Insekten Eine Häufung von Infektionen bedroht ihr Immunsystem
Parasiten und Stress: Das Aids der Bienen
Forscher machten eine verblüffende Entdeckung: Bei Honigbienen bricht das Immunsystem zusammen. Die Folge: Sonst eher harmlose Erreger können ganze Schwärme vernichten. In den USA könnte das zu hohen Ausfällen bei der Ernte führen.
Von Roland Knauer
Mit ihrem Rüssel saugt eine Biene in Bordesholm den Nektar aus einer Blüte.
Mit ihrem Rüssel saugt eine Biene in Bordesholm den Nektar aus einer Blüte. Foto: dpa
Wenn in den USA wie in diesem Winter die Bienenvölker sterben, alarmiert das dort die Wirtschaftsverbände. Denn jeder dritte Bissen, der in den Vereinigten Staaten gegessen wird, hat etwas mit Bienen zu tun. Die braun-schwarz gestreiften Insekten befruchten schließlich Beeren, Kirschen und Äpfel, genauso hängt die Ernte von Brokkoli und Avocados, Melonen und Mandeln von Bienen ab. Da wundert es nicht, wenn die Bienenzucht nicht wie hierzulande eher als Hobby betrieben wird, sondern Big Business ist.
Groß-Imker besitzen dort mehr als zehntausend Bienenvölker, die im warmen Süden der USA überwintern. Früh im Jahr packen die Imker ihre Völker auf einen Truck und fahren zu den gigantischen Mandel-Plantagen in Kalifornien und weiter zu den riesigen Blaubeer-Feldern im Bundesstaat Maine. In diesem Jahr könnte die Ernte schlecht ausfallen, denn die Bienen sterben in den USA dahin.
Als die Insektenforscherin Diana Cox-Foster von der Pennsylvania State University tote Bienen genauer unter die Lupe nahm, machte sie eine verblüffende Entdeckung. Viele der untersuchten Insekten hatten nicht wie üblich an einer oder zwei Krankheiten gelitten, sondern wiesen so ungefähr das gesamte Spektrum von Infektionen auf, das Bienenforscher kennen.
Beim Menschen findet sich eine solche Häufung von Infektionen, wenn das Immunsystem wie bei Aids geschwächt ist und die Abwehrkräfte mit den Erregern nicht mehr fertig werden. US-Journalisten nennen die Krankheit der Insekten daher "Bienen-Aids".
Allerdings haben die Krankheiten bei Bienen und Menschen nur den Namen gemeinsam, schon der Erreger aber ist ein ganz anderer. Beim Menschen löst das Virus HIV die Immunschwäche aus, bei den Bienen ist die Ursache dagegen noch nicht so recht aufgeklärt.
Vielleicht steckt ja die Varroa-Milbe dahinter, argwöhnt Elke Genersch vom Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf im Norden von Berlin. Varroa-Milben schwächen das Immunsystem der Bienen jedenfalls, das viel einfacher als die Abwehrkräfte eines Menschen funktioniert.
Setzen dann noch weitere Faktoren dem Immunsystem zu, sind die Bienen sonst harmlosen Krankheitserregern gegenüber ziemlich wehrlos, und Völker brechen zusammen. Beim Menschen wissen Forscher zum Beispiel, dass Stress die Abwehrkräfte des Organismus dezimieren kann. Vielleicht ist es ja bei Bienen ähnlich, überlegt Diana Cox-Foster.
Zwei Faktoren fallen ihr auf Anhieb ein: So ist es für die Bienen mit Sicherheit Stress, wenn sie früher als in der Natur üblich aus der Winterruhe gerissen werden und auf Lastwagen oder in Flugzeugen zu ihrem ersten Saison-Einsatz reisen. Genau das ist in der industrialisierten Imkerei in den USA üblich. Als weiteren Stressfaktor hat die US-Forscherin das Wetter im Auge. Gerade in den letzten Jahren haben Wetterkapriolen den Bienenstöcken arg zugesetzt, meint die Forscherin.
Bienenvölker aber sterben nicht erst, seit der Klimawandel sich kräftig bemerkbar macht. In Deutschland gingen zum Beispiel immer im Winter in den Jahren 1945/46, 1962/63, 1972/73, 1973/74, 1984/85 und 1995/96 jeweils rund dreißig oder vierzig Prozent aller Bienenstöcke zugrunde. Jedes dieser Jahre war nicht gerade bienenfreundlich: Entweder war der Winter lang und hart, die Honigvorräte in den Bienenwaben wurden daher knapp, bevor die Tiere Nachschub in Form von frischem Nektar aus den Blüten des Frühjahrs fanden. Oder der Winter war eher mild, und die Bienen begannen früh mit der Aufzucht neuer Brut, als dann doch noch ein später Wintereinbruch zuschlug und den Völkern heftig zusetzte.
