Die morgentliche Ratssitzung war nicht gerade ihre erfreulichste gewesen. Wieder einmal stand der Konflikt mit diesen verfluchten Kommunisten auf Essos ganz oben auf der Tagesordnung. Es gab noch keine Reaktion auf den erneuten trojanischen Vorstoß zu Verhandlungen. Stattdessen wurde Ithyria wie auch das benachbarte Molina von einer Flüchtlingswelle heimgesucht. Ausgelöst durch die anti-religiöse Gesetzgebung im Nachbarland.
Und mich schimpfen sie Tyrannin. Ich lasse niemand wegen seines Glaubens einsperren oder hinrichten.
Antonius und Apollon-Priester Dolos vertraten ihr gegenüber offen die Idee einer militärischen Lösung.
Sie haben nicht so ganz unrecht. Sie konnte die Richtigkeit einiger ihrer Argumente nicht abstreiten. Die zwei Provinzen sind rechtmäßig trojanisches Hoheitsgebiet und die Unterdrückung der Bevölkerung war Wasser auf den Mühlen der Falken-Fraktion. Selbst ihr Gemahl äußerte sich zu Gunsten einer militärischen Intervention. Sie hingegen wollte einen weiteren Waffengang um jeden Preis vermeiden, denn die Bilder des Krieges gingen ihr immer noch nach. Die Schlacht am Schwarzen Tor; die Eroberung von Babylon; die Felder Massalias oder die Belagerung Mykenes hinterließen ihre Spuren bei Daenerys.
Ruhm und Ehre besingen sie in den Liedern, aber den Teil mit den schreienden Verwundeten, die in ihrem eigenen Blut ertrinken, lassen sie weg. Nein, sofern noch die Chance auf eine andere Lösung bestand wollte Dany sie nutzen. Der clevere Troilos hatte schließlich die Idee mittels einer Klage vor dem IGH den Druck auf die Hangmarei zu erhöhen und dadurch ohne Blutvergießen an Süd-Ithyrien zu kommen. Sie unterstützte seinen Vorschlag und so wurden die besten Juristen des Reiches damit beauftragt eine Klageschrift zu verfassen.
Daenerys schritt den Gang zu der großen mit Drachenschnitzereien versehenen Tür entlang, welche die Wachen sogleich für sie öffneten. Ein Herold verkündete ihre Ankunft im wie immer gut gefüllten Thronsaal und unterbrach alle Konversationen.
„Alle knien nieder vor ihrer kaiserlichen Majestät Daenerys aus dem Hause Targaryen, die Erste ihres Namens, genannt die Unverbrannte; Brecherin der Ketten und Mutter der Drachen;
von Gnaden aller Götter Kaiserin von Rom und Herrin beider Reiche, Königin von Troja, Rhodos und Mykene, Königin der Griechen, Latiner, Italer, Assyrer, Kelten und Babylonier und Beschützerin des Reiches!“ Seine kräftige Stimme hallte von den hohen Wänden des Saales wider, während vom adligen Höfling bis hin zum bäuerlichen Bittsteller alle seiner Aufforderung Folge leisteten. Trotz ihrer inneren Unruhe bewegte sie sich wie sonst auch anmutig und erhaben. Troilos, Haushofmeister Achaios, die kleine Medeia und Sidon mit drei weiteren Gardisten folgten ihr.
Der Thronsaal war verhältnismäßig groß und so dauerte es ein wenig bis sie sich auf ihrem Thron niederließ und den Knienden deutete sich zu erheben. Während Troilos und Achaios zu ihrer Rechten und Medeia zu ihrer Linken standen, nahmen Sidon und seine Männer ihre Position vor den Stufen unterhalb ihres Thrones ein. Kaum hatte sie sich hingesetzt rief ihr Haushofmeister auch schon die ersten Namen auf. Zwei adlige Großgrundbesitzern waren sich uneins über den genauen Grenzverlauf zwischen ihren Ländereien und ersuchten sie um einen Schiedsspruch. Der eine beschuldigte den anderen die Grenzsteine im vergangenen Winter zu seinen Gunsten verschoben zu haben. Der Beschuldigte bestritt natürlich die Tat. Dieser Fall war für sie verhältnismäßig leicht zu lösen.
„Ich weise meinen zuständigen Magistrat an die derzeitigen Grenzverläufe eurer Grundstücke mit den entsprechenden Landkarten zu vergleichen und ihren Verlauf gegebenenfalls daran anzugleichen.“ Mit einer Verbeugung verabschiedeten sich beide Männer von ihr. Sollte etwas an den Vorwürfen dran sein, so würde der vorherige Zustand einfach wieder hergestellt werden. Andernfalls bliebe alles beim alten.
