11. Kapitel - "Am Fuße des Mountain Watch"
High lust and froward bearing,
Proud heart, rebellious brow --
Deaf ear and soul uncaring,
We seek Thy mercy now!
The sinner that forswore Thee,
The fool that passed Thee by,
Our times are known before Thee --
Lord, grant us strength to die!
Hymne before Action – Rudyard Kipling
Neben drei urzeitlichen Felsen, die aus der grünen Bergkuppe ragten, wuchsen einige Bäume. Offensichtlich konnte die Bewaldung auf dem Berg nur Fuß fassen, weil die Felsen ihnen Schutz vor dem Wind gewährten und somit vor der Kälte. Kurz vor dem Morgengrauen erreichte der keltische Tross eben jede Stelle und machte eine kurze Rast. Noch bot die Dunkelheit Schutz und durch die aufragenden Steine und Bäume wurden die dunklen Umrisse ihrer Körper verborgen. Viele kauerten sich mit den Rücken an die Steine, um das Gewicht ihrer Rucksäcke einen Moment von den Schultern zu nehmen oder um kurz die Augen schließen zu können. Frederick und Hawkeye hatten sich geeinigt, dass sie beide kurz ausruhen konnten. So legte sich Frederick zwischen die übrigen Krieger, zog das Banner König Brennus´ wie eine Decke um sich, schloss die Augen und war kurz darauf vom Schlaf übermannt.
Wild peitschten Bilder vor seinen Augen umher. Gewalt und Tod. Immer und immer wieder. Hier fiel ein Rosaner in den Schlamm vor seinen Füßen, dort brach ein keltischer Bruder getrpffen zusammen. Schmerzensschreie erklängen. Ein Meer aus Blut erstreckte sich unter ihm, knöcheltief, dann knietief versank er darin und schlug immer noch mit seiner Axt um sich. Das Knacken von gebrochenen Knochen übertönte die Schreie der Sterbenden und plötzlich traf ihn ein Schlag im Gesicht.
"Aufwachen", brummte Hawkeye und zog seinen Neffen auf die Beine. Als die Blicke der Männer sich trafen, war Erschöpfung in beide Gesichter geschrieben. Sie waren dabei an ihre Grenzen zu gehen und bisher hatte noch keiner auch nur ans Aufgeben gedacht. Mountain Watch war ihre neue Hoffnung. Dort konnte es nur besser werden.
"Bin ja schon wach", antwortete Frederick und streckte sich. Dann machte er Platz für Hawkeye, der sich dankbar an den Felsen lehnte und bald darauf einschlief. Frederick rückte das Banner des Königs zurecht, das er wie einen Umhang trug und machte sich daran, in seinem Rucksack etwas Essbares zu finden. In aller Eile, die in Entremont geboten war, hatte niemand wählerisch seien können. Frederick war auf einen kleinen Vorrat aus gedörrtem Eselfleisch gestoßen. Die ersten beiden Tage konnte er sich davon problemlos ernähren, gestern mochte er den Geschmack schon nicht mehr und heute war ihm schon schlecht, als er nur das gepökelte Fleisch in die Hände nahm. Nicht das es verdorben wäre, gepökeltes Fleisch würde sich noch Wochen und Monate halten, aber allmählich kam ihm das Zeug zu den Ohren raus.
Auf der Suche nach jemandem, mit dem er tauschen konnte, schritt Frederick durch das Lager. Überall wiederholte sich das Verhalten, das er und Hawkeye gerade gezeigt hatten. Krieger weckten ihre Gefährten, um selber einige Augenblick Ruhe zu finden. Die nun wachen Kelten kramten in ihren Sachen nach Nahrung. Wäre der Anlass nicht so schrecklich gewesen, es hätte beinahe Spaß machen können.
So entdeckte Frederick Thogrimm, der einen Laib Brot aus seinem Rucksack zog und nicht sehr glücklich aussah. Mit einem schnellen Blick sah sich der Eisner um und in dem Moment, als sich die beiden jungen Krieger ansahen, mussten sie beide lächeln. Schweigend hielt Frederick das Fleisch hin, Thogrimm gab dafür sein Brot und beide konnten zufrieden ein schnelles Frühstück einnehmen.
"Mountain Watch ist nicht mehr weit", meinte Frederick kauend und deutete auf das gewaltige Bergmassiv, das nur noch wenige Stunden von ihnen entfernt lag. Sie würden es über schmale Pfade erklimmen müssen, den direkten Weg, der über eine befestigte Straße führte, wollten sie nicht nehmen. Sie wären für die Reiterei der Rosanen leichte Beute. "Wir nähern uns der Feste von Südosten. Deshalb können wir sie noch nicht sehen."
