Draußen im Nordosten ritt ein einsamer Mann seines Weges. Es war kein Pelzjäger, auch kein Verirrter, sondern der letzte Scout Neuenglands.
Vor Jahren kam er von der irischen Insel in dieses Land, doch weil er in den prosperierenden Städten keine Arbeit fand, schob man ihn nach Esgigeoag ab. Man wollte einigermaßen informiert sein über die Stimmung und den militärischen Wert der Indianer, aber man versprach sich nicht viel von der Entsendung des Iren. Man nannte ihn auch abschätzig den Rotschopf unter Rothäuten.
Mit der Zeit eignete sich der irische Einwanderer die Kenntnisse und Gebräuche der Micmac an und lernte das naturnahe Leben zu schätzen. Als er aus Esgigeoag abberufen wurde, beschloss er, sich beim Militär zu bewerben. Abermals hatte man keine Verwendung für ihn, aber man gab ihm ein altes Pferd, eine löchrige Satteldecke und ein schartiges Gewehr und gab ihm den Befehl, das vor wenigen Jahrzehnten schon einmal erkundete Land ein weiteres Mal abzureiten. Der Auftrag war, Erkundungspunkte zu sammeln sowie nach frischen Werwolfspuren zu fahnden, doch man rechnete weder mit einer üppigen Erkundungspunkteausbeute noch mit Anzeichen, dass sich in den Wäldern des Nordens noch Bestien aufhielten.
Diese waren jedoch allzu präsent in dem Teil des Landes, den der Ire bereits sehr gut kannte. In den Hügeln zwischen Esgigeoag und der Werwolfstadt Bloody Lake ward erneut ein Mächtiger Werwolf gesichtet. Die Befürchtung General Arthur St. Clairs, dass sein dezimiertes Bestienjägergrüppchen noch vor dem Erreichen Esgigeoags von einem Untier eingeholt werden könnte, war nun eingetreten.
St. Clair musste schleunigst überlegen, entscheiden und handeln. Sollte er seinen verwundeten Männern befehlen, Stellung zu beziehen und die Bestie in ein Verteidigungsgefecht zu verwickeln, während sich die gesunden Männer nach Osten absetzen konnten? Nein, der alte General brachte es nicht fertig, von seinen tapferen Soldaten solch ein Opfer zu verlangen, zumal dadurch ein Entkommen der marschfähigen Kameraden keineswegs garantiert gewesen wäre. Stattdessen tat er genau das Gegenteil. Er gruppierte seine Männer so um, dass die verwundeten und die kampfbereiten Soldaten jeweils getrennte Abteilungen bildeten.
Dann befahl er dem kampfbereiten Rest seiner Truppe, sich auf einer Hügelkuppe zu verschanzen und den Angriff des Untiers zu erwarten.
Von dort oben konnten die Soldaten weit übers unbewaldete Land blicken. Des Nachts entzündeten sie Fackeln und stellten sie in einiger Entfernung rund um das Lager auf. So bemerkten sie das Nahen der Bestie im Morgengrauen rechtzeitig und konnten sich für den Kampf bereitmachen.
Sie waren nicht viele Männer, folglich feuerten nur wenige Flinten auf den Mächtigen Werwolf. Und so forderte dieser Kampf erneut einen hohen Blutzoll. Mann um Mann wurde von dem Untier niedergestreckt.
Aber zu guter Letzt machten die Bestienjäger ihrem Namen alle Ehre und brachten das pelzige Monster mit letzter Kraft zur Strecke.
General St. Clair beförderte die Helden, die dieses Gefecht überlebt hatten, zu Kletterkünstlern zweiter Stufe, und Logenbruder Carroll richtete ein Stoßgebet zum Himmel. Erneut waren sie nur um Haaresbreite der vollständigen Vernichtung entgangen. Und nun zählten sie so viele Verwundete, dass ein Weitermarschieren nicht mehr möglich war und sie vor Ort ausheilen mussten. Es war klar, dass sie in dieser Verfassung einem weiteren Werwolfangriff nicht mehr standhalten konnten. Entweder sie wurden evakuiert oder es kam Verstärkung - sonst wäre ihr Leben und das der Micmac in Esgigeoag wohl besiegelt, wenn kurz darauf noch eine Bestie angreifen würde.
Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Die Verstärkung war bereits auf dem Weg.
