Ergebnis 1 bis 6 von 6

Thema: Geschichten und Anekdoten

  1. #1
    Zurück im Norden
    Registriert seit
    01.05.12
    Beiträge
    35.887

    Geschichten und Anekdoten

    Gesammelt vom Bibliothekar Wilhelm von Hildesheim (1519-1585).

  2. #2
    Zurück im Norden
    Registriert seit
    01.05.12
    Beiträge
    35.887
    Kurze Sentenzien des jüngst verstorbenen Alim Khan (1419/1420)

    Als sein Sohn Bembyl als junger Mann beim Training vom Pferd fiel und wütend ein anderes Tier verlangte: „Gib dem Gaul nicht die Schuld! Steig auf und diszipliniere ihn! Nur ein Ritter braucht ein bestimmtes Pferd, um kämpfen zu können. Deshalb zahlen die Ritterkönige uns auch Tribut.“

    Als der König von Burgund ihm sein neues, edles Streitross zeigte und dessen Größe mit der mongolischer Pferde verglich: „Ihr habt recht, es ist ein wunderbar großes Tier! Mir gefällt es sehr. Sollten wir uns jemals auf dem Schlachtfeld begegnen, wäre es viel leichter zu treffen als eines dieser mickrigen Pferde, die wir verwenden.“

    Als er von den europäischen Ritterturnieren und den Begeisterungsstürmen der Damen hörte: „Ich hoffe, sie erwarten nicht, dass wir sie im Krieg auch mit Blumen bewerfen?“

    Als er hörte, dass der böhmische Khan säumigen Fronpflichtigen Geld bezahlte: „Früher wäre Eisen statt Silber ihr Lohn gewesen, aber vielleicht hat der Khan die Bauern mit Werwölfen verwechselt?“

    Als der Schwede Ole Obelixsson ihm seine Kraft demonstrierte, indem er einen Baumstamm zerbrach: „Deshalb werfen wir nicht mit Baumstämmen, sondern schießen mit Pfeilen.“

    Als er vom neuen Spiel „Völkerball“ hörte: „Sich gegenseitig mit Bällen bewerfen? So etwas hatten wir in meiner Jugend auch. Wir benutzten dazu Speere und nannten es <Krieg>.“

    Als er am Ende seines Lebens vom Pferd stürzte, den Tod nahen fühlte und seine Tochter Khordla weinen sah: „Do jitt et nix zo kriesche! Besser von einem guten Pferd als von einem schlechten Mann getötet werden.“

  3. #3
    Zurück im Norden
    Registriert seit
    01.05.12
    Beiträge
    35.887
    Der Kampf zwischen König Magnus von Schweden und dem dänischen Regenten Bertold von Ebberup

    Augenzeugenbericht eines unbekannten Höflings


    Kurz vor dem Osterfest traf ein "Baron von Bassewitz" in Kopenhagen ein und gab sich als Gesandter des Erzbischofs von Mainz aus. Angeblich wollte er die Regenten in einer Angelegenheit sprechen, die keinen Aufschub duldete. Im Thronsaal gab sich der Mann dann als König Magnus von Schweden zu erkennen und forderte den dänischen Reichskanzler zum Kampf heraus. Dieser nahm an, wobei beide sich noch gegenseitig beschimpften.


    Der Bericht

    König Magnus und Reichskanzler Berthold stehen sich gegenüber. Beide haben ihr Schwert gezogen. Der Kampf soll dauern, bis einer der beiden aufgibt oder nicht mehr weiterkämpfen kann. Da der fast 22jährige Magnus etwa 25 Jahre jünger als sein Gegner ist und auch als trainierter gilt, wird er als Favorit angesehen. Bertold war in seiner Jugend aber ein herausragender Fechter und bringt wohl mehr Erfahrung mit als der junge, oft etwas ungestüme König.

    Der Kampf beginnt.

    Beide Kontrahenten halten sich anfangs zurück und scheinen auf Fehler des Gegners zu warten. Der König ist dabei beweglicher, während der Kanzler den besseren Stand hat und seine Erfahrung ausspielt. Magnus X., der als etwas unbeherrscht gilt, droht zweimal in eine Riposte zu laufen, kann aber jeweils rechtzeitig zurückweichen. Berthold fügt ihm bei einer der Attacken sogar einen Schnitt am linken Arm zu.

