Zitat Zitat von Der Falke Beitrag anzeigen
Nana, du verwechselst hier weltliche und geistliche Dimension. Bei Luther bspw. ist es definitiv so, dass er eine eigene Mündigkeit aller Menschen in Bezug zu ihrem Glauben wollte, also dass die Menschen selbst die Bibel lesen (weshalb er sie auch übersetzt hat) und eben nicht einer Institution und deren Glaubenssätzen hörig sind (wie bei der katholischen Kirche), weshalb er auch das Buch von der "Freiheit eines Christenmenschen" geschrieben hat.

Bei den Bauernkriegen war dann das Problem, dass die Bauern (und ein paar extremere Reformatoren wie Thomas Müntzer) das auf die Leibeigenschaft bezogen haben, was Luther aber damit gar nicht gemeint hatte. Man muss bedenken, dass zur damaligen Zeit das Gottesgnadentum vorherrschend war und Luther das auch nie in Zweifel gezogen hat, sondern sogar ausdrücklich die weltliche Ordnung für Gottgegeben hielt und dementsprechend verteidigt hat.

Luther wollte übrigens auch nie die Kirche spalten und sah sich auch nicht als Revolutionär. Er kam zu einer bestimmten rein theologischen Auffassung, und wollte mit den 95 Thesen auch eine Reform der Kirche erreichen, aber als die das nicht wollte, konnte und wollte er seine Überzeugungen nicht fallen lassen.

Viel eher kritikwürdig finde ich daher bei Luther seinen Antisemitismus. Aber auch Luther war halt nur ein Mensch und anders als der Papst das für sich in Anspruch nimmt nicht unfehlbar. Er lag bei vielem richtig, aber war keineswegs eine unanzweifelbare Lehrautorität. Der einzige Mensch, der jemals unfehlbar und in allem richtig war, war Jesus.
Zu deiner nicht ganz korrekten Gegenüberstellung von Papst und Luther wurde ja schon etwas gesagt; übrigens sah sich Luther selbst durchaus in der Position, letztgültige Lehrentscheidungen zu treffen, wie man etwa beim Briefwechsel mit Erasmus sehen kann.

Die von dir versuchte Abgrenzung weltlicher und geistlicher Dinge wurde tatsächlich lange als Argument verwendet, Luther von der Verantwortung für seine Mordaufrufe zu entheben. Das passt aber schon deshalb nicht, weil er selbst ja die Fürsten als "Notbischöfe" angesehen hat und eine sehr enge Bindung von "Thron und Altar" unterstützte, die dann in den "lutherischen" Ländern tatsächlich auch jahrhundertelang bestehen blieb. Der jeweilige Landesherr war in diesen Staaten und Ländern oberste Autorität auch in Glaubensfragen und blieb es zum Teil bis zum Sturz der Monarchien (und in Nordeuropa zum Teil bis zum heutigen Tag). Luther war (wie viele seiner Mitstreiter) durchaus auch bereit, gegen nicht reformationswillige Fürsten und Länder zu Kriegszügen aufzurufen, was ebenfalls nicht zu der Interpretation passt, die Reformatoren hätten anders als Müntzer strikt zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre getrennt.

Diese Lutherdeutung wird in den meisten neueren, häufig zum Jubiläumsjahr erschienenen Biographien eher der späteren Entwicklung zugeschrieben. Ein nicht geringer Teil des königstreuen lutherischen Episkopats sah es nämlich im 19. Jh. als Pflicht an, neben dem Gebet für Kaiser und Reich und dem Aufruf an die Gläubigen, sich der gottgewollten Autorität zu unterwerfen, keine weiteren politischen Positionen zu beziehen. Das wurde natürlich auch von ihnen selbst nicht wirklich befolgt (beispielsweise forderten dieselben Bischöfe und Theologen durchaus öffentlich, Katholiken und Juden keinesfalls mit Universitätslehrstühlen zu bedenken), aber die angebliche Trennung weltlicher und geistlicher Dinge schon bei Luther war ein geeigneter Weg, Forderungen nach mehr Mitbestimmung abzuwehren.