Danach folgte eine recht angenehme Geschichte: Ein neapolitanischer Cafe-Betreiber trat vor und ersuchte die Kaiserin darum seine neueste Kreation zu probieren. Auf einem feinen silbernen Tablett präsentierte er etwas, das er Eisbecher nannte. Seinen Worten nach hat er den Becher extra für ihren erlesenen Gaumen zusammengestellt - Schokolade, Erdbeere und Pistazie. Verziert hatte er die Eiskugeln mit Krokant, Zimtrollen, einer dunklen Schokoladensoße und einer roten schmackhaften neapolitanischen Kirsche direkt auf der Erdbeerkugel. Gekrönt wurde das alles von einer Waffel in Form eines dreiköpfigen Drachens. Nachdem der kritische Sidon für sie vorkostete, reichte er ihr den Becher. Neugierig tauchte Dany ihren Löffel in die Schokoladenkugel und kostete davon. Der Geschmack hielt durchaus was der Gastronom versprach. Obwohl sie ihren Namen mehr als gerecht wurde – war diese Süßspeise doch ziemlich kalt – mochte Dany sie sehr und nahm gleich den nächsten Löffel in den Mund.
„Euer Hoheit, wie ich sehe seid ihr mit meiner bescheidenen Kreation zufrieden. Dürfte ich euch um die Ehre ersuchen euer künftiger Hoflieferant für Eiswaren zu werden?“
Natürlich, mit Gefälligkeiten verfolgen sie immer einen Zweck. Dennoch konnte sie schlecht ablehnen, schließlich mundete es ihr vorzüglich.
„Ihr habt euch selber übertreffen mit eurem Eis. Es schmeckt fantastisch und gerne geben wir eurem Ersuchen statt. Ihr erhaltet demnächst eine erste Bestellung von uns.“
Procopio, so hieß der findige Geschäftsmann, verbeugte sich tief vor ihr.
„Ich danke euch für eure Gunst, oh strahlende Kaiserin.“ Mit einem breiten Grinsen und einem fröhlichen Gesichtsausdruck trat er zur Seite. Zur Freude hatte er auch allen Grund, denn es war durchaus prestigeträchtig und damit auch eine ausgesprochen gute Werbung sich kaiserlicher Hoflieferant nennen zu dürfen.
Bevor Dany den nächsten Bittsteller zur Kenntnis nahm, bemerkte sie wie Medeia den auf ihrem Schoß stehenden Becher mit großen Augen anschaute. Dany lachte.
„Ach bedien dich, ich hab schon genug davon gegessen. Du wirst es mögen.“ Freudig griff ihre jüngste Hofdame zu.
Nun richtete Daenerys ihre Aufmerksamkeit wieder auf die heutigen Pflichten. Sie hatte bereits nicht mitbekommen, wie der Namen des nächsten Bittstellers lautete.
„Sprecht, was ersucht ihr von uns?“
Obwohl der Haushofmeister ihn bereits genannt hatte, verriet der Mann ihr glücklicherweise nochmals seinen Namen.
„Ich heiße Chiron, wenn es euer Gnaden beliebt, und komme aus Babylon.“
An seinem Akzent und seiner Robe erkannte sie sowieso, dass es sich bei ihm um einen einheimischen Babylonier und keinen befreiten Sklaven handelte. Sofort wich die Freundlichkeit aus ihrem Gesicht.
„Ich komme zu euch mit einer gewichtigen Anliegen und bitte euch nicht nur für mich, sondern für meine Familie und meine Landsleute.“
Sie überkam bereits so eine Vorahnung und sie konnte sich denken was nun folgen würde. An der Richtigkeit der von Sargon vorgeschlagenen Maßnahme hatte sie selber auch ihre Zweifel und wollte davon am liebsten nichts weiter hören.
„Ich flehe euch darum an die Aussiedlung meiner Familie und so vieler anderer abzubrechen. Für uns geht es um alles und wir werden uns den Assyrern bis zu Letzt widersetzen...“ Während er ihr seine angebliche Notsituation schilderte, wirkte sie nach außen hin schon beinahe desinteressiert. So betrachtete sie sich vor seinen Augen ihre Fingernägel und ließ ihren linken Fuß langsam wippen. Dany verblieb in dieser Haltung, bis sie ihn bei dem Wort
„Unschuldige“ unterbrach.
„Unschuldige? Als ich das letzte Mal eure Stadt aufsuchte, wäre ich fast ermordet worden und ebenso alle, die mich begleiteten. Es waren die Bürger Babylons, die sich zu Krawallen anstiften ließen und damit meine Garnison daran hinderten mir zur Hilfe zu eilen. Eure Stadt hat mich verraten.“
Chiron schien zu wissen wie zwecklos der Versuch wäre dies zu beschönigen oder zu entschuldigen.