    Der Kampf wird von beiden Seiten weiterhin eher verhalten geführt. Der König scheint darauf zu setzen, dass sein Gegner schneller ermüdet, während dieser offenbar seiner technischen Überlegenheit vertraut. Tatsächlich sieht es so aus, als lasse Magnus X. beim vorsichtigen Schlagabtausch mehr Kraft als der erfahrenere dänische Kanzler.

    Beide Kämpfer scheinen nun allmählich müde zu werden. Der Kanzler ist älter und weniger trainiert, aber der König hat eine lange Pilgerfahrt hinter sich gebracht und leidet offenbar unter dem Blutverlust. Außerdem ist sein Kampfstil etwas weniger sauber und damit auch kraftraubender.

    Eine Unkonzentriertheit könnte nun die Entscheidung bringen.

    Am Ende des Kampfes versuchen beide Kontrahenten, dem Gegner eine schwere Verletzung beizubringen, um den Sieg davonzutragen. König Magnus hat es offenbar auf die Beine des Kanzlers abgesehen, während dieser immer wieder auf geschickt vorgetragene Gegenstöße setzt, die der König aber oft erwartet. Beide Männer tragen einige Wunden davon. Schließlich trifft der schwedische Monarch tatsächlich den Oberschenkel seines Gegners und scheint damit den Sieg zu erringen. Berthold von Ebberup kann aber im Fallen sein Schwert in den Leib des Gegners stoßen und von unten das Herz treffen.

    Der König ist beinahe sofort tot.

    Reichskanzler Berthold droht aber trotz seines Sieges, am Blutverlust und den Wunden umzukommen.

    Ein Medicus eilt herbei, während die schwedischen Ritter den Leichnam ihres Königs hinaustragen.


    So endete der Kampf des Königs von Schweden mit dem Reichskanzler und Regenten Dänemarks mit dem Sieg Bertholds von Ebberup. In Stockholm herrschte tiefe Trauer, in Kopenhagen banges Warten. Während einige Kleriker kritisch über den Mutwillen der beiden Männer sprachen, wurde im Adel Mut, Tapferkeit und Standhaftigkeit der Kämpfer hervorgehoben. Keiner hatte dem anderen nachgegeben, keiner sich von Schmerzen und Wunden beirren lassen. Besonders in Schweden überdeckte der Tod von Magnus X. - auch wenn er einem wesentlich älteren Mann unterlegen war - die Kritik an seiner Amtsführung und an der Königin, denn er war zu ihrer Ehre gefallen. Welcher Ritter hätte dies verurteilen können? In beiden Ländern entstanden in den Monaten und Jahren nach dem Kampf Heldenlieder über die Tapferkeit des eigenen Helden. In Dänemark wurde dabei der Sieg des "Außenseiters" häufig auf Gottes Hilfe zurückgeführt, während die Schweden eher den (tragischen) Kampf und Heldentod des Königs für seine Familie hervorhoben.
    Geändert von Jon Snow (22. August 2020 um 20:24 Uhr)

  4. #4
    Zurück im Norden
    Registriert seit
    01.05.12
    Beiträge
    35.887
    Das Dreikhanetreffen von Pressburg. Eine Anekdote.

    Im Jahr des Herrn 1348 standen die drei Khane Tirols, Böhmens und Ungarns in herzlichem, von familiären Banden gestärktem Einvernehmen. Cihan Khan von Böhmen war nämlich der Schwiegervater Yadgars von Tirol und Rustams von Ungarn. Dieses Einvernehmen wurde nicht von allen Edelleuten geteilt und endete mit Rustams Tod 1357, doch zu Lebzeiten der drei fiel kein Schatten darauf. Am 8. April des genannten Jahres (1348) trafen sich Cihan, Yadgar und Rustam in Pressburg. Obwohl Yadgar der jüngste der drei war, galt er doch als äußerst klug und tatkräftig, während der verschiedenen Rauschgiften ergebene Rustam die Politik Ungarns weitgehend seinem Minister Arghun überließ und Cihan immer wieder mit großen Selbstzweifeln zu kämpfen hatte.

