So sprach Ortwain vom Clan des Windes "Höret Ihr Kinder der Skye, in allen Dingen kann sich bisweilen eine Seele verbergen. Seht die Berge, wie sie mal sanft und mal wütend sind, wenn sie uns segnen mit fruchtbarem Grün und Schutz oder wenn sie uns zürnen mit Steinschlag und Erdrutschen. So auch der Fluss, die Tümpel, die Quellen, die alle geehrt und geachtet werden sollen, damit jener, der durstig ist, klares Wasser findet, Fisch im Überfluss oder gar Wärme im Winter. Missachtet die Geister unserer Umwelt, so mögen die Quellen versiegen, die Fische im Wasser verenden oder aus der einst warmen Quelle ungesunde Schwaden aufsteigen."
Da lauschten die Skye andächtig und erinnerten sich an das manchmal launige Wesen ihrer Umwelt. Sie hatten es gelernt: Wer nicht auf das Wild achtet, die Zeichen nicht schätzt und nicht dem getöteten Wesen einen Gedanken des Dankes widmet, der mochte bald kein Wild mehr fangen.
Da fuhr Ortwain fort und verkündete: "Doch nicht nur dem Großen wohnt eine Seele bei, dem Geist des Sommers und dem des Winters, dem Krieg oder der Jagd, sondern auch dem Kleinen. Wo ein Clanbruder im Kampfe starb, wo seine Söhne und Töchter, seine Brüder am Wegesrand Blumen niederlegen oder eine Opfergabe, um seinem Leben zu gedenken, da kann sich ein Geist ansiedeln und eine heilige Stelle entstehen. Je mehr dort gedacht und geehrt wird, umso stärker kann sich dort eine Seele verankern."
Und als die Skye fragten, wer dies alles so eingerichtet hat, da deutete Ortwain in den dunkler werdenden Himmel. "Hört nur! Höret hin!" Und in der Dunkelheit erklang die Stimme der Nacht, ein Heulen, ein lange Laut, der den Skye durch Mark und Bein fuhr. "Sie gibt Euch selbst die Antwort. Lupa,die Urmutter, die Wölfin der Nacht. Sie erschuf die Welt durch ihren Willen und durch ihre Prüfung. Wie ihre Nachfahren die Wölfe, so prüft Lupa uns alle und alle Geister, die da kamen. Waren wir gut oder waren wir schlecht? Konnten wir ihren Respekt erringen, durften wir Teil ihres Rudels sein - waren wir nicht würdig, so vertrieb sie uns aus ihrem Bau. Einigen großen Geistern sprach Lupa zu, für immer Teil der Welt zu sein und sich in Bergen und Flüssen zu binden oder zu Sommer und Winter zu werden. Den kleineren Geistern wies sie menschliche Hüllen zu und die Hüllen von Tieren. Edle und Tapfere Seelen wurden zu ihren Wölfen, zu majestätischen Vögeln, zu wilden Gämsen oder Bären. Niedere Seelen erwachten als Würmer oder Fliegen. Und ständig prüfte und wog sie ab, wie diese Seelen sich zum Geist der Welt verhielten. Waren Sie gut, mochte aus dem Wurm in einem anderen Leben ein Hirsch werden. Waren sie schlecht, so konnte aus dem starken aber hartherzigen Mann im nächsten Leben ein kränklicher Junge werden, der in Armut und Gefangenschaft geboren wurde, um ihn zu prüfen für seinen schlechten Taten. Unser aller Leben ist eine Prüfung. Wie wir geprüft werden hängt davon ab, wie wir einst gelebt haben. Zollten wir Lupa und den großen und kleinen Geistern dieser Welt unseren Respekt, so leben wir heute frei und ungebeugt unter der Sonne. Waren wir schlecht, so prüft uns die Urmutter mit der Wiedergeburt in Ketten, um für unsere Schuld zu sühnen. So mag der Niedrigste und Ärmste unter uns nicht verzagen! Führe Dein Leben, wie es Dir gegeben wurde! Akzeptiere Deine Prüfung und Du wirst im nächsten Leben einen umso besseren Platz einnehmen. Verfehle Deine Prüfung und Du wirst ein noch schlechteres Los erleiden!"
Während die Skye sich selbst und die Umstehenden betrachteten, die Freien und die Unfreien, da erkannten sie die Wahrheit darin. Ihr Leben war eine Prüfung. Sie war manchmal hart und unnachgiebig. Die Freien lebten den Lohn ihres Vorlebens und die Unfreien die Sühne ihrer Schuld. Nur mit Hingabe an dieses Leben konnten sie ihre Prüfung bestehen und vielleicht noch mehr werden, als ein freier Mensch.
"Welche Seelen sollen es wohl sein, die sich an mythischen Orten niederlassen dürfen? Nur die, welche im Leben wahrhaft Großes vollbrachten. Der Gefallene, welcher sein Leben für seine Clanbrüder opferte, nahm die Prüfung an. Natürlich wird ihm Lupa die Gunst erweisen, ihn an einen Ort zu binden, an dem er sein Leben in Ehre gelebt hat. So wird er zum Geist eines Ortes, eines Platzes, einer Stelle dieser Welt und wir können ihn spüren und ehren für sein Tun."
Ob Lupa diese Prüfung alleine vollzog, fragten die Skye und Ortwain antwortete: "Sie ist die Mutter, die Wölfin, die Große. Sie entscheidet allein, doch ist niemals einsam. Ihr Rudel sind alle Geister und Seelen dieser Welt und so stehen ihr auch ihre Töchter zur Seite - die Jagd und der Krieg. Beide Seiten des Lebens der Wölfin - Ernährung des Rudel und Verteidigung des Rudels. Beide Seiten des Lebens der Skye.
Ihnen folgen die Kinder der Jagd, Viehzucht und Handwerk und die Kinder des Krieges, Tod und Sieg. Sie stammen von den Vätern der Natur, von Sommer und Winter. So zeugten Jagd und Sommer die Viehzucht und Sommer und Krieg den Sieg. So zeugten Winter und Jagd das Handwerk und Winter und Krieg den Tod - all die Gestirne, die das Leben der Skye begleiten."
Als die Skye umher zogen und auf andere Stämme trafen, hörten sie von anderen Göttern und anderen Lehren, doch Ortwain verneinte dies: "Denkt an die Vielfalt unserer Welt, die Vielfalt in der sich der Sommer und der Winter, die Jagd und der Krieg präsentieren. Wir verehren die Jagd in den Wäldern und auf den Ebenen, wo wir dem Wild nachstellen. Doch wo es keine Wälder gibt, sondern nur Flüsse und Seen, da fangen die Menschen Fische. Dies ist ihre Art der Jagd und so werden sie die Jagd auf ihre Weise ehren. Unabhängig davon ehren sie doch die Jagd. So bedenkt daran, dass es der Geist ist, der verehrt wird und dies so vielfältig sein kann, wie das Leben, so vielfältig wie der Sommer ist, so abwechslungsreich der Winter ist. So gehet hinaus und verkündet diese Worte, auf das jeder seine Prüfung besteht!"