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Thema: Fragen zur Geschichte

  1. #181
    Zurück im Norden
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    Zitat Zitat von Lao- Tse Beitrag anzeigen
    Heilige wirken Wunder aber nicht aus eigener Kraft, Gott "schenkt" sie ihnen. So habe ich es zumindest im Reliunterricht verstanden.
    Wenn ich es recht weiß, wirken die Heiligen nach katholischer Lehre die Wunder nicht selbst, sondern legen Fürsprache bei Gott ein. In der Antike dachte man über Wunder aber ohnehin anders: Auch Heroen, Magier und manchmal sogar gewöhnliche Menschen konnten Wundertaten vollbringen, das war keinesfalls den Göttern vorbehalten. Die frühen Heiligen hatten aber ohnehin nur selten direkt mit Wundern zu tun, sondern wurden vornehmlich als Blutzeugen des Glaubens verehrt. Falls von erstaunlichen Ereignissen berichtet wurde, dann fast immer im Zusammenhang mit ihrem Prozess und ihrer Hinrichtung. Das passt eigentlich überhaupt nicht zu den meisten antiken Göttern, die ja (mit einigen wenigen Ausnahmen) eher in ihrer Machtvollkommenheit verehrt wurden.


    Zitat Zitat von Tiramisu Beitrag anzeigen
    So langsam überlege ich es mir doch einen Theologie-Thread aufzumachen, bevor ihr zu sehr abdriftet.
    Wieso nicht? Es gibt ja doch einige theologisch interessierte Diskutanten im Forum.

  2. #182
    Ignoriert Mauern Avatar von Argonir
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    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Das passt eigentlich überhaupt nicht zu den meisten antiken Göttern, die ja (mit einigen wenigen Ausnahmen) eher in ihrer Machtvollkommenheit verehrt wurden.
    Die Verehrung der antiken Götter ist ein ganz problematisches Thema mit vielen Aspekten. Das geht schon damit los, was du alles unter "antiken Göttern" verstehst: Olympische Götter? Naturgottheiten wie Nymphen, Satyrn etc.? Oder den Daimon/Genius der auch jedem Menschen innewohnt? Meinst du die Verehrung der Griechen im 8. Jahrhundert v. Chr. oder die der Römer im 3. Jahrhundert n. Chr.? Die Antike wird gerne mal über einen Kamm gescheert, aber auch in tendenziel eher konservativen Bereichen wie die Religionsausübung ändert sich in über 1000 Jahren eine ganze Menge, insbesonder weil gerade in Glaubensfragen Griechen und Römer nicht gleichzusetzen sind. Dazu kommt noch die soziale Schichtung der Gesellschaft. Die einfachen Bauern hatten ein ganz anderes Verständnis von den Göttern als die Philosophen. Und auch die Ansichten von letzteren sind nicht einheitlich, sondern gehen stark auseinander.
    Auch mit der Machtvollkommenheit habe ich so meine Probleme. Zwar wurden die Götter und insbesondere die olympischen als wirkmächtige Wesen verehrt, die in allen Bereichen des Lebens helfen konnten, aber andererseits sind sie im Mythos eben nicht allmächtig. Auch die Götter sind dem Schicksal unterworfen, von Entscheidungen anderer abhängig und keineswegs unfehlbar.

    Die Aussage in ihrer Absolutheit ist also falsch.