    In den ersten Tages des Jahres 1348 waren Boten des Großkhans an alle Höfe Europas und Nordafrikas entsandt worden, um die Entscheidung des mongolischen Herrschers in den Wirren des „Ritterordenskrieges“ zwischen Johannitern und Templern bekannt zu geben. Dieser Krieg hatte in Spanien seinen Anfang genommen, dann aber ganz Europa ergriffen, denn beide Orden besaßen zahlreiche Anhänger. In Tirol und Böhmen hatten besonders die Templer viel Land erworben, und Yadgar Khan galt als Freund dieses Ordens. Daher war er mit der Entscheidung Putraq Khans keinesfalls einverstanden, zumal er fürchtete, sein Land könne von einem Bürgerkrieg heimgesucht werden, sollte man die Auflösung der Templer in ganz Europa militärisch durchsetzen müssen.

    Bei dem Treffen der drei Khane in Preßburg schlug er vor, sich einer möglichen Einberufung durch den Großkhan so lange wie möglich zu entziehen und verschiedene Gründe dafür zu nennen, etwa Probleme mit den Pferden, dem Nachschub oder den Waffen. So wäre man nicht gezwungen, gegen die Templer vorzugehen, müsste dem Großkhan aber auch nicht untreu werden. Als Cihan und Rustam dem nicht entgegentraten, ergriff der greise Minister Arghun, ein Veteran des Wittelsbacherkrieges, das Wort.

    „Majestäten, lasst mich Euch ein Angebot machen. Sollte der Großkhan rufen, es Euch aber an einem geeigneten Streitross fehlen, so werde ich Euch freie Auswahl aus meiner Herde gewähren, ja Euch sogar mein eigenes Pferd schenken. Sollte es Euch an gespannten Bögen, gut geschmiedeten Schwertern oder anderen Waffen fehlen, stelle ich euch dies mit Freude zur Verfügung. Sollte es Euch hingegen an Tapferkeit und Treue gegenüber unserem Herrn fehlen, so stelle ich meine eigene Lanze bereit. Wenn der Großkhan uns ruft, werden wir ihm unverzüglich zur Hilfe eilen, und unsere Khane werden uns anführen, wie es ihrem Eid und ihrer Pflicht entspricht. Sie werden an unserer Spitze ins Feld ziehen, auf ihren Pferden reitend – oder mit dem Kopf auf meinem Speer.“

    Der Legende nach war von diesem Zeitpunkt an das ganze Treffen über nicht mehr die Rede davon, man könne sich vielleicht auch „verspäten“.
    Geändert von Jon Snow (16. April 2020 um 09:55 Uhr)

  5. #5
    Zurück im Norden
    Registriert seit
    01.05.12
    Beiträge
    35.887
    Festung Beshbalik, 29. Januar 1424, kurz nach Mitternacht

    Der dunkel gekleidete Reiter bemerkte die Kälte mit jeder Stunde mehr. Vor drei Tagen war er von der kleinen Festungsstadt Qitai aus aufgebrochen, ohne dass ihn jemand erkannt hatte. Natürlich wäre er nicht in Gefahr gewesen, seine Leute standen schließlich in der Nähe, und der Festungskommandant war vermutlich ohnehin noch etwas durcheinander. Wer konnte ihm das nach den Ereignissen dieses Jahres auch verdenken? Einen Kampf um den Thron hatte das Reich schließlich noch nie erlebt, und die Ereignisse von 1241 und 1300, die dem Ganzen vielleicht am nächsten gekommen waren, hatten keine tieferen Spuren hinterlassen, sah man von den Nachfolgeregelungen der Großkhane einmal ab. Außerdem hatte Inara – und für den Reiter bestand kein Zweifel, dass das Ganze ihre Idee gewesen war – tatsächlich einen echten Überraschungscoup gelandet, das musste er neidlos anerkennen. Nun, die Festung war nicht mehr weit. Es musste kurz nach Mitternacht sein, es verlief also alles wie geplant. Der Reiter wies seine Begleiter an, die Pferde an einer geeigneten Stelle bereitzuhalten. Nur zwei Knechte sollten mit ihm kommen, um einen raschen Aufbruch zu ermöglichen.

