Der römische Kaufmann
Dieser Ort würde sich prächtig als Stützpunkt eignen, dass war Cynfawr schon frühzeitig klar geworden. Wer Victoria beherrschte, beherrschte die ganze Gegend. Deshalb sollten die Einwohner so schnell wie möglich wieder normal ihren Geschäften nachgehen - mit einer kleinen icenischen Schutztruppe in ihrer Mitte - und deshalb hatte er die Plünderung untersagt. Er war erleichtert und zufrieden, dass die Männer sich ohne größere Murren gefügt hatten, von kleineren Übergriffen abgesehen. Die Bewohner von Victoria konnten sich glücklich schätzen.
Nachdem alles jetzt noch zu Regelnde delegiert und die Verwundeten zusammengetragen und versorgt waren, schritt Cynfawr auf das größte Gebäude des Ortes zu.
Es war fest gebaut aus Stein und Holz uns sah ein wenig fremd aus. Cynfawr vermutete römischen Einfluss aufgrund der Ahnung, wen er da finden würde, römische Häuser kannte er nicht wirklich. Seine Leibwächter verschafften ihm Eintritt und fragten nach dem Herrn des Hauses. Das Gesinde war verschreckt und führte sie zu einem kleinen, mittig gelegenen Raum ohne Fenster der durch eine große Feuerstelle gewärmt wurde. Es war heiß und stickig, neben dem Feuer spendete nur eine kleine stinkende Talglampe unzureichend Licht.
In einem Bett mit mehreren Lagen Decken und Fellen lag ein ausgezehrt wirkender Mann. Er wirkte sicherlich krankheitsbedingt älter als er war. Cynfawr wog alles gegeneinander ab und schätzte dann, dass der Liegende wohl bald die 70 erreichen würde, wenn er die nächsten Tage überhaupt überlebte.
Einen Transport in den Süden würde er in jedem Fall nicht überleben.
Barrivendos hatte Recht behalten, als er Eile anmahnte. Vielleicht hatte der alte Fuchs aber mehr gewusst als er zugab.
Der Mann im Bett hatte die Augen mit wachem Blick auf Cynfawr gerichtet. Er wusste, dass der Besuch der Icenier ihm galt. Der Brite zog einen Schemel zum Bett heran und setzte sich. Einen Augenblick zögerte er, weil er nicht wusste, wie er ihn ansprechen sollte. Früher hatte er einmal versucht, zusätzlich zum Handelsgriechisch und Punisch Latein zu lernen, es aber bald aufgegeben. Diese Sprache hatte keine Zukunft, das stand für ihn fest.
„Ich wusste, dass ihr uns irgendwann besuchen kommt. Hatte eigentlich schon früher damit gerechnet, seit der verfluchte Ägypter wieder aufgetaucht war eigentlich stündlich. Aber ihr habt euren eigenen Stolz, nicht wahr? Das macht euch so liebenswert, dieses Pochen auf die keltische Ehre. Auch wenn es manchmal dumm ist.“ Der Römer sprach ein fast akzentfreies Keltisch mit deutlich nördlichem Einschlag.
„Das mag sein, aber so sind wir nun mal“ entgegnete Cynfawr nicht unfreundlich.
„Er hätte beinahe uns beide erwischt,“ fuhr der Römer fort, „letztendlich werde ich wohl auch nicht mehr lange durchhalten, aber das ist jetzt auch egal. Die letzten Monate waren schlimmer als jede Qual des Tartarus. Quintus Caecilius Metellus war fast augenblicklich tot, aber da ich gewarnt war, konnte ich dem Schurken halbwegs ausweichen. Ahhrgh, ich gebe die Hoffnung nicht auf, das ein Sturm die ägyptischen Hunde in Neptuns Reich gezogen hat, aber die Seeleute ihres Schiffes sahen sehr zuverlässig aus.“
„Am Besten erzählst du von Anfang an, denn deshalb bist du doch noch am Leben, um mir alles zu erzählen, nicht wahr?“
„Du hast Recht.
