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Thema: [EU4] Da wurden Blumen rot

  1. #1
    Im Monsterland
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    [EU4] Da wurden Blumen rot

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    Hallo Leute,
    so nahe ich also wieder, ich schwankende Gestalt. Dann stehe ich hier… und erschaudere, erschrecke vor der weißen Wand wie noch nie zuvor in meinem Pseudokünstlerpseudomenschenleben. In meinem Wahn meine ich nämlich, sie flüstern zu hören und kneife ich die Augen zusammen, scheint es mir, als würde meine Silhouette noch zwei weitere Personen verbergen, die gerade an mir zerren, doch auch miteinander ringen. Über diese beiden möchte ich nun mit euch sprechen.
    Da hätten wir zum einen Walther, das ist der da zur Linken. Seht ihr ihn, wie er nun ganz harmlos wirkend davontapst, nur um sich gleich auf einen Stein zu setzen – so ganz mit Beinen übereinander, Ellenbogen aufgestützt und Hand auf der Wange, wie man das halt von ihm kennt? Der richtet seine Kunst immer an seinem Publikum und an seinem Auftraggeber aus – und doch wird ihm das niemand danken, ja man wird ihn sogar für einen Schwächling oder für einen Bettler halten.
    Dann gibt es noch diese abgerissene, wild aussehende Gestalt zur rechten – ach, habt keine Angst vor ihm, der ist eigentlich ganz lieb. Das ist nämlich Gunnar, der spielt die Harfe – und im Moment wie wild, denn er fiedelt um sein Leben, befindet er sich doch allein in einer Grube voller Schlangen. Wie kam er dort herein, fragt ihr euch? Nun, das ist leicht: Er wurde dort hineingeworfen, weil er seinem Publikum nicht gegeben hat, was es haben wollte.
    … und ehe ihr fragt: Nein, der überlebt(e) das auch nicht.

    Mein Thema ist nun also die Nibelungensage – vor allem das aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts stammende Nibelungenlied, auch wenn ich das eine oder andere Mal auf andere Quellen zurückgreifen werde. So sieht mein Fahrplan etwa wie folgt aus: Zuerst möchte ich euch in Freitexten etwas über dieses Werk und seine Zeit erzählen, anschließend folgt die Adaption der sieben von mir herausgegriffenen Fraktionen in die bunte EU4-Welt und schließlich möchte ich mit Beginn des Spiels jedes anspruchsheischende Lindenblatt hinter mir lassen und mich ganz auf bunte Bildchen mit kurzen Texten fokussieren. Das heißt: Ich plane eigentlich nichts großartig Anderes als beim „Volk vom Ende der Welt“, nur eben mit fremder statt eigener Welt (und einem simpleren pacing).

    An dieser Stelle möchte ich mich natürlich ganz herzlich bei den Teilnehmern der Umfrage bedanken, die mir mit erstaunlich geringem Abstand eine eindeutige Antwort vermittelten. Ein zweites, ganz liebes Dankeschön gilt auch der Künstlerin Cleo-San, der ich das Titelbild verdanke. Sie ist vor allem für ihr Fantasy-Epos „Remember“ bekannt, dass ich euch wärmstens ans Herz legen möchte.

    Und nun… lasst mich vor die Bahre treten und heilige Eide schwören, dass ich euch ein getreuer Fährmann über die dunklen Wasser sein werde und wir gemeinsam eine schöne Zeit haben werden. Alles wird gut, solange nur der Spielmann fiedelt.

    In die Nacht grüßend
    Christian / Ghaldak
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    Keep your eyes on me, now we're on the edge of hell.

  2. #2
    Im Monsterland
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    Gibt es einen besseren Ort, euch abzuholen, als in der realen Welt? Gut, bei einer Geschichte, die im ritterlichen dreizehnten Jahrhundert entstand und Ergebnisse rund um die Kriegsherren der Völkerwanderungszeit zum Thema hat, wird das recht viel… und da ich euch auch noch erzählen möchte, wo denn dieses Burgund des fünfzehnten Jahrhunderts herkommt… nun gut, ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.

