@ Mitchizen
Ich glaube heutzutage mißinterpretieren viele die biblischen Texte indem sie annehmen sie entsprechen einer absoluten göttlichen Weisheit. Sprich jedes Wort ist von Gott direkt eingegeben und damit unfehlbar. Sicherlich glauben viele Menschen dies heute und viele strenggläubige Menschen der damaligen Zeit haben Teile der Bibel ebenso betrachtet. Die Bibel ist aber ein Gesamtwerk bei dem vielen gegensätzlichen religiösen Gruppen erlaubt wurde ihre eigene Meinung/Vorstellung von Gottes Willen einzubringen. Es ist also, wenn man es mit der Politik vergleichen würde, ein Sammelsurium an Meinungen, ebenso wie in unserem Bundestag, wo es Parteien aus dem Rechten, den Mittleren und dem Linken Spektrum gibt. Die Linken behaupten das totale Gegenteil von dem was die Rechten als richtig befinden, und die aus der Mitte sind sich auch nur selten einig und haben allzu oft sogar noch eine 3te alternative Meinung, was man tun sollte, und was richtig ist.
Die einzelnen Bibelbücher sind durch verschiedene priesterliche Gruppen geschrieben worden, die sich untereinander zumeißt kaum einig waren. In späteren Epochen entschieden religiöse Führer wiederum was man in die "heilige Schrift" aufnehmen sollte, und was nicht zum Kanon gehören durfte. Da wurden dann zumeist Meinungen die weit am Rande des Spektrums standen von der Mehrzahl der Entscheidungsträger ausgeschlossen, deswegen finden wir solche Bibelbücher in den Apokryphen und nicht im Kanontext. Dies gilt sowohl für das Alte Testament wie auch für das Neue. Aber selbst die Bibelbücher die aufgenommen wurden wiedersprechen sich oft sehr deutlich, in grundlegenden religiösen Fragen. Dennoch nahm man beide Meinungen auf, weil eben diese Priesterschaften und Entscheidungsträger eben nicht eine einzelne Sichtweise für absolut richtig und die andere für absolut falsch hielten.
Nehmen wir mal ein Beispiel aus der nachexilischen Zeit. Da wird im Bibelbuch Nehemia und Esra dafür plädiert, dass man nach der Rückkehr in die Heimat keinesfalls sich mit den inzwischen dort von den Persern angesiedelten Fremdvölkern in Israel vermischen darf. Als Nehemia in Jerusalem ankommt und sieht dass die Männer sich dort ausländische Frauen genommen haben, zitiert er alte Gesetze aus den Büchern Mose, die es verbieten Moabiterinnen zu heiraten. Deswegen gibt er die Anweisung, dass die Juden ihre ausländischen Frauen verstossen sollen, mitsamt der gemeinsamen Kinder. Eine solche rigide Politik, begründet auf alte Gesetzestexte, die womöglich von Nehemia selbst gefälscht sein könnten, da er selbst angab, die alten verbrannten Texte bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier, nun selbst neu aufgeschrieben zu haben, stieß sicherlich auf viel Kritik im Lande. Speziell bei den mit Ausländerinnnen verheirateten Männern. Da ist es dann nicht verwunderlich dass man annimmt, dass das Bibelbuch Rut(h) auch in dieser Zeit verfasst wurde, und eine Gegengeschichte darstellt. Bibelwissenschaft.de stellt dies zusammenfassend so dar:
QuelleIn Neh 13,1ff wird hingegen der Wortlaut des so genannten Moabiterparagraphen dafür verwendet, um die Aufnahme von Menschen aus dem Nachbarvolk, insbesondere seiner Frauen (vgl. Neh 13,23-27), zu verbieten. Das Rutbuch erzählt dazu eine unpolemische Gegengeschichte, in der deutlich wird, dass die Moabiterin Rut die Güte des Gottes Israels wesentlich besser verwirklicht als die angesehenen Männer Betlehems und das Aufnahmeverbot somit nicht mehr zu halten ist. Das Rutbuch ist daher als Gegenstimme zur Fremdenpolitik, wie sie gleichzeitig in Esr und Neh vertreten wird (vgl. Esr 10), zu verstehen. Es plädiert nicht für unbegrenzte, jedoch für begründete Aufnahme von Fremden in die Gemeinde Israels, selbst wenn sie aus dem (in nachexilischer Zeit) verfeindeten Nachbarvolk Moab stammen.
