicht beklagen. Beim ZDF mache ich mindestens zwei Dokumentationen im Jahr, ganz nach meinen Vorstellungen. Das Seltsame ist: Als ich etwas über den Balkan gemacht habe - »Im Fadenkreuz der Mächtigen« -, gab es keine einzige Besprechung in der Presse. Dabei wurde der Film hinterher von den Kollegen regelrecht geplündert, die historischen Szenen daraus sind bald zwei Dutzend Mal gezeigt worden. Aber die meisten wollten damals vom so genannten historischen Quatsch nichts wissen, sondern lieber brutalisierte Menschen sehen.
Gibt es entsprechende Vorgaben seitens der Redaktionen?
Ich bin nach Sarajevo aufgebrochen in der schwierigsten Zeit. Damals sagten die Verantwortlichen, vielleicht finden Sie ja nicht nur Frauen, die man vergewaltigt hat, sondern auch solche, die man auch lange genug festgehalten hat, damit sie nicht abtreiben konnten. Vor allem so etwas hat interessiert. So ist das leider heute.
Die Korrespondenten und die extra entsandten Journalisten kriegen also bestimmte Erwartungen mit auf den Weg?
Mir hat man das nur einmal gesagt, dann war das vom Tisch. Doch wer jung ist und noch was werden will, muss auf solche Erwartungen und Vorgaben eingehen. Außerdem ist heute die Anpassung größer. Die Redaktionen erwarten political correctness.
War das früher anders?
Ich bin beim WDR Fernsehdirektor geworden wegen meiner Frankreich-Berichterstattung, auch wegen meiner Berichterstattung aus Vietnam. Damals, Mitte der 60er Jahre, habe ich eine amerikanische Niederlage vorausgesagt. Ganz ohne anti-amerikanisch zu sein, wie das idiotischerweise immer behauptet wird, sondern vielmehr aufgrund meiner Indochina-Erfahrung. Daraufhin gab es eine Intervention durch den damaligen Außenminister Gerhard Schröder. Aber ich hatte einen Intendanten, der sich voll vor mich gestellt hat, Klaus von Bismarck. Er, selbst Eichenlaubträger, hat mich drei Stunden ins Gebet genommen. Am Ende hat er dann gesagt: Machen Sie weiter.
Ist das Fernsehen immer stärker in der Gefahr, instrumentalisiert zu werden durch die Politik? Drängt sie auf Konformität, Opportunismus?
Permanent. Nehmen wir nur jetzt die Aufregung um Ulrich Wickert. Der hat eine ungeschickte Äußerung gemacht, mit dem Vergleich der Charakterstrukturen von Bin Laden und Präsident Bush. Aber es muss doch die Möglichkeit geben, so etwas zu sagen, ohne dass Angela Merkel sofort auf die Barrikaden steigt.
Gibt es zuviel voraus- und nacheilenden Gehorsam in den Redaktionen und bei den Verantwortlichen, wie hier beim NDR-Fernsehdirektor Jürgen Kellermeier, der Wickerts Äußerungen als Unfug abgekanzelt und deutlich vor einer Wiederholung gewarnt hat?
Dieser Gehorsam ist weniger vorauseilend, er wird vielmehr oft direkt gefordert. Jemand, der nicht ein so alter Mann ist wie ich, hätte seinen Film wie »Lügen im Heiligen Land« nicht produzieren können. Wegen angeblich allzu kritischer Betrachtung Israels hätten andere ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. Auch bei mir gab es in diesem Fall solche Stimmen, doch Dieter Stolte als ZDF-Intendant ist stark geblieben. Später haben mir die vorherigen Kritiker recht gegeben. Und eingeräumt, dass es sogar noch viel schlimmer gekommen ist, als ich es damals geschildert habe.
Hat es Sie gewundert, dass die FAZ jetzt sehr kritische Artikel veröffentlicht hat, so von Noam Chomsky, Susan Sontag, Ardundhati Roy?
Das ist bemerkenswert. Und zeigt, dass nach der Zeit vom früheren Herausgeber Johann Georg Reißmüller, der »Serbien muss sterbien« betrieben und seine Korrespondenten entsprechend getrimmt hatte, jetzt eine höhere Sicht herrscht. Allerdings hat mich etwas erschreckt, dass Susan Sontag, nachdem sie erst so kritisch geschrieben hat, revozieren musste.
Kann öffentlicher Druck die Ursache gewesen sein, waren es vielleicht die Reaktionen in Teilen der Öffentlichkeit?