Allein entscheidet das Wetter aber kaum über das Gedeihen oder Sterben der Bienenvölker, da müssen wohl noch andere Faktoren mit hineinspielen, ist Elke Genersch vom Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf überzeugt. Als ein Faktor kommen die zunehmenden Monokulturen infrage. Zwar begeistern sich Bienen durchaus für kilometerlange Rapsfelder, an deren Blüten sie reichlich guten Nektar finden. Ist der Raps aber abgeblüht, hungern die Bienen erst einmal, weil die früher in dieser Zeit blühenden Pflanzen heute einfach nicht mehr angebaut werden.
Seit 1977 können Varroa-Milben ein weiterer Zusatzfaktor sein. In diesem Jahr wurde der millimetergroße Parasit aus Asien nach Europa eingeschleppt. Die Milben wachsen auf Bienenpuppen, die sich in verschlossenen Wabenzellen zu erwachsenen Bienen entwickeln. Zapfen Milbenweibchen den Bienenpuppen das Blut ab, übertragen sie dabei oft noch schädliche Viren. Bienen aus diesen Puppen sind schwach und besonders anfällig für Krankheiten. Auch sind befallene Jungbienen beim Schlüpfen oft verkrüppelt und können ihre Aufgaben im Stock kaum wahrnehmen.
Das Jahr 2002 war für die Varroa-Milben optimal. Schon der Februar war sehr mild, und viele Bienenvölker begannen bereits mit der Brut. Mit ihnen vermehrten sich natürlich auch die Milben.
Nach dem Juni des Jahres 2002 registrierten die Meteorologen dagegen fast nur noch Tiefdruck-Gebiete über Deutschland und Westeuropa. Bei kühlem Regenwetter fanden die Bienen kaum noch offene Blüten und Nektar.
Hungernde Bienenvölker aber ziehen recht wenig Brut hoch. Andererseits hatte das warme Frühjahr bereits für eine kräftige Vermehrung der Varroa-Milben gesorgt. Auf wenig Brut kamen daher viele Milben und die befallenen Bienenstöcke hatten bald einen sehr hohen Anteil verkrüppelter und schwacher Bienen. Unter diesen Bedingungen wundert es nicht, wenn ein Drittel der rund 900 000 deutschen Bienenvölker starb, die von 90 000 Imkern gehalten werden.
Rücken die Imker der Varroa-Milbe mit der chemischen Keule zu Leibe, zahlen sie dafür nicht nur viel Geld, sondern haben hinterher auch mit Rückständen im Bienenwachs zu kämpfen. Obendrein sind die Milben gegen eines der beiden infrage kommenden Präparate in weiten Teilen Deutschlands längst resistent.
Sanfter ist eine Behandlung der Stöcke mit Ameisensäure oder Oxalsäure. Allerdings benötigt der Imker dafür einiges Geschick und dezimiert die Milben-Population auch nur um siebzig Prozent. Auch wenn man die Methode wiederholt, bleiben immer noch zehn Prozent der Milben übrig.
Besser wäre es daher, wenn die Bienenvölker selbst die Milben bekämpfen würden. In der Heimat der Varroa-Milbe in Asien erkennen die Bienen zum Beispiel befallene Waben und vernichten sie samt der darin heranwachsenden Brut.
In deutschen Bienenvölkern kennen diese Methode aber nur sehr wenige Bienen. Man könnte den Insekten einen Teil ihrer hygienischen Eigenschaften weggezüchtet haben, vermutet Elke Genersch. Haben Züchter doch in vielen Jahrhunderten den wehrhaften Bienen auch ihre Aggressivität genommen. Heute summen daher recht sanfte Bienen über deutschen Blüten.
Allerdings gibt es anscheinend einen Zusammenhang: Je aggressiver eine Biene, umso stärker achtet sie auf Hygiene, und umso eher wirft sie mit Varroa infizierte Larven aus dem Stock.
Aus diesem Grund züchtet der Direktor des Länderinstituts für Bienenkunde in Hohen Neuendorf, Kaspar Bienefeld, inzwischen wieder die hygienischeren Bienen und hofft, in einigen Jahren eine Rasse zu erhalten, die Varroa-Milben ähnlich effektiv wie asiatische Bienen bekämpft, ohne dabei ihre Sanftmut verloren zu haben.
erschienen am 19. März 2007