Bergketten verdeckten ihnen die Sicht. Ein Beobachter dort oben jedoch, würde sie mit Leichtigkeit erkennen können. Das war einer der Gründe, warum eben dort die alte Feste des Clans der Könige errichtet worden war.
"Meinst du, wir werden dort sicher sein", fragte Thogrimm. Er schlang hastig das letzte Stück Fleisch herunter und spülte mit einem Schluck Wasser nach.
"Sicher? Vielleicht für einige Tage. Aber die Rosanen werden kommen. Wir können dort neue Kräfte tanken, unsere Wunden versorgen und vielleicht einige Vorräte aufnehmen. Aber sicher werden wir erst sein, wenn der letzte Rosane tot ist."
"Hawkeye hat gesagt, wir werden neue Männer sammeln und wieder gegen Entremont ziehen."
Das stimmte. Genau das hatte Hawkeye gesagt und auch Frederick selbst hatte dieses Versprechen gegeben. Nur ob das noch möglich war?
"Sicher, mein Bruder, wir gehen wieder nach Entremont", hörte Frederick sich sagen und starrte dann plötzlich Thogrimm an. Auch dieser bemerkte, was Frederick soeben gesagt hatte. Noch zur Zeiten ihrer Großväter und Väter - sogar ihre älteren Geschwister - hätte ein Steiner lieben einem Eisner den Schädel gespalten, als ihn als seinen Bruder zu bezeichnen. Und jetzt saßen hier zwei Kinder dieser alten Clans und teilten ihr Frühstück miteinander. Nach einigen Sekunden des Schweigens reichten sie sich die Hände. Dann aßen sie weiter. Beide versuchten die Tragweite zu verstehen, in der sich das keltische Volk bereits geändert hatte. Im Krieg waren die Stämme vereint worden wie nie zuvor in der Geschichte und wieder fragte sich Frederick, warum diese Einheit erst jetzt gewachsen war.
Er schluckte den letzten Bissen Brot hinunter und stand auf, wobei er Thogrimm stumm zunickte. Langsam schritt er durch die Reihen der Krieger, die noch schliefen, stieß jeden an und weckte ihn. Hawkeye ließ er bis zum Schluss ruhen. Es waren vielleicht nur eine Minute oder zwei, aber jeder Augenblick war kostbar. Zumal Hawkeye nicht nur kämpfen sondern auch führen musste. Während ihm Erstes in die Wiege gelegt war, kam Letzteres einer schweren Bürde gleich. Führung war Verantwortung, das lernte selbst Frederick, der sich bis auf wenige Situationen in die zweite Reihe fallen ließ – jedenfalls, was die Führung der Truppe anging, im Kampf war er stets in vorderster Front - um zu lernen und zu beobachten.
„Hawkeye, es geht weiter“, sagte er leise und legte seinem Onkel eine Hand auf den Oberarm. Die Augen des älteren Krieger öffneten sich mit einem Ruck, binnen von Sekunden war sämtliche Müdigkeit darin verflogen und er stand schon auf den Beinen.
„Gib den Befehl zum Sammeln. Versucht alle Spuren, die wir gemacht haben, zu beseitigen.“ Frederick nickte und schritt die Reihe von Kriegern erneut ab, gab jedem Hawkeyes Befehl persönlich weiter. Trotz Erschöpfung und Müdigkeit lächelten viele Kelten und freuten sich auf den nächsten Abschnitt ihrer Wanderschaft. Mountain Watch war eine alte Feste, die von Ruhm der Kelten kündete. Es mochte die letzte große Bastion des Reiches sein.
Schnell brach der Trupp auf und überbrückte die Entfernung zum Ziel rasch. Die Pfade wurden steiler, der Wind pfiff rauer, doch jeder trieb den anderen voran. Kurz vor Mittag sahen die vordersten Kelten, die Zinnen der Feste von einer Anhöhe aus.
Drei massige Türme ragten in die Höhe, Mauern, breit wie zwanzig Männer, eine waffenstarrende Wand mitten in den Bergen. Mountain Watch. Der Trupp erhöhte sein Tempo, das Ziel klar vor Augen. Doch bald wurde ihr Enthusiasmus getrübt. Direkt vor der Feste lagerte ein Heer der Rosanen!