    Teil 1: Von Römern, Germanen und dem Reich der Burgunder von Anfang bis Ende
    Es geschah durch die Feldzüge unter Caesar und besonders unter Augustus, das das römische Reich zum direkten Nachbarn der germanischen Stämme wurde und sich über Rhein und Donau hinweg mit ihnen arrangieren musste. Zunächst hatte man noch versucht, sie zu überwinden, doch Arminius hatte diese Pläne zu vereiteln gewusst. Anschließend setzte man auf soft powers und eine Anwendung des Prinzips „Teile und Herrsche“, ehe das römische Reich ab dem dritten Jahrhundert im Chaos der Soldatenkaiser und Reichsteilherrscher versank und Überfälle der Barbaren zur Regel wurden. Als dann die Hunnen, von den Chinesen vertrieben, über die Goten herfielen und diese auf Reichsgebiet Schutz suchten, führte eine Ansammlung von Fehlentscheidungen und Dilettantismus dazu, dass der Ostkaiser Valens sich selbst und sein Heer in den Untergang riss. Das geschah im Jahr 378 in der Schlacht von Adrianopel und ab da nahm die Völkerwanderung richtig Fahrt auf: Während die Kaiser in West und Ost immer mehr im Schatten ihrer germanischen Heerführer standen, plünderten sich die durch das Reich, doch noch ehe sie im Jahr 410 der Welt mit ihrer Eroberung Roms einen Schock versetzen sollten, geschah etwas anderes: Um die Jahreswende 405/06 lasen mehrere weitere Stämme die Zeichen der Zeit und zogen über den zugefrorenen Rhein, um auf Kosten eines am Boden liegenden Reiches selbst aufzusteigen. Dabei handelte es sich um Vandalen, Sueben, Alanen und nun endlich auch um Burgunder.
    Da sind sie also, die Helden unserer Geschichte. Woher ihr Name kommt, das bleibt ungewiss, denn weder eine Abstammung von der Insel Bornholm noch die spätere Bezeichnung als die in den Römer-_Burgen_ Hausenden scheint ganz plausibel zu sein. Auch wenn ihnen eine skandinavische Herkunft nachgesagt wurde (schon wegen Klischee und so), sind sie zunächst an der Weichsel greifbar, ehe sie die einsetzende Unruhe weiterziehen lässt, erst an den Main. Unter ihrem Herrscher Gundahar (später als Gunther oder Gunnar bekannt) unterstützten sie zunächst einen Gegenkaiser, ließen sich dann als offizielle römische Hilfstruppen Land am Rhein (vermutlich in der Gegend um Worms) gewähren, doch bekamen sie den Mund nicht voll und führten weitere Überfälle auf römisches Gebiet durch und wurden schließlich vom damals starken Mann des Westens, dem Heermeister Flavius Aetius, und seinen hunnischen Hilfstruppen gestellt und geschlagen. So endete auch schon das Burgunderreich am Rhein nach gerade einmal 23 Jahren (413-436) – und sollte doch einen Nachruhm erhalten, der sich von jenem der vielen anderen kurzlebigen und halbvergessenen Reichen der Völkerwanderungszeit unterscheidet.
    Der Hunnenkönig Attila (alias Etzel) hatte mit dieser ursprünglich nichts zu tun, obgleich er schon die Bühne betreten hatte und sich anschickte, seinen Beitrag dazu zu leisten, dass das Hunnenreich kurz hell aufflammte und dann jäh erlosch. Erst erpresste er gemeinsam mit seinem Bruder Bleda (alias Blödelin) Tribute von den römischen Reichen, dann ließ er ihn beseitigen, richtete sich in Ungarn ein und plünderte den Balkan, ehe er sich bei einem Stoß ins Westreich übernahm: 451 konnte ihn Flavius Aetius im letzten Großakt auf den Katalaunischen Feldern abwehren, 452 scheiterte sein Marsch auf Rom und 453 starb er, angeblich betrunken im Bett mit seiner burgundischen Ehefrau Ildico, von der später behauptet wurde, sie habe ihn als Rache für ihre Verwandten ermordet (Vorbild für Kriemhild/Gudrun). Sein Reich überdauerte ihn kaum, Nachfolgestreitigkeiten und Aufstände unterworfener Völker gaben ihm bald darauf den Rest (in der Schlacht am Nedao 455).