    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Sie dürfte wohl eher in der Verehrung der Märtyrer ihren Ursprung haben, zumal bei den besonders stark verehrten Heiligen ja immer das Leben der Bezugspunkt bildet. So kennt wohl jeder die Martinsgeschichte oder die Nikolauslegenden. Das passt zu den antiken Göttern eigentlich gar nicht, denn diese waren nur in sehr seltenen Fällen vorher Menschen gewesen.
    Monocausale Erklärungen sind meinstens unvollständig. Das mit den Märtyrern ist ohne Zweifel richtig, aber nur ein Teil der Erklärung. Zum einen ist die Verehrung eines Menschen nichts Neues in der Antike. Jeder Mensch (und auch jede Institution) hat einen Daimon (griechisch) oder einen Genius (römisch), eine Art göttlichen Funken. Dieser ist - im Gegensatz zu Fleisch und Knochen des Menschen - verehrbar. Darauf beruht beispielsweise der Kaiserkult in dem offiziel nicht dem Kaiser, sondern dessen Genius gehuldigt wurde. Damit will ich nicht sagen, dass ein Genius der Märtyrer verehrt wurde, aber es gab ein Vorbild für die Anbetung von Menschen, welches von den Christen umgedeutet wurde.
    Den Heiligen wurden auch verschiedene Aufgabengebiete zugewiesen, ähnlich wie sie die antiken Götter hatten, was kein Zufall war. Die Transformation von dem einen in das andere ist zwar sicher nicht gradlinig und einfach gewesen, aber der christliche Glaube baute selbstverständlich auf dem auf, was die Leute kannten und schon praktizierten. Anders wäre er niemals massentauglich geworden. So finden sich auch andere Elemente, wie beispielsweise die Prozessionen, schon bei den Griechen und Römern. Die nächste Parallele zur Wandlung, dem Herzstück jeder christlichen Messe, sind die antiken Opferzeremonien.
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  3. #183
    Zurück im Norden
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    Die Götterverehrung der Antike ist vielleicht nicht unbedingt "ganz problematisch", aber ein weites Feld, da stimme ich dir zu. Da es um mögliche Vorbilder für christliche Heiligenverehrung ging, dürfte aber die griechische Götterwelt des 8. Jh. v. Chr. von geringerem Belang sein. Dazuhin war das Thema meines Beitrages nicht, auf welche Weise der christliche Glaube sich ganz allgemein in der griechisch-römischen Welt durchsetzte, sondern woher der Gedanke der Heiligenverehrung stammte. Nun sind die frühesten Zeugnisse dieser Verehrung recht deutlich mit dem Martyrium der betreffenden Personen verknüpft. Insofern liegt es nahe, hier eine Verbindung zu ziehen.

    Dazu kommt dann, dass das Blutzeugnis auch die entscheidende Rolle bei der Verehrung spielte: Der Gedenktag war üblicherweise der Tag des Martyriums (also der Tag, an dem der Heilige ganz mit Christi Tod und Auferstehung verbunden wurde), die ältesten Predigten, die uns bekannt sind, rufen zur Nachahmung dieser Glaubenstreue auf und die liturgische Gestaltung bezog sich klar auf die österliche Gottesdienstgestaltung. Mit der antiken Götterwelt hat das nur wenig zu tun. Auch der Kaiserkult oder die Verehrung anderer lebender Menschen ist hier kein guter Vergleichspunkt, denn der genius eines Menschen war ja der eines Lebenden, und gerade hier verweigerten sich die Christen der Verehrung, die ihnen sogar vieles erleichtert hätte. Die von dir vermutete "Umdeutung" ist also wenig wahrscheinlich.

    Wenn du nach Vorbildern suchst, wirst du im jüdischen Glauben viel eher fündig werden: Seit der Makkabäerzeit wurden hier bereits Blutzeugen (und Propheten der alten Zeit) verehrt und es wurde an sie als Vorbilder des Glaubenstreue erinnert. Da der christliche Glaube aus dem Judentum hervorging und die Situation eine sehr ähnliche gewesen ist, dürfte hier viel eher eine Verbindung bestehen. Man kann das auch sehr gut an einem der jüngsten Bücher der heutigen Bibel (der Johannesoffenbarung) sehen, im welchem das Martyrium eine sehr bedeutsame Rolle spielt: Nahezu alle Sprachbilder sind dem jüdischen Bereich entnommen und viele Gedanken in diesem Zusammenhang sind sogar wörtliche Zitate. Mit heidnischen Göttern, Nymphen und Heroen hat das Ganze dagegen nur wenig zu tun.

