Die Tür stand einen Spalt breit offen, der Echsenmann hatte sie nicht wieder sorgfältig in den Rahmen gestellt, nachdem er das Zimmer betreten hatte. Gut möglich, dass jemand im Treppenhaus Nebbs Überlegungen gelauscht hatte. Toriphor war noch nicht klar, was er mit den Tunneln wollte, aber wenn sie das zum Stein – und ihn zu seiner Rache – führte, bitte, dann halt Tunnel. Ihr Vorhaben war allerdings durchaus... delikat und was er nicht gebrauchen konnte, war, dass ihnen jemand die Echsen an den Hals schickte und sie ihm beim Lichtfresser zuvorkamen. Schlimm genug, dass Norayk sich mit diesen Viechern angelegt hatte – wofür überhaupt?
Prüfend musterte er die Schattenfrau. Der improvisierte Verband nässte leicht, aber sie ließ sich keine Schmerzen anmerken. Unverwandt schaute sieh zurück und nickte dann unmerklich, ein Nicken, so zart und leicht wie ein warmer Windhauch am Ufer des Kratersees. Warum so dezent? Weil der Junge im Raum ist? Der Schlächter schloss zum Zeichen, dass er verstanden hatte, die Augenlider eine kleine Winzigkeit länger als üblich und Norayk wandte sich ab. Dann hob er mit einem Ruck die Tür auf und trat durch den offenen Türrahmen ins Treppenhaus.
Im Schankraum war es still. Die Larvenfarmer würden erst hier aufschlagen, wenn der Schlangenschatten weitergewandert war. Die wackligen Stühle, auf denen sie ihren Feierabend begossen, standen krummbeinig und verwaist in ihrer Ecke. Die Tür zur Kneipe saß fest – zumindest, so fest, wie es das schiefe Ding zuließ – in den Angeln. Daneben war die Delle in der Wand, wo die hässliche Wirtin den Krug nach ihm geworfen hatte. Die Fensterlöcher waren fest vernagelt. Sehr gut. Langsam trat der Schlächter an den Stammtisch der Farmer und fuhr mit den Stümpfen der verkrüppelten Hand die fleckigen Ränder nach, die ihre Krüge auf dem welligen Holz hinterlassen hatten. Nicht einmal anständiges Bier gab es in dieser beschissenen Stadt, nur dieses scharfe, ölige Zeug, das aus den Knollen gewonnen wurde. Kaum waren sie hier, in dieser Mutter aller räudigen Absteigen, untergekommen, hingen sie Toriphor schon zum Hals raus. Kein Fleisch kam hier jemals auf den Tisch, alles war aus diesen bitteren Dingern gemacht: Knollensuppe, Knollenbrei, gekochte Knollen, Knollenschnaps. Und Trondine ware eine überaus schlechte Köchin.
Toriphor ließ sich auf einen der niedrigen Stühle fallen und trommelte ungeduldig mit den Fingern der rechten Hand auf dem Tisch. Da dort, wo seine zwei Finger gewesen waren, nur die Stümpfe zuckten, war es ein unsteter, abgehackter Rhythmus. Der Tisch wackelte leicht.
„Du bist keine sehr aufmerksame Gastgeberin, Trondine.“ Ein Wimmern erklang hinter dem Tresen. Toriphor verzog das Gesicht zu einem Grinsen. „Sei doch so gut und bring mir – das Übliche.“, fuhr er fort und wartete. Ein Klappern war zu hören, ein Fassdeckel wurde verschoben und ein Gluckern erklang. Kurz darauf trat Trondine mit einem kleinen Becher voll der schwarzen Flüssigkeit hinter dem Tresen hervor. In der anderen hielt sie einen ranzigen Lappen. Zitternd kam sie auf den Tisch zu und stellte den Becher ab. Toriphors Hand schoss im gleichen Augenblick vor und ihre Hand, die den Lappen hielt. „Wa... wa...“, stammelte die hässliche Frau. „Ach Trondine, bei dem Tisch brauchst du dir auch keine Mühe mehr geben.“ Er bog ihr Handgelenkt zurück und die Wirtin begann zu winseln. Das schartige Küchenmesser, das sie unter dem Lappen versteckt hielt, fiel polternd zu Boden. Toriphor hob betont überrascht eine Augenbraue. „Du hast etwas fallen gelassen, Trondine. Wie ungeschickt. Warte, ich helfe dir.“ Ohne sie loszulassen griff Toriphor mit der freien Hand nach dem Messer. Trondines Augen weiteten sich vor Angst. „Wa... wa...?“ Dann legte er es behutsam vor sich auf den Tisch, sodass es mit der Klinge auf die Frau zeigt. „Komm, setz dich doch. Ich lad‘ dich ein. Du wirkst nämlich ein wenig aufffgebrachhht“, sagte Toriphor und ahmte bei den letzten Worten Forfeauts Akzent nach. „Auch wenn du nicht besonders freundlich zu mir warst, seit wir hierhergekommen sind.“ Er funkelte sie an, dann zwang er sie auf den Stuhl neben sich und ließ ihre Hand frei. Trotzdem rührte sie sich kein Stück. „Weißt du, Trondine, es ist nicht sehr schicklich, seine Gäste zu belauschen.“