    Die Reste der Burgunder wurden derweil in Savoyen neu angesiedelt und blieben doch ihren Taten aus Rheintagen treu: Sie mischten sich in die weströmische Politik ein und expandierten auf dessen Kosten, wodurch sie sich die heute nach ihnen benannte Region ebenso wie Gebiet bis fast hinab ans Mittelmeer sichern konnten. Mit der Expansion der Franken unter Chlodwig und der ostgotischen Herrschaft in Italien unter Theoderich (Dietrich) änderte sich jedoch ihre Situation und sie sahen sich ganz plötzlich zwischen zwei Großmächten eingeklemmt, die ihrerseits unterschiedlichen christlichen Pfaden folgten (die Franken wurden unter Chlodwig katholisch, während die Goten arianisch waren). Das ging nicht lange gut: Nachdem es bereits unter Chlodwig zu ersten erfolgreichen Angriffen kam, folgte der Todesstoß unter dessen Söhnen im Jahr 532 – da war Theoderich gerade gestorben, wodurch die Goten keinen Schutz boten konnten. So einfach ist es eben manchmal.
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  3. #3
    Der Erklärbär Avatar von Pucc
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    Zitat Zitat von Großadmiral Thrawn Beitrag anzeigen
    Keine Ahnung, ich trau's Pucc aber zu. :sz:


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  4. #4
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    Ui...ein Einstieg mittels einer Geschichtsstunde...und aus irgendeinem Grund interessanter (und vor allem kurzweiliger ^^) als damals in der Schule...

  5. #5
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    sehr schön, weiter so

    ---
    K: "Ich nehme an die Chancen stehen schlecht und die Lage ist aussichtslos?" P: "So sieht's wohl aus." K: "Das wird sicher ein Spaß!"
    Der beste Platz für Politiker sind Wahlplakate. Dort sind sie tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen

  6. #6
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    Teil 2: Cluny, Arles und Vezelay

    Als Karl der Große durch seine Krönung zum weströmischen Kaiser das neunte Jahrhundert begrüßte und dadurch die Welt veränderte, schien sein ins Gigantische angewachsene Frankenreich als größter Sieger der Völkerwanderungszeit festzustehen. Das Burgunderreich schien sich geradezu in seine Opferliste einzureihen, hatte man doch Friesen, Alemannen, Baiern, Thüringer und Sachsen besiegt, Sarazenen abgewehrt, Langobarden unterworfen und die Westgoten aus Aquitanien vertrieben. Dann passierte auch noch die Zerreißprobe – im wahrsten Sinne des Wortes – und nach dem Tod von Karls Sohn Ludwig wurde das Frankenreich dreigeteilt, wobei der größte Teil der heutigen Region Burgund (das spätere Herzogtum Bourgogne) an das Westfrankenreich fiel (und in diesem Abschnitt erst einmal keine Rolle mehr spielt) und jenes Rechteck zwischen Freigrafschaft, der Westhälfte der Schweiz und dem Mittelmeer an das Reich Lotharingien. Das war im Jahr 843.
    Stabilität und ein langes Bestehen war dem Mittelreich indes nicht vergönnt und während sich um dessen Nordteil schon bald Ur-Deutschland und Ur-Frankreich streiten sollten, brach im Ende des neunten Jahrhunderts aus dem Süden erneut das Burgunderreich hervor, doch weil beim ersten Mal die Revolte nicht ganz gelang, gab es bald darauf zwei Burgunderreiche. Aus diesen beiden Reichen (Hoch- und Niederburgund) wurde schließlich eines, das dem König des Nordens folgte (übrigens einem Welfen) und nach der bedeutendsten Stadt des Südens benannt wurde: Arelat.
    Der Neubeginn fiel indes ziemlich schwach aus. Auch im vereinten Burgund blieb die Königsmacht ziemlich schwach und es waren stattdessen die Kirchen und Klöster, die dem Land ihren Stempel aufdrückten. Da gab es etwa Cluny, von der die Kirchenreform ihren Ausgang nahm, die im Investiturstreit mündete, aber auch den kleinen Ort Vezelay, von dem der dritte Kreuzzug seinen Ausgang nahm (ps: und der natürlich in der Bourgogne liegt, arrrrgh) und schließlich noch Avignon, in das die Päpste flohen. Daran änderte sich auch nichts, als das Ende kam: Die Welfendynastie auf dem Thron starb aus und der salische Kaiser Konrad II. forderte das Land für sich und das Reich, in dem nun von den „drei Kronen“ die Rede war. Das geschah im Jahr 1033.

