Ergebnis 1 bis 6 von 6

Thema: Presseberichterstattung heute...

  1. #1
    Senior Member
    Registriert seit
    23.06.01
    Beiträge
    4.498

    Presseberichterstattung heute...

    Warnung: Wer sich dies durchlesen möchte, sollte genügend Zeit und Muße mitbringen.


    Vor dreißig fahren haben Sie, damals als Fernsehdirektor des WDR, geklagt, das Fernsehen nutze seine Bildermöglichkeiten nur unzulänglich und leiste in der Analyse nicht das, was es könnte. Trifft das heute auch noch zu?

    Verglichen mit heute waren das damals goldene Zeiten. Es gibt praktisch keine analysierenden Dokumentationen mehr. Auch nicht bei kriegerischen Ereignissen, die dringend einer kritischen Hintergrundbeleuchtung bedürften. Oder die auch historisch, auch religiös betrachtet werden müssten. Es wird aber nur der humanitäre Aspekt gezeigt, weil man damit an die Rührseligkeit der Menschen appellieren kann. Damit wird ein seltsamer Voyeurismus auf das Elend anderer geschürt. Der Kosovo-Krieg war ein typisches Beispiel dafür, als man dauernd die flüchtenden Albaner sah. Dabei sind in Bosnien viel schlimmere Sachen passiert als dort.

    Also ein Niedergang in der Realisierung, auch bei den wahrgenommenen Möglichkeiten?

    Ein krasser Niedergang. Als ich Anfang der 70er Jahre Fernsehdirektor war, habe ich mich um die Einschaltquoten nicht gekümmert. Damals konnte man allerdings auch so verfahren, weil es keine Konkurrenz gab. Seither ist das öffentlich-rechtliche System sehr stark verändert worden. Nicht unbedingt durch den Kommerz an sich, sondern durch die kommerzielle Mentalität.

    Es gibt aber doch für die von Ihnen geforderten Dokumentationen eine Fülle von neuen Plätzen und Möglichkeiten, neben den Hauptprogrammen: mit Phoenix, mit ARTE, mit 3sat. Warum werden dann die notwendigen Formen nach Ihrer Auffassung nicht ausreichend eingesetzt?

    Gut, man findet überall gelegentlich etwas. Ich selbst kann mich auch nicht beklagen. Beim ZDF mache ich mindestens zwei Dokumentationen im Jahr, ganz nach meinen Vorstellungen. Das Seltsame ist: Als ich etwas über den Balkan gemacht habe - »Im Fadenkreuz der Mächtigen« -, gab es keine einzige Besprechung in der Presse. Dabei wurde der Film hinterher von den Kollegen regelrecht geplündert, die historischen Szenen daraus sind bald zwei Dutzend Mal gezeigt worden. Aber die meisten wollten damals vom so genannten historischen Quatsch nichts wissen, sondern lieber brutalisierte Menschen sehen.

    Gibt es entsprechende Vorgaben seitens der Redaktionen?

    Ich bin nach Sarajevo aufgebrochen in der schwierigsten Zeit. Damals sagten die Verantwortlichen, vielleicht finden Sie ja nicht nur Frauen, die man vergewaltigt hat, sondern auch solche, die man auch lange genug festgehalten hat, damit sie nicht abtreiben konnten. Vor allem so etwas hat interessiert. So ist das leider heute.

    Die Korrespondenten und die extra entsandten Journalisten kriegen also bestimmte Erwartungen mit auf den Weg?

    Mir hat man das nur einmal gesagt, dann war das vom Tisch. Doch wer jung ist und noch was werden will, muss auf solche Erwartungen und Vorgaben eingehen. Außerdem ist heute die Anpassung größer. Die Redaktionen erwarten political correctness.

    War das früher anders?

    Ich bin beim WDR Fernsehdirektor geworden wegen meiner Frankreich-Berichterstattung, auch wegen meiner Berichterstattung aus Vietnam. Damals, Mitte der 60er Jahre, habe ich eine amerikanische Niederlage vorausgesagt. Ganz ohne anti-amerikanisch zu sein, wie das idiotischerweise immer behauptet wird, sondern vielmehr aufgrund meiner Indochina-Erfahrung. Daraufhin gab es eine Intervention durch den damaligen Außenminister Gerhard Schröder. Aber ich hatte einen Intendanten, der sich voll vor mich gestellt hat, Klaus von Bismarck. Er, selbst Eichenlaubträger, hat mich drei Stunden ins Gebet genommen. Am Ende hat er dann gesagt: Machen Sie weiter.

    Ist das Fernsehen immer stärker in der Gefahr, instrumentalisiert zu werden durch die Politik? Drängt sie auf Konformität, Opportunismus?

    Permanent. Nehmen wir nur jetzt die Aufregung um Ulrich Wickert. Der hat eine ungeschickte Äußerung gemacht, mit dem Vergleich der Charakterstrukturen von Bin Laden und Präsident Bush. Aber es muss doch die Möglichkeit geben, so etwas zu sagen, ohne dass Angela Merkel sofort auf die Barrikaden steigt.

    Gibt es zuviel voraus- und nacheilenden Gehorsam in den Redaktionen und bei den Verantwortlichen, wie hier beim NDR-Fernsehdirektor Jürgen Kellermeier, der Wickerts Äußerungen als Unfug abgekanzelt und deutlich vor einer Wiederholung gewarnt hat?

