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Thema: [RL] Schweizer Demokratie

  1. #46
    Registrierter Benutzer Avatar von Milanjus
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    Zitat Zitat von Gulaschkanone Beitrag anzeigen
    Volk und Ständemehr kam aber meiner Erinnerung nach nur zu Stande, da die konservativen Kantone faktisch besetzt waren.
    In der Abstimmung sagten 15 1/2 Kantone ja und 6 1/2 Kantone nein. In den Nein-Kantonen waren die Mehrheiten teilweise über 90%. Ohne es an einer genauen Quelle festmachen zu können, spricht das erheblich gegen die These, dass die Zustimmung nur aufgrund einer faktischen Besetzung zu Stande kam.

    Ansonsten verweise ich auf den Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz, das ebenfalls keine Besetzung erwähnt: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9811.php

    Die dort genannten Ungereimtheiten sind, dass im Kanton Luzern die Stimmenthaltungen als Ja-Stimmen gezählt wurden und dass im Kanton Freiburg nur das Kantonsparlament den Beschluss fasste. Beides führte dazu, dass es die Kantone eine Ja-Stimme abgaben. Auf das Ständemehr hatte dies letztlich keinen Einfluss, ob es beim Volksmehr einen Unterschied gemacht hätte, müsste ich im Detail nachforschen. So wie sich die Bevölkerung damals verteilte, würde ich das aber eher verneinen.

  2. #47
    Herzog von Arrakis Avatar von Azrael
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    Das Volksmehr wäre sowieso kein Problem gewesen, die damaligen liberalen Kantone waren bei der Bevölkerung deutlich in der Mehrheit. Bei den Ständen wäre es vor dem Krieg knapper geworden, abzüglich Neuenburg und Appenzell Innerrhoden, die sich für neutral erklärt hatten, stand es da 7 Sonderbundskantone gegen 13,5 liberale Stände (die beiden Appenzell zählen jeweils nur halb). Aber egal ob man Innerrhoden jetzt noch überzeugt bekommen hätte, war es natürlich schon allein für die Legitimation der neuen Verfassung entscheidend, dass auch noch 1-2 der katholisch-konservativen Kantone sie unterzeichneten. Was stimmt ist, dass die Tagsatzungstruppen nach dem Einmarsch dort jeweils schnell die Einsetzung liberaler Regierungen in ihrem Sinne erzwangen. Die waren zwar nicht gleichbedeutend mit dem Volk, das über die Verfassung abstimmte, aber sie konnten den Wahlkampf sicher zumindest in ihrem Sinne beeinflussen. Wenn man etwas am Vorgehen der liberalen Mehrheit kritisieren will, dann am ehesten das. Aber klar, aus Sicht der Eidgenossenschaft hatten die konservativen Eliten des Sonderbunds ihr Mitspracherecht in dem Moment ein Stück weit verspielt, als sie den ersten Schuss abfeuerten und auch noch die ausländischen Monarchien um Hilfe anriefen.
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    Shaka als die Mauern fielen.

  3. #48
    Herzog von Arrakis Avatar von Azrael
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    Von der Geschichtslektion zurück in die Gegenwart. Bevor es morgen oder übermorgen mit dem zweiten Teil zum Kanton Bern weitergeht, ein kurzer Zwischenbericht über den Stand der im März anstehenden nationalen Volksabstimmungen. Oder respektive der einen Abstimmung, über die auch diskutiert wird, die Steuervorlage interessiert ja keinen. Die Sonntagszeitung hatte gestern eine Meinungsumfrage zur No Billag-Initiative publiziert, die heute von einer Reihe von Tageszeitungen zitiert wird. Ich habe es hier schon mal erwähnt, bei der Abstimmung geht es darum, dass die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender ersatzlos gestrichen werden soll.