    Zu dieser Zeit nahm eine Entwicklung langsam Fahrt auf, die in den Tagen des Frankenreiches begonnen hatte und schließlich dem Zeitalter ihren Stempel aufdrücken sollte: die Entstehung des Ritters. Diese waren durch ihre Panzerung und ihre Ausrüstung sehr teure Vollzeit-Krieger, die die Volksmassen der Freien aus der Völkerwanderungszeit obsolet machten und sich ab dem achten Jahrhundert herausbildeten, ehe sie später gegen Wikinger, Ungarn und Angelsachsen zu glänzen wussten. Bald jedoch sollte sich zeigen, dass von einer schwachen Zentralgewalt kaum gebändigte und militärisch alternativlos gewordene Krieger zu einem Unruhefaktor werden können, da sie bestenfalls ihren Herren respektieren, nicht jedoch den Rest der Gesellschaft. Was war also zu tun? Nachdem der Klerus erst versuchte, sie solange böse anzusehen, bis sie von selbst verschwänden, rang er sich dazu durch, sie anzuerkennen und dabei zu versuchen, unkontrollierbare Banden in Verteidiger der Gesellschaft zu verwandeln – zuerst durch die Gottesfriedensbewegung, doch stärker noch durch die Kreuzzüge. So entstand erst die Trias aus Lehrstand, Wehrstand und Nährstand, die sich lange als prägend erweisen sollte.
    Der erste Kreuzzug von 1099, den Papst Urban II. noch mit den Worten „nun lasst alle, die bisher Räuber waren, jetzt Soldaten Christi sein“ ausgerufen hatte und der bezeichnenderweise weder von diesem noch von Königen, sondern von Adeligen der bestenfalls zweiten Reihe und deren Rittern zur Eroberung Jerusalems führte, bedeutete eine Beschleunigung dieser Entwicklung und ließ doch offenbar werden, dass dem Klerus bestenfalls ein halber Erfolg gelungen war: Die Ritter wurden zwar gezähmt und in die Gesellschaft integriert, doch sie waren nicht etwa zu eisern gewandeten Mönchen geworden, sondern sie hatten ihre eigene Kultur aus persönlicher Macht und Freiheit, Christsein und Kampfsportlertum entwickelt, die nun zusehends die klerikale Kultur als Leitkultur ablöste und sich in Gesang und Schrift festsetzte.
    So kam es denn, wie es kommen musste: Kaum hatte sich das Rittertum etabliert, schon tat es so, als wäre es schon unabänderlich immer da gewesen und schrieb weiten Teilen der Geschichte von den Griechen vor Troja über den Heeren Alexanders bis hin zu Julius Caesar ritterliche Gesinnung zu. Als fruchtbarster Acker erwies sich jedoch ausgerechnet die Völkerwanderungszeit (im weitesten Sinne): König Artus etwa, nun zum Mittelpunkt der höfischen Epik werdend, geht im Kern auf einen britischen Kriegsherren und seinen Kampf gegen die einfallenden Sachsen zurück, aus Frankreich strahlte der Paladin Roland und aus Deutschland der Ostgote Theoderich sowie Gundahars Burgunder.

    Als nun im zwölften Jahrhundert das Rittertum ebenso wie sein Minnesang und seine höfische Epik blühten, herrschte das Geschlecht der Staufer über das Reich und sollte in seinem Ringen um Weltgeltung oder Untergang das politische Klima bereiten, in dem das Nibelungenlied um 1200 herum entstand. Besonders Friedrich Barbarossa, der sich als zweiter Kaiser überhaupt als König von Burgund/Arelat krönen ließ, versuchte in Italien viel zu erreichen, doch scheiterte er letzten Endes ebenso daran wie sein Sohn Heinrich VI. in seinem Ringen um Sizilien. Als dieser schließlich 1197 starb, folgte eine Doppelwahl und damit ein Ende der deutschen Kaiserherrlichkeit.
    Geändert von Ghaldak (24. August 2017 um 15:13 Uhr)
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  7. #7
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    Teil 3: Nach Westen, nach Osten und in sich zurück