Solche Gegensätze kann man auch für viele anderen Themenkomplexe finden. Nehmen wir zb das Thema der Auferstehung, das erst relativ spät Einzug in die Bibel gehalten hat. Während in den 5 Büchern Mose von Auferstehung nirgendwo explizit gesprochen wird, kommt das Thema in späteren Bibelbüchern wie zb im Buch Daniel und in manchen sehr späten Psalmen deutlich hervor. Wie man im neuen Testament sehr genau beschreibt, gab es in Judäa zur Zeit Jesu mehrere konkurrierende religiöse Gruppen. Während die Pharisäer an die Auferstehung glaubten, widersprachen die sehr konservativen Tempelpriester, die für das Opfern zuständig waren, und sich als Elite der Priester im Land ansahen, der Auferstehung offen. Das war die Gruppe der Sadduzäer. Sie hielten Bibelbücher wie wie Danielbuch für Blödsinn, und all diese neuartigen "Theorien" dort. Sadduzäer anerkannten nur die 5 Bücher Mose, sonst nichts. Deswegen hielten sie die Auferstehung für einen ausländischen Mythos, und wiedersprachen ihm offen. Man vermutet daß das Bibelbuch Prediger (=Kohelet) auf sadduzäische Kreise zurück geht. Deswegen wird im Predigerbuch die Auferstehung offen abgelehnt. Das Hauptthema des Buches ist "Vergänglichkeit" -> Alles ist vergänglich (wörtlich "Windhauch"). Bibelwissenschaft fasst es so zusammen:
QuelleNeben diesen Ansätzen zur Überwindung der Todesgrenze leben jedoch traditionelle Todes- und Jenseitsvorstellungen weiter (vgl. Hi 14,7-12 u.ö.). Darüber hinaus bleibt die Erwartung einer Auferstehung / eines ewigen Lebens innerhalb des Alten Testaments nicht unumstritten, wie die Kritik von → Kohelet zeigt (Pred 3,19-22; Pred 6,6; Pred 9,1-6 u.ö.). Kohelet steht damit am Beginn eines Diskurses um Jenseitserwartungen, der sich in neutestamentlicher Zeit in der Auseinandersetzung zwischen den Pharisäern als Vertretern einer Auferstehungserwartung und den Sadduzäern, die eine solche Hoffnung zurückweisen, zuspitzt. In den Apokryphen und Pseudepigraphen findet sich neben der apokalyptischen Auferstehungserwartung (2Makk 7,9-14) die Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele (Weish 3,1-4).
Inhalt der zitierten Bibeltexte:
Achtung Spoiler:
Das Buch wurde auch erst sehr spät in den Bibelkanon aufgenommen, laut Bibelwissenschaft.de:QuelleDie Aufnahme Kohelets unter die „heiligen Schriften“ war im antiken Judentum noch im 1./2. Jh. n. Chr. umstritten. Während die Schule Schammais dessen Heiligkeit verneinte, bejahte sie die Schule Hillels (vgl. im Babylonischen Talmud die Traktate Jadajim III,5; IV,6; Edut V,3; Megilla 7a; Text Talmud 2)
Das sollte deutlich machen, dass die Bibel ein Buch ist das viele gegensätzliche Meinungen aus den verschiedensten Epochen zu Wort kommen lässt. Und so wie es meine Beispiele für das Alte Testament zeigten, könnte man im Neuen Testament weiter machen. Auch dort gibt es viele plurale Meinungen. Während zb das ältere Markus-Evangelium Jesus als menschlich darstellt, auch mit kleineren Makeln, der in der Urfassung am Ende noch nicht einmal von den Toten aufersteht, zeigt das später entstandene Johannes-Evangelium einen unfehlbaren Gott der nur noch in Menschengestalt (wie in einer Hülle) auftritt. Die Idee eines präexistenten Jesus im Himmel vor seiner Zeit auf der Erde ist dem Markus-Evangelium völlig fremd. Diese Vorstellung ging erst später ins Christentum ein. Speziell durch den weitverbreiteten Glauben der Griechen und Römer, die die Idee eines göttlich gezeugten oder auf die Erde fahrenden Gott bestens kannten (man denke nur an Gottessöhne auf Erden wie Herakles und Perseus), und schon bald in Scharen zu Christen wurden, nach Paulus Mission. Für die ersten jüdischen Christen in Jerusalem war diese Vorstellung absolut blasphemisch. Sie waren überzeugte Monotheisten. Ihr Gott würde niemals einen echten leiblichen Sohn zeugen. Der Messias war in alttestamentlichen Vorstellungen ein menschlicher König oder Hohepriester, der von Gott bevollmächtigt wurde, und bestenfalls wie Davids Sohn Salomo adoptiert werden konnte. Dennoch war Salomo ein normaler Mensch der auch alt wurde und starb, keinesfalls präexistent und göttlichen Ursprungs. So etwas kannten nur die Griechen und Römer, die beispielsweise ihre Könige und Cesaren wie echte Götter oder leiblich gezeugte Söhne verehrten. Auch Alexander d. Große und viele weitere antike Gestalten behaupteten von Göttern gezeugt zu sein, oder zumindest Familien zu entspringen deren Vorfahr ein (Halb)gott war. Den Juden war solch Gedankengut als echte Monotheisten ein absoluter Greuel. Deswegen kämpften die Juden in christlicher Zeit auch so stark gegen diesen Gedanken an, dass der Begründer der Christenheit ein echter leiblicher Sohn JHWH´s wäre. Es gibt überlieferte jüdische Gebete die man in den Synagogen damals praktizierte, bei denen die Christen verflucht wurden, eben weil sie solchen blasphemische Dinge lehrten.