Ich sprach nun viel über den "privatisierten Überwachungsstaat", da es sich um den interessantesten Teil der Geschichte handelte, doch in Science Fiction sind derlei fremde Elemente selten Selbstzweck. So möchte ich nun den Charakteren tief in die Augen blicken und der Frage nachgehen, wieviel Fremdheit tatsächlich in Rhenus steckt.
Die Journalistin, bekanntlich Repräsentantin der Stadt und zwischen Individuum und Monster stehend, verkörpert förmlich die "Generation Praktikum". Ihr Arbeit muss ihr Leben sein, während sie bloß Freiberuflerin ist; in ihrer kleinen, dem Chaos anheimfallenden Wohnung jongliert sie Projekte, schlägt sich Nächte um die Ohren und peitscht sich mit Kaffee durch den Tag. Sie lebt allein, besitzt nur für ihre Arbeit nützliche Bücher und ihre letzte Beziehung wurde durch ihren Lebensstil belastet.
Sie ergreift beim Umgang mit dem Landei die Initiative, da sie einen Protagonisten für ihren Artikel benötigt, und sie spricht über die Gewinnchancen des Wettbewerbs, ohne die Risiken zu erwähnen. Mit ihrem Griff nach den Zügeln, zu dem sie ihre Arbeit zwingt, bindet sie sich jedoch selbst an den Verlauf der Geschehnisse; sie muss das Landei in ihre Wohnung lassen und hinnehmen, dass diese die Kameras und den Blick der Öffentlichkeit auf sie zieht. Sie erduldet es, weil sie sich nicht wehren kann, mit leiser Beschämung und trotziger Witzelei.
Dies, würde ich sagen, bildet bereits den Kern: Bei Rhenus handelt es sich um eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder zum Bewältigen von Arbeitsbergen auffordert, ohne dass diese Arbeit sie ermächtigt oder voranbringt. Die Journalistin spricht durch ihren Artikel, doch bleibt dessen "Ich" eine Genrekonvention - außer in ihren Notizen an sich selbst, die noch verschwinden werden. Das Arbeitstier muss ein Teil des Produkts werden, welches andere passiv konsumieren, und wenn sie nicht arbeitet, dann konsumiert auch die Journalistin passiv, indem sie raucht oder Fernseh schaut.
Das Landei tritt als Fremder in die Gesellschaft und muss von dem Moment dagegen ankämpfen, nicht verschluckt zu werden. Er denkt an seine Reisekasse - und schon verwandelt er sich in ein Objekt der Journalistin, des Wettkampfes und der Kameras. Er unterschätzt diese Netze und sieht sie als unbedeutend gegenüber seiner eigentlichen Aufgabe an, ehe er nach seinem verlorenen ersten Kampf erkennen muss, auf was er sich einließ. (Die beiden faschistischen Grüße fallen wie Begleitschüsse in den tragischsten Situationen, nämlich als der Kampf zwischen Leben und Tod beginnt und als ihm die durchgehende Kameraabdeckung dämmert.)
Lanzelot schließlich möchte ein Aussteiger sein, ohne Wohnsitz, Arbeitsplatz und allein im Fluss seiner Weltwahrnehmung gefangen. Die Stadt gewährt ihm diese Ruhe jedoch nicht, sondern benutzt auch ihn. (Die Journalistin stolpert über dessen Superheldenvergangenheit; das 'Monster' ist nicht per se böse, sondern eine Naturgewalt.)
So besteht das Blut von Rhenus nicht aus Kordit, sondern aus Kaffee. Es ist eine Gesellschaft, die zwar Arbeit als Tribut fordert, dafür jedoch keinerlei Schutz gewährt. Sie ist ein Fass ohne Boden, das alles verschlingt.