    Mit dem Ende der Staufer war auch die Vorherrschaft gegenüber Frankreich dahin und die einsetzende Erosion der Reichsgrenzen sollte auch das Königreich Arelat erst betreffen und dann verschlingen: 1267 war der Verlust der Provence abzusehen, 1307 wurde Lyon von den Franzosen annektiert, 1359 folgte das Dauphine und 1361 gelangte die Freigrafschaft Burgund in die Hände der Grafen von Flandern, die es später in den herzöglich-burgundischen Länderkomplex einbrachten. Als sich Kaiser Karl IV. 1365 zum König von Burgund krönen ließ, bedeutete es wenig und er war es dann auch, der den Schlussstrich setzte, indem er erst Savoyen aus Burgund herauslöste und schließlich den ganzen Rest den Franzosen überließ.
    Es war tatsächlich jener andere, bei der Aufteilung des Frankenreiches an den Westen gefallene Teil, der für Furore sorgen sollte und für einen kurzen historischen Moment, Frankreichs Gebundenheit im Hundertjährigen Krieg und die Ostverlagerung des Reiches im Interregnung ausnutzend, die Wiedergeburt des Zwischenreich Lotharingien zu verwirklichen schien. Dieser Aufstieg der Herzöge von Burgund vollzog sich in vier Generationen bis zu dem abrupten Ende im Jahr 1477:
    Alles sollte damit beginnen, dass der französische König Johann der Gute das Herzogtum, dessen Herrscherhaus gerade ausgestorben war, im Jahre 1363 an seinen jüngsten Sohn Philipp II. den Kühnen verlieh. Dieser warb sogleich um die Verlobte seines Vorgängers, die Erbtochter des Grafen von Flandern Margarete, beanspruchte ihr Erbe für sich und gewann dadurch nicht nur wie erwähnt die Freigrafschaft hinzu, sondern auch weite Gebiete im Norden – eine Expansion mit dem Segen des Königs, um das während dem Hundertjährigen Krieg stark nach England neigende Flandern unter Kontrolle zu bekommen. Sein Sohn Johann Ohnefurcht hatte vor allem am französischen Hof zu kämpfen, wo politische Fraktionen um den Einfluss auf den König rangen. So trat er 1407 ins Rampenlicht, indem er seinen Vettern und Rivalen, Ludwig von Orleans, einfach ermorden ließ, und verbrachte viele der folgenden Jahre damit, gegen die Folgen dieser Tat anzukämpfen. Trotzdem wurde er 1419 von seinen politischen Gegnern aus dem Hinterhalt umgebracht.
    Nach diesen Ereignissen fixierte sich dessen Sohn Philipp III. der Gute weniger auf französische Innenpolitik, sondern agierte freier zwischen England und Frankreich in der Hochphase des Hundertjährigen Krieges, was sich für ihn auszahlen sollte: Im Vertrag von Arras im Jahr 1435 wurde er vom Lehenseid gegenüber dem französischen König befreit, den er dem Mörder seines Vaters von Beginn an verweigert hatte, und erhielt gegen dessen Anerkennung weitere Territorien. Darüber hinaus expandierte er auch in das Reich hinein und erbte Brabant, kaufte Namur, eroberte sich Holland und übernahm 1443 die Kontrolle im verpfändeten Luxemburg.
    Karl der Kühne, der 1465 die Macht übernahm, herrschte somit bereits über ein machtvolles Reich und strebte nun eine eigene Krone an, doch scheiterten dessen Verhandlungen in Trier im Jahr 1473 über ein Königreich Burgund in letzter Sekunde – am Widerstand der Kurfürsten, wie es heißt, denn keinem seiner Nachbarn gefiel die stetig wachsende burgundische Macht. So gelang ihm zwar mit der Erbschaft Lothringens, die seine Gebiete verband, noch ein letzter Sieg, doch dann zog ihn die Schwerkraft zu Boden: Die misslungene Belagerung von Neuss 1474 beschädigte sein militärisches Prestige, die Niederlagen gegen die Schweizer bei Grandson und Murten brachten es zum Einsturz und als er schließlich bei Nancy die Entscheidung suchte, brachte er sich selbst und seinem Reich bloß den Untergang ein.


    Teil 4: Und so lebten sie…

    Um den großen burgundischen Fleischtopf stritten sich Frankreichs König Ludwig XI. und der Habsburger Maximilian, mit Karls Tochter Maria verheiratet, und sorgten für die Teilung, die den Habsburger weite Gebiete einbrachten und für einige Zeit geradezu zu einer Burgundisierung dieses Hauses führte und das Land als Reichskreis im Reich weiterleben ließ, doch spätestens nach dem Tod Karls V. dominierten andere Themen das politische Geschehen: Aus den Hinterlassenschaften des burgundischen Valois-Reiches wurden erst die spanischen und dann die österreichischen Niederlande, die in immer weiter dahinschmelzender Form bis zu den Wirren der französischen Revolution bestanden. Das Nibelungenlied trat da langsam seinen Siegeszug an, nachdem es 1755 von Jakob Hermann Obereit in einem österreichischen Schloss wiederentdeckt hatte; mit dem erwachenden deutschen Nationalismus und besonders aus der Konfrontation mit Napoleon wuchs das Interesse für diese „deutsche Ilias“ immer weiter an und klang für eineinhalb Jahrhunderte nicht ab, wovon „Hunnenrede“, „Nibelungentreue“, „Siegfriedlinie“ und „Dolchstoßlegende“ zeugten. Dann wurde der braune Sumpf in Deutschland trockengelegt…
    ... und… nun ja.
    Hier sind wir also und müssen uns fragen: Was sind die Nibelungen heute? Viele, das habe ich festgestellt, kennen sie überhaupt nicht mehr. Für andere sind sie, ihrer zweiten Hälfte aus offensichtlichen Gründen verlustig gegangen, ein nicht mehr ganz ernst zu nehmendes Geschichtchen, Schmunzelstoff aus alten Tagen. Manch einer Stadt und Gegend bieten sie die Hoffnung aus Touristeneinnahmen…
    … und für mich sind sie das Thema dieser Geschichte.
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  8. #8
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    Das Nibelungenlied – eine kurze Inhaltsangabe (Teil 1)