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    Was natürlich zuerst auffällt, ist die Tatsache, dass es derzeit tatsächlich eine Mehrheit für diese dann doch recht radikale Vorlage geben würde. Das ist bei einer Volksinitiative nicht weiter ungewöhnlich, die starten häufig mit einer Mehrheit in den Meinungsumfragen und geben dann im Verlauf des Abstimmungskampfs nach. Insbesondere weil das Befürworter-Komitee die Gegner etwas damit überrascht hat, dass sie schon jetzt mit besagtem Abstimmungskampf begonnen haben, die hatten offenbar erst mit Anfang Januar geplant und bisher nur wenig entgegengesetzt.
    Trotzdem muss die hohe Zustimmung die Gegner der Vorlage sicher beunruhigen. Ob sie es schaffen die Zustimmung zu drehen, dürfte sich daran entscheiden, wie es gelingt in der öffentlichen Diskussion aus der 'No Billag'-Initiative (die bewusst erst mal nur von den Gebühren redet) eine 'No SRG'-Iniative zu machen. Denn wie man auf der linken Seite sieht, ist eine Mehrheit wiederum zufrieden mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Radio. Weil aber (siehe rechts) viele nicht so recht daran glauben, dass die SRG ohne Gebühren gleich ganz zumachen wird, werden nur die unbeliebten Gebühren gesehen. Wenn es den Gegnern der Vorlage nicht gelingt glaubhaft darzustellen, dass man ohne die Billag-Gebühren die SRG zumachen wird oder sie zu einem x-beliebigen Privatsender schrumpft, könnte sich die Mehrheit für die Abschaffung auch als stabil erweisen.

    Edit: Ich trage die ganzen Posts übrigens vorne im Inhaltsverzeichnis laufend nach, falls ihr später noch mal ein bestimmtes Thema sucht oder z.B. die Entwicklung der Zustimmungswerte beobachten wollt. Bis März dürften noch ein paar Meinungsumfragen erscheinen.
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    Geändert von Azrael (05. Dezember 2017 um 00:01 Uhr)
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  4. #49
    Singen Saufen Siegen Avatar von Admiral G
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    Sehr interessant!

    Gute Arbeit Azrael und Milanjus.

  5. #50
    Herzog von Arrakis Avatar von Azrael
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    Etwas zum Thema Wiederholung von Abstimmungen. Die Frage kam im Direkte Demokratie-Thread auch ein paar mal auf: Besteht nicht die Gefahr, dass nach einer Abstimmungsniederlage gleich die nächste Abstimmung angestrebt wird, um ein unliebsames Resultat zu korrigieren? Muss es nicht unterbunden werden, dass innert kurzer Zeit wieder über das gleiche oder ein ähnliches Thema abgestimmt wird? Die Antwort dürfte den einen oder anderen erstaunen, denn in der Praxis zeigt sich, dass so eine Regelung gar nicht notwendig ist. Dazu eine Schlagzeile aus dem Tagesanzeiger von heute.

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    Vor ziemlich genau einem Jahr wurde über eine Volksinitiative abgestimmt, die eine Abschaltung aller Atomkraftwerke auf eine recht kurz angesetzte Frist verlangte. Die Initiative startete in den anfänglichen Umfragen auch mit vielen Sympathien, wurde dann aber letztlich mit 54% abgelehnt. Der Entscheid wurde ein halbes Jahr später indirekt noch mal bestätigt, als beim Referendum über die Energiestrategie 2050 u.a. auch einem Atomausstieg ohne fixen Abschalttermin zugestimmt wurde.

    Der Verein 'Atomkraftwerke abschalten Schweiz' versuchte seit dem Mai Unterschriften für eine erneute Abstimmung zur raschen Abschaltung zu sammeln - und lässt jetzt verlauten, dass die Sammlung äusserst zäh verläuft und man noch nicht mal 1'000 Unterschriften zusammen hat. Weit weg also von den 100'000 benötigten, die sie innerhalb von 18 Monaten sammeln müssten. Denn auch die Parteien und Umweltverbände, welche die Initiative aus dem Jahr 2016 noch unterstützt hatten, wollten sich nicht an der Sammlung beteiligen. Eben weil sie keinen Sinn darin sehen binnen 1-2 Jahren noch mal über das gleiche abzustimmen, denn die politischen Rahmenbedingungen haben sich nicht geändert.
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  6. #51
    Herzog von Arrakis Avatar von Azrael
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    Kanton Bern – Teil 2/2

    Mit etwas Verspätung folgt hier der zweite Teil zum Kanton Bern.