Mein Name ist Decimus Junius Brutus. Die Vorgeschichte kennst du vielleicht? Ah, ja, dann kann ich mir das sparen. Nach unserer Handelsreise durch den Norden kamen wir mit unserem wohlgefüllten Schiff an diesen günstigen Platz. Wir beschlossen, da hier viele Pelze angeliefert werden konnten, eine Handelsstation anzulegen. Quintus und ich blieben zurück und die anderen fuhren nach Hause, machten die Ware zu Geld und sorgten in den Folgejahren für den Frachtverkehr und den Absatz all dessen was wir hier zusammentragen konnten. Den Ägypter hatten wir fast vergessen. Wir waren außerhalb eurer Reichweite, dachten wir zumindest und waren in Frieden von euch geschieden. All die Jahre waren uns die Götter gewogen, aus unserer Handelsniederlassung wurde eine richtige Siedlung, aus uns Händlern Häuptlinge. Aber die Parzen hatten in unsere Lebensfäden noch eine Überraschung eingesponnen, als der verfluchte Tempelschänder in unsere Siedlung spazierte, als sei nichts gewesen und er sei nur mal für kleine Jungs hinter der nächsten Hecke verschwunden. Und zeitgleich kamen seine Freunde an, neun Jungs von seinem Schlag, sehr freundlich-unfreundlich alle zusammen. Da sie sich überraschend hier einquartiert hatten, hielten sie alle Trümpfe in ihrer Hand und zwangen uns sie ziehen zu lassen.“
„Ich werde sie schon aufstöbern!“ knurrte Cynfawr.
Der Römer zog eine Grimasse. „Unterschätze diese Leute nicht. Sie wollten wieder untertauchen. Sie fahren nicht auf direktem Weg nach Hause. Ich verstehe die ägyptisch-griechischen Dialekte, die sie benutzt haben, nicht besonders gut und sie haben sich große Mühe gegeben, nichts durchsickern zu lassen, aber ihr nächstes Ziel ist Hibernia, das konnte ich heraushören.“
„Hibernia? Du meinst Hispanien!“
„Wenn ich Hispanien gemeint hätte, hätte ich Hispanien gesagt!“ Decimus Brutus schien jetzt ein wenig eingeschnappt zu sein.
„Aber was wollen sie denn in der Gegend? Viel weiter von Ägypten weg kann man die Himmelsschale doch nicht transportieren?“
„Diese Ägypter denken in anderen Dimensionen als wir. Für die bedeuten 100 Jahre so viel wie für uns zehn. Ich kann dir da nicht viel helfen. Aber sie haben noch von anderen Dingen geredet, irgendeine Art Exorzismus oder so, und dauernd redete Ahmose von der Summe des Ganzen und der Summe der Einzelteile und so, und irgend etwas war größer als was anderes. Ich habe einfach nichts davon verstanden.
Kurz bevor sie aufbrachen hat der Schuft Quintus hinterrücks niedergestochen. Mich hat er nicht richtig erwischt und bevor er sein Werk vollenden konnte, kamen meine Männer herbei und er musste sehen, dass er auf das Schiff kam. Seitdem lieg ich hier. Die Klinge war anscheinend vergiftet, aber das Gift war wohl zu alt und wirkte nicht richtig. Leider schließt sich die Wunde nicht und so sieche ich dahin. Bald geht es mit mir zu Ende. Mit euch hatten wir erst im Frühsommer gerechnet, welcher Narr lässt auch eine armee mitten im Winter durch die Highlands marschieren. So habt ihr uns überrrumpelt“
Der Junier schwieg und schloss die Augen. Die Rede hatte ihn viel Kraft gekostet.
Cynfawr schwieg eine Weile, ein wenig stolz über die eigene Leistung, dann fragte er: "Hast du einen Erben?"
"Ja, meine Familie lebt in Rom, vor drei Jahren ist sie dorthin zurückgekehrt. Vielleicht lebt sie auch auf unseren Gütern nahe Tarentum im Süden Italiens."
"Wir werden sie benachrichtigen."
Decimus schloss dankbar die Augen. Cynfawr erhob sich leise und verließ den Raum. Draußen befahl er, das Haus zu bewachen, damit die Ruhe des Brutus nicht gestört wurde und ließ einen Boten bereitmachen. Er sollte seinen Vater und Belenus warnen, damit ein Handelsschiff mit Ägyptern nicht unbemerkt die Küsten langsegeln konnte. Cynfawr war zwar spät dran, wenn die Ägypter sofort nach Hause aufgebrochen waren, aber wenn sie wirklich nach Hibernia unterwegs waren, müssten sie die Insel im Norden umrundet haben. Ein schwieriges Unterfangen. Vielleicht überwinterten sie nicht weit von hier. Er spielte einen Augenblick mit dem Gedanken weiter nordwärts zu marschieren, verwarf ihn aber schnell. Keine Ausrüstung, keine Reserven. Alle Bergbewohner in weitem Umkreis waren inzwischen alarmiert. Keine Chance. Nein, er musste zurück und eine Invasion Hibernias vorbereiten. Wenn er nur mehr über die gegnerischen Absichten wüsste, aber so konnte er nichts anderes tun, als Späher auszusenden und die Fährte verfolgen, ehe die Spur kalt wurde.
Sie blieben zwei Tage um sich auszuruhen, dann befahl Cynfawr den Abmarsch. Bis auf die kleine Besatzung und die Verwundeten marschierte die ganze Armee zurück in den Süden.