    Das Nibelungenlied, das im frühen dreizehnten Jahrhundert bestand, besteht aus 39 Kapiteln, so genannten Aventüren/Abenteuern. Ich möchte sie euch nun kurz vorstellen (gemäß Handschrift C) und dabei schauen, wie viele Figuren ich dabei verschweigen kann.

    (1) In Worms lebt eine Prinzessin namens Kriemhild, die von König Gunther und dessen beiden Brüdern aufgezogen wird. Sie träumt von schlimmen Dingen rund um ihren zukünftigen Ehemann und beschließt, niemals zu heiraten.
    (2) In Xanten lebt ein Prinz namens Siegfried, zu dessen Schwertleihe ein großes Fest gefeiert wird.
    (3) Obgleich sein Vater ihm davon abrät, bricht dieser nach Worms auf, um um Kriemhild zu werben. Dort erkennt ihn erst Hagen, Berater des Königs, und erzählt von dessen Taten: Siegfried habe bereits den gigantischen Nibelungenschatz samt Tarnkappe errungen und sich im Blut eines selbst erlegten Drachen unverwundbar werden lassen. Bei der ersten Begegnung kommt es fast zu Eklat, da Siegfried die Fehde ankündigt, doch verständigen sie sich miteinander und laden diesen als Gast ein.
    (4) Da erscheinen Boten der Dänen und Sachsen, die dem Wormser Reich den Krieg erklären. Siegfried bietet seine Hilfe an, übernimmt die Rolle des Heerführers und führt die burgundische Armee ins Feindesland, wo sie die Gegner schlagen und deren Könige gefangen nehmen. Diese werden begnadigt.
    (5) Der Triumph wird gebührend gefeiert, wobei sich Kriemhild und Siegfried zum ersten Mal sehen und sofort ineinander verlieben. Er bleibt weiter in Worms.
    (6) König Gunther kommt auf die Idee, die zaubermächtig-starke und gefürchtete Königin von Isenland, Brünhild, als Gattin zu erringen, wovon ihm Siegfried zuerst abrät, doch seine Meinung ändert, als ihm die Hand Kriemhilds als Belohnung versprochen wird. Gemeinsam mit Hagen brechen sie auf und erreichen ihr Ziel.
    (7) Brünhild tritt den Ankömmlingen entgegen und hält zuerst Siegfried für den Werber, doch gibt dieser vor, bloß Gunthers Gefolgsmann zu sein, um sich bei nächster Gelegenheit absetzen zu können; er muss nämlich mit seiner Tarnkappe Gunther in den rituellen Zweikämpfen gegen Brünhild beistehen. Gemeinsam besiegen sie sie und gewinnen so ihre Hand wie auch ihr Reich.
    (8) Da Brünhild schwer zu bändigen ist, reist Siegfried der Gruppe voraus und unternimmt einen Abstecher in das gemeinsam mit dem Schatz von ihm errungene Nibelungenland, um dort Truppen zu sammeln. Mit diesen kehrt er nach Isenland zurück.
    (9) Hagen überzeugt nun Siegfried davon, der Gruppe nach Worms vorauszureisen und die Siegesnachricht zu überbringen. Das geschieht.
    (10) Die Doppelhochzeit wird gefeiert, doch Brünhild ahnt den Betrug und hängt sich an der Frage auf, warum denn die Schwester des Königs an einen Vasallen vergeben werden könne. Gunther möchte dies überspielen, wird dann jedoch von ihr in der Hochzeitsnacht überwältigt und in der Garderobe aufgehängt. So muss erneut Siegfried samt Tarnkappe helfen. Gemeinsam bezwingen und entjungfern sie sie, wodurch sie ihre Zauberkräfte verliert.
    (11) Kriemhild verlässt ihre Brüder und zieht mit Siegfried zusammen nach Xanten, wo er die Königskrone seines Vaters übernimmt. Beiden Ehepaaren entspringt schon bald ein Sohn, den sie nach dem jeweils anderen benennen.
    (12) Brünhilds Ahnungen verstummen derweil nicht. So überzeugt sie Gunther, Kriemhild und Siegfried zu sich einzuladen.
    (13) Diese erscheinen auch und werden pompös empfangen.
    (14) Da bricht über die Rolle Siegfrieds, ob König oder Vasall, zwischen Brünhild und Kriemhild ein Streit aus, wobei der ganze Betrug ans Licht kommt. Brünhild fordert nun von ihrem Gemahl Siegfrieds Kopf und dieser beschließt zusammen mit Hagen, ihrem Wunsch nachzukommen.
    (15) Falsche Boten lassen einen erneuten Krieg gegen Sachsen und Dänen verkünden, bei dem Siegfried erneut seine Hilfe anbietet, doch nachdem dieser platzt, geht dieser zusammen mit Gunther und Hagen jagen – letztere brachte derweil Kriemhild dazu, ihm Siegfrieds verwundbare Stelle zu verraten.
    (16) Kriemhild erkennt, was sie tat, doch kann sie Siegfried nicht von dem drohenden Unheil überzeugen. So geschieht alles wie geplant: Siegfried wird an eine Quelle gelockt und von Hagen von hinten erstochen. Sterbend verflucht er seine Mörder ob deren Treulosigkeit.
    (17) Am nächsten Morgen stolpert Kriemhild über die vor ihrem Zimmer abgelegte Leiche ihres Ehemannes und ist erschüttert. Später bestätigt die Bahrprobe ihren Verdacht.
    (18) Kriemhild entscheidet, nicht mit ihrem Schwiegervater und zu ihrem Sohn ins Nibelungenland zurückzukehren, sondern in Worms zu bleiben.
    (19) Kriemhild lässt sich überzeugen, den ihr zugefallenen Nibelungenschatz nach Worms zu holen, doch als sie dies als weiterhin Trauernde und Wütende zu mächtig werden lässt, entreißt ihr Hagen den Schatz und versenkt ihn im Rhein.
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  9. #9
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    Der halbvergessene zweite Teil