  4. #184
    Ignoriert Mauern Avatar von Argonir
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    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Die Götterverehrung der Antike ist vielleicht nicht unbedingt "ganz problematisch", aber ein weites Feld, da stimme ich dir zu. Da es um mögliche Vorbilder für christliche Heiligenverehrung ging, dürfte aber die griechische Götterwelt des 8. Jh. v. Chr. von geringerem Belang sein.
    Ich halte sie für eines der schwierigsten Bereiche der Altertumswissenschaften, da uns die Quellen fehlen, um da gut heranzukommen. Wir haben die philosophischen Abhandlungen darüber, wissen über Staatskulte und haben die materiellen Hinterlassenschaften, die meist von der Elite oder dem Staat iniziiert waren. Uns fehlt aber fast das ganze Performative, von dem es kaum Beschreibungen gibt und das Bildmaterial nicht sehr Aussagekräftig ist. Im Kult ist jedoch das Performative das Entscheidende. Was die Glaubensvorstellungen der "einfachen" Leute betrifft, ist es noch schwieriger. Da haben wir für den griechischen Bereich nur die Anthologia Graeca und aus der hellenistischen Literatur die Beschreibung des Besuches von einfachen Leuten in einem Heiligtum. Dazu sind auch die antiken Vorstellungen einem Wandel unterworfen - wir reden hier von über 1000 Jahren - und können von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Das betrifft zwar auch viele andere Bereiche, aber gerade im Kult, der eine sehr individuelle Sache und stark performativ geprägt ist, verschärft das die Sache. Daher halte ich verkürzende Aussagen zur Religionsausübung und die verallgemeinernde Begriffe "antike Religion" oder "antike Götter" für problematisch. Mit dem 8. Jh. v. Chr. habe ich natürlich die weiteste mögliche Zeitspanne aufgemacht für die der Begriff der "antiken Religion" noch einwandfrei zutrifft. Früher kommt man dann mit der mykenischen Götterwelt in Berührung, die zwar auch eine griechische war, wie wir heute wissen, die ich dennoch nicht ohne Vorbehalte dazuzählen würde.

    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Dazuhin war das Thema meines Beitrages nicht, auf welche Weise der christliche Glaube sich ganz allgemein in der griechisch-römischen Welt durchsetzte, sondern woher der Gedanke der Heiligenverehrung stammte. Nun sind die frühesten Zeugnisse dieser Verehrung recht deutlich mit dem Martyrium der betreffenden Personen verknüpft. Insofern liegt es nahe, hier eine Verbindung zu ziehen.
    Da würde ich auch nicht wiedersprechen. Ich behaupte nur, dass das vielleicht der wichtigste, aber nicht der einzigste Grund gewesen ist.

