Februar 1937
Reichskanzlei, Berlin
Admiral Raeder schreitet mit gemessenen Schritten an einer Karte der Nordsee vorüber. Heute soll er den Plan vorstellen, den er zusammen mit Heinz Guderian ausgearbeitet hat. War der geniale Militärtaktiker Guderian gerade erst von seinen eigenen Überlegungen einer neuen Blitzkrieg-Doktrin fertig geworden, so hatte er sich nur Stunden später mit Raeder in Verbindung gesetzt und auch Luftwaffengeneral Kesselring hinzu gezogen.
Nach einigen visionären Stunden, wie ohne eine starke Marine die Seehoheit über die Nordsee und den Ärmelkanal errungen werden könnte, war ein Plan entstanden. Ein tollkühner Plan.
„So fangen sä endläch an“, knurrt der Mann, von dessen Zustimmung oder Ablehnung die gesamte Strategie des Reiches abhängt. Adolf Hitler sitzt steif auf einem schlichten Stuhl, Ungeduld in seinem Blick. Er war gerade erst aus einer Konferenz mit Joachim von Ribbentropp, Rudolf Hess und Joseph Goebbels gekommen, in der – wie Gerüchte besagten – der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich geplant worden war. Weiteren Gerüchten zu Folge sollten auch Sympathisanten aus der Heimat des Führers an der Besprechung teilgenommen haben.
Raeder räusperte sich und trank einen schnellen Schluck Kaffee. Ihm war nach etwas Handfesterem zu Mute, doch in der Gesellschaft, in der er sich befand war das keine gute Idee.
Der Führer trank keinen Alkohol.
„Mein Führer, ich möchte Ihnen die Lage im Nordost-Atlantik und der Nordsee vorstellen. Vor einigen Wochen habe ich nach Rücksprache mit den Generälen Guderian und Kesselring der II. Unterseebootsflotte den Befehl erteilt, auf eine Beobachtungs- und Infiltrationsmission zu gehen. Konteradmiral Assmann bekam die 2. und 3. Unterseebootflottille unterstellt und begab sich sogleich nach Island. Dabei erhielt er den Auftrag, nach erkennbaren Garnisonstruppen zu suchen und diese direkt an uns zurück zu melden.
Die Meldungen des Konteradmirals waren erfreulich – Island verfügt über keine nennenswerte dänische Garnison. Die II. Unterseebootsflotte wird gegenwärtig vor Ort bleiben und dafür sorgen, dass dies auch weiterhin der Fall ist.
Somit ist der Weg offen für eine geheime Operation, die wir – Eure Zustimmung vorausgesetzt – Operation Nordwind nennen wollen. Ziel ist es, Island und die dort vorhandenen Hafen und Flughafeneinrichtungen zu erobern. Wodurch wir in der Lage sind, die britischen Inseln, die Nordsee und Teile des Atlantiks in die Reichweite der Luftwaffe zu bringen. Bei einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Britannien wird die Kriegsmarine im gegenwärtigen Zustand nicht dazu in der Lage sein, der Royal Navy die Stirn zu bieten. Die Luftwaffe jedoch ist dazu mehr als befähigt. Wir können somit den britischen Löwen in Falle eines Krieges von zwei Seiten angreifen.“
Raeder nickt einem jungen Leutnant zu, der als sein Adjutant dient, worauf dieser eine weitere Karte an die Wand des Besprechungszimmers hängt. Hitler blickt schweigend und mit tief in Falten gelegter Stirn auf die Karten.