    (20) Im fernen Hunnenland kommt König Etzel auf der Suche nach einer zweiten Frau auf Kriemhilds Namen und sendet den Markgraf Rüdiger von Bechelaren als Boten aus. Diese lässt sich erst auf dessen Bereitschaft hin, selbst in ihre Dienste zu treten, aus ihrem Schneckenhaus lösen und bricht anschließend mit ihm nach Osten auf.
    (21) Sie reiten nach Osten und passieren dabei Passau und Bechelaren.
    (22) Etzel und Kriemhild vermählen sich in Wien und feiern das groß.
    (23) Etzel wird ein Sohn geboren, doch findet Kriemhild keine Ruhe und sinnt weiter auf Rache für Siegfried, weswegen sie ihren Gemahl davon überzeugt, ihre Brüder zu sich einzuladen.
    (24) Die Brüder wittern tatsächlich die Falle, doch sie entscheiden sich dazu, mit einem Heer im Rücken die Reise dennoch anzutreten.
    (25) Die Donau erweist sich als erstes Hindernis der Reise. Hagen sucht deshalb nach Schiffen, überrascht einige Meerfrauen und erzwingt von ihnen eine Prophezeiung, durch die er erfährt, dass sie alle sterben werden. Schließlich trifft er einen Fährmann, doch er zerstreitet sich mit ihm, erschlägt ihn und setzt das Burgunderheer selbst über.
    (26) Der Tod des Fährmannes führt zu Kämpfen mit den Bayern, die die Burgunden gut überstehen. Sie treffen außerdem auf einen von Kriemhilds Rittern, überwältigen ihn und nutzen ihn als Boten, der sie in Bechelaren ankündigt.
    (27) In Bechelaren werden die Burgunden willkommen geheißen und beschenkt, wobei sich gleich Gunthers jüngerer Bruder mit der Tochter des Markgrafen verlobt. Anschließend ziehen sie weiter zur Etzelburg.
    (28) Dort werden sie zunächst vom Helden Dietrich von Bern empfangen, der sie vor Kriemhilds Rachegelüsten warnt, und dann von ihr selbst und Etzel, wobei Kriemhild und Hagen sowie Kriemhild und Dietrich einander anfeinden.
    (29) Die Burgunden legen auch als Gäste ihre Waffen nicht ab.
    (30) Nach der Audienz hält Hagen Nachtwache. Hunnen, die sie im Schlaf meucheln wollten, ziehen sich deshalb ängstlich zurück.
    (31) Die Burgunden gehen bewaffnet zum Gottesdienst und erschlagen später bei Ritterspielen absichtlich einen Hunnen, doch wird die halb befürchtete und halb ersehnte Eskalation vermieden. Kriemhild heuert schließlich Etzels Bruder für ein Attentat an.
    (32) Dieser Bruder fällt mit seinen Männern über die Knechte der Burgunden her, während deren Herren mit König Etzel speisen, und erschlägt sie alle, fällt jedoch selbst dabei.
    (33) Als die Könige im Saal davon erfahren und Hagen Etzels Sohn umbringt, bricht der Endkampf aus. Etzel, Rüdiger und Dietrich gelingt es dabei, aus dem Saal zu entfliehen.
    (34) Die Lage wird nun statisch: Die Burgunden halten eingeschlossen den Saal, Kriemhild und Etzel stehen draußen.
    (35) Etzel lässt Truppen unterworfener Völker den Saal stürmen, doch werden diese niedergemacht.
    (36) Ein letzter Versuch der Könige, das Patt mit Worten aufzulösen, scheitert. Kriemhild lässt die Halle anzünden, woraufhin die Burgunden mit dem Blut der Gefallenen ihren Durst löschen.
    (37) Der beiden Seiten verpflichtete Markgraf Rüdiger lässt sich nach langen Diskussionen gegen die Burgunden werfen und geht mit seinen Männern in der Halle unter.
    (38) Rüdigers Tod wird von Dietrich und seinen Männern sehr beklagt und er schickt seine Leute aus, um dessen Leiche zu bergen. Auch wenn diesen der Kampf verboten war, lassen sie sich provozieren und werden niedergemacht, allerdings sterben dabei auch die letzten Burgunden außer Gunther und Hagen.
    (39) Nun greift Dietrich selbst ein und nimmt Gunther und Hagen gefangen, doch werden diese von Kriemhild erschlagen. Aus Zorn darüber wird auch diese umgebracht.
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  10. #10
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    Nibelungen jenseits des Nibelungenliedes