    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Dazu kommt dann, dass das Blutzeugnis auch die entscheidende Rolle bei der Verehrung spielte: Der Gedenktag war üblicherweise der Tag des Martyriums (also der Tag, an dem der Heilige ganz mit Christi Tod und Auferstehung verbunden wurde), die ältesten Predigten, die uns bekannt sind, rufen zur Nachahmung dieser Glaubenstreue auf und die liturgische Gestaltung bezog sich klar auf die österliche Gottesdienstgestaltung. Mit der antiken Götterwelt hat das nur wenig zu tun. Auch der Kaiserkult oder die Verehrung anderer lebender Menschen ist hier kein guter Vergleichspunkt, denn der genius eines Menschen war ja der eines Lebenden, und gerade hier verweigerten sich die Christen der Verehrung, die ihnen sogar vieles erleichtert hätte. Die von dir vermutete "Umdeutung" ist also wenig wahrscheinlich.
    Der Genius lebte ja nach dem Tod des Menschen fort und war (eine) Grundlage für den Totenkult. Verehrung der Vorfahren war etwas ganz Zentrales in der Antike.
    "Umdeutung" war vielleicht das falsche Wort. Ehren für große Taten und Verehren sind verschiedene Dinge. Zuerst war das Ehren und das Erinnern da ohne Frage, davon zeugen die Märtyrerberichte, die das Leben des Heiligen als Vorbild preisen. Allerdings gesellte sich bald auch die Verehrung der Heiligen dazu, die auf einmal Zuständigkeiten zugesprochen bekamen, die nur punktuell etwas mit ihrem Leben zu tun hatten. Auf diese Ausformungen hatte meiner Meinung nach die gelebte heidnische Kultpraxis durchaus Einfluss. Insbesondere weil es einem frisch zum Christentum bekehrten an den Polytheismus gewöhnten leichter zu vermitteln war, dass er sich für Gesundheit nicht mehr an bspw. Salus sondern an heiligen XYZ wenden kann, als an den einen Gott, der für alles zuständig ist. Mit diesem total unwissenschaftlichen Beispiel will ich nicht sagen, dass bewusst Anküpfungspunkte geschaffen wurden. Eher war es umgekehrt, die Leute hielten auch als Christen an ihrer bewehrten Kultpraxis fest und nahmen so Elemente auf, die ursprünglich nicht dazu gehörten. Diese boten wieder Anknüpfungspunkte für neue Interessenten. Eine gewisse interpretatio pagani, die auch auf die Heiligenverehrung Einfluss haben musste.

    Zitat Zitat von Jon Snow Beitrag anzeigen
    Wenn du nach Vorbildern suchst, wirst du im jüdischen Glauben viel eher fündig werden: Seit der Makkabäerzeit wurden hier bereits Blutzeugen (und Propheten der alten Zeit) verehrt und es wurde an sie als Vorbilder des Glaubenstreue erinnert. Da der christliche Glaube aus dem Judentum hervorging und die Situation eine sehr ähnliche gewesen ist, dürfte hier viel eher eine Verbindung bestehen. Man kann das auch sehr gut an einem der jüngsten Bücher der heutigen Bibel (der Johannesoffenbarung) sehen, im welchem das Martyrium eine sehr bedeutsame Rolle spielt: Nahezu alle Sprachbilder sind dem jüdischen Bereich entnommen und viele Gedanken in diesem Zusammenhang sind sogar wörtliche Zitate. Mit heidnischen Göttern, Nymphen und Heroen hat das Ganze dagegen nur wenig zu tun.
    In seiner ersten Ausprägung war das Christentum stark durch die jüdische Religion geprägt. Dies wurde aber mit der Zeit immer weiter verwässert. Mit der Bibel zu argumentieren ist schwierig, da es dabei viel auf den Hintergrund des jeweiligen Autoren ankommt. War er vorher Jude, ist eine jüdische Sicht auf das Christentum zu erwarten, die der ehemals heidnische Händler aus Nordafrica nicht umbedingt teilte. Von einem normativen Einfluss der Bibel können wir auch nicht ausgehen, da zunächst viele verschiedene Schriften zirkulierten. Erst später wurde die heute kanonische Form aus vier Evangelien, Apostelgeschichte und Briefe festgezurrt.
    Kurz gesagt, natürlich finden sich auch jüdische Vorstellungen im frühen Christentum, aber nicht nur. Gerade für die Kultpraxis schwand der jüdische Einfluss, je mehr Pagane Christen wurden.
    Bitte weitergehen, es gibt hier nichts mehr zu lesen!