    Dieser Gehorsam ist weniger vorauseilend, er wird vielmehr oft direkt gefordert. Jemand, der nicht ein so alter Mann ist wie ich, hätte seinen Film wie »Lügen im Heiligen Land« nicht produzieren können. Wegen angeblich allzu kritischer Betrachtung Israels hätten andere ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. Auch bei mir gab es in diesem Fall solche Stimmen, doch Dieter Stolte als ZDF-Intendant ist stark geblieben. Später haben mir die vorherigen Kritiker recht gegeben. Und eingeräumt, dass es sogar noch viel schlimmer gekommen ist, als ich es damals geschildert habe.

    Hat es Sie gewundert, dass die FAZ jetzt sehr kritische Artikel veröffentlicht hat, so von Noam Chomsky, Susan Sontag, Ardundhati Roy?

    Das ist bemerkenswert. Und zeigt, dass nach der Zeit vom früheren Herausgeber Johann Georg Reißmüller, der »Serbien muss sterbien« betrieben und seine Korrespondenten entsprechend getrimmt hatte, jetzt eine höhere Sicht herrscht. Allerdings hat mich etwas erschreckt, dass Susan Sontag, nachdem sie erst so kritisch geschrieben hat, revozieren musste.

    Kann öffentlicher Druck die Ursache gewesen sein, waren es vielleicht die Reaktionen in Teilen der Öffentlichkeit?

    Ich lese sehr aufmerksam die »Herald Tribune«. Bis zum 11. September hat sie amerikanische Dinge viel kritischer beobachtet als die europäische, vor allem die deutsche Presse. Jetzt ist die Zeitung auf einmal ziemlich unisono geworden. Es gibt nicht mehr viel grundsätzliche Kritik. Im Sinne der notwendigen Frage, wo es hingeht und was es heißt, dem Weltterrorismus den Krieg anzusagen. Natürlich muss man fragen, welcher Krieg geführt werden soll. Das kann man nämlich nicht mit Marschflugkörpern machen. Es wird vielmehr ein sehr blutiger, ein sehr schrecklicher Krieg werden.

    Warum lässt sich eine sonst kritische Zeitung dann einen Maulkorb umlegen, warum übt sie innere Zensur?

    Weil 90 Prozent der Amerikaner hinter Bush stehen, fürchtet der Verlag vielleicht eine gewisse Feindseligkeit bei den Lesern, wenn sie auf einer anderen Linie liegt. So dass die Redaktion Rücksicht nimmt.

    Man fürchtet die Minderheitenrolle?

    Nachher allerdings kann wieder das Gegenteil kommen, wie beim Vietnam-Krieg, wo alle mit den Hunden geheult haben, als es bergab ging. In der ersten Phase gab es hingegen einen großen nationalen Konformismus. Der Patriotismus der Amerikaner ist natürlich auch ihre Stärke, er hat etwas Religiöses, allerdings auch Unduldsames.

    Sind Opportunismus und Konformismus die größten Feinde der Pressefreiheit, mehr als jeder versuchte staatliche Eingriff?

    Es geht schon bei der Politik los, welche eine uneingeschränkte Solidarität mit Amerika betont. Ob der amerikanische Präsident, der in dieser Stunde allmächtig ist, die nötige Qualifikation hat, kann man zu Recht bezweifeln, im Intellektuellen, im Militärischen, im Außenpolitischen. Da kann man doch nicht die uneingeschränkte Solidarität erklären, sondern muss kritisch sein, vor allem, wenn es darum geht, an einer kriegerischen Aktion teilzunehmen. Dass die Amerikaner in erster Linie militärisch reagieren und feste draufhauen: völlig richtig. Aber doch bitte mit einem plausiblen Plan. Den sehe ich im Moment nicht.

    Enttäuscht Sie die überwiegende Reaktion der deutschen Presse, die wenig grundsätzliche Kritik äußert?

    Es wundert mich.

    Sind, im Vergleich zur Presse, die Möglichkeiten des Fernsehens zur tiefer gehenden Analyse prinzipiell eingeschränkt, weil es immer auf Bilder angewiesen ist und viele Vorgänge sich der Kamera verschließen? Schon in den so genannten Alltagssituationen, erst recht aber bei Konflikten oder in Kriegssituationen?

    Der erste und einzige Krieg, von dem man unbegrenzt und in aller Freiheit berichten konnte, war der Vietnam-Krieg der Amerikaner. Sie waren damals extrem offen, transportierten einen sogar per Hubschrauber zu allen gewünschten Orten. Es gab keine Einschränkungen, auch nicht bei der Beurteilung der Lage. Doch das ist den Amerikanern auch zum Verhängnis geworden. Weil die Bilder - zum Teil sehr grausame Bilder - in die Wohnzimmer transportiert wurden. Die Amerikaner haben daraus die Lektion gezogen, dass die Öffentlichkeit nicht informiert werden darf.

    Was sich beim Golfkrieg eindeutig zeigte, so mit seinen so genannten Videospiel-Bildern.

    Der Golfkrieg war ein riesiges Täuschungsmanöver, vom Anfang bis zum Ende. Die Lügen sind heute noch nicht alle aufgedeckt. Oder nehmen wir den Kosovo-Krieg mit der Rolle des Nato-Sprechers Jamie Shea, die schändlich war. Aber die deutschen Korrespondenten lagen ihm in Brüssel zu Füßen. In Afghanistan wird es jetzt so ähnlich gehen. Inzwischen ist man lediglich so ehrlich zuzugeben, dass man die Presse an der Nase herumführt, dass sie gar nicht wissen soll, was geschieht. Aus militärischer, aus staatsmännischer Sicht kann man das sogar bejahen. Nur sollte die Presse dann nicht so tun, als wüsste sie alles.

