So ähnlich geht es mir auch, vor allem was die Identifikation als Europäer angeht. Allerdings stößt bei mir der Wunsch nach Nationalgefühl weniger negativ auf, speziell was den Fußball angeht, wobei hier mein persönliches Schlüsselerlebnis die WM 1990 war. Bei dieser (wiedervereinigten) WM durfte ich auf für mich wundersame Weise realisieren, daß nicht alle in Schwarz-Rot-Gold-Fahnen gehüllten Menschen per se Nazi-Dumpfbacken waren. Zuvor, in den Achtzigern habe ich mich für die Spielweise der deutschen Nationalmannschaft einfach nur geschämt (Schande von Gijon, Schumachers Ekel-Foul), ich sah mich nicht als Teil von jenem Fußballdeutschland, ganz allgemein bedeutete "Patriotismus" für mich ein nicht ernstzunehmendes nostalgisches Relikt der nationalsozialistischen Deutschtümelei.
Heute sehe ich das anders, ich fühle mich verbunden mit meiner Nation und sehe sehr viel Gutes in unserer Art, die Dinge anzugehen. Ich sehe nichts negatives daran, unsere vermeintlich typisch deutschen Eigenschaften (Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Rechtschaffenheit) zu pflegen und ich freue mich über die Entwicklung, die unsere Gesellschaft genommen hat, hin zu erheblich mehr Weltoffenheit, mehr Multi-Kulti, mehr Vielfalt, weniger Diskriminierung von Minderheiten und mehr Feierlaune.
Ich muss auf solche Dinge nicht stolz sein, aber ich identifiziere mich mit solchen Werten und habe nicht die geringste Lust, diese positive Identifikation den Nazi-Blödmännnern zu überlassen.
Eine weiterführende Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft würde hier wohl den Rahmen sprengen.
Was die auffallend vielen hochveranlagten deutsch-türkischen Fußballtalente angeht, so ist auch das ein weites Feld. Der türkische Fußballverband ist hier nicht besser oder schlechter als der DFB, hier wird um jedes Talent von Kindesbeinen an hinter den Kulissen hart gerungen. Özil, Gündogan oder auch Emre Can - soviel ist wohl klar - haben ihre letztendliche Entscheidung sicher nicht aus weltanschaulichen sondern hauptsächlich aus finanziellen Gründen pro DFB getroffen. Wer sich den Sprung in die deutsche Nationalmannschaft zutraut (und/oder durch die Erfahrungen in den Jugendauswahlmannschaften bestärkt wurde), der wählt in der Regel auch die sportlich bessere und lukrativere (weil besser vermarktbare) Variante Deutschland statt Türkei. Hier wird - haargenau wie auch im Vereinsfußball - von fast allen Erfolg und vor allem Geld über Heimat und Identifikation gestellt, das muss man so nüchtern sehen.
Wem das nicht gefällt (mir gefällt das auch nicht), der sollte weniger bei ethnischen als vielmehr strukturellen Fragen ansetzen. Wenn es letztendlich (wie überall) nur noch ums Geld geht - wie bitteschön soll da echte Identifikation entstehen? Wir haben akzeptiert, daß wir selbst unseren Lebtag lang vor den Bonzen herkriechen müssen - aber wenigstens bei der Nationalmannschaft möge es noch ehrbar und tugendhaft zugehen. Vielleicht ist das naiv