„Schau mal!“, rief er plötzlich.
„Was ist das?“, fragte Norayk und kam näher. „Sieht aus wie… Markierungen“, kommentierte sie gleichgültig und zeigte auf die Linien und Formen. Felb trat einen Schritt von der Wand weg und musterte die Striche. Überrascht stellte er fest, dass es Bilder waren. Sie erinnerten ihn an die bestickten Wandteppiche, die er bei Meister Zordoz und anderen Hohen Herren Sonnweilers an den Wänden hatte hängen sehen. Nur waren diese Bilder ungleich primitiver, Höhlenmalereien, mit schwarzer Farbe auf die Wände gepinselt und vom warmen Nebel schon stellenweise verblasst. So, wie die Bilder der Ratsherren deren Villen mit alltäglichen Szenen Sonnweilers – von der Arbeit auf den Feldern, den Streifzügen der Eisläufer oder dem Leben im Krater - schmückten, taten es auch diese Malereien.
Auf einer der Kritzeleien saßen stümperhaft gezeichnete Männchen um ein Lagerfeuer herum und mit dem Anflug eines Lächelns dachte Felb an die Lagerfeuergeschichten der Eisläufer zurück. Auf einem anderen war es heller und es sah aus, als ob die Männchen tanzten. Auch Zordoz hatte solche Bilder gemocht, nur waren die Tänzerinnen auf seinen Wandteppichen für gewöhnlich… Felb wurde rot und schaute schnell weiter. Auf einem dritten Bild waren Tiere zu sehen, die auf eine Art Dorf oder vielmehr ein paar Hütten zukrochen. Die wenigsten davon konnte er benennen, dafür waren die Zeichnungen zu simpel gehalten. Allen voran aber kroch etwas, das mit etwas Fantasie als Schlange durchgehen konnte.
Über den Hütten war etwas in den Himmel gemalt worden. Es sah aus wie ein großes Feuer und strahlte in alle Richtungen wie ein Sonnenstein, der in der Luft schwebte. Auf den späteren Bildern stand es immer tiefer über den Häusern und die Menschen hatten die Arme erhoben, wie um es in Empfang zu nehmen. Manche hatten noch ihre Werkzeuge in den Händen, Schaufeln, Hacken, Mistgabeln. Ein kleines Männchen hielt sogar eine Sichel in die Luft, die zwischen zwei schlangenförmigen Strahlen gemalt waren, die von dem Ding ausgingen. Auf dem letzten Bild schließlich stand der Himmelssonnenstein knapp über den Hütten und zerfiel in viele kleine Lichter. Ein Strichmännchen stand darunter. Es brannte.
Plötzlich erwachte Felb wie aus einer tiefen Trance. „Glaubst du – glaubst du, das ist die Prophezeiung? Die Schlange, die Sichel und – der Feuermann?“ Felb zeigte nacheinander auf die entsprechenden Bildnisse. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. Das waren nur Kritzeleien, jeder Lehrling in Sonnweiler hätte das besser hinbekommen. Was Forfeauts Hirn, gelähmt von der kalten Luft in den Tunneln unter Tage, in seinem Wahn darin zu sehen geglaubt hatte, das wusste er wohl nur selbst. Bilder der Göttin, pah.
Norayk sah auf. „Na hoffentlich nicht“, meinte sie und zeigte auf ein letztes Bild. „Sonderlich glücklich sehen die nämlich nicht aus.“ Die Männchen, die eben noch getanzt und den Himmelssonnenstein begrüßt hatten, lagen ringsum auf dem Boden verstreut. Sie wirkten wie… tot.