Captain Skye Alexander
Magellan/Deck 12/Zentrale
Mit einem völlig unzeremoniellen Daumendruck an der entsprechenden Stelle auf dem ihr hingehaltenen Pad ging die IPX Magellan in Skye Alexanders Obhut über. Ein Jahr und zwei Monate hatten die Ingenieure und Techniker von Deep Space Engineering in der Stickney Ship Yard auf Phobos an dem neusten Erkundungsschiff in der Flotte von Interplanetary Expeditions gebaut. Und heute, am 2. Februar des Jahres 2190, wurde sie endlich in Betrieb genommen.
Ihr erstes eigenständiges Kommando. Sie genoss den Stolz, der mit diesem Gedanken mitschwang, für ein, zwei stille Sekunden.
Sicher, sie hatte vor 5 Jahren bereits das Kommando über die EUN Schrödinger, eine Korvette der Erdflotte, innegehabt. Aber die Schrödinger war Teil eines Flottenverbandes gewesen. Die Magellan war etwas völlig anderes. Die Magellan entsprach ihrer Größe einem Schlachtschiff, auch wenn sie natürlich als ziviles Schiff unbewaffnet war.
Aber noch wichtiger: Die Magellan war ein Warp-Schiff! Die Magellan war dazu bestimmt, fern von jeder menschlichen Zivilisation zu operieren.
Und Skye Alexander war ihr Kapitän.
"Passen Sie gut auf mein Schätzchen auf, Captain Alexander", sagte der Chefingenieur von DSE. "Sie ist etwas besonderes."
"Allerdings, das ist sie", erwiderte Skye. "Und ich bin mir sicher, Sie und ihre Leute haben hervorragende Arbeit geleistet, Herr Thorne."
"Das will ich hoffen. Wenn nicht, schick ich meine Männer in Reaktormasse baden", meinte Thorne. "Gute Reise, Captain." Er reichte ihr die Hand.
Skye ergriff sie und nickte zum Abschied.
Als Thorne mit klickenden Magnetstiefeln die Zentrale verließ sah sie ihm kurz nach. Er war ein Spacer wie sie, doch noch einen guten Kopf größer und deutlich muskulöser.
Ein gutaussehender Mann, bemerkte sie in Gedanken. Dann schüttelte sie kurz den Kopf. Reiß dich zusammen, Alexander.
Sie ließ ihre Blicke durch die Zentrale schweifen. Ein Großteil des technischen Personals war bereits auf dem Schiff, hatte bei der Fertigstellung geholfen und sich in die Systeme eingearbeitet. Doch die meisten Mitarbeiter der anderen Abteilungen fehlten noch.
Auch ihre Kommunikationstechnikerin verrichtete bereits ihren Dienst. Dieser bestand im Moment vor allem daraus, den Überblick über das Beladen der Frachträume und die restlichen Handgriffe zu behalten, die derzeit noch auf dem Schiff erledigt wurden, und alles Wichtige an Skye weiterzugeben.
"Wissen wir schon, wann die restliche Besatzung eintrifft?", fragte Skye mit einem Blick auf die Wanduhr. Genau null-achthundert Standardzeit zeigte sie an.
"Das Shuttle ist im Landeanflug an die Werft und sollte in zwo Minuten andocken, Ma'am", antwortete die Technikerin. Ein kleines blinkendes Symbol auf ihrem Bildschirm forderte ihre Aufmerksamkeit. "Und es sieht so aus, als gäbe es noch einen Neuzugang, Captain."
Skye ließ sich die Nachricht an den Bildschirm ihres Sitzes senden, klackte kurz mit den Hacken zusammen, um die Magnetstiefel auszuschalten, und schwebte zu diesem herüber. Als sie die Meldung las, kam sie ins Stutzen.
Ein Sicherheitschef auf die letzte Minute? Sie ging das Dossier von Herrn Giovanni Morreli drei mal durch. Irgendwas gefiel ihr daran nicht. Aber sie konnte nicht genau sagen, was.
Wenn man es genau nahm, gefiel ihr einiges an ihrem ersten Kommando nicht. IPX hatte es viel zu eilig, die Magellan auf den Weg zu bringen. Die letzten Test waren gerade erst abgeschlossen und schon in zwei Tagen sollte das Schiff zu seinem Jungfernflug aufbrechen. Kaum Zeit um die Mannschaft in Form zu bringen oder selbst alle Systeme noch einmal zu überprüfen.
Noch dazu war die Besatzung nicht einmal auf halber Stärke und einige Lebensläufe in ihrer Mannschaft lasen sich geradezu abenteuerlich. Skye hatte nicht einmal selbst an den Vorstellungsgesprächen teilnehmen können. Stattdessen wurden ihr die Besatzungsmitglieder von höherer Stelle schlicht zugewiesen.
Nein. Captain Skye Alexander war mit den Umständen alles andere als zufrieden. Dennoch ließ sie sich ihr Kommando nicht vermiesen. Werft mir Steine in den Weg und ich baue Brücken draus.
Skye speicherte Giovannis Dossier im entsprechenden Ordner und stand auf.
"Ich bin in meinem Büro, falls mich jemand sprechen will", gab sie ihrer Kommunikationstechnikerin bescheid und schwebte zum Ausgang der Zentrale. "Verstanden, Ma'am", hörte sie hinter ihr noch kurz.
Das Büro des Captains war auf dem gleichen Deck, ganz in der Nähe. Auf dem Weg begegnete ihr niemand, was nicht verwunderlich war. Die meisten aktuellen Arbeiten fanden mehrere Decks über ihr statt.
In ihrem Büro angekommen brühte sie sich einen Kaffee und wandte sich dann ihrem Schreibtischterminal zu, in dessen elektronischen Eingeweiden noch Unmengen an Papierkram auf sie wartete.
Die Bürokratie wurde erfunden, um die Bedürfnisse der Bürokratie zu stillen, kam ihr ein altes Zitat in den Sinn. Wenn sie bloß wüsste, von wem...