    Was kann, was soll sie statt dessen tun, damit die klassischen Tugenden von Distanz und Transparenz als Richtschnur gelten, damit die Quellen klar und deutlich erkennbar sind und benannt werden?

    Das ist schwer. Es gibt heute Möglichkeiten der Manipulation, die es zu meiner Zeit noch nicht gegeben hat. Man kann heute elektronisch alles machen. Nehmen wir nur das klassische Beispiel aus dem Golfkrieg. Die Welt hat sich damals über die irakischen Soldaten in Kuweit erregt, die Säuglinge aus Brutkästen genommen und an der Wand zerschmettert haben sollen. Inzwischen wissen wir, dass alles in einem Studio in London gedreht wurde, extra verwackelt, mit Puppen und kostümierten Arabern. So was ist kaum oder gar nicht zu durchschauen.

    In Konfliktfällen suchen natürlich alle beteiligten Seiten, die Medien zu instrumentalisieren. Haben Sie Verständnis dafür, dass jetzt amerikanische Politiker die Medien auffordern, mit Videobändern besonders vorsichtig umzugehen, die beim arabischen Sender El Dschasira gezeigt worden sind - als Aufrufe von Bin Laden und seinen Getreuen?

    Da bin ich sehr skeptisch. Wir zensieren schließlich auch die amerikanischen Äußerungen nicht. Auf CNN habe ich die Äußerungen eines amerikanischen Offiziers gesehen und gehört, nach denen das Leben eines amerikanischen Soldaten so viel wert ist wie das von tausend Iraki. Viel mehr oder Schlimmeres kann Osama bin Laden auch nicht sagen.

    Und die Vermutungen, hier könne Verschlüsseltes übermittelt werden?

    Dass er in seinen Reden auch geheime Stichworte und Anweisungen ausgibt, bezweifle ich sehr. Ich finde es vielmehr hochinteressant, diesen Mann mal zu sehen. Erst so erklärt sich ja die ungeheure Wirkung, die er in vielen arabischen Ländern hat. Im übrigen nehme ich an, dass seine Reden inzwischen auf Kassetten in der arabischen Welt verteilt werden, so wie Khomeini seine Revolution mit Tonbandkassetten bewirkt hat, die in Frankreich aufgenommen worden waren und dann nachts in Teheran über Lautsprecher abgespielt wurden. Kurz: Durch Zensur verhindert man relativ wenig.

    Solche Videos sind für uns also eher eine authentische Quelle der Anschauung?

    Natürlich, man will doch einen solchen Mann studieren. Ein Interview selbst ist eher die leichteste Form der journalistischen Verlegenheit, davon halte ich nicht soviel. Man erfährt kaum etwas, wenn jemand politisch geschult ist. Aber das Bild sagt viel. Man kann das Gesicht studieren, man kann auch die Sprache analysieren. Bei Bin Laden beispielsweise erfährt man, dass er ein fabelhaftes Arabisch spricht.

    Das wäre also eine Stärke des Mediums Fernsehen: die direkte Anschauung, die Möglichkeit, etwas zu erfahren, indem man Mimik, Gestik, Sprache beobachten und verfolgen kann? Während die Presse in der weitergehenden Analyse besonders stark und bevorzugt wäre?

    Obwohl das allgemeine Publikum auch bei der Anschauung schon überfordert wäre. Das sieht erst einmal einen bärtigen älteren Mann. Dass er für die Araber so aussieht, wie man sich dort einen Propheten vorstellt, das weiß der normale europäische Zuschauer natürlich nicht. Aber das lässt sich natürlich im begleitenden Kommentar sagen.

    Das Fernsehen behilft sich in aktuellen Fällen, wenn es einordnen und analysieren will, oft mit Experten. Sie selbst erfahren es im Augenblick am eigenen Leibe. Ist das ein Notbehelf, weil man andere eigenständige Formen noch nicht entwickelt hat und weil die längere Bearbeitung an ausreichende zeitliche Vorbereitung gebunden ist?

    Es ist natürlich auch billiger, eine solche Runde kostet ja kaum etwas. Wobei es für mich eine interessante kontrastierende Beobachtung war - aus eigener Erfahrung -, mit welchem enormen Aufwand ein Werbespot für die Bahn aufgenommen wurde, realisiert durch Wim Wenders. Mit dem Geld, das dort für zwei Minuten ausgegeben wurde, machen wir eine ganze Auslandsdokumentation. Das habe ich mit Neid gesehen.

    Wäre es denn richtig und angebracht, diese Auslandsberichterstattung wieder auszubauen? Die Hauptpfeiler sind ja immer noch der ARD-»Weltspiegel« und das ZDF-»auslandsjournal«.

    Die sind aber doch sehr heruntergekommen.
    Geändert von kronic (30. März 2002 um 18:47 Uhr)

  2. #2
    Senior Member
    Registriert seit
    23.06.01
    Beiträge
    4.498

    Teil 2

    Einfach so?

    Es hat sich natürlich viel verändert. Zu meiner damaligen Zeit war die Welt noch exotisch. Als beispielsweise Hans Walter Berg nach Indien gegangen ist, waren seine Beobachtungen für die Menschen hier ein Erlebnis. Heute kommen die, die sich eine Indienreise leisten können, zurück und meinen, sie kennten das Land. Hinzu kommt eine Form der Darstellung, die mich von Anfang an zutiefst irritiert hat: Man nimmt den Bauer Soundso und zeigt dessen Ansichten. Das ist natürlich alles gestellt. Das Interview auf der Straße ist ebenso eine bewusste Irreführung, eine Manipulation. Wenn ein Reporter dreißig Menschen befragt, sucht er die aus, die sich am besten artikulieren können. Dann nimmt er vier, die in seine Tendenz passen, und zwei, welche eine andere Meinung vertreten - das soll dann der Objektivität dienen.