    Das Tor der Festung war natürlich verschlossen, aber der Reiter sah, dass eine Wache hinter dem kleinen Schiebfenster saß. „Ich habe eine dringende Nachricht für Großkhan Bertai“, sagte er. Der Wächter – ein junger Mann mit einem albern gezwirbelten Bart (waren diese Männer aus Taschkent eigentlich Gecken oder Krieger?) – weigerte sich zwar zunächst, aber der Reiter konnte ihn schließlich überzeugen, dass es besser für ihn sei, einen Freund des Großkhans nicht in der Kälte übernachten zu lassen. Immerhin bestand der Türhüter auf der Begleitung mehrerer grimmig dreinschauender Leibwachen, was ihn wieder ein wenig in der Achtung des Reiters steigen ließ. Er hätte Bertai durchaus zugetraut, völlig unfähige Söldner anzuwerben und sich der Gefahr eines Mordanschlags auszusetzen. Ein Wachmann klopfte an, und der frischgebackene Großkhan ließ die kleine Gruppe eintreten.

    Als Bertai Khan den Reiter sah, stand er hektisch auf. „Du?“ fragte er verwirrt. Dann schickte er die Wachen hinaus. „Was machst du hier?“ setzte er das Gespräch fort. – „Ich möchte dich mitnehmen, dich und möglichst auch deine älteren Kinder“ antwortete der Reiter. „Was?“ war die wenig originelle Antwort. Der Reiter begann zu erklären: „Wir kennen uns nun einmal unser ganzes Leben lang, und ich weiß, dass du das im Grunde nicht machen willst. Du willst weder Krieg führen noch regieren noch einen Verrat an deinem Neffen und deinem Bruder begehen. Du hast auch kein Interesse daran, das Christentum zu schwächen oder irgendwelche religiösen Fragen zu diskutieren. Du liebst deine Familie, ein gutes Glas Wein, die Späße von Gauklern und das Spiel der Musiker. Du solltest das Ganze also beenden und mit mir kommen.“ – „Auf keinen Fall! Ich liebe meine Familie, ich liebe meine Frau. Ich werde sie nicht im Stich lassen, wenn sie den Platz gewinnt, der ihr gebührt.“ – „Du liebst Inara und deine Kinder, daran habe ich niemals gezweifelt, und sie liebt auch dich, wie ich vermute. Aber leider liebt sie auch die Macht, und das zu sehr.“ – „Du wirst mich auf keinen Fall überreden, hier wegzugehen!“

    In dieser Weise zog sich das Gespräch noch einige Zeit hin. Bertai weigerte sich, den Reiter zu begleiten, doch dieser gab nicht auf. Schließlich sagte der Besucher: „Ich möchte dir erzählen, warum ich gekommen bin; wenn du dann immer noch bleiben möchtest, werde ich ohne ein weiteres Wort zurückreiten.“ Der rebellische Großkhan gab eine Art Schnauben von sich, das der Reiter als Zustimmung deutete. „Weißt du, als ich von eurem Coup hörte, von diesem genialen Trick, eine Armee unter den Augen des Großkhans und sogar mit seiner ganz offiziellen Genehmigung aufzustellen und sie dann zum Aufstand zu nutzen, da war mir klar, dass diese Idee nur von Inara sein konnte. Muhammad und du, ihr seid eigentlich keine geborenen Verschwörer. Und mir war auch sofort klar, dass Inara mindestens zwei Schritte vorausdachte. Der Vormarsch eurer Männer teilte das Großreich und schnitt Sarai von China und den Alten Landen ab. Euer Angriff ging nach Indien, Persien, Mesopotamien, ja sogar nach Sibirien. Im Osten seid ihr aber bereits in Beshbalik stehen geblieben. Die Festung ist zweifellos wichtig und gut zu verteidigen, aber ihr hättet noch deutlich weiter vorrücken können. Mir war also klar, dass Inara ein Angebot machen wollte, und mir war auch klar, welcher Art das sein würde.“ – „Tatsächlich?“ – „Ja, zumindest nehme ich das sehr stark an. Es liegt einfach nahe, und Inara ist eine kluge Frau. Und ja, ich habe darüber nachgedacht, als ich zum Quiantangfluss ritt. Ich bin der Macht durchaus nicht abgeneigt, und ein eigenes Reich im Osten, das China nördlich des Jangtsekiang und die Alten Lande umfasst, ist definitiv eine Versuchung.“ – „Woher weißt du…?“ – „Wie gesagt, die Sache erschien mir recht offensichtlich. Es gibt aber ein Problem, oder, wenn wir genau sind, sogar zwei.“ Bertai schien jetzt die Geduld zu verlieren. Er wurde deutlich lauter: „Spiel dich hier nicht so auf! Ich weiß, dass du einen wachen Geist hast, aber auch ich bin kein Bauer, den du mit deiner Beredsamkeit beeindrucken kannst. Wenn du nicht bald fertig bist, werde ich die Wachen rufen!“

