Tja, ich habe eine Weile überlegt bevor ich entschieden habe dass das mit in die Geschichte gehört. Nachdem alles beisammen war haben wir endlich beim Bauträger Karo den Bauantrag angefordert. Es fehlte noch die Spezifikation des Gewerbegebäudes und das hatte Gründe: Der Gewerbeteil muss laut Bebauungsplan dem Wohnteil größenmäßig "übergeordnet" sein. Ein wunderbarer Gummibegriff der von der rein mathematischen "Ein Quadratmeter mehr ist hinreichend"-Auslegung bis hin zu einem willkürlichen "50% sollten es schon sein" alles bedeuten kann. Jetzt haben wir allerdings zwei Tipps bekommen:
1. Der zuständige Sachbearbeiter galt als "problematisch", uns wurde eine Geschichte zugetragen bei der der Sachbearbeiter Bauvorhaben aktiv Steine in den Weg gelegt haben soll.
2. Ein abgelehnter Bauantrag ist bei weitem schwerer gerade zu diskutieren als wenn man im Vorfeld die Genehmigungsfähigkeit feststellt.
Angesichts obiger Gummiregelung und besagtem Sachbearbeiter beschlossen wir das Paket im Vorfeld einmal im Gespräch vorzustellen und eventuelle Einwände zu diskutieren. Dabei galt der Grundsatz dass eine Erweiterung des Gewerbeteils ärgerlich aber unproblematisch war. Das Wohnhaus hingegen war lange geplant und auch auf die Familienplanung abgestimmt - hier Abstriche machen zu müssen wäre schmerzhaft. Zusammengefasst: Wir planten die Genehmigungsfähigkeit an dem problematischen Sachbearbeiter vorbei feststellen zu lassen um dann den so "immunisierten" Antrag einzureichen. Soweit so gut, nach einer Kleinigkeit die ich erstmal zurückstellen will kam es zu einer familiären Tragödie
Ein Tod in der Familie
Eines Sonntagabend bekomme ich den Anruf dass sich mein jüngster Bruder das Leben genommen hat. Der Anruf kam nicht gänzlich aus dem Nichts: Mein Bruder "litt" seit jungen Jahren an ADHS und brachte dabei auch eine Menge der damit korrelierenden positiven Eigenschaften mit. Ich habe nie einen Menschen getroffen der sich schneller neue Fähigkeiten angeeignet hat, darüber hinaus hatte er ein kompromissloses Gerechtigkeits- und Loyalitätsempfinden und eine enorme Begeisterungsfähigkeit. Damit einher ging leider eine soziale Unbeholfenheit, das beständige Gefühl fehl am Platz zu sein und die Neigung sich in Streßsituationen hineinzusteigern anstatt diese zu relativieren. Gegen Ende der Pubertät entwickelte sich daraus dann eine ernsthafte Depression mit zunehmend selbstzerstörerischen Tendenzen. Seine guten Seiten hat er bis zum Ende behalten, in seinen schlechten Phasen konnte er hingegen zunehmend eklig werden, worunter neben meinen Eltern insbesondere die jüngeren Geschwister zu leiden hatten.
Dennoch hätte ich im Leben nicht damit gerechnet dass es dazu kommen würde. Nach den ersten Zwischenfällen etwa fünf Jahre zuvor hatte er sich in Therapie begeben und pflegte einen kleinen aber sehr verbindlichen Freundeskreis. Er hat trotz guter Noten erstmal eine praxisorientierte Ausbildung aufgenommen in der er aufging wie schon lange nicht mehr in einem seiner Projekte. Auch in vielen anderen Punkten hatte sich sein Leben kontinuierlich gebessert, so dass ich die Hoffnung auf eine nachhaltige Verbesserung hegte. Mein Verhältnis zu ihm war ziemlich gut, da ich aus dem Geschwisterkreis mit den besten Zugang in sein Denken hatte und auch für fast jede sinnige oder unsinnige Diskussion zu haben war. Ich wußte dass er die Möglichkeit des Suizids grundsätzlich in Betracht gezogen hat, hielt es aber eher für eine theoretische Überlegung, da sich seine Situation zunehmend besserte.
Ich habe es mir möglicherweise auch etwas zu leicht gemacht, Warnsignale wie etwa seinen Alkoholkonsum habe ich beispielsweise ignoriert. Andererseits habe ich Freunde die einen vergleichbaren "Verbrauch" an den Tag legten ohne dass ich da heute einen dringenden Handlungsbedarf ableiten würde. Keine Ahnung, ist auch nicht (mehr) wichtig.
Nach dem Anruf stand das Leben Kopf. Bis auf meine beiden in den USA lebenden Geschwister sind wir für eine Weile ins Elternhaus zurückgekehrt um für unsere Eltern und einander da zu sein. Meine Frau nahm Urlaub und folgte mit Questor Junior, der - wie sein fast gleichaltriger Cousin - in den folgenden Tagen mehr eine auf zwei unsicheren Beinen tapsende Therapie war. Alles in Allem haben wir die Zeit irgendwie überstanden.
Die Spätfolgen
Die Folgen sind verschieden. Insbesondere meine Eltern haben lange gebraucht um einigermaßen wieder in die Spur zu kommen. Ich selbst habe - wie die anderen auch - eine Therapie begonnen und kam eigentlich gut zurecht, allerdings zeigte ich "Abnutzungserscheinungen": Meine bisher ausgesprochen moderate Migräne hatte Hochkonjunktur, ich habe Questor Junior immer wieder mit dem Namen meines Bruders angesprochen und bei passenden Filmen war mein erster Gedanke "Der wäre doch was für ihn" bevor mich die Realität korrigierte. Die spannenste Folge: Die beiden jüngsten Geschwister die während der gesamten Sache noch im Elternhaus gelebt und damit alles hautnah mitbekommen haben wollen beide Psychologie studieren - ein Studium ist bereits aufgenommen worden.
Und natürlich lag das Haus auf Eis, es hat etwa drei Monate gedauert bis wir überhaupt wieder angefangen haben darüber anchzudenken.
Disclaimer:
Falls sich jemand mit dem Thema beschäftigt empfehle ich dringend therapeutische Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Leute verstehen ihr Handwerk und können echte Perspektiven und Verbesserungen schaffen. Falls Ihr Euch unsicher seid könnt Ihr Euch auch erstmal gerne an mich wenden.