Ich lese sehr aufmerksam die »Herald Tribune«. Bis zum 11. September hat sie amerikanische Dinge viel kritischer beobachtet als die europäische, vor allem die deutsche Presse. Jetzt ist die Zeitung auf einmal ziemlich unisono geworden. Es gibt nicht mehr viel grundsätzliche Kritik. Im Sinne der notwendigen Frage, wo es hingeht und was es heißt, dem Weltterrorismus den Krieg anzusagen. Natürlich muss man fragen, welcher Krieg geführt werden soll. Das kann man nämlich nicht mit Marschflugkörpern machen. Es wird vielmehr ein sehr blutiger, ein sehr schrecklicher Krieg werden.
Warum lässt sich eine sonst kritische Zeitung dann einen Maulkorb umlegen, warum übt sie innere Zensur?
Weil 90 Prozent der Amerikaner hinter Bush stehen, fürchtet der Verlag vielleicht eine gewisse Feindseligkeit bei den Lesern, wenn sie auf einer anderen Linie liegt. So dass die Redaktion Rücksicht nimmt.
Man fürchtet die Minderheitenrolle?
Nachher allerdings kann wieder das Gegenteil kommen, wie beim Vietnam-Krieg, wo alle mit den Hunden geheult haben, als es bergab ging. In der ersten Phase gab es hingegen einen großen nationalen Konformismus. Der Patriotismus der Amerikaner ist natürlich auch ihre Stärke, er hat etwas Religiöses, allerdings auch Unduldsames.
Sind Opportunismus und Konformismus die größten Feinde der Pressefreiheit, mehr als jeder versuchte staatliche Eingriff?
Es geht schon bei der Politik los, welche eine uneingeschränkte Solidarität mit Amerika betont. Ob der amerikanische Präsident, der in dieser Stunde allmächtig ist, die nötige Qualifikation hat, kann man zu Recht bezweifeln, im Intellektuellen, im Militärischen, im Außenpolitischen. Da kann man doch nicht die uneingeschränkte Solidarität erklären, sondern muss kritisch sein, vor allem, wenn es darum geht, an einer kriegerischen Aktion teilzunehmen. Dass die Amerikaner in erster Linie militärisch reagieren und feste draufhauen: völlig richtig. Aber doch bitte mit einem plausiblen Plan. Den sehe ich im Moment nicht.
Enttäuscht Sie die überwiegende Reaktion der deutschen Presse, die wenig grundsätzliche Kritik äußert?
Es wundert mich.
Sind, im Vergleich zur Presse, die Möglichkeiten des Fernsehens zur tiefer gehenden Analyse prinzipiell eingeschränkt, weil es immer auf Bilder angewiesen ist und viele Vorgänge sich der Kamera verschließen? Schon in den so genannten Alltagssituationen, erst recht aber bei Konflikten oder in Kriegssituationen?
Der erste und einzige Krieg, von dem man unbegrenzt und in aller Freiheit berichten konnte, war der Vietnam-Krieg der Amerikaner. Sie waren damals extrem offen, transportierten einen sogar per Hubschrauber zu allen gewünschten Orten. Es gab keine Einschränkungen, auch nicht bei der Beurteilung der Lage. Doch das ist den Amerikanern auch zum Verhängnis geworden. Weil die Bilder - zum Teil sehr grausame Bilder - in die Wohnzimmer transportiert wurden. Die Amerikaner haben daraus die Lektion gezogen, dass die Öffentlichkeit nicht informiert werden darf.
Was sich beim Golfkrieg eindeutig zeigte, so mit seinen so genannten Videospiel-Bildern.
Der Golfkrieg war ein riesiges Täuschungsmanöver, vom Anfang bis zum Ende. Die Lügen sind heute noch nicht alle aufgedeckt. Oder nehmen wir den Kosovo-Krieg mit der Rolle des Nato-Sprechers Jamie Shea, die schändlich war. Aber die deutschen Korrespondenten lagen ihm in Brüssel zu Füßen. In Afghanistan wird es jetzt so ähnlich gehen. Inzwischen ist man lediglich so ehrlich zuzugeben, dass man die Presse an der Nase herumführt, dass sie gar nicht wissen soll, was geschieht. Aus militärischer, aus staatsmännischer Sicht kann man das sogar bejahen. Nur sollte die Presse dann nicht so tun, als wüsste sie alles.
Was kann, was soll sie statt dessen tun, damit die klassischen Tugenden von Distanz und Transparenz als Richtschnur gelten, damit die Quellen klar und deutlich erkennbar sind und benannt werden?