    Dem Reiter schien jetzt bewusst zu werden, dass er wertvolle Zeit verschwendete und – was noch schlimmer war – wieder einmal zu selbstgerecht wirkte. Er beeilte sich jetzt, zum Schluss zu kommen. „Bertai, ich weiß, dass du Kabul nichts Böses willst, und Yunus schon gar nicht. Aber was werdet ihr mit ihnen machen, wenn ihr im kommenden Jahr Sarai erobern solltet?“ Bertai schien überrascht zu sein. „Du glaubst doch nicht, dass wir ihnen etwas zuleide täten? Sie bekommen ein ehrenvolles Exil, vielleicht irgendwo am Meer. Yunus mag das Meer doch so gern.“ Der Reiter ließ das für ein paar Momente auf sich wirken. Bertai mochte das tatsächlich glauben, auch wenn es Unsinn war. Inara würde das Problem ohne Frage anders lösen. Laut sagte er „In Ordnung. Ich zweifle zwar daran, dass deine Leute es riskieren würden, den Mann leben zu lassen, der dreizehn Jahre lang allgemein als Großkhan anerkannt war, aber ich möchte noch kurz meinen zweiten Einwand anbringen, bevor ich wieder fortreite. Nimm einmal an, ihr hättet vollen Erfolg und könntet schon in diesem Jahr oder spätestens 1425 das Reich ganz in eure Hand bringen – abgesehen vom Fernen Osten natürlich. Wie lange würde es dauern, bis der nächste Prätendent aufstünde? Und danach der übernächste? Wie viele Nachkommen des großen Putraq gibt es? Hundertachtzig? Und wie viele Khane können sich in irgendeiner Weise auf den großen Dschingis zurückführen? Bertai, wenn ihr Erfolg habt, ist dies das Ende des Reiches!“

    Die beiden Männer schwiegen, aber der Großkhan schien noch immer unschlüssig zu sein. Daraufhin ergriff der Reiter nochmals das Wort: „Wenn dir das Reich nicht genug ist, dann denk an deine Söhne. Weißt du noch, wie die Könige vor sieben Jahren Yunus bei seiner Volljährigkeitserklärung huldigten? Wie sie schmeichelten und zu Kreuze krochen und ihre unverbrüchliche Treue erklärten? Sogar dieser ungehobelte, hässliche Schwede, der uns am liebsten alle mit seiner Streitaxt erschlagen hätte? Das machen sie, weil sie Angst vor uns haben, nicht weil sie uns lieben. Viele Khane täuschen sich und nehmen die Schmeicheleien für bare Münze, aber sie sind so ehrlich wie die Antwort deines Kammerdieners, wenn du ihn nach deiner Kunstfertigkeit beim Gesang oder Saitenspiel fragst.