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  5. #185
    Zurück im Norden
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    Zitat Zitat von Argonir Beitrag anzeigen
    Ich halte sie für eines der schwierigsten Bereiche der Altertumswissenschaften, da uns die Quellen fehlen, um da gut heranzukommen. Wir haben die philosophischen Abhandlungen darüber, wissen über Staatskulte und haben die materiellen Hinterlassenschaften, die meist von der Elite oder dem Staat iniziiert waren. Uns fehlt aber fast das ganze Performative, von dem es kaum Beschreibungen gibt und das Bildmaterial nicht sehr Aussagekräftig ist. Im Kult ist jedoch das Performative das Entscheidende. Was die Glaubensvorstellungen der "einfachen" Leute betrifft, ist es noch schwieriger. Da haben wir für den griechischen Bereich nur die Anthologia Graeca und aus der hellenistischen Literatur die Beschreibung des Besuches von einfachen Leuten in einem Heiligtum. Dazu sind auch die antiken Vorstellungen einem Wandel unterworfen - wir reden hier von über 1000 Jahren - und können von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Das betrifft zwar auch viele andere Bereiche, aber gerade im Kult, der eine sehr individuelle Sache und stark performativ geprägt ist, verschärft das die Sache. Daher halte ich verkürzende Aussagen zur Religionsausübung und die verallgemeinernde Begriffe "antike Religion" oder "antike Götter" für problematisch. Mit dem 8. Jh. v. Chr. habe ich natürlich die weiteste mögliche Zeitspanne aufgemacht für die der Begriff der "antiken Religion" noch einwandfrei zutrifft. Früher kommt man dann mit der mykenischen Götterwelt in Berührung, die zwar auch eine griechische war, wie wir heute wissen, die ich dennoch nicht ohne Vorbehalte dazuzählen würde.
    Volle Zustimmung.


    Zitat Zitat von Argonir Beitrag anzeigen
    Der Genius lebte ja nach dem Tod des Menschen fort und war (eine) Grundlage für den Totenkult. Verehrung der Vorfahren war etwas ganz Zentrales in der Antike.
    "Umdeutung" war vielleicht das falsche Wort. Ehren für große Taten und Verehren sind verschiedene Dinge. Zuerst war das Ehren und das Erinnern da ohne Frage, davon zeugen die Märtyrerberichte, die das Leben des Heiligen als Vorbild preisen. Allerdings gesellte sich bald auch die Verehrung der Heiligen dazu, die auf einmal Zuständigkeiten zugesprochen bekamen, die nur punktuell etwas mit ihrem Leben zu tun hatten. Auf diese Ausformungen hatte meiner Meinung nach die gelebte heidnische Kultpraxis durchaus Einfluss. Insbesondere weil es einem frisch zum Christentum bekehrten an den Polytheismus gewöhnten leichter zu vermitteln war, dass er sich für Gesundheit nicht mehr an bspw. Salus sondern an heiligen XYZ wenden kann, als an den einen Gott, der für alles zuständig ist. Mit diesem total unwissenschaftlichen Beispiel will ich nicht sagen, dass bewusst Anküpfungspunkte geschaffen wurden. Eher war es umgekehrt, die Leute hielten auch als Christen an ihrer bewehrten Kultpraxis fest und nahmen so Elemente auf, die ursprünglich nicht dazu gehörten. Diese boten wieder Anknüpfungspunkte für neue Interessenten. Eine gewisse interpretatio pagani, die auch auf die Heiligenverehrung Einfluss haben musste.