Der größte Teil der Big Red One und somit der größte Teil des neuengländischen Heeres operierte seit dem Frühjahr 1812 westlich des Icyssippi, der zugleich als Grenzfluss zwischen dem besiedelten Neuengland und der Wildnis galt. Mehrere Dragonereinheiten, die in Wildburgh ausgeruht und wieder auf Sollstärke gebracht worden waren, gallopierten dem Hauptverband hinterher. Ihr Marschbefehl lautete schlicht, den Spuren der Big Red One zu folgen und sich ihnen anzuschließen, und enthielt keine einzige geographische Angabe. Denn das Gebiet, durch das die Big Red One ziehen sollte, war unkartiert, obwohl es vor der Jahrhundertwende schon einmal erkundet worden war. Da man in dieser Gegend jedoch mit Werwölfen rechnete, hatte man keinen Scout dorthin entsandt. Die stark bewaffneten Dragoner sollten in dieser namenlosen Region selbst die Scouts sein.
Es war strittig, ob für das unbesiedelte Land jenseits des Icyssippi noch die Bezeichnung Neuengland zutreffen sollte. Manche Zeitgenossen schlugen vor, die Wildnis westlich des großen, trennenden Flusses mit Icyssippi-Territorium zu benennen und nicht als Teil Neuenglands zu betrachten.
Wenngleich sich dies zur vorherrschenden Sichtweise in der neuengländischen Öffentlichkeit entwickelte, so wurde ihr außerhalb Neuenglands kaum Bedeutung beigemessen. Denn diese regionale Nomenklaturdiskussion stand im Schatten einer Namensgebungsentscheidung auf nationaler Ebene: Mit der Aufnahme von Louisiana als Bundestaat in die Vereinigten Staaten drohten Verwechslungen mit dem Louisiana-Territorium genannten Gebiet, das weite Teile des Landes westlich des Mississippi umfasste. Das Louisiana-Territorium wurde daher im Frühjahr 1812 in Missouri-Territorium umbenannt.
Je weiter man sich von der Ostküste entfernte und nach Westen wanderte, desto jünger und spärlicher wurden die Siedlungsspuren bis hin zur unberührten Natur. Das war im Süden der Vereinigten Staaten so und in Neuengland nicht anders. Während das Icyssippi-Territorium als Wildnis galt, so gab es auch östlich des Iccyssippi noch reichlich Land, in das noch kein Mensch einen Fuß gesetzt hatte. Dazu zählte fast das gesamte Gebiet zwischen Fort Micmac und dem Icyssippi. Die Siedlungen Wildburgh, New Haven, Bridgeton und Triportus stachen zwar heraus wie Sterne im leeren Weltraum. Doch die Straßen, die diese jungen Siedlungen mit dem restlichen Neuengland verbanden und das urtümliche Land durchschnitten, stellten keine Arterien der Zivilisation und des Fortschritts dar, sondern waren stets davon bedroht, von den dichten Wäldnern wieder verschluckt zu werden.
Dies sollte sich ab Mai 1812 ändern. Zum Ersten wanderten weitere Siedler aus dem Westen zu. Ein Holzfäller, ein Eisen- und ein Silberminenarbeiter, ein Fischer und ein Farmer kamen nach Wildburgh, doch die Grenzstadt bot nicht ausreichend Unterkünfte und drohte aus allen Nähten zu platzen. So transportierte eine Postkutsche den Fischer und den Silberbergmann noch weiter nach Westen bis sie an die Stelle kamen, der einmal eine Siedlung der Menschen war, aber höchstwahrscheinlich von Werwölfen zerstört worden war. Der Ehrgeiz der Männer aber war größer als die Wirkung der Gruselgeschichten, die mit diesem Ort verbunden waren. Der Fischer und der Bergmann richteten die Ruinen notdürftig wieder her und gaben ihrem neuen Heim mit Selbstironie und wohligem Schauer den Namen New Roanoke. Die Wellen des neuengländischen Mittelmeers plätscherten hier flach ans Ufer und so nannten sie den Nordküstenabschnitt fortan Calm Coast.
Zum Zweiten bekamen mehrere Kühne Pioniere den Auftrag, der Landschaft ihren Stempel aufzudrücken. Das Umland von Wildburgh war schon am weitesten kultiviert und wurde es nun noch mehr. Im Südwesten von Wildburgh, südlich der Hänge des Big Red One, begann ein Pionier, eine Eisenerzmine zu graben, während ein anderer im Südosten Wildburghs das Moor entwässerte, um das Gelände landwirtschaftlich nutzbar zu machen.
Aber auch bei Triportus wurde fruchtbarer Boden der Landwirtschaft unterworfen und sogar eine Wassermühle an dem kleinen Fluss errichtet, der bei Triportus ins neuengländische Mittelmeer mündet. Und weit weg im Süden, bei Indianapolis, wurde auf urbar gemachtem Ackerland ein Getreidehof gebaut, um die wachsende Bevölkerung der Stadt auf der Indianerhalbinsel zu ernähren.
Ein Mann, der dieses Gehöft beziehen würde, fehlte zwar noch. Doch der Schiffsverkehr zwischen Indianapolis und dem Festland war rege und die Kunde, dass Farmland im Süden zu vergeben war, sollte sich schnell verbreiten.