    Du wirst Kabul oder Tohtu, oder wen auch immer du einmal als Erbe einsetzen wirst, nicht das übergeben können, was du jetzt eroberst, nicht einmal annähernd. Mit jeder Usurpation wird ein Stück des Reiches verloren gehen, mit jeder Schlacht zwischen den Thronanwärtern ein Tributstaat die Zahlungen einstellen. Tohtu und Kabul werden sich vielleicht einmal um ein paar Zeltdörfer in Sibirien bekriegen und töten, wenn dein Vorgehen Nachahmer findet. Dschingis und Putraq gelten als die beiden Leuchttürme unter den Großkhanen, aber das größte Verdienst kommt eigentlich dem kleinen, namenlosen türkischen Schreiber zu, der Ögedei 1242 die feste Nachfolgeregelung vorgeschlagen hat. Ohne sie hätte man uns schon längst wieder aus Europa, China, Indien und dem Zweistromland vertrieben, weil wir uns in Bruderkämpfen um den Thron aufgerieben hätten. Wenn du willst, dass Kabul, Tohtu, Alisa, Yasmina, Yelda und deine anderen Kinder und deren Nachkommen einmal zu den Herren der Welt gehören, musst du mit mir kommen!“ Wieder schwiegen die beiden Männer, aber diesmal wirkte Bertai entschlossen. „Ich nehme Kabul mit, Tohtu lasse ich da. Er hängt zu sehr an seiner Mutter, und ich will ihn nicht in Gefahr bringen. Und ich frage Alisa und Yasmina, die haben in letzter Zeit viel Streit mit Inara.“ Der Reiter seufzte lautlos. Es sah Bertai ähnlich, in einer solchen Situation darüber nachzudenken, welches Kind wohl lieber bei wem bleiben würde. Laut sagte er: „Du wirst das am besten wissen, aber wir müssen uns beeilen.“ Wenn Inara ihren Mann wieder in die Hände bekäme, würde sie ihn so lange anflehen und bereden, bis er wieder umfiele.

    Tatsächlich zog sich der Aufbruch aus Sicht des Reiters unangemessen lange hin, und der Besuch im Frauentrakt war sogar regelrecht riskant (immerhin hatte auch Inara dort ihre Gemächer), zumal Bertai seine beiden größeren Töchter erst einmal umständlich in seine Beweggründe einweihte und sie sogar fragte, ob sie mitgehen wollten. Warum gab er ihnen nicht einfach Anweisungen? Der Reiter musste aber zugeben, dass seine Nichten und sein Neffe schnell von Begriff waren und rasch entschieden, mit den beiden wegzugehen. Auch die Wachen schienen gut geschult zu sein, denn sie stellten keinerlei Fragen, als Bertai ihnen befahl, acht schnelle, ausdauernde Pferde zu satteln. Noch vor Tagesanbruch waren der Großkhan und seine drei ältesten Kinder mit dem Besucher und seinen Begleitern auf dem Weg nach Qitai. Dort würden Krieger aus den Alten Landen sie in Empfang nehmen, zu ihrem Schutz, wie der Reiter hoffte. Sie durften nur nicht zu fliehen versuchen.

    Die kluge Alisa sprach ihn bei einer kurzen Rast tatsächlich darauf an: „Onkel Seged, was machst du, wenn Vater wieder zurückwill?“ Er konnte dem Mädchen nicht in die Augen sehen: „Ich hoffe sehr, dass er vernünftig bleibt…“

  6. #6
    Blue Heeler Genießer Avatar von Baldri
    Registriert seit
    15.11.08
    Ort
    Brisbane im Traum
    Beiträge
    30.372
    Erinnerung eines Seefahrers.

    Vincento di Grosso, einfacher venezianischer Seemann, freute sich schon auf den Besuch in einem der angesagtesten Bordelle der Stadt einzukehren. Viel hatte er gehört. Seine Börse war genauso prall gefüllt wie sein ... Kopf vom Wein und nach einem guten Geschäft wollte er mal so richtig ausschweifen. Er öffnete die Tür und sah ... alte Zobel?

    Muss wohl ein Warteraum sein!

    Er setzte sich und schlief schon bald ein. Nach einigen Stunden wachte er schockiert auf. Sein Geldbeutel war noch an Ort und Stelle. Nicht mal eine Münze fehlte! Was war das nur für ein seltsames Bordell? Und die selben Männer saßen noch immer und redeten. Dabei war die Sonne schon längst untergegangen. Er räusperte sich und ergriff das Wort um eine sich ihm aufdrängende Frage zu stellen.
    Hallo.

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •