Fragen zur Geschichte

[Jon Snow]

Du meinst jetzt in der realen Geschichte, nicht in Civ6, oder? Ich bezweifle stark, dass es so einen "Kleine-Reiche-Bonus" wirklich gibt, zumal die Niederlande und Rom auch kaum geeignete Beispiele dafür wären, dass kleinere Einheiten sich in kurzer Zeit zu großen staatlichen Gebilden entwickelt hätten. Im Vergleich mit den weiter östlich gelegenen antiken Großreichen wie dem Perser- oder dem Alexanderreich erlebte das Römische Reich eher einen langsamen, allmählichen Reichsbildungsprozess, während die Niederlande bereits im SMA eine wirtschaftlich äußerst prosperierende Region gewesen sind.

Wenn du in der FNZ eine Ansammlung von Ländern suchst, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einem größeren Gebilde (oder wenigstens einem gemeinsamen Herrschaftsraum) zusammen fanden, wären wohl die habsburgischen Besitzungen ein gutes Beispiel. Sowohl die spanischen Königreiche wie die mittel- und westeuropäischen Länder, die amerikanischen Kolonien und die italienische Einflusssphäre wurden durch Erbgänge und Eroberungen innerhalb kürzester Zeit in einer Hand - derjenigen Karls V. - vereinigt. Damit wuchsen aber auch die Probleme und Herausforderungen, die letztlich verhinderten, dass ein so komplexes Herrschaftsgefüge zu einem wenigstens teilweise zusammenhängenden Gebilde werden konnte. Erst die Teilung dieser Herrschaft ermöglichte eine mehr oder minder starke Vereinheitlichung der beiden habsburgischen Familienzweige, die aber immer auch ein wenig unvollendet blieb.

Oder denkst du an eine bestimmte modernde Nation, die du als Beispiel ansiehst?

[Tiramisu]

Ja, ich dachte da in erster Linie an Deutschland, aber auch an Japan, das lange Zeit zersplittert war und an die griechischen Stadtstaaten.

[Der Kantelberg]

Hab so ein paar Dokus gesehn und dazu Fragen:

1.) Waren die Wandalen wirklich so Arianische Christenfanatiker? Die haben da teilweise von Kreuzzügen geredet... (Der Arianischen Wandalen gegen die katholischen Römer) Dass die Arianer waren wusste ich, aber, dass das Anlass für Überfälle und Kriege gewesen sein soll, wäre mir neu.

2.) Die Theorie, dass die Kelten auf Britannien nie eingewandert sind, sondern sich schon immer da befunden haben und nur die Sprache vom festland übernommen haben. Weiß jemand irgendwas dazu?

[Flunky]

2.) Schon immer geht schlecht^^ Es gab vorkeltische Besiedelung, die sicherlich nicht zu 100% ersetzt wurde. Aber ob die Kultur/Sprache nur durch Kontakte übernommen wurde, ohne nennenswerte Wanderungsbewegung, kann ich weder bestätigen noch wiederlegen.

[Metropolis]

zu 2.) Ich dachte immer, Britannien wäre die Heimat der Pikten gewesen, die von den Kelten dann Richtung Schottland abgedrängt wurden.

[Trismegistos]

1.) Das kann man nicht verallgemeinern. Natürlich sind alle Quellen, die wir haben, von römischen Christen, die gerne das "Märtyrium" unter den Vandalen dramatisieren. Das Arianertum wurde teilweise schon stark betont, wohl auch um ihre Identität gegenüber der großen Mehrheit von Katholiken in Afrika zu bewahren und zu definieren. Die katholische Kirche wurde unter Geiserich enteignet und entmachtet, Römer, die in den Dienst des Königs traten, sollten konvertieren (obwohl hier in der Praxis wohl Ausnahmen gemacht wurden). Eine großflächige "Arianisierung" war aber wohl nie der Plan. Später verschärfte sich die Verfolgung teilweise noch, manche seiner Nachfolger versuchten aber auch eher eine Annäherung. Es ging aber vor allem direkt um die katholische Kirche, aus deren Reihen es natürlich auch besonders viel Opposition gegen ihre Herrschaft gab, nicht die ganze katholische Bevölkerung. Die Vandalen stilisierten sich wohl zeitweise schon ein bisschen zu Glaubenskriegern, aber das geht halt in die Richtung wie man seit Konstantin Gott in der schlacht auf seiner Seite haben wollte. Sicherlich war es nie der Grund für ihre Kriegszüge.

2.) Die Pikten waren wohl vermutlich auch eine Untergruppe von Kelten. Es ist für prähistorische Zeiten natürlich immer schwierig zu sagen, wie sich bestimmte Kulturen verbreitet haben: Haben die Träger der neue Kultur die alten Bewohner ausgerottet, hat eine Elite die Ureinwohner unterworfen und ihnen die Kultur aufgezwungen, oder haben sie einfach friedlich von ihren Nachbarn gelernt? Das kann man kaum entscheiden, wenn man nur die materiellen Hinterlassenschaften hat. Vermutlich war es eine Mischung der verschiedenen Formen von Beeinflussung. Klar ist, dass die "keltische Kultur", wenn man sie so nennen will, ursprünglich aus dem Alpenraum kam und es andere, vorkeltische Kulturgruppen in Britannien gab. Vielleicht kann man mit medizinischen Methoden an den Knochen etwas darüber aussagen, ob auch neue Leute da einwanderten oder es sich nur um kulturelle Beeinflussung handelte, aber das wäre mir zumindest noch nicht bekannt.

[Der Kantelberg]

Danke. Zu Britannien:

Die haben in der BBC-Doku gesagt, dass man halt keine archäologischen Hinweise auf eine massive Einwanderung auf die Inseln gefunden hätte. Und deswegen die einfach die Annahme: Die waren schon immer da. Sozusagen ein Kontinuum von Stonehenge bis Boudicca.

[Des Pudels Kern]

Die militärische Stärke moderner Staaten hängt ja zunehmend von technologischen Möglichkeiten ab, aber im 19. und frühen 20. Jh. spielte auch die Bevölkerungszahl eine gewichtige Rolle. Das erklärt auch die Probleme Frankreichs, mit Preußen-Deutschland vollständig mitzuhalten. Dennoch gelang es der französischen Armee im Ersten Weltkrieg vier Jahre lang, die deutschen Truppen aufzuhalten und schließlich mit amerikanisch-britischer Unterstützung auch zu besiegen.

An dieser Stelle möchte ich übrigens anfügen, dass Frankreichs Verluste (Tote/1000 junge Männer) im 1. WK deutlich höher lagen als die Deutschlands und hinzu kam, dass Frankreich im Gegensatz zu Deutschland sich bereits (demographisch) auf die 4-Personen-Familie eingestellt hatte. Insgesamt gesehen war das Ergebnis des 1. WK für Frankreich eine wesentlich schwerwiegendere Katastrophe als für Deutschland und es war ab 1917 auch nicht mehr handlungsfähig.

Die These, dass zentralistische Staaten weniger "flexibel" sind, ist durchaus haltbar und auch gerade für Frankreich stichhaltig. Mit einem zentralistischen System geht ja auch eine entsprechende "Denke" einher, die sich u.a. in Verwaltungen und/ oder Entscheidungsapparaten niederschlägt. De Gaulle konnte sich mit seinen modernen militärischen Ideen - Panzerwaffe als selbstständige Waffengattung und nicht als Infantrieunterstützung - nicht durchsetzen, wohingegen Guderian dies gelang.
Ein anderes, noch eindrücklicheres Beispiel bietet - in beiden Weltkriegen - natürlich noch Russland. Sowohl das zaristische, als auch sowjetische Russland war total ineffizient.

Die Niederländer im SMA sind übrigens ein schönes Beispiel, wie ein föderalistisch geprägter Staat (oder Ansammlung von Provinzen eher) einerseits hocheffizient arbeiten kann, die Engländer hatten vor einem gewissen Herrn de Ruyter die Hosen gestrichen voll , andererseits aber gerade die geringe Größe den Ausgang letztlich leider determiniert. Obwohl sie wohl das maximale aus ihren Möglichkeiten herausholten, konnten sie nicht gewinnen.

[Tiramisu]

Die Geschichte der Niederlande ist wirklich schön. Dafür würde sich fast eigenes Thema lohnen.