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    Über die politische Ausrichtung des Kantons habe ich ja schon geschrieben, als nächstes werden dann sozusagen als Gegenbeispiele zwei oder drei folgen, die politisch und demografisch eher ungewöhnlich sind. Aber was noch offen ist: Die Zweisprachigkeit von Bern. Wie auf der Karte hier zu sehen ist, verläuft im Nordwesten des Kantons die Sprachgrenze. Die französischsprachigen Gebiete Berns umfassen den Berner Jura und die zweisprachige Stadt Biel.

    Die Region hat eine bewegte Geschichte, denn Biel und der Jura kamen erst nach dem Wiener Kongress zu Bern und waren als kleine Kompensation für die Gebiete gedacht, die sich in der Westschweiz als unabhängige Kantone konstituiert hatten. Und von Anfang an gab es immer wieder böses Blut zwischen den Jurassiern und der Regierung in Bern. Das hatte weniger mit der Sprache zu tun, sondern war ein Nebenschauplatz des Kulturkampfes, da sich der mehrheitlich katholische Jura von den reformiert oder sakulär dominierten Berner Regierungen unterdrückt und ignoriert sah. Ein Tiefpunkt war dabei die Auseinandersetzung um den Regierungsrat Moeckli, der bei einer Amtsnachfolge innerhalb der Regierung übergangen wurde, weil man das zur Frage stehende Baudepartement als zu wichtig ansah, um es einem jurassischen Politiker (der zudem noch ein Sozialdemokrat war) zu überlassen. Das wurde im Jura logischerweise als Affront aufgefasst und in den 60er Jahren entstand im Jura eine Unabhängigkeitsbewegung, welche die Abspaltung des Juras forderte und deren militanter Arm sogar Sprengstoffanschläge gegen Berner Regierungsgebäude verübte. Auch wenn ein Separatist das einzige Todesopfer blieb, dessen Sprengsatz vorzeitig hochgegangen war.
    Der Konflikt wurde letztlich dadurch gelöst, dass in einer Reihe von Volksabstimmungen der Norden des Juras als eigener Kanton abgespalten wurde. Der heutige Berner Jura umfasst die Gemeinden, welche sich für den Verbleib bei Bern entschieden. Der letzte Teil dieses Prozesses fand übrigens gerade erst in den letzten Jahren statt, 2013 wurde nach einigen Verhandlungen noch mal über ein Anschluss des Berner Juras an den Kanton Jura abgestimmt, die Vorlage fiel allerdings durch. Danach wurden wenn gewünscht noch mal die einzelnen Gemeinden befragt und eine (Moutier) entschied sich für den Wechsel.

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    Um die Sprachminderheit des verbliebenen Berner Juras in der Berner Politik zu stärken, gibt es heutzutage eine Reihe von Institutionen und Mechanismen. Der Berner Jura ist ein eigener Wahlkreis für die Nationalrats- und Grossratswahlen, so dass ein Teil der Legislative aus dem Jura stammt. Zudem ist ein Sitz im Regierungsrat für den Jura garantiert, da dort der Wahlmodus eine Majorzwahl im ganzen Kanton ist. Ein Kandidat für die Exekutive aus dem Jura gilt also als gewählt, auch wenn andere Kandidaten allenfalls mehr Stimmen geholt haben. Und dann tagt im jurassischen La Neuville das meines Wissens einzige Regionalparlament der Schweiz, das Conseil du Jura bernois. Das hat vor allem Kompetenzen bei der Verteilung der kantonalen Subventionen für die Kultur und kann bei Fragen betreffend des Jura direkt mit den Berner Behörden verhandeln. Die Amtssprache ist dabei in der Regel die in der Region gesprochene, also im Jura Französisch und sonst überwiegend Deutsch. Was natürlich zur Folge hat, dass der Kanton z.B. zumindest alle amtlichen Dokumente, etc. für die betreffenden Gemeinden auch in Französisch publizieren muss.

    Auf die Stadt Biel möchte ich kurz noch mal gesondert eingehen. Biel ist eine zweisprachige Stadt und entsprechend wird dort fast durchgehend alles in Deutsch und Französisch angeschrieben, etwa die Strassenschilder.

