Es wirkte wie eine Flucht. Insgesamt fünf Spiele der National Football League (NFL) fanden in dieser Saison außerhalb der USA statt - so viele wie noch nie. Für die Liga waren die vier Spiele in London und das eine Duell in Mexiko gute Gelegenheiten, unvoreingenommene Fans für Football zu begeistern. In den kommenden Jahren wird die NFL diese neuen Fans noch brauchen.
Denn zu Hause, in den USA, warten die Probleme. Hier ist die NFL vom Aushängeschild des US-amerikanischen Sports zur Problemliga abgerutscht. Die TV-Quoten für ein durchschnittliches NFL-Spiel sind im Vergleich zur Vorsaison um sieben Prozent gesunken - und schon da gingen die Zahlen nach unten.
Ein Mann verstärkt diese Entwicklung noch: Donald Trump. Der US-Präsident hat die Hymnenproteste von NFL-Spielern als Thema entdeckt, um bei seinen Wählern zu punkten.
Jede Woche twittert er gegen jene Sportler, die sich beim Abspielen der Hymne aus Protest gegen die Diskriminierung von Schwarzen hinknien oder sitzen bleiben. "Außer Kontrolle" nannte er die Entwicklungen vor Kurzem. Trump ist nicht Verursacher der Krise, die es in der NFL aktuell gibt. Aber seine Tweets wirken wie Brandbeschleuniger.
Das sind die aktuellen Probleme:
Hymnenprotest
Als Trump im Oktober seine ersten Twitter-Salven gegen protestierende NFL-Spieler richtete, stellte sich die Liga, so schien es, vor ihre Spieler. Ligaboss Roger Goodell verwies auf das Recht der Meinungsäußerung, die Liga ließ erneut einen alten Werbespot ausstrahlen, der die Einigkeit der NFL-Familie heraufbeschwor.
Viel übrig geblieben ist davon nicht. Wenige Wochen und einige Trump-Tweets später vertrat auch Goodell die Meinung, dass Spieler während der Hymne stehen sollten. Auch die mehrheitlich konservativen Team-Besitzer äußern sich zunehmend in diese Richtung. Trump setzt die Liga weiter unter Druck, unangenehme Entscheidungen zu treffen.
Der Initiator der Proteste, Colin Kaepernick, ist immer noch arbeitslos. Und das, obwohl inzwischen bei vielen Teams Quarterbacks eingesetzt werden, die sportlich nicht an ihn herankommen.
Verletzungen
American Football ist ein Vollkontaktsport, Verletzungen gehören deshalb dazu. In dieser Saison hat es allerdings viele der besten Spieler der Liga getroffen. Aaron Rodgers, Odell Beckham Jr. oder Richard Sherman sind nicht nur sportlich herausragend, sondern auch wichtige Werbegesichter. Ihr Ausfall wiegt deshalb schwer. Ein Best-of-Team der Langzeitverletzten hätte in diesem Jahr sehr gute Chancen auf den Super-Bowl-Sieg.
Zufall ist das nicht. Bei NFL-Profis stehen besonders die Spiele am Donnerstag in der Kritik. Dort sind die Spieler nach nur drei Tagen Regeneration besonders verletzungsanfällig. Doch ob die NFL diese Spiele abschaffen wird, ist unklar.
Darüber hinaus gibt es immer neue Erkenntnisse zur Gehirnerkrankung CTE, die etwa Gedächtnisverlust, Depressionen oder Demenz verursachen kann. Es wird vermutet, dass CTE durch wiederholte Zusammenstöße mit dem Kopf verursacht wird und Footballspieler deshalb besonders gefährdet sind. Aktuelle Studien liefern immer mehr Indizien für diesen Verdacht.
Bislang konnte CTE erst nach dem Tod festgestellt werden. Nun haben Wissenschaftler die Krankheit allerdings erstmals an einer lebenden Person entdecken können. Das könnte die Forschung weiter vorantreiben. Sollte Football tatsächlich CTE verursachen, wäre das fatal für die NFL: Verängstigte Eltern, die ihre Kinder nicht mehr Football spielen lassen, könnten zu einem Nachwuchsproblem führen. Das erhöht den Druck auf die Liga, das Spiel zu entschärfen.
Entfremdung
Ortswechsel von Teams gibt es im US-Sport häufiger, aber die NFL strapaziert die Schmerzgrenze der Fans enorm. Vor knapp zwei Jahren zogen die Rams von St. Louis nach Los Angeles, vor dieser Saison verließen die Chargers San Diego, um ebenfalls vom vermeintlich größeren Markt in Los Angeles zu profitieren.
Aufgegangen sind die Entscheidungen bislang nicht. Die Chargers tragen ihre Heimspiele in einem gerade einmal 30.000 Zuschauer fassenden Stadion aus. Dennoch wirkte es häufig so, als seien mehr Gästeanhänger im Stadion als Heimfans.
Die Verletzungsgefahr und die CTE-Debatte belasten den Sport insgesamt. Aber vieles deutet darauf hin, dass die aktuelle Krise in erster Linie eine Krise der NFL ist.
Beim College-Football ist von einer Krise nämlich wenig zu spüren. Spiele wie der Iron Bowl zwischen Alabama und Auburn erzielten hervorragende Quoten. Die Begeisterung für College-Football lässt sich auch damit erklären, dass die Teams nicht einfach in einen anderen Teil des Landes verlegt werden.
Und die NFL? Dreht weiter am Expansions-Rad.
Zur Saison 2020 werden aus den Oakland Raiders die Las Vegas Raiders. Weitere Veränderungen könnten folgen: Schon seit Jahren geistern in amerikanischen Medien Gerüchte umher, es könnten nicht nur einzelne Spiele, sondern eine ganze Mannschaft nach Europa verlagert werden. Gibt es also bald die London Rams? Die Rekrutierung neuer Fans hat jedenfalls schon begonnen.