    In seiner ersten Ausprägung war das Christentum stark durch die jüdische Religion geprägt. Dies wurde aber mit der Zeit immer weiter verwässert. Mit der Bibel zu argumentieren ist schwierig, da es dabei viel auf den Hintergrund des jeweiligen Autoren ankommt. War er vorher Jude, ist eine jüdische Sicht auf das Christentum zu erwarten, die der ehemals heidnische Händler aus Nordafrica nicht umbedingt teilte. Von einem normativen Einfluss der Bibel können wir auch nicht ausgehen, da zunächst viele verschiedene Schriften zirkulierten. Erst später wurde die heute kanonische Form aus vier Evangelien, Apostelgeschichte und Briefe festgezurrt.
    Kurz gesagt, natürlich finden sich auch jüdische Vorstellungen im frühen Christentum, aber nicht nur. Gerade für die Kultpraxis schwand der jüdische Einfluss, je mehr Pagane Christen wurden.
    Das ist sicher richtig. Allerdings muss man auch sagen, dass die Märtyrerverehrung bereits im 1. Jh. einsetzte, als der jüdische Einfluss noch äußerst präsent gewesen ist. Aus dieser Zeit stammen auch einige biblische Bücher, wobei du natürlich zu Recht angemerkt hast, dass diese nur für die entsprechenden Gemeinden als Quellen dienen können. Für die spätere Ausformung der Heiligenfrömmigkeit wird zweifellos auch paganer Einfluss eine Rolle gespielt haben, selbst wenn wir diesen - wie du ja schon erläutert hast - gerade für das einfache Volk nur schwer greifen können. Die Christianisierung war ja ein äußerst langwieriger Prozess und es gibt sogar Historiker, die selbst für das frühe Mittelalter noch von einer weitgehend nichtchristlichen Landbevölkerung ausgehen, auch wenn diese These nur wenig Anklang gefunden hat. Es gibt aber aus Oberitalien noch im späten 5. Jh. Berichte über ermordete Missionare, man wird also damit rechnen dürfen, dass dort noch eine kraftvolle nichtchristliche Bevölkerungsgruppe bestand.

    Edit: Eine gewisse Rolle für die Bedeutung des jüdischen Denkens im frühen Christentum auch über die Judenchristen hinaus dürften auch die "Gottesfürchtigen" gespielt haben, die ja bereits stark vom biblischen Denken und Glauben geprägt worden waren, bevor sie Christen wurden.
    Geändert von Jon Snow (14. Dezember 2016 um 14:49 Uhr)

  6. #186
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    Kannst du eigentlich einen Aufsatz oder eine kurze Monographie zum römischen Totenkult empfehlen? Du kennst dich dort ja offenbar sehr gut aus, und ich glaube, ich habe da keine ganz zutreffenden Vorstellungen. Es war mir beispielsweise nicht klar, dass der genius eine gewisse Unsterblichkeit besaß.

  7. #187
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    Die ermordeten Missionare im 5. Jh. wundern mich nicht. Schließlich haben gab es erst in den letzten Jahren des 4. Jh. das Religionsedikt des Kaisers Theodosius, der es kaum veranlasst hätte, wenn sich überall das Christentum durchgesetzt hatte. Auch der Streit um die Victoria in der Curia zeugt davon, dass es gegen Ende des 4. Jh. noch viele Pagane auch in hohen Positionen gab.

    Zum römischen Totenkult kann ich leider nichts empfehlen, dazu habe ich nie gearbeitet. Mein Wissen stammt großteils aus dem was man so aufschnappt
    Nur zu attischen Grabmälern/Totenkult wüsste ich was Aktuelles.
    Das mit dem Genius ist relativ einfach, da kann man auch selbst drauf kommen: Genius = Göttlich = Unsterblich = Verehrbar. In wie weit die Theorie tatsächlich die Praxis berührte ist natürlich fraglich, aber das ist es auch beim Kaiserkult und bei der katholischen Marienverehrung. Beim Totenkult kommt hinzu, dass dieser wahrscheinlich älter war, als das ausgereifte Konzept eines Genius. Aber dafür fehlen natürlich jegliche Quellen
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  8. #188
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    Dann bist du sogar Althistoriker? Jedenfalls darfst du mir gern zu den attischen Grabmälern einen Tipp geben, ich bin für solche Vorschläge immer dankbar.

  9. #189
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    Klassische Archäologin hier, wenn du dich von der Seite der Kunsthistoriker dem römischen Totenkult und -verständnis nähern möchtest, kann ich dir "B. Ewald – P. Zanker, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, (München 2004)" empfehlen. Sarkophage sind auch interessante Quellen um die Übernahme von paganen Motiven in die christliche Kunst zu erforschen, da das Christentum in der frühen Zeit viel aus der heidnischen Ikonographie übernommen hat. Und Zanker nimmt vor allem die Motive auf kaiserzeitlich römischen Sarkophagen auseinander, was zu vielen spannenden Interpretationen darüber führt, wie in der Antike getrauert wurde.