    Es geht also nicht um eine vielfältige, auch lebensnahe Unterfütterung der eigenen Recherche?

    Nein, das ist schlicht Manipulation.

    Wäre es besser, statt der gängigen Korrespondentenberichte und Regelberichterstattung lieber einige wenige Dokumentationen zu zeigen, die aufwendig gemacht sind und deshalb in die Tiefe gehen können?

    Das ist nicht unbedingt teuer. Manche Korrespondenten streben nach einer Objektivität, die es so nicht gibt. Man berichtet immer aus dem persönlichen Erlebnis heraus. Allerdings gibt es Länder, in denen man nicht drehen darf. Ein Team, das in Kinshasa die Kamera herausgeholt hätte, wäre sofort verprügelt worden. Doch ich selbst habe die Dinge vorher gesehen und kann vorhandenes Material danach bewerten, ob es authentisch oder gestellt ist, und genau das ist die Voraussetzung. Heute hat man allerdings einen Vorteil. Es gibt ein großes Angebot an internationalem Filmmaterial, aus dem man sich bedienen kann. Das kann man für seine Zwecke sieben. Die Engländer machen hier übrigens immer noch die besten Sachen. In solchen Fällen lasse ich also in London recherchieren.

    Doch insgesamt heißt das: Es gibt eine Reihe von weißen und grauen Flecken, wo die Abdeckung gering ist, obwohl das journalistische Interesse das genaue Hinsehen rechtfertigen oder geradezu gebieten würde?

    Es ist noch viel skandalöser. Aus meinen afrikanischen Erfahrungen weiß ich, dass die Afrika-Berichterstattung ein einziger Skandal ist. Es wird immer nur humanitäres Zeug gezeigt. Wie eben ein Kind, das zum Skelett abgemagert ist. Die Mutter daneben ist hingegen wohlgenährt. Mithin leidet das Kind gar nicht an Hunger. Es hat eher Malaria oder Tuberkulose. Doch das wird so nicht gesagt. Dies liegt am fürchterlichen Voyeurismus der Leute. Aber noch niemandem ist beim Anblick dieser Skelette die Butterstulle aus der Hand gefallen. Insofern ist es auch ein ganz morbides Phänomen.

    Und die Berichterstattung über die so genannten normalen politischen und gesellschaftlichen Vorgänge?

    Auch die Darstellung dieser Wirklichkeit ist prekär. Nehmen wir ein Beispiel aus Simbabwe. Dass man dort nach zwanzig Jahren Unabhängigkeit sagt, jetzt reicht es, wenn 70 Prozent des fruchtbaren Landes von 4000 weißen Farmern bearbeitet werden, die das Land mal geschenkt bekommen haben: Das erscheint mir nicht ganz unberechtigt, auch wenn die Resultate katastrophal sind. Dort sind nun sieben Farmer umgebracht worden. Doch dass seit der Machtergreifung des ANC in Südafrika 1400 weiße Farmer umgebracht worden sind, ist nirgendwo zu lesen, zu hören oder zu sehen. Das ist skandalös.

    Sehen Sie auch das als Folge der political correctness?

    Ja. Das ist eine heilige Kuh. Die Regenbogengesellschaft Südafrikas muss schließlich, mit der Machtergreifung Nelson Mandelas, ein Erfolg sein. In diesem Sinne werden auch Touristen runtergekarrt, so nach Kapstadt, wo allerdings nicht die Polizei, sondern bezahlte Sicherheitsdienste bestimmte Gebiete bewachen. Dass in Pretoria, dass in Johannesburg kein einziger Weißer mehr lebt, wissen die meisten überhaupt nicht. Weiße dort, und zwar überhaupt keine »Kaffernfresser«, sagen, dass sie jede Nacht in Lebensgefahr sind. Sogar Diplomaten bunkern sich ein. Die Entstaatlichung der Macht, von der jetzt im Zusammenhang mit dem Terrorismus gesprochen wird, hat aus dieser Sicht längst stattgefunden. Auch die dazugehörigen privaten Söldnerfirmen - ob in London, Florida oder Montreal - sind ein Phänomen, das kein Mensch schildert.

    Führen Sie die Missachtung der religiösen und ideologischen Grundzüge von Konflikten, die Sie schon früh beschrieben haben, auch auf eine generell wohlmeinende Haltung zurück, die gerne bunte Verhältnisse ausmalt, ohne die tatsächlichen Streitlinien und Antagonismen zu kennen oder zu benennen? Werden tief greifende Probleme aktiv und ganz bewusst ausgeblendet, auch aus Angst vor dem Beifall der falschen Seite?

    Natürlich. Aber es kommt auch die Industrie mit ihren Interessen dazu. In Südafrika beispielsweise hat DaimlerChrysler eine Fabrik aufgemacht, die so bewacht ist, dass sie funktioniert.

    Bezogen auf Nahost: Sind die dortigen Grundkonflikte von vielen, auch von Journalisten, verdrängt oder schöngeredet worden, weil die Zeitströmung in breiten Teilen anderes nahe legte?

