Kapitel 43 - Tanz und Gesang I
Tage vergingen auf See nur langsam, jedenfalls für die Reisenden, die nichts weiter zu tun hatten, als darauf zu warten, an ihrem Ziel anzukommen. Viele der Kelten sahen tagsüber und sogar tief in der Nacht über den Horizont zu dem Küstenstreifen ihrer geliebten Heimat herüber. Teilweise brachten sie Stunden so zu, was ihrem Geisteszustand nicht gerade förderlich war.
Für die neun Kinder, die mit an Bord gekommen waren, war das Schiff ein Erlebnis für sich. Viele von ihnen verstanden noch nicht, warum sie fort gegangen waren und hielten die große Reise nur für einen Ausflug. Die älteren Kinder, die schon anfingen zu begreifen, hingegen warfen immer wieder kritische Augen auf die Erwachsenen, die nicht wirklich erklärten, was geschehen war, und wurden immer missmutiger.
Um die Anspannung zu lösen, hatte Llionel schließlich vorgeschlagen, wieder einen Abend mit Gesang zu füllen, einige der wenigen alkoholischen Getränke aus dem Lagerraum zu holen und über einer der Eisenpfannen etwas Fleisch zu braten. Da der Unterstand auf dem Oberdeck selbst für das gute Dutzend Kelten zu eng gewesen war, spannten einige der Matrosen Takelage zwischen an Leinen auf und vergrößerten so den windgeschützten Bereich um einige Meter.
Erst nachdem diese Arbeit abgeschlossen war, beauftragte Frederick Beras damit, die restlichen Kelten zu informieren.
Nach dem Gespräch, das sie vor zwei Tagen geführt hatten, war der Junge richtig aufgeblüht - und er wusste bereits, wo die kleinen Kelten herkamen. Sehr zur Beruhigung von Fredericks Nerven. Der Druide Garamanus hatte den Jungen wohl schon umfassendend unterrichtet. Das war auch wichtig, fand Frederick. Wenn er sich vorstellte, was Ginnys Großeltern mit Beras machen würden, wenn sie ihn mit ihrer Enkeltochter in einer eindeutigen Situation vorfänden...
Nun, damit wollte er sich nicht belasten und verdrängte den Gedanken schnell. Wer wusste schon, wann dieses Situation tatsächlich eintreten würde?
Um sich abzulenken, marschierte Frederick zum Ende des Schiffes. Er hatte inzwischen von den Seeleute gelernt, das dieser Platz "Heck" hieß und die entgegengesetzte Seite "Bug". Eine sinnvolle Lösung, denn ein Schiff war irgendwann halt überall zu Ende und so wussten die Matrosen genau, was gemeint war.
Am Heck hatte sich Thorval, der junge Schmied niedergelassen. Zwar konnte er keine Waffen an Bord schmieden oder schwere Schäden an Metallwaffen reparieren, doch kümmerte er sich sorgfältig um Waffenröcke, Lederrüstungen oder verbogene Kettenhemden. Außerdem hatte er einen Weg gefunden einen Schleifstein aufrecht zu stellen, ohne das dieser vom Seegang immer wieder umgeworfen wurde. So konnte er nicht schnell an einem drehenden Stein arbeiten, aber kleinere Waffen mit der Hand schärfen.
Bei der Arbeit mit den Rüstungen gingen ihm zwei Kinder zur Hand, die beide etwas jünger als Beras waren. Frederick sah erst auf den zweiten Blick, dass nur eines von ihnen ein Junge war.
"Ho, Thorval", grüßte Frederick und sah zu den Kindern herunter, die Flicken auf Lederrüstungen nähten. "Beginnst du schon damit, neue Lehrlinge auszubilden?"
Der Schmied erhob sich langsam und legte ein Kettenhemd bei Seite, dass auf seinen Knien lag. Es gehörte Collin O´Byrne, wusste Frederick und ein Stimme in seinem Kopf mahnte ihn, dass Derivon wohl noch am Leben gewesen wäre, wenn er auch so eine Rüstung getragen hätte.
"Herzog Frederick", erwiderte der Schmied und reichte ihm eilig eine Hand. Bevor Frederick diese jedoch ergreifen konnte, zog Thorval sie zurück und wischte sie an seiner Schürze ab.
"Verzeiht, ich bin mitten in der Arbeit."
Diesmal schüttelten sie sich die Hände und Frederick spürte den festen Griff eines Mannes, der schon oft den schweren Schmiedehammer geschwungen hatte.
"Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich mir Hilfe hole. Je mehr von uns Wissen, wie eine Rüstung geflickt wird, umso besser, dachte ich."
Thorval war die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Sein Meister, Gernot hatte ihm aufgetragen Herzog Frederick zu folgen und nach dessen Auftritt in der Schmiede, war Thorval sehr beeindruckt von dem Mann, der nun die Kelten an Bord in die Fremde führte.