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    Gleiches gilt natürlich auch für alle amtlichen Dokumente, die lokalen Behörden sind zweisprachig besetzt und an manchen Schulen in der Stadt wird in beiden Sprachen unterrichtet. Biel und Umgebung dürfte damit die einzige Gegend in Bern sein, wo man als Bewohner im Alltag wirklich beide Sprachen sprechen muss, anders als ein Bernjurassier oder ein deutschsprachiger Berner.
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    Geändert von Azrael (11. Dezember 2017 um 00:47 Uhr)
    Shaka als die Mauern fielen.

  7. #52
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    Der Bundesrat steigt in den Abstimmungskampf

    Gestern ist die amtierende Bundespräsidentin (noch bis Ende Jahr) und (unter Anderem) Medienministerin Doris Leuthard vor die Hauptstadtmedien getreten und hat die Position des Bundesrats zur No-Billag-Initiative dargelegt.

    Hier ein ausführlicher Bericht der Sendung 10vor10 (entspricht den deutschen Tagesthemen) zur Pressekonferenz:

    https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=ur...60&playerType=



    Gleich im Anschluss daran wurde die Radio- TV-Landschaft der Schweiz näher vorgestellt und dargelegt, wer alles heute Gelder aus dem Gebührentopf bekommt.

    https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=ur...60&playerType=



    Etwas später am gleichen Abend noch ein Gespräch zwischen Roger Schawinski (der eine wöchentliche Gesprächssendung führt) und Andri Silberschmidt, Präsident der Jungen FDP und einer der Initianten der No-Billag-Initiative.

    https://www.srf.ch/sendungen/schawin...lberschmidt-2#


    Was als Nebeninformation noch sehr interessant ist, dass Roger Schawinski einer der führenden Köpfe war, die das Monopol der öffentlich-rechtlichen SRG auf Radio- und TV-Sendungen bekämpft haben. Seine Bewegung hat erreicht, dass auch Private Radio- und TV-Sender betreiben dürfen. Auch war er einer der ersten, die solche privaten Sender betrieben haben.

    Details zu seiner Vita findet man zum Beispiel hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Schawinski

  8. #53
    Herzog von Arrakis Avatar von Azrael
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    In diesem Beitrag gehe ich mal auf ein Thema ein, das sowohl mit einer Volksabstimmung als auch der Arbeit des Parlaments zu tun hat. Schon letzten Donnerstag hat die Berner Zeitung, die grösste Tageszeitung in Bern, folgendes berichtet:

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    Zu den Hintergründen: Im letzten September wurde über eine Rentenreform abgestimmt, die vom Volk dann mit 52.7% abgelehnt wurde. Ich fasse mich da kurz, aber um die wichtigsten Punkte zusammenzufassen: Mit der sollte u.a. das Rentenalter für Frauen erhöht und der Umwandlungssatz gesenkt werden. Als kleines Zückerchen, das sich im Nachhinein aber wohl sogar eher als kontraproduktiv erwies, sollte die Rente pauschal um 70 CHF pro Monat angehoben werden. In einer zweiten, gleichzeitig stattfindenden Abstimmung wurde über die Anhebung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung zur abgestimmt und diese sehr knapp mit 50.05% abgelehnt.
    Im Parlament wurde die vergangenen zwei Wochen das Bundesbudget für das Jahr 2018 diskutiert. Denn durch die Ablehnung der Reform sind darin 442 Millionen Franken frei geworden, die man sonst für die Reform eingesetzt hätte.