    Aber sicher. Ich bin der einzige gewesen weit und breit, der zur Zeit des Osloer Abkommens gesagt hat, dies könne nicht funktionieren, weil es sich um die Quadratur des Kreises handelt. Wenn man neben Israel einen voll souveränen palästinensischen Staat gründet, ist Israel existentiell bedroht. Das ist nicht zu vereinen. Die Sache hat sich inzwischen viel schlimmer hochgeschaukelt, als ich es damals befürchtet habe.

    Man hätte dies wissen können, wenn man genauer hingeschaut hätte?

    Man hätte allerdings nicht viel daran ändern können. Richtig aber ist: Man hätte es von Anfang an ganz klarsichtig so wahrnehmen und beurteilen können.

    Ist, unabhängig von solchen Fällen, die Berichterstattung aus dem Ausland viel zu sprunghaft? Werden Themen - siehe Flutkatastrophe China - schnell fallengelassen, wenn die Bilder nicht mehr spektakulär sind?

    In Mosambik war es ähnlich. Es werden Dinge hochgebauscht auch hier wieder unter morbiden Aspekten, obwohl es solche Dinge immer wieder gegeben hat. Die Voraussetzungen werden nicht genannt. Dazu gibt es einen Leitfaden: Was in Amerika News ist, wird auch in Deutschland eine Nachricht. Eine wirkliche europäische Wahrnehmung der internationalen Ereignisse gibt es kaum noch.

    Auch nicht in Frankreich, das immer auf seine Eigenständigkeit großen Wert gelegt hat?

    Das französische Fernsehen war mal recht gut. Doch auch dort ist das Privatfernsehen mit seinen Auswirkungen eingebrochen. Jetzt betrübt mich das Fernsehen in Frankreich zutiefst, auch in der Nachrichtengebung. Es ist oberflächlich. Ganz selten sieht man eine gute Reportage. Da ist das deutsche Fernsehen wesentlich besser.

    Die deutschen Anstalten halten sich viel auf ihre Informationskompetenz zugute, rühmen das dichteste Auslandskorrespondentennetz, ihre generelle Weltoffenheit. Sie kritisieren trotzdem, es passe sich an, zeige sich nicht eigenständig?

    Das ist das Eigenartige mit der Globalisierung, mit der Globalisierungslüge, wie man es nicht anders bezeichnen kann: Je mehr man davon redet, desto provinzieller wird alles. Man konnte zwar über den »Internationalen Frühschoppen« von Werner Höfer lächeln mit den ausländischen Kollegen, die sich manchmal nur mühsam ausdrücken konnten. Doch die gingen immerhin die internationalen Probleme an. Inzwischen diskutiert der »Presseclub« fast nur noch über innerdeutsches Gerangel oder über Wirtschaftsfragen.

    Wird sich das ändern?

    Es ist eine Frage der Prioritäten, der Voraussetzungen. So bildet bei n-tv, das ich oft mit Interesse sehe, weil der Sender seine Bilder natürlich von CNN bekommt, Wirtschaft den Schwerpunkt. Klar, der Sender bekommt seine Gelder auch über die Wirtschaft. Mit dieser Wirtschaftsorientierung sind die Leute in der Zeit der New Economy, als das Wort noch Hochglanz hatte, völlig in die Irre geführt worden.

    Apropos CNN: Als amerikanische Soldaten in Somalia landeten, war der Sender mit seinen Kameras und Scheinwerfern schon da. Ist das eine Perversion?

    Andere waren auch da. Es gab genauso viele Reporter wie U.S. Marines. Das ist typisch. Und auch bezeichnend. Die Landung ging vor sich wie ein Kinostück. In ähnlicher Weise sind die Amerikaner damals in Da Nang gelandet, allerdings von vietnamesischen Mädchen mit Blumen bekränzt. Wichtiger allerdings ist die Frage nach der Wirklichkeit Somalias: Wo ist die schon analysiert worden? Die Amerikaner sind wieder verschwunden, nach 18 Toten, nach Fernsehbildern, die zeigten, wie diese Toten in abscheulicher Weise durch die Straßen geschleift wurden. Da war es aus.

    Gibt es Grenzen der Berichterstattung? In New York hat man vom blutigen Elend fast nichts gesehen, beim Golfkrieg war es ähnlich. Ist es richtig, bestimmte Dinge auszusparen, oder müßte man sie schonungslos zeigen, zumindest um der äußeren Wahrheit willen?

    Im jetzigen Fall hat man gut daran getan, diese Bilder auszusparen, denn es war im Grund wie eine Naturkatastrophe. Hätte es mehr gebracht, wenn man zerfetzte Gliedmaßen gezeigt hätte? Man muss die Scham der Opfer respektieren. Ich bin auch dagegen, schreiende Frauen an Särgen zu zeigen oder verwundete Kinder in endlosen Einstellungen. Ich sage meinen Kamerateams, wenn es beispielsweise um Leichen geht: Macht eine Totale, aber bitte keine Einzelheiten.

    Bedient das Fernsehen vorhandenen Voyeurismus oder schafft es ihn erst und fördert ihn? Auch die anfangs unendliche Wiederholung der New Yorker Flugzeugeinschläge könnte mit äußerer und innerer Faszination, sogar mit Ästhetisierung zu tun haben.

    Das Ereignis war bildlich in seiner Art einmalig. Für mich hat es beinahe etwas Biblisches gehabt. Es war die Zerstörung des Turms von Babel. Das war es auch in den Augen der islamischen Welt. Da gibt es eine gleiche Mythologie. Die Geste war so symbolträchtig, dass man sie schon zeigen kann. Man soll allerdings damit nicht spielen, um billige Effekte zu erzielen. Aber insgesamt war es ein Symbol für den Koloss auf tönernen Füßen.