„I... ich...“ - „Du verstehst mich doch, oder?“ – „J... ja, ich... n... ‘ntschuldige... b... bitte... v... vielmals, H... Herr To... to... toripho‘“ Tränen rannen über die verstaubten Wangen der Frau. Toriphor tätschelte ihre Hand und sie zuckte zusammen. „Was ist denn mit dir, Trondine? Hast du – Angst?“ Sie nickte stumm. Zufrieden griff Toriphor nach dem Küchenmesser und fing an, sich die Nägel zu säubern. So hätte dieser Scheißverräter Bronco winseln müssen, genau so. Und dann hätte er ihm voll Genugtuung den Hals durchgeschnitten. „Das tut mir Leid. Aber dann hättest du nicht lauschen dürfen.“ Mit gespieltem Mitleid blickte der Schlächter sie an. „I... ich... d... da war Blut vor’a Schenke u...un ich ha...hab ein Poltan gehört un en Knall...“ Einer von Toriphors Nägeln brach ab. Verärgert legte er das schartige Messer weg. „Und dann hast du beschlossen, zu lauschen. Zu lauschen, was diese fremden Leute sich zu erzählen haben. „I... ich... n... nein!“, brachte sie unter Schluchzen hervor. „Und was hast du jetzt vor, Trondine? Wirst du jetzt zu den Echsen gehen?“ Sie schaute ihn aus großen, tränenunterlaufen Augen an, dann schüttelte sie energisch den Kopf. „N... nein, Herr, n... niemals! Die Ge... ge... g’schuppten ham hier nix verlor’n!“ Toriphor lehnte sich zurück. „Na dann. Dann haben wir ja gar kein Problem miteinander, oder?“ Die Wirtin entspannte sich etwas. „N... nein. Ka... kann ich – gehn'?“
„Aber du hast doch noch gar nicht ausgetrunken. Willst du meine Einladung denn nicht annehmen?“ Sie zog geräuschvoll den Rotz hoch, wischte sich mit dem fleckigen Lappen die Tränen aus dem Gesicht und griff mit zittrigen Fingern nach dem Becher. Auf dem Weg zu ihren rissigen Lippen verschüttete sie die Hälfte und der scharfe, fischige Geruch biss in Toriphors Nase. Er schlug ihr achtlos den Becher aus der Hand und die hässliche Frau zuckte zusammen. „Oh, wie ungeschickt. Komm, wir holen dir einen neuen.“ Der Schlächter packte sie wieder am Arm und zog sie hoch. Die bleiche Frau wurde noch bleicher. „B... bitte Herr Toriphor, i... ich... k...keine Gschuppt’n...!“ Unbeeindruckt zerrte er sie hinter den Tresen an das Schnapsfass. „Ich lausch‘ auch nimmer, versproch’n!“ Ihre Worte überschlugen sich. Toriphor konnte ihren Puls am Handgelenk rasen spüren. Er setzte ein Lächeln auf, das eines Henkers. Oder Schlächters.
Blitzschnell schossen seine Hände vor, er packte die kleine Frau am Hals und presste sie über den Fassrand. Mit Gewalt drückte er sie unter die schmierig schimmernde Oberfläche, unbeholfen schlugen ihre krummen Hände nach ihm. Aber sie waren zu kurz. Die Beine strampelten verzweifelt, der Mund formte Luftblasen, die aufstiegen und beim Zerplatzen blubberten. Außer dem Platschen war kein Geräusch zu hören. Ein Schwall Schnaps flog ihm quer übers Gesicht, und der Schlächter schloss die Augen. Nur um sie nachher schnell wieder aufzureißen, er wollte den Moment ihres Ablebens nicht versäumen. Unter der öligen Oberfläche verschwamm ihr Gesicht in Toriphors Augen zu dem von Bronco. Dann zu dem von Nebb. Er packte härter zu. Gleich war es so weit.
Der Frauenleib begann unkontrolliert zu zucken, streckte sich noch einige Male voll durch und sackte dann leblos zusammen. Ihre Arme erschlafften und die Beine knickten vor dem Fass zusammen. Ihre schmutzig-braunen Haare schwebten im Schnapps und umspielten das entstellte Gesicht. Mund und Augen waren weit aufgerissen. Toriphor ließ sie lost und schüttelte die nassen Ärmel aus. Da hörte er ein Poltern hinter sich.
Felb stand im Schankraum und starrte ihn fassungslos an. „Sie – sie hat doch niemandem was getan!“, stammelte er leise. Mit Schwung zog Toriphor den Kopf der Leiche aus dem Fass und ließ ihren erschlafften Leib hinter dem Tresen auf den Boden sacken.
„Sie hat geschnüffelt. Das passiert nun einmal mit Leuten, die mir hinterherschnüffeln.“ Der junge Lichtschmied schluckte. Knollenschnaps tropfte von Toriphors Ärmeln und Fingern auf den Boden und vermischten sich mit dem Staub zu seinen Füßen. Was Norayk wohl an diesem schwächlichen, ängstlichen Männlein fand. „Ein wenig mehr Dankbarkeit wäre angebracht. Ich hab das schließlich auch für deine Herrin gemacht.“
„Nein!“, schrie Felb. „Sie würde nicht –“ Er wedelte mit den schlaksigen Armen. „Frag sie doch, Arschloch. Dann kannst du nächstes Mal selbst ihre Drecksarbeit erledigen. Hat sie dich geschickt? Oder war es der Lichtfresser? Was gibt es?“
„Wir wissen jetzt, wie wir es machen. Das mit dem Stein“, sagte der Junge und senkte seinen Blick. Großartig – so langsam begann Toriphor die Sache Spaß zu machen.