„Das mag so sein, aber ich bin nicht hierhergekommen, um die Vorgänge während der babylonischen Unruhen zu entschuldigen, sondern um Gnade für uns zu ersuchen. Meine Familie lebt seit vielen Generationen in unserem Haus und nun drohen die Assyrer es uns wegzunehmen. Es war frevelhaft, was euch damals widerfuhr und glaubt mir die große Mehrheit von uns wurde durch Lügen und falsche Behauptungen zu Randale und Unruhe verleitet. Aber ganz sicher ahnten wir nicht, wie sie unsere Leichtgläubigkeit nur ausnutzten.“
Das gab Dany zu denken, obwohl sie bisher der Ansicht war Babylon zu lange mit Samthandschuhen behandelt zu haben. So gewährte sie der Stadt nach der Eroberung eine Amnestie für den zuvorigen Sklavenhandel.
Chiron war nicht entgangen wie sehr sein Anliegen auf der Kippe stand und zog alle Register.
„Ich habe meine Familie mitgebracht, kommt zu mir!“ Seine Söhne traten aus der Menge der Zuschauer hervor.
„Meine Frau Nivin starb zu unserer großer Trauer damals während den Auseinandersetzungen zwischen den Verschwörern und dem assyrischem Militär. Das sind meine Söhne Fouad, Jaden und Niclas.“ Die drei Aufgerufenen stellten sich an die Seite ihres Vaters. Fouad war selber fast schon ein Mann, seine beiden Brüder hingegen noch Kinder. Chiron traf damit wirklich einen Nerv bei ihr. Als er mit dieser Bitte an sie herantrat, nahm sie sich innerlich vor abweisend zu reagieren und hart zu bleiben, aber den traurigen und sie bangend anblickenden Kinderaugen konnte sie sich nicht entziehen. Allgemein war sie sehr kinderlieb. Erst in der gestrigen Nacht klopfte Medeia an die Tür ihres Schlafgemaches, als Prometheus gerade dabei war mit seiner Gemahlin das zu tun, was ein Mann eben mit seiner Gemahlin so tat. Er freute sich nicht über diese Unterbrechung, aber Dany ließ sie eintreten und erlaubte ihr die Nacht bei ihnen zu verbringen. Gelegentlich hatte das Mädchen furchtbare Alpträume und konnte dann nicht mehr alleine einschlafen und sie war für Dany eine Art kleine Schwester, um die sie sich kümmern wollte. Also statt einer heißen Liebesnacht zu frönen las sie ihrem kleinen Schützling ein Märchen vor und zwang Prometheus aufzustehen und ein Glas warmer Milch zu holen, welches Medeia beim einschlafen helfen würde....
Zurück im hier wurden die Zweifel der Kaiserin über ihre Verfahrensweise mit Babylon immer größer.
Wo wird das enden? Mein halbes Reich ist auf Blut und Staub erbaut. Ich werde es nicht zusammenhalten wenn ich mit noch mehr Blut reagiere und darauf läuft es hinaus. „Ihr scheint das damals Geschehene aufrichtig zu bereuen und ich bedaure euren Verlust. Nun ich will euch noch eine Chance geben und schließe euch und eure Familie von der Umsiedlung aus, sofern ihr mir die Treue zu schwört und darüber hinaus nie wieder die Waffen gegen Troja zu erheben. Dies gilt auch für alle anderen Babylonier, die bereit sind den selben Schwur zu leisten“
„Habt unendlichen Dank, das tue ich gerne. Ich werde zu Hause jedem von euer Güte und Mildtätigkeit erzählen, welche ebenso groß wie eure Schönheit sind, meine edle Kaiserin.“
„Dann tretet vor.“ Sie entbot ihm ein einladendes Lächeln und Chiron trat direkt vor sie und sprach die von ihm erwarteten Worte. Er schwor bei der babylonischen Göttin Ishtar nie diesen Eid zu brechen.
So ging es bis in den späten Nachmittag hinein weiter. Männer und Frauen jeden Standes suchten ihre Gunst und ihren Schiedsspruch in Rechtsstreitigkeiten oder huldigten ihr einfach. Als sie den letzten mit einer Entschädigung weggeschickt hatte – einen Rinderzüchter, dessen preisgekrönter Zuchtbulle von Drogon gefressen wurde, spürte sie erst richtig, wie ihr Nacken vom Gewicht der Krone schmerzte. Nachdem sie sich erhob und die Stufen hinab schritt forderte der Herold alle im Saal anwesenden wieder auf vor ihr zu knien und Troilos und die anderen folgten ihr. Mit einem erleichterten Seufzen setzte sie außerhalb des Saals die Krone ab und reichte Medeia dieses Symbol ihre Herrschaft.
Das war für heute genug. Sie beabsichtigte zu schauen, ob Drogon zufälligerweise da wäre und mit ihm einen kleinen Ausflug zu machen. In den letzten Tagen hatte sie viel zu wenig Zeit für ihre mittlerweile sehr großen Kinder. Leider hat eine Kaiserin keine feste Freizeit und das wurde ihr wieder einmal bewusst, als Varis ihren Weg kreuzte und unerfreuliche Neuigkeiten aus Übersee bei sich trug....