    Die Bundesversammlung, wie das Parlament der Schweiz offiziell genannt wird, besteht aus zwei Kammern. Die grosse Kammer bildet der Nationalrat, dessen Abgeordnete werden in den Kantonen nach dem Proporzsystem gewählt (bei grösseren Kantonen gibt es auch noch Wahlkreise, siehe den 1. Teil über Bern), wobei die 200 Sitze nach der Bevölkerungszahl aufgeteilt werden. Der bevölkerungsreichste Kanton Zürich hat daher ganze 35 Sitze, Bern 25 Sitze, während die ganz kleinen wie etwa die beiden Appenzell nur einen Nationalrat zu wählen haben. Die kleine Kammer ist der Ständerat, dort hat jeder Kanton 2 Sitze, wodurch der Rat auf total 46 Mitglieder kommt. Die einzige Ausnahme sind die sechs Halbkantone mit nur einem Sitz, die historisch nur als halbe Stände gelten, weil sie sich irgendwann in ihrer Geschichte geteilt haben.
    Die beiden Räte sind bei der Gesetzgebung gleichberechtigt, die Debatten über Gesetze und ähnliches laufen daher in der Regel nach diesem Schema ab: Der eine Rat debattiert über das Gesetz und trifft einen Entscheid, danach wird der dem Zweitrat vorgelegt, der das Gesetz ebenfalls behandelt. Wenn die Räte unterschiedliche Entscheide getroffen haben, also ein Gesetz beim einen ganz durchgefallen ist oder sich die ausgearbeiteten Vorlagen inhaltlich unterscheiden, wird der jeweils andere zunächst darüber informiert, damit allenfalls noch mal über die geänderte Vorlage abgestimmt werden kann. Wenn man sich so nicht einigt, geht das Gesetz in die Einigungskonferenz. Da treffen sich je 13 Mitglieder beider Räte und erarbeiten einen Kompromissvorschlag, der dann noch einmal in beiden Kammern zur Abstimmung vorgelegt wird. Wird dieser vom National- oder Ständerat dennoch abgelehnt, gilt die Vorlage als gescheitert.

    Bei der Budgetdebatte war der Nationalrat der Erstrat und dort setzte eine unheilige Allianz von SVP und SP durch, dass die 442 Millionen der AHV zukommen sollten. Die beiden Polparteien verfolgten damit zwar unterschiedliche Ziele. Für die SP war es eine (wenn auch anteilsmässig kleine) Finanzspritze, mit der man bei der AHV Zeit gewinnen wollte. Die SVP wollte verhindern, dass mit den 442 Millionen neue Ausgaben finanziert werden, eine Finanzierung der AHV wäre zumindest ein indirekter Schuldenabbau. Den Plänen machte der Ständerat aber letztlich einen Strich durch die Rechnung. In der kleinen Kammer verfügen SVP und SP über wesentlich weniger Sitze und die Mitteparteien brachten dort sowohl das Original-Budget des Nationalrats als auch den Vorschlag der Einigungskonferenz zu Fall. Das Budget ist nämlich eine Ausnahme von der oben beschriebenen Regel. Um zu verhindern, dass der Bund ohne gültiges Budget da steht, gilt bei allen Differenzen automatisch der tiefere Betrag. Damit hat sich der Ständerat ohne Einigung durchgesetzt und die 442 Millionen werden mangels eines anderen Entscheids zum Schuldenabbau verwendet. Für die SVP ist das Scheitern des Kompromissvorschlags freilich auch ein kleiner Sieg, da es für sie von Anfang an darum ging mit dem freien Geld keine neuen Ausgaben zu finanzieren, hat sie ihr Ziel an sich ebenfalls erreicht.
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    Geändert von Azrael (17. Dezember 2017 um 23:20 Uhr)
    Shaka als die Mauern fielen.

  9. #54
    Registrierter Benutzer Avatar von Milanjus
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    Kleine Ergänzung dazu:

    Wen es interessiert, welcher Kanton welche Anzahl Sitze hat, kann die Information hier finden: https://www.admin.ch/opc/de/classifi...991/index.html

    Jeder Kanton bildet einen Wahlkreis (Art. 149 Abs. 3 Bundesverfassung). Die Unterteilung der Kantone in mehrere Wahlkreise für die Nationalratswahl wurde der Einführung der Proporzwahl abgeschafft. Die Wahl des Nationalrats wird durch Bundesrecht geregelt.

    Im Ständerat obliegt das Wahlverfahren den Kantonen. Allgemein hat sich dort die Majorzwahl durchgesetzt. Die Ausnahme bildet der Kanton Jura, der seine zwei Ständeratssitze ebenfalls im Proporzverfahren wählen lässt.

    Edit trägt nach, dass auch der Kanton Neuenburg seine Ständeratssitze im Proporzverfahren vergibt.
    Geändert von Milanjus (20. Dezember 2017 um 20:51 Uhr)

  10. #55
    Infrarot Avatar von Der Kantelberg
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    Ihr habt immer so andere Begriffe...
    Majorzwahl hab ich noch nie gehört. Erst mal bei der Wiki geguckt: Ach, ihr meint Mehrheitswahl....