    Hält man sich an der Theorie fest, dass in den Mythen der Held für die Gesellschaft den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt abschreitet, so fällt auf, dass das Nibelungenlied vor der letzten Schwelle zu verharren scheint. Die Rückkehr ins Leben findet nicht statt, stattdessen herrscht Totenstille, in der niemand etwas lernen konnte oder auch nur aus der geistigen Erstarrung ausbricht, die gegen Ende alle Charaktere befällt – und die Kriemhilds Ermordung eher bestärkt als aufhebt. So wurde noch im Verlauf des dreizehnten Jahrhunderts eine Nachbereitung als besserer Abschluss geschrieben, die damals verbreitet war und heute fast vergessen ist, die so genannte (Nibelungen-)Klage. Gleich einer Fanfic (und an eine solche erinnert sie mich deutlich) ist sie mehr an Charakteren und deren Beziehungen als an tatsächlichen Ereignissen interessiert – und an Antworten auf offene Fragen, indem sie etwa festhält, dass Dietrich Gunther und Hagen nur so einfach überwältigen konnte, weil sie vom langen Kampf völlig ausgelaugt waren.
    Ihre Handlung liest sich so: Dietrich und Etzel resümieren das Geschehene und gedenken der Toten, während diese aus der niedergebrannten Halle geborgen werden. Schließlich wird ein (bereits bekannter) Bote ausgesandt, um in Wien, Bechelaren, Passau und Worms Bericht zu erstatten. Rüdigers Tochter (die jetzt erst einen Namen erhält) und Gunthers Sohn (dessen eigentlich bekannter Name völlig verschwiegen wird) übernehmen dabei ihre jeweiligen Throne. Schließlich entschließt sich Dietrich, sein Exil am Hunnenhof zu beenden und nach Bern zurückzukehren.

    Die Klage ist jedoch bei weitem nicht die einzige Geschichte von Nibelungenfiguren außerhalb des Nibelungenliedes, begleiten die Recken dieses konstruierten Heldenzeitalters in zweiter Generation doch die deutsche Literatur seit ihren Anfängen