Viel richtiges zur Notwendigkeit, Literatur interpretieren oder meinetwegen analysieren zu können, wurde schon von den Vorpostern gesagt.
Ich habe deinen obigen Satz deshalb zitiert, weil er m.E. in engstem Zusammenhang mit der Problemstellung steht.
Jenseits der formalen Untersuchung eines wie auch immer gearteten Textes stellt sich stets das Sender-Empfänger-Problem. Was wollte der Sender (der Autor) sagen, und was will der Empfänger (der Leser) verstehen?
Jedem Text, und sei er noch so banal, liegt irgendeine Intention des jeweiligen Autors zugrunde. Das ist schlicht unabdingbar, denn ohne diese Intention hätte er sich nicht der Mühe unterzogen, seine 758 Seiten (wahlweise: 11 Zeilen) zu Papier zu bringen.
Was der Leser nun verstehen möchte, muss ganz sicherlich nicht deckungsgleich mit dem sein, was der Autor glaubte, mitteilen zu müssen.
Und hier schließt sich der Kreis: beide sind nämlich Kinder ihres jeweiligen Kulturkreises, sozialen Hintergrundes und nicht zuletzt auch ihrer jeweiligen Epoche - womit der Bogen zu deinem Geschichtsstudium geschlagen wäre.
Es gibt vermutlich nur wenige bessere Möglichkeiten, sich über die in einer Epoche wirksamen Verhaltensmuster und Normen klar zu werden, als sich mit der Literatur dieser Epoche auseinanderzusetzen. In dieser Hinsicht kann sogar der Fortsetzungsroman im Wochenblatt plötzlich sehr interessant werden.
Wichtig ist, dass man durch die Übung erkennt, welche Filter auf Sender- und Empfängerseite wirksam sind, und aus welchen Gründen. Damit verrät die Analyse/Interpretation im besten Falle ebenso viel über den Analytiker/Interpreten, wie über den Schriftsteller. Mitunter sogar mehr.
Dazu zwei Beispiele aus diesem Thread:
Das ist der Ignorant. Die manifestierte Bildungsresistenz.
Das ist der, der sich Gedanken macht, sich Fragen stellt und versucht, Frage wie selbst gegebene Antwort zu gewichten.
Wem im Zweifel die höhere Bedeutung zuzuordnen ist, dürfte sich schlüssig ergeben.