"Ruhig, Mann. Ich bin Frederick, das haben wir schon geklärt, oder?" Der Schmied nickte und deutete auf seine Gehilfen.
"Das sind Farell und Laine, sie machen ihre Arbeit gut. Inzwischen haben wir die Rüstungen von fast allen Kriegern an Bord reaperiert und an einigen Stellen den Schutz durch zusätzlichen Beschlag erhöht. Als Letztes bleibt nur noch das Kettenhemd von Krieger Collin."
Kaum hatte sich das Gespräch auf ein greifbares Niveau verlagert, das ganz in dem Interesse von Thorval lag, wurde er deutlich ruhiger.
"Kannst du davon nocht mehr anfertigen?"
"Wie? Oh, natürlich, das kann ich. Allerdings nicht auf dem Schiff. Ich brauche eine Esse, um das Eisen zu bearbeiten und eine ordentliche Werkbank. Einen Platz für meinen Amboss und...."
Frederick riss die Augenbrauchen in die Höhe.
"Du hast einen Amboss an Bord getragen?!"
Thorval nickte. "Deshalb wäre doch auch beinahe die Planke gebrochen, als ich darüber gegangen bin."
Verblüfft von dem Gleichmut, mit dem der junge Schmied berichtete, wie er einen mehrere Zentner schweren Amboss alleine an Bord gebracht hatte, schwieg Frederick einen Augenblick lang.
Dann fand er seinen Faden wieder und drückte Thorvals ein verbeultes Horn in die Finger, dass er an seinem Gürtel befestigt hatte.
"Ich habe es bei Mountain Watch ein bisschen verbogen. Kannst du es bis heute Abend wieder einigermaßen reparieren? Ich habe ein Festmal angesetzt, dass uns Kelten näher zusammen bringen soll. Wir müssen einander kennen und vertrauen lernen, wenn wir gemeinsam diesen schweren Weg auf uns nehmen."
Thorval nahm das Horn entgegen und begutachtete es beinahe ehrfürchtig. Eine besonders große Beule war schon fast dabei gewesen zu einem Riss zu werden.
"Nun, es ist Bronze, keine Eisen. Ich hoffe, da kann ich was machen - müsste mir eine Kohlenpfanne besorgen... Heute Abend ist das Horn wieder heile. Willst du darauf spielen?"
Ein Lachen entfuhr Frederick.
"Bei den Ahnen - nein! Ich treffe keinen einzigen Ton! Die Kinder würden anfangen zu weinen und bei dem momentanen Wetter will ich die Götter nicht noch mehr verärgern."
Die Nacht brach an und über einer Kohlepfanne drehte sich ein großes Stück gepökeltes Schwein. Das war zwar kein echter Braten, aber über offenem Feuer, knusprig und hin und wieder mit einem behutsamen Schluck Met oder Bier übergossen - davon gab es leider nicht viel - wurde daraus ein herrliches Mahl.
Der Matrose, der schon zu Llionels Lied gespielt hatte, stimmte mit seiner Fiedel erneut einige Lieder an und fröhlich singende und tanzende Kelten ließen es sich gut gehen. Aus dem Augenwinkel sah Fredeick, dass auch Beras und seine Ginny einen Tanz wagten, der zwar etwas unbeholfen aussah, aber den beiden scheinbar viel Spaß machte.
Zum Missfallen ihrer Großeltern. Insbesondere Melva vom Clan der Frostfüchse, Ginnys Großmutter, trat immer wieder an Frederick heran. "Er ist Euer Mündel, so tut doch etwas - sonst muss ich das noch!" Eingentlich hatte Frederick nicht vor, sich den Abend mit Streit zu verderben und war fast versucht, die Frau zu ignorieren, doch dann griff er nach ihrem Arm rief dem Matrosen mit der Fiedel etwas zu und zog sie auf die Tanzfläche.
"He da! Wollt ihr wohl...", beschwerte sie sich, doch Frederick wirbelte sie einmel herum, in der Hoffnung so eine Verschnaufpause in ihrem Redefluss zu erreichen, um selber das Wort zu ergriefen. "Ehrenwerte Lady Melva, verzeih mir dieses harrsche Einschreiten, aber ich will heute keinen Streit. Verzeih, jetz rede ich", setzte er ernst hinzu, als Ginnys Großmutter wieder zu einer Antwort ansetzte. "Beras ist nicht mein Mündel, er ist ein tapferer junger Mann, der bald zu einem hervorragenden Krieger werden wird. Außerdem ist er kein Streuner, wie du es befürchtest, sondern ein Angehöriger des Clan Kupfergräber. Er hat mir ein Medallion gezeigt, das ich und mein Freund Llionel eindeutig identifiziert haben. Unabhängig voneinander."
Kurz darauf brachte Frederick Melva wieder zurück zu ihrem Gatten, wofür er sich feixende Worte von Llionel und Collin anhören durfte. Dennoch - oder gerade deswegen schien der Abend zu gelingen.