„Sie sind schon bis hierher gelangt“, keuchte Thorval neben Frederick. Dieser überschlug die Zahl ihrer Feinde kurz. „Es sind weniger als bei der Stirling Bridge!“
Während die Krieger noch beratschlagten, was sie zu tun hatten, mischte sich Hawkeye zwischen die Männer, sah auf die Rosanen hinab und begann zu lachen. „Weniger als bei Stirling? Dann haben sie keine Chance!“
Die Kelten verdoppelten ihre Bemühungen. Beinahe im Sprint überbrückten sie die letzten Meter, dann befanden sie sich auf einem Vorsprung, nur einen Steinwurf vom rosanen Heer entfernt.
Gerade rollte eine Angriffswelle gegen die Festungsmauer. Die Verteidiger schossen mit Pfeilen von den Zinnen ihrer Feste, an zwei Ausfalltoren schlugen keltische Krieger Dutzende Rosane nieder, die trotz ihrer zahlenmäßigen Übermacht, keinen Boden gewinnen konnten. An dem Wänden der Festung hing an vier Stellen das banner König Brennus´ . „Ihr wisst, was das bedeutet“, murmelte einer der Kelten. „Vier Truppführer!“ Vier der glorreichen Krieger, die an der Seite des Königs gefochten hatten, vier von den zwanzig, die ausgezeichnet worden waren, hatten ihre Stellung auf Mountain Watch eingenommen. Bei dem Gedanken an die ruhmreichen und tapferen Krieger, packten viele Kelten ihre Waffen fester.
„Und wenn Joan nicht gestorben wäre, wären es derer Fünf gewesen“, flüsterte Frederick. Er wusste nicht, ob ihm jemand gehört hatte, aber er war fest entschlossen, die Festung zu betreten!
Plötzlich fielen an einem der Ausfalltore, dem das der Truppe um Hawkeye und Frederick am nächsten lag, drei Kelten gleichzeitig und die Verteidiger kamen in arge Bedrängnis.
„Hörner und Dudelsäcke“, befahl Frederick und kurz darauf brandete ein Choral aus Lärm den nachrückenden Rosanen entgegen. Diese hielten in ihrem Angriff inne und versuchten den Ursprung dieser Störung auszumachen. Dann sprangen die Kelten aus ihrem Versteck. Ein Hagel aus Steinen, Pfeilen, Wurfmessern und –Äxten ergoss sich über die Rosanen. Zwei Dutzend von ihnen gingen im Wurfgeschoss-Gewitter zu Boden, dann standen die fünfzig Kelten im Schlachtgetümmel und mähten die Rosanen nieder. Auch von den Zinnen der Burg erklangen die keltischen Instrumente. Der Geräuschpegel stieg auf ein unglaubliches Maß und die Kelten rückten vor. Ein kurzes und heftiges Handgemenge folgte, dann stand die Reihe der Verteidiger um das Außentor wieder. Die Krieger um Hawkeye und Frederick reihten sich nahtlos in die Linien ihrer Brüder ein und boten den Rosanen den Kapf ihres Lebens.
Frederick sah sich um und erkannte zwischen den Kriegern, die Mountain Watch bewachten auch einige Schmächtige ohne Bärte. Sie setzten auch Kinder ein, stellte er erschrocken fest. Nicht das er selbst viel älter war, aber wenn die Krieger noch kein Anzeichen von Bartwuchs zeigten, so konnten sich kaum mehr als zwölf oder vierzehn Sonnenwenden sein.
Einer der Jünglinge geriet in Bedrängnis und Frederick sprang sofort dazwischen. Mit gezielten Schlägen warf er den Rosanen zurück und der Jüngling konnte wieder auf die Beine kommen. Frederick rief ihm aufmuntern etwas zu – dann erstarrte er für eine Sekunde.
Neben ihm stand kein Knabe – es war eine Frau!
In letzter Sekunde konnte er seinen Schild heben und den Schlag abwehren, der gegen seinen Kopf gerichtet war. Dann trieb er dem Rosanen seine Axt in den Bauch und schubste die Leiche in die anrückende Menge der Feinde zurück.
Sie ließen Frauen an die Waffen! Was war passiert? Stand es so schlecht um Mountain Watch? Frederick stimmte einen Schlachtruf an und ein Dutzend Stimmen in seiner Umgebung fielen mit ein. Gemeinsam traten sie den Rosanen Schritt um Schritt entgegen.
Doch während er seine Feinde bekämpfte, klammerte sich ein Teil seines Geistes an die eine Frage, die ihm nicht mehr losließ. Was war bei Mountain Watch geschehen, dass sogar Frauen zu den Waffen griffen. Und was bei allen Göttern hatte die Männer bewogen, das zuzulassen?