    Genauso Proporzwahl. Kenn nur Verhältniswahl.
    Die Macht des Verstandes ... sie wird auch im Fluge dich tragen - Otto Lilienthal

    Schweinepriester: Ihr habt euch alle eine Fazialpalmierung verdient.


  11. #56
    Registrierter Benutzer Avatar von Milanjus
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    Entschuldigung, solche Helvetismen wird es hier wohl öfter geben.

    Wenn ihr was nicht versteht oder nähere Ausführungen wollt, einfach fragen.

    Die Proporzwahl ist das Verhältniswahlrecht, wobei die Sitze (grob) je im Wahlkreis nach den dort erhaltenen Stimmen verteilt werden. Für die Nationalratswahl gibt es hier die Besonderheit der Listenverbindungen.

    Das bedeutet, dass zwei oder mehrere Listen eine gemeinsame Stimmengruppe bilden. Das führt dazu, dass die verbundenen Listen bei der Sitzverteilung im Wahlkreis wie eine einzige Liste behandelt werden. Erst in einer zweiten Runde werden dann die auf die Listengruppe entfallenen Sitze auf die beteiligten Listen verteilt.

    Manche Parteien treiben das dann auch die Spitze, indem innerhalb einer Listenverbindung noch Unterlistenverbindungen gebildet werden.


    Bei der Majorzwahl gilt das Mehrheitswahlrecht. Gewählt ist im ersten Wahlgang der Kandidat, der die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Schafft keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit kommt es zu einem zweiten Wahlgang, bei dem die einfache Mehrheit ausreicht. Es ist möglich, dass zum zweiten Wahlgang neue Kandidaten antreten, die am ersten Wahlgang nicht teilgenommen haben.

  12. #57
    Infrarot Avatar von Der Kantelberg
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    Zitat Zitat von Milanjus Beitrag anzeigen
    Es ist möglich, dass zum zweiten Wahlgang neue Kandidaten antreten, die am ersten Wahlgang nicht teilgenommen haben.
    Das ist ja komisch.
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  13. #58
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    Zitat Zitat von Nahoïmi Beitrag anzeigen
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    Mehrfacher Gewinner einer DET-Runde und Sieger der Herzen(2/7)

    Vom Kurfürst, über Admiral, Jarl, Botschafter und König zum Papst-ein Leben im Civforum.

  14. #59
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    Zitat Zitat von Der Kantelberg Beitrag anzeigen
    Ihr habt immer so andere Begriffe...
    Majorzwahl hab ich noch nie gehört. Erst mal bei der Wiki geguckt: Ach, ihr meint Mehrheitswahl....

    Genauso Proporzwahl. Kenn nur Verhältniswahl.
    Naja, wenn man ein bisschen Ahnung von Wörtern hat (Majorz stammt wohl von Majorität und daher Mehrheit -> Mehrheitswahlrecht und Proporz stammt von Proportion oder Proportionalität und daher Verhältnis oder Zuordnung -> Verhältniswahlrecht), sind die meisten Begriffe selbsterklärend.

    Aber dieses AHV (Abkürzung für Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist die obligatorische Rentenversicherung der Schweiz [Wikipedia]), sowas könnte man ruhig für Nicht-Schweizer kurz ausschreiben.

  15. #60
    Registrierter Benutzer Avatar von Milanjus
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    Zitat Zitat von Der Kantelberg Beitrag anzeigen
    Das ist ja komisch.
    Hintergrund ist, dass bei einer Majorzwahl jede Person mit aktivem Wahlrecht auch wählbar ist. Es ist also für die Wahl (in der Theorie) nicht notwendig, überhaupt von einer Partei zur Wahl aufgestellt zu werden.

    Mit einem solchen Manöver hat es die SVP bei den letzten Wahlen geschafft, beide Ständeratssitze im Kanton Schwyz zu besetzen:

    Im ersten Wahlgang wurde der bisherige Alex Kuprecht wiedergewählt. Für den zweiten Sitz schaffte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit. Da die SVP ihren Stammsitz schon sicher hatte, versuchte sie im zweiten Wahlgang eine Kampfkandidatur und schickte Peter Föhn ins Rennen, der dann die Wahl im zweiten Wahlgang für sich entscheiden konnte. So konnte die SVP der CVP einen Sitz abnehmen.

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