Das ist schwer. Es gibt heute Möglichkeiten der Manipulation, die es zu meiner Zeit noch nicht gegeben hat. Man kann heute elektronisch alles machen. Nehmen wir nur das klassische Beispiel aus dem Golfkrieg. Die Welt hat sich damals über die irakischen Soldaten in Kuweit erregt, die Säuglinge aus Brutkästen genommen und an der Wand zerschmettert haben sollen. Inzwischen wissen wir, dass alles in einem Studio in London gedreht wurde, extra verwackelt, mit Puppen und kostümierten Arabern. So was ist kaum oder gar nicht zu durchschauen.
In Konfliktfällen suchen natürlich alle beteiligten Seiten, die Medien zu instrumentalisieren. Haben Sie Verständnis dafür, dass jetzt amerikanische Politiker die Medien auffordern, mit Videobändern besonders vorsichtig umzugehen, die beim arabischen Sender El Dschasira gezeigt worden sind - als Aufrufe von Bin Laden und seinen Getreuen?
Da bin ich sehr skeptisch. Wir zensieren schließlich auch die amerikanischen Äußerungen nicht. Auf CNN habe ich die Äußerungen eines amerikanischen Offiziers gesehen und gehört, nach denen das Leben eines amerikanischen Soldaten so viel wert ist wie das von tausend Iraki. Viel mehr oder Schlimmeres kann Osama bin Laden auch nicht sagen.
Und die Vermutungen, hier könne Verschlüsseltes übermittelt werden?
Dass er in seinen Reden auch geheime Stichworte und Anweisungen ausgibt, bezweifle ich sehr. Ich finde es vielmehr hochinteressant, diesen Mann mal zu sehen. Erst so erklärt sich ja die ungeheure Wirkung, die er in vielen arabischen Ländern hat. Im übrigen nehme ich an, dass seine Reden inzwischen auf Kassetten in der arabischen Welt verteilt werden, so wie Khomeini seine Revolution mit Tonbandkassetten bewirkt hat, die in Frankreich aufgenommen worden waren und dann nachts in Teheran über Lautsprecher abgespielt wurden. Kurz: Durch Zensur verhindert man relativ wenig.
Solche Videos sind für uns also eher eine authentische Quelle der Anschauung?
Natürlich, man will doch einen solchen Mann studieren. Ein Interview selbst ist eher die leichteste Form der journalistischen Verlegenheit, davon halte ich nicht soviel. Man erfährt kaum etwas, wenn jemand politisch geschult ist. Aber das Bild sagt viel. Man kann das Gesicht studieren, man kann auch die Sprache analysieren. Bei Bin Laden beispielsweise erfährt man, dass er ein fabelhaftes Arabisch spricht.
Das wäre also eine Stärke des Mediums Fernsehen: die direkte Anschauung, die Möglichkeit, etwas zu erfahren, indem man Mimik, Gestik, Sprache beobachten und verfolgen kann? Während die Presse in der weitergehenden Analyse besonders stark und bevorzugt wäre?
Obwohl das allgemeine Publikum auch bei der Anschauung schon überfordert wäre. Das sieht erst einmal einen bärtigen älteren Mann. Dass er für die Araber so aussieht, wie man sich dort einen Propheten vorstellt, das weiß der normale europäische Zuschauer natürlich nicht. Aber das lässt sich natürlich im begleitenden Kommentar sagen.
Das Fernsehen behilft sich in aktuellen Fällen, wenn es einordnen und analysieren will, oft mit Experten. Sie selbst erfahren es im Augenblick am eigenen Leibe. Ist das ein Notbehelf, weil man andere eigenständige Formen noch nicht entwickelt hat und weil die längere Bearbeitung an ausreichende zeitliche Vorbereitung gebunden ist?
Es ist natürlich auch billiger, eine solche Runde kostet ja kaum etwas. Wobei es für mich eine interessante kontrastierende Beobachtung war - aus eigener Erfahrung -, mit welchem enormen Aufwand ein Werbespot für die Bahn aufgenommen wurde, realisiert durch Wim Wenders. Mit dem Geld, das dort für zwei Minuten ausgegeben wurde, machen wir eine ganze Auslandsdokumentation. Das habe ich mit Neid gesehen.
Wäre es denn richtig und angebracht, diese Auslandsberichterstattung wieder auszubauen? Die Hauptpfeiler sind ja immer noch der ARD-»Weltspiegel« und das ZDF-»auslandsjournal«.
Die sind aber doch sehr heruntergekommen.