[Des Pudels Kern]

Wir hätten alle gelbe Nummernschilder, würden Klompen tragen und jeder hätte seine eigene Windmühle

Aber so ist das halt bei den Holländern... zur Weltmeisterschaft reichts nicht, sondern sie halten anderen lediglich den Rücken frei.

[Lao- Tse]

Russland ist ein schlechtes Beispiel, natürlich ist ein so riesiges Land schwer zu verwalten.

[Radyserb]

Noch dazu ist das föderalistische Russland der 1990er ziemlich den Bach heruntergegangen.

[Tiramisu]

Naja, zu dem Zeitpunkt lag es wohl eher an der wirtschaftlichen Schwäche Russlands.

[Jon Snow]

DPK ist wieder da.

Vielleicht müssen wir zunächst zwischen föderalistischen Staaten und dem Zusammenschluss bisher unabhängiger politischer Einheiten unterscheiden. Tiras These war ja - wenn ich ihn recht verstanden habe - dass kleine Staaten gewisse militärische und wirtschaftliche Vorteile hätten, die sich besonders bei einem Zusammenschluss zu einer größeren Einheit auswirken würden. Das ist aber bei den angebrachten Beispielen nicht wirklich der Fall: Die niederländischen Provinzen, die die Generalstaaten bildeten, spalteten sich von einer größeren politischen Einheit ab, die kleineren deutschen Länder wurden von einer bereits bestehenden, sogar recht zentralistischen Großmacht mit Gewalt vereinigt, Japan war auch unter dem Shogunat bereits ein zentralistischer Staat und die griechischen Poleis bildeten überhaupt nie eine politische Einheit (außer als Teil größerer Reiche, die aber ihr Zentrum stets außerhalb des griechischen Mutterlandes hatten).

Wenn man einen raschen Zusammenschluss von bislang unabhängigen Ländern als Beispiel sucht, wird man wohl eher in den dynastischen Vereinigungen des SMA und der FNZ fündig werden, weil hier durch einfachen Erbgang (oder Heirat) praktisch an einem Tag neue politische Gebilde entstehen konnten. Das Imperium der Habsburger habe ich bereits genannt, man kann aber auch die Luxemburger, die spanischen Königreiche, Burgund, Polen-Litauen, die nordischen Länder oder die niederländisch-englische Personalunion von 1688/89 anführen. Natürlich besaßen solche neu entstandenen Herrschaftsräume oft wegen ihrer Größe ein bedeutendes politisches und militärisches Gewicht; gleichzeitig wuchsen aber auch die Loyalitätsprobleme und die Konfliktfelder, so dass sich Staaten wie Frankreich, die einen längeren Weg zur inneren Vereinigung gegangen waren, sich dennoch behaupten konnten. Ich sehe also keinen Grund, einen solchen "Vereinigungsbonus" als historische Konstante anzusehen.

Die Diskussion um Vor- und Nachteile föderalistischer bzw. zentralistischer Staatswesen ist dann nochmals eine ganz andere Sache. Das nationalsozialistische Deutschland würde ich allerdings auf keinen Fall als Beispiel für eine föderalistische Lösung ansehen.

[Des Pudels Kern]

Würdest du Preußen als "Zentralstaat" definieren?

Man könnte argumentieren, dass beispielsweise die östlichen "Kolonien" (resp. späteren Besitzungen) durchaus eine eigenständige (deutsche) Kultur herausgebildet hatten. Das wird auch häufig im Zuge der mittlerweile antiquierten Vertriebenendiskussionen etc vergessen, dass mit den Verlusten dieser Gebiete auch ein Verschwinden einer kulturellen Identität einherging. Preußen als Ganzes war in diesem Sinne nie ein wirklicher Staat, mehr eine (ideelle) Konstruktion, selbst wenn auf der Geburtsurkunde "Preußen" stand. Bereits die 1806 erlebte Zäsur macht dies nach meinem Dafürhalten deutlich, dass Preußen als Staat nicht mit beispielsweise Frankreich vergleichbar ist.
Und spätestens ab 1871 war es nur eine Frage der Zeit, bis das "Land" liquidiert worden wäre, was nach 1918, mit Absetzung der Hohenzollern, de facto auch geschah.

Das ist der Unterschied zum Königreich bzw Freistaat Bayern, dessen Bewohner tatsächlich so etwas wie einen gemeinsamen kulturellen Nenner haben.