    Die New-York-Bilder wurden teilweise wie eine Tapete verwendet, auf Hintergrund- und Vordergrundmonitoren, in einer Endlosschleife. Hatte das damit zu tun, dass die Redakteure auch einer Faszination erlegen waren?

    In dieser Form wäre es krankhaft. Aber als auslösendes Moment hatte es hohe Bedeutung, weil das Symbol des Weltkapitalismus getroffen wurde. Der Fluch der Globalisierung wird jetzt erst sichtbar. Er ist jetzt erst richtig zu spüren, wo man rund um die Welt schnell kommuniziert. Auch in Afrika, an ödesten Orten, gibt es jetzt Handys. In Kinshasa, in Ruanda, auch an verwüsteten Orten findet man Internet-Cafes. Doch das ist nur die Technik. Der wahnsinnige Gedanke Fukuyamas, dass mit der weltweiten Verbreitung der pluralistischen Demokratie und der Meinungsfreiheit sowie des offenen Welthandels der Idealzustand der Menschheit und das Ende der Geschichte erreicht wäre: Das ist eine absolute Fehleinschätzung.

    Sind dann die Bilder der großen Anti-Globalisierungs-Demonstrationen von Seattle, Göteborg und Genua falsch gewesen, weil sie lediglich den Schlacht-Charakter hervorgehoben haben, die eigentliche Analyse der Globalisierungsvorgänge aber ausblieb?

    Man muss diese Kundgebungen und ihre Form zeigen. So wie auch jetzt die ersten Anti-Kriegs-Demonstrationen. Wenn es kommt, wie Bush angekündigt hat, und der Krieg lange dauert, dann kippt die Stimmung nach einer gewissen Zeit. So wie es jetzt schon bei den Grünen rumort. Aber natürlich steckt auch ein anderer Aspekt in der Frage. Jeder Narr, der die Kamera auf sich gerichtet sieht, benimmt sich gleich wie ein Tollwütiger. Das erlebt man nicht nur in Genua oder Seattle, sondern in jeder Talk-Show. Als die amerikanische Botschaft in Teheran belagert wurde und auch schon besetzt worden war, standen dort junge iranische Islamisten herum, und zwar ohne Anordnung von Khomeini. Die waren freundlich zu uns. Sobald eine Kamera hochging, verwandelten sie sich in eine Rotte von heulenden Derwischen.

    Wie kann das Medium diesem Effekt gegensteuern, das so sehr auf Bilder angewiesen ist? Lässt sich ein Radikalfilter einbauen, indem man lieber gar nichts zeigt stritt des Falschen, das durch die laufende Kamera hervorgerufen wird?

    Das ist schwer, sehr schwer. Schon bei Malraux heißt es: Es gibt keine Helden ohne Zuschauer. Das gilt im Fernsehzeitalter doppelt und dreifach. Es gibt sogar Anfänger der Branche, die Kampfhandlungen stellen lassen, ohne dies zu sagen, und die sich dann womöglich noch vor das Gewehr stellen.

    Der richtige Weg ist schwer, sagen Sie. Kann ein verschärftes Bewusstsein helfen, was man mit Bildern anrichten kann? Ließe sich, trotz des Bilderzwangs besser abwägen, genauer filtern?

    Das fehlt ja völlig. Worte können Bilder relativieren, doch dieses Mittel wird nicht benutzt. Die Gefahr der optischen Manipulation ist immer groß, schon seit den Anfangszeiten des Fernsehens. Parteiversammlungen, Politiker beispielsweise lassen sich so oder so zeigen, je nach Bildausschnitt und Blickwinkel.

    Haben Sie als Fernsehdirektor darauf immer wieder hingewiesen und davor gewarnt, wie leicht Manipulationen sind?

    Damals gab es eine straffe Disziplin, hatte ich einen Zugriff. Später, als ich beim »stern« war, gab es das so nicht. Bevor bei »Monitor«, das damals Casdorff machte, etwas gesendet wurde, habe ich jedes Stück abgenommen. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die in den Rundfunkrat kam: Ein angeblicher Tupamaro war tatsächlich von einem jungen Mann gespielt worden. Man hätte so etwas schon machen können, aber nur mit dem eindeutigen Zusatz: So in etwa verläuft das.
    Geändert von kronic (30. März 2002 um 18:48 Uhr)

  3. #3
    Senior Member
    Registriert seit
    23.06.01
    Beiträge
    4.498

    Teil 3

    Sie kennen auch das Privatfernsehen von innen. Wie sehen Sie das System als Ganzes: Hat das Privat-TV vorherige Bremsen weitgehend gelockert und vieles entfesselt, was im rein öffentlich-rechtlichen System noch diszipliniert war?

    Im Vorstand von Gruner + Jahr war ich vor allem mit Medien befasst, allerdings ohne unmittelbaren Einfluss. Die wirkliche Fernseharbeit machte Manfred Lahnstein aus dem Vorstand von Bertelsmann. Helmut Thoma habe ich noch in Luxemburg erlebt, in seinem kleinen Büro, in den heroischen Anfängen von RTL. Ich war auch im Verwaltungsrat von RTL. Das war insofern interessant, weil ich mit den Spitzen der Anteilseigner zusammenkam, wie dem Generaldirektor der französischen Bank, Paribas, oder dem Vorstand der Gruppe Bruxelles, Lambert.

    Gab es dort inhaltliche Diskussionen?