    Zu attischen Grabmälern musst du unbedingt die Dikussion Himmelmann (Attische Grabreliefs) - Bergemann (Demos und Thanatos) lesen, das ist sehr spanned, wenn auch ein blutiges Schlachtfeld.
    Sei fit - schrei mit!

  10. #190
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    Wo ich die Empfehlungen so sehe. Wäre es nicht irgendwie praktisch nen Thread für "gute" Bücher im Bereich Geschichte zu haben? Mit Unterteilung in die verschiedenen Bereiche, etc.

  11. #191
    Ignoriert Mauern Avatar von Argonir
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    Zitat Zitat von CuteChuck94 Beitrag anzeigen
    Klassische Archäologin hier, wenn du dich von der Seite der Kunsthistoriker dem römischen Totenkult und -verständnis nähern möchtest, kann ich dir "B. Ewald – P. Zanker, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, (München 2004)" empfehlen. Sarkophage sind auch interessante Quellen um die Übernahme von paganen Motiven in die christliche Kunst zu erforschen, da das Christentum in der frühen Zeit viel aus der heidnischen Ikonographie übernommen hat. Und Zanker nimmt vor allem die Motive auf kaiserzeitlich römischen Sarkophagen auseinander, was zu vielen spannenden Interpretationen darüber führt, wie in der Antike getrauert wurde.

    Zu attischen Grabmälern musst du unbedingt die Dikussion Himmelmann (Attische Grabreliefs) - Bergemann (Demos und Thanatos) lesen, das ist sehr spanned, wenn auch ein blutiges Schlachtfeld.
    Ich weiß nicht ob ich den Ewald - Zanker uneingeschränkt empfehlen kann. So sehr ich Herrn Zanker auch schätze, aber er tendiert zu monokausale Erklärungen und blendet dabei gerne mal Unliebsames aus. Dazu ist das Buch schon sehr speziell auf die Bilderwelt der Mythensarkophage zugeschnitten, was für einen Erstzugriff auf das Thema vielleicht nicht optimal ist.

    Auch die Diskussion Himmelmann und Bergemann ist jetzt für einen Einstieg in die attische Grabkultur vielleicht ein bisschen zu heftig. Stattdessen würde ich das neue Buch von Elena Walter-Karydi "Die Athener und ihre Gräber" empfehlen. Das ist nicht nur das Neueste zu dem Thema, sondern auch sehr fundiert.
    Ändert allerdings nichts daran, dass auch das archäologische Fachliteratur ist - wenn auch gut geschrieben -, die leider ihren Preis hat. Allerdings ist Frau Karydi eine nette Frau, der jedes verkaufte Buch zu gönnen ist

    Ansonsten bin auch ich Klassischer Archäologe, habe allerdings Alte Geschichte gleichwertig daneben studiert.
    Bitte weitergehen, es gibt hier nichts mehr zu lesen!

    Immortals sterben nicht

  12. #192
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    Zitat Zitat von CuteChuck94 Beitrag anzeigen
    Klassische Archäologin hier, wenn du dich von der Seite der Kunsthistoriker dem römischen Totenkult und -verständnis nähern möchtest, kann ich dir "B. Ewald – P. Zanker, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, (München 2004)" empfehlen. Sarkophage sind auch interessante Quellen um die Übernahme von paganen Motiven in die christliche Kunst zu erforschen, da das Christentum in der frühen Zeit viel aus der heidnischen Ikonographie übernommen hat. Und Zanker nimmt vor allem die Motive auf kaiserzeitlich römischen Sarkophagen auseinander, was zu vielen spannenden Interpretationen darüber führt, wie in der Antike getrauert wurde.

