Kapitel 12 - Rhians Schuld
Kreativität ist etwas Wunderbares. Die Möglichkeit, immer wieder mit etwas Neuem zu kommen und andere zu überraschen, kann über den Ausgang sehr vieler Geschichten entscheiden. Carro aber entschied den Ausgang dieser Geschichte lieber konventionell. Anstelle nämlich seine neue Herrin durch den Palast zu führen, der im Moment eh nicht ansehnlich war, wiederholte er die Ergebnisse mit Rhian noch einmal und zeigte er Regentin zunächst einmal ihre Gemächer. Und auch darin ähnelte seine Reise stark der mit Rhian, brachte er Vesta doch direkt neben ihr unter.
Vesta war ihm ziemlich wortkarg gefolgt. Carro hatte ihr etwas über den Palast erzählt, über dessen Geschichte, Größe, Personal und Kosten. Sie hörte ihm nicht zu, und sie spürte, dass er es auch nicht von ihr erwartete. Was er ihr sagen wollte, sagte er nämlich nicht in Worten. Vielmehr lag es in seiner Stimme. 'Habe keine Angst, Mädchen. Du bist hier unter Freunden.'
"Und nun, Exzellenz, Eure Gemächer..." Sie waren irgendwo im zweiten Stock, und das Zimmer, das hinter der Tür lag, war prunkvoll und groß. Doch für Vesta war das nichts Neues. Zu Hause in Grangor sah es nicht groß anders aus. Und so ließ sie sich auf ihr Bett niedersinken, um zu verschnaufen.
Auch Carro gab ihr ein paar Momente der Ruhe. Dann setzte er sich neben sie und blickte sie an. „Ganz schön viel auf einmal, was?“ Sein Tonfall war ein ganz anderer, nicht mehr der des Reiseleiters, und auch nicht der des Dieners. Vesta blickte zu ihm herüber und sah, dass er in ihre Augen blickte. Also schluckte sie, weil sich ihr Mund nicht öffnen wollte, und nickte nur.
„Du solltest dich ein wenig entspannen. Ich kann gut nachempfinden, wenn du dich von den ganzen Dingen überfahren vorkommst. Aber du wirst dich mit der Zeit daran gewöhnen. Hier ist eben alles ein bisschen anders, verstehst du?“
Wieder nickte sie. „Sag mal, Carro“, begann sie dann zögerlich, „Was erwartet man hier eigentlich von mir?“ – „Nicht viel“, antwortete er ihr lächelnd. „Oder zumindest nichts, was du nicht erfüllen kannst. Ich denke, die Götter haben mit dir eine gute Wahl getroffen. Du bist genau das, was wir jetzt brauchen.“ – „Und was wäre das?“, fragte sie skeptisch.
„Hoffnung“, sagte Carro knapp. Doch dann fand er offensichtlich selbst, dass das etwas zu kurz war, und holte ein wenig aus. Er erzählte von Menschen, von Göttern, von Sehnsüchten und Ängsten. Und von einer Kaiserin. Doch dies führt uns in das nächste Kapitel.