    Über das Programm wurde dort gar nicht geredet, da ging es rein um kapitalistische Verschmelzungen, um Fragen der Gesellschaften.

    Und im Programmbeirat, dem Sie auch angehörten?

    Dessen Vorsitzender war Günther Müggenburg, sein Adlatus war Johannes Groß. Wir haben uns amüsiert wie Bolle, aber im Grunde mit den Managern nichts zu tun gehabt. Wir sahen immer mit großem Staunen, dass in der Sitzung zuerst immer die Quoten und die Zusammensetzung der Seherschaft diskutiert wurden. Für mich eine fremde Welt, aber man muss sie kennen.

    Hat dieser klare kommerzielle Blick insgesamt die publizistische Perspektive und Verantwortung aufgelöst, auch an anderen Stellen?

    Aber sicher. Wenn ich im ZDF einen Film mache, eine Dokumentation, die relativ spät platziert wird, aber immer noch ein gutes Rating hat, dann ruft mich morgens der Redakteur strahlend an und spricht von der Einschaltquote und der Reichweite. Als Fernsehdirektor war ich in der glücklichen Lage, dass mir diese Art der Zustimmung des Publikums völlig egal sein durfte. Klar war, dass man die Leute auch amüsieren muss, dass ein Millowitsch ins Programm gehört. Aber daneben haben wir auch moderne elektronische Unterhaltung gemacht, haben experimentiert. Inzwischen laufen wieder alle die große Showtreppe runter wie in den 20er Jahren.

    Die Privaten sind, was jetzt New York betraf, relativ einmütig gelobt worden, als routiniert und professionell. Stimmen Sie zu?

    Ich habe fast ausschließlich CNN gesehen. Es ging mir darum, außer dem Ereignis auch die amerikanische Reaktion kennen zu lernen, ganz abgesehen davon, dass CNN die besseren Bilder hatte. Deutsche Kommentare sind für mich irrelevant. Nehmen wir nur den Bundeskanzler, der beim Anblick dieser entsetzlichen Verwüstungen sagt, so etwas habe es nur einmal auf der Welt gegeben. Ich habe das verwüstete Berlin gesehen, das war mindestens so schlimm, von Hiroshima ganz zu schweigen.

    Anfangs hatte CNN-Reporter Nic Robertson mit einem so genannten Videophone Live-Bilder aus Kabul gesendet. Liegt die Gefahr nahe, dass mit dieser immer kleineren Technik eine hohe Aktualität bedient und gefordert wird mit der Folge, dass das äußere Bild immer vor der Einordnung kommt? Dass man also vieles schnell überträgt und zeigt, ohne wirklich etwas zu wissen?

    Im Golfkrieg ist nur gemogelt worden, es hat kein authentisches Bild gegeben. Das geht von der Ölverschmutzung über die Brutkästen bis zu Militäreinsätzen, die nicht stattgefunden haben, sondern als Manöver gedreht wurden. Die systematische Tötung von irakischen Soldaten, die sich ergeben haben, hat keiner gefilmt.

    Noch mal: Öffnet die schnelle, disponible Technik, die praktisch ein Live-Senden erlaubt, die Schere zwischen Bildern und analysierender Einordnung noch weiter?

    Es gab in Köln eine lobenswerte Ausstellung: »Bilder, die lügen«. Man muss ein abgrundtiefes Misstrauen haben gegenüber allen Bildern, die rüberkommen. Was sollten beispielsweise diese grünen Flackerbilder aus Afghanistan? Kein Mensch hat erklärt, was sie genau bedeutet haben.

    Sollte und könnte man sich denn vom Fetisch der Aktualität lösen, den die Technik noch verstärkt, weil sie so leicht einzusetzen ist?

    Nach meiner Erfahrung bringt es gar nichts, sich sofort auf das Geschehen und dessen Entstehung zu stürzen. Mein Durchbruch im Fernsehen war der Kongo. Ich war zum Zeitpunkt der Proklamation der Unabhängigkeit gerade in Marseille in See gestochen und dachte, wieder eine Geschichte zu versäumen. Drei Wochen später kam ich in Leopoldville an, doch da ging die Sache erst richtig los.

    Könnte man mit dem gewaltigen Apparat, den das Fernsehen heute darstellt, eine gerechtere Auslandsberichterstattung zustande bringen? Vorausgesetzt, man hätte dies als klares Ziel im Kopf? Ließen sich die Verhältnisse in den richtigen Dimensionen und Relationen zeigen, was hieße, auch abseits des Spektakulären hinzuschauen?

    Sicher könnte man das. Als die Khomeini-Revolution losging, waren auch zwei Millionen Menschen auf den Straßen. Die haben nicht demonstriert, weil eine Kamera da war.

    Und wo die Kamera nicht hin kann oder wo sie verfälschend wirkt: Kann man das auffangen durch die Kommentierung?

    Das Wort ist ganz entscheidend. Wenn Euronews Bilder bringt in der besonderen Form des »no comment«, dann ist das schwachsinnig. Doch wer kann noch texten? Die Texte sind im allgemeinen schon stilistisch erbärmlich, die Sprache ist so verarmt, dass es einen schüttelt. Es gibt derzeit aber einen Korrespondenten, der mir gut gefällt. Claus Kleber in Washington. Der ist ruhig, formuliert gut, da sitzt alles. Er macht die Hektik nicht mit.

    Können sich Journalisten durch Spezialisierung gegen das Manipulationsspiel der Beteiligten schützen?