    Zu attischen Grabmälern musst du unbedingt die Dikussion Himmelmann (Attische Grabreliefs) - Bergemann (Demos und Thanatos) lesen, das ist sehr spanned, wenn auch ein blutiges Schlachtfeld.
    Zitat Zitat von Argonir Beitrag anzeigen
    Ich weiß nicht ob ich den Ewald - Zanker uneingeschränkt empfehlen kann. So sehr ich Herrn Zanker auch schätze, aber er tendiert zu monokausale Erklärungen und blendet dabei gerne mal Unliebsames aus. Dazu ist das Buch schon sehr speziell auf die Bilderwelt der Mythensarkophage zugeschnitten, was für einen Erstzugriff auf das Thema vielleicht nicht optimal ist.

    Auch die Diskussion Himmelmann und Bergemann ist jetzt für einen Einstieg in die attische Grabkultur vielleicht ein bisschen zu heftig. Stattdessen würde ich das neue Buch von Elena Walter-Karydi "Die Athener und ihre Gräber" empfehlen. Das ist nicht nur das Neueste zu dem Thema, sondern auch sehr fundiert.
    Ändert allerdings nichts daran, dass auch das archäologische Fachliteratur ist - wenn auch gut geschrieben -, die leider ihren Preis hat. Allerdings ist Frau Karydi eine nette Frau, der jedes verkaufte Buch zu gönnen ist

    Ansonsten bin auch ich Klassischer Archäologe, habe allerdings Alte Geschichte gleichwertig daneben studiert.

  13. #193
    ❦ Ser Tira Tyrell ❦
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    Kommt es nur mir so vor oder hatte die Welt vor dem Ende der 60er Jahren deutlich mehr Klasse? Kann es sein, dass sich die Menschheit gehen ließ, weil sie seit der Kubakrise unterbewusst die nukleare Apokalypse fürchtete? War die Entstehung des Hippietums nur ein Fanal der antibürgerlichen und geschmacklosen Casual-Bewegung, die immer noch unsere Zeit prägt?

    Kann sein, dass meine Fragen etwas bescheuert sind, aber es interessiert mich.
    Tritt dem REICH bei und werde Teil von etwas Großem!


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  14. #194
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    Es ist jedenfalls eine gute Möglichkeit, einmal zu klären, was historische Fragestellungen eigentlich sind. Die Diskussion zwischen Argonir, mir und einigen anderen Nutzern war beispielsweise eine rein historische. Das Thema hatte zwar einen religiösen Schwerpunkt, aber es ging um dessen geschichtliche Entstehung und nicht um den Wahrheitsanspruch einer religiösen Weltdeutung.

    Deine Frage hat zwei Aspekte: Das eine ist die historische Frage, ob das "Hippietum" mit der Kubakrise zusammenhängt. Wenn man das etwas verallgemeinert, wird man dem zustimmen können: Der Kalte Krieg, die Bedrohung der Menschheit durch die atomare Bewaffnung und das teils sehr fragwürdige Verhalten westlicher Regierungen in einigen Stellvertreterkriegen (und im Umgang mit Rechtextremisten) hat sicher dazu beigetragen, dass die Kritik vieler junger Menschen eine so breite Basis gewann.

    Das andere ist eine ideologische Frage: Du bist der Überzeugung, dass eine "geschmacklose" Bewegung seit den 60ern unsere Zeit prägt. Diese Meinung ist natürlich völlig legitim, aber sie lässt sich nicht historisch prüfen, weil sie nicht auf historischen Fakten, sondern auf deiner persönlichen Weltdeutung beruht. Was geschmacklos ist und was nicht, ist nicht sinnvoll allgemeingültig zu definieren und kann deshalb auch nicht Gegenstand einer historischen Fragestellung sein.
    Geändert von Jon Snow (16. Dezember 2016 um 09:34 Uhr)

  15. #195
    Altes Mann Avatar von goethe
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    Ich würde das Hippietum eher mit dem Vietnamkrieg verbinden als mit Kuba. Auch wenn alles mit allem zusammenhängt.

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