„Sehen wir nach Kiel. Auf meine Anweisung hin haben sich dort alle Einheiten der Kriegsmarine gesammelt, deren Reichweite die Fahrt nach Island – rund 2200 Kilometer – ohne Zwischenstop erlaubt. Seit Anfang Februar halten die Einheiten dort Drills ab, um sich genau aufeinander einzuspielen. Weiterhin hat General Guderian nach einem fähigen Offizier gesucht, der in der Lage ist, die Anforderungen an Operation Nordwind zu erfüllen. Generalleutnant Becker ist als Pionier bekannt und damit für eine Seelandung, wie wir sie planen, eine vortreffliche Wahl. In Kiel sind inzwischen zwei Divisionen Infanterie seinem direkten Befehl unterstellt worden – die 1. und 2. Division Nordwind. Beide Divisionen werden noch vor Beginn der Operation Nordwind mit Pionierbrigade ausgerüstet, um sowohl schnellere Erfolge erzielen zu können, als auch Island im Falle einer Gegeninvasion halten zu können. Die Reichswerften könnten uns bis Mitte Mai mit den benötigten Transportschiffen versorgen.“
„Dieser Plan wird uns die Vormachtställung auf den europäischen Määren sichern“, lässt sich Hitler verlauten. Sein Tonfall jedoch verrät nicht, in welche Richtung er tendiert. „Nun sagen Sä mir, Admiral – warum haben Sä mich nicht eingeweiht bevor Sä die bisher ausgearbeiteten Schritte befohlen haben!“
Raeder nickt kurz. Er hatte damit gerechnet. Besser gesagt – Guderian hatte damit gerechnet. So war die Antwort darauf schon lange geplant, bevor der endgültige Schlachtplan für Operation Nordwind überhaupt stand.
„Mein Führer, wir wissen alle, wie sehr Ihr beschäftigt seid, um das Reich zu regieren. Wir wollten Euch nicht mit den unwesentlichen Kleinigkeiten stören, sondern Euch einen vollendeten Plan aufzeigen, der – sofern er Euch gefällt – nur noch ausgeführt werden muss.“
Ein Lächeln zuckt über die Mundwinkel Hitlers.
„Guter Mann. Wenn alle meine Generäle und Admiräle so fähig sind wie Sä, Raeder, dann werden wir die Welt erobern! Leiten Sie alle notwendigen Schritte ein!“
Hitler erhebt sich und verlässt den Raum. Hess folgt ihm, ebenso seine Leibwächter. Zurück bleiben Raeder, Guderian und deren Stabsoffiziere. Und Joachim von Ribbentropp.
„Können wir noch etwas für Sie tun, Herr Reichsminister“, fragt Guderian, der sich ruhig im Hintergrund gehalten hatte.
„Das können Sie tatsächlich. Sie wissen, dass so eine Operation Krieg mit Dänemark bedeuten wird. Während ich nicht daran zweifle, dass die Wehrmacht sich von den dänischen Verbänden nicht aufhalten lassen wird, frage ich mich doch, ob Sie die internationalen Auswirkungen dessen berücksichtigen. Wir planen durch politischen Druck, Territorien zurück zu beanspruchen, die rechtmäßig deutsch sind. Dazu bedarf es Feingefühl. Einer souveränen Nation den Krieg zu erklären gehört nicht zu den taktvollen Methoden und könnte den größeren Plan gefährden. Mehr, als Sie es sich vorstellen können, in ihren glänzenden Uniformen.“
Guderian lächelt nun kalt.
„Herr Reichsminister, welche Schritte Sie auch immer für notwendig oder überflüssig erachten – was immer Sie auch gegenwärtig planen – der Führer hat bereits seine Zustimmung gegeben. Wenn Sie Einwände haben, sollten Sie sich an den Reichsführer SS wenden. Doch ich gebe Ihnen zu Bedenken, dass ich ebenfalls mit ihm gesprochen habe. Und er war sehr angetan von Operation Nordwind.“ Von Ribbentropp wird etwas fahler im Gesicht, als ihm die Feindseeligkeit des Generals direkt ins Gesicht schlägt.
„Sie würden doch nicht dem direkten Befehl des Führer widersprechen, Herr Reichsminister, oder?“ Guderian wendet sich Raeder zu. „Vielleicht sollte ich noch einmal mit Himmler sprechen, was meinen Sie, Admiral?“
Doch bevor Raeder antworten kann, lenkt von Ribbentropp ein. „Ich habe Sie sehr gut verstanden, Guderian. Versuchen Sie Ihr Glück. Aber denken Sie nicht, ich hätte Sie nicht vor persönlichem Ruhm gewarnt.“
Dann noch einen Blick auf Spanien. Die Sozialisten machen Boden gut.