    Der berühmte Abschiedsbrief des Terroristen Atta gehört, wie vieles andere, zum Spielmaterial, ist eine Fälschung, so wie auch der Aufruf Bin Ladens zum Heiligen Krieg in englischer Sprache. Leute, die einen solchen Anschlag so minuziös planen, lassen doch nicht ausgerechnet solche Appelle irgendwo in Mietautos liegen. Im Moment wird einfach schamlos gefälscht. Ich nehme an, dass auch die Amerikaner auf solche Sachen reinfallen. Ein Journalist kann das im Grunde nicht nachprüfen.

    Sind deshalb Bilder mit offensichtlicher Herkunft besser einzusetzen, weil man die Absicht kennt?

    Was von Osama bin Laden über El Dschasira verbreitet wurde, das ist immerhin nach genauer Absicht der Beteiligten so gesendet worden. Da ist die CIA nicht drin gewesen. In der oberen Bildecke steht: »speziell für Dschasira«. Ich kenne die Leute des Senders. Es sind überhaupt keine Fundamentalisten, sondern junge, offene Intellektuelle. Allerdings gibt es heute eine Wende. Man weiß nicht, ob nicht auch die Intellektuellen Fundamentalisten sind, vor allem die technisch Ausgerichteten.

    Ist der Preis, den der Sender für seinen Korrespondenten in Kabul bezahlen muss, eine noch höhere Instrumentalisierung, als es die Verantwortlichen vielleicht selbst glauben?

    Es sind Araber. Die machen sich doch keine Illusionen, wie sie eingesetzt werden. Hätte ich die Erlaubnis, in Kabul zu drehen, wüsste ich das auch. Aber auf den Bildern der Taliban wird weniger manipuliert als auf den elektronischen, welche die Amerikaner dauernd ausstrahlen.

    Wenn Sie als Ex-Fernsehdirektor Ihren heutigen Kollegen raten sollten, in welchen Kernpunkten die Berichterstattung zu verbessern wäre, ohne große Komplikationen: Welche wären das?

    Man muss wieder zurückkommen zur sauberen Dokumentation. Die nicht beansprucht, die objektive Wahrheit darzustellen. Sondern die das persönliche Erlebnis des Korrespondenten an Ort und Stelle rüberbringt.



    Ein epd-Interview mit Scholl-Latour vom 24.10.2001
    Geändert von kronic (30. März 2002 um 19:25 Uhr)

  4. #4
    SchnickSchnack Avatar von Der BeBro
    Registriert seit
    10.11.00
    Ort
    In The Realm Of Freedom
    Beiträge
    2.895
    Ich hab mir´s vorhin tatsächlich durchgelesen, guter Stoff

    Am interessantesten für mich (ok, aus dem Zusammenhang ):

    Sehen Sie auch das als Folge der political correctness?

    Ja. Das ist eine heilige Kuh. (...)
    IMO besonders nervig in Deutschland. Anstatt wirklich Infos und Hintergründe zu vermitteln, werden dem Zuschauer oft moralische Urteile vorgesetzt. Solche Urteile würde ich mir lieber selber bilden (können), dazu braucht aber mehr Reflektionen über Ursache und Wirkung, als gegenwärtig in den meisten Beiträgen geliefert wird.

    Ich habe fast ausschließlich CNN gesehen. Es ging mir darum, außer dem Ereignis auch die amerikanische Reaktion kennen zu lernen, ganz abgesehen davon, dass CNN die bes-seren Bilder hatte. Deutsche Kommentare sind für mich irrelevant.(...)
    Dito. Man kann natürlich auch über CNN eine Menge sagen (man soll eben nicht alles glauben ), aber warum soll ich mir eigentlich deutsche News angucken, die a) langsam sind und b) zumeist auf Bildmaterial anderer (häufig eben CNN) zurückgreifen? Bei Innenpolitk siehts natürlich etwas anders aus...

    (...)Inzwischen diskutiert der »Presseclub« fast nur noch über innerdeutsches Gerangel oder über Wirtschaftsfragen.
    IMO eine generelle "Seuche" in den TV Sendern, Benzinpreis, Aktienkurse und Zahnersatzfragen scheinen viel wichtiger zu sein als politische Entscheidungen über Krieg und Frieden oder wirkliche Hintergründe...
    Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, WAS, frage ich euch, haben die Römer JE für uns getan??

  5. #5
    Registrierter Benutzer
    Registriert seit
    06.02.02
    Ort
    Stonewall
    Beiträge
    13.352
    Huh war das Lang !

    Aber wie mein Vorredner schon sagt, sehr interessant.
    Geändert von Stonewall Jackson (31. März 2002 um 01:24 Uhr)

  6. #6
    Registrierter Benutzer
    Registriert seit
    14.08.01
    Beiträge
    47
    Ein generelles Problem der Nachrichtensendungen ist leider, dass sie nicht informieren sollen, sondern als Quotenbeschaffer für die sich anschließende Schrott-Sendung missbraucht werden. Da zählen leider möglichst beeindruckende Bilder mehr als vernünftige Berichterstattung. Zwar finden sich noch vernünftige TV-Formate, die über 10 Bilder und nen Dreizeiler hinaus Informieren (wenn auch nur bei den Öffentlichen), aber leider davon immer weniger und allzu häufig zu später Stunde. Aber vielleicht hat der von Scholl-Latour beschriebene Verfall der TV-Berichterstattung auch sein gutes: Wären die TV-Informationen nicht so bescheiden, hätten es die Print-Medien sehr viel schwerer ihre Verkaufszahlen stabil zu halten.
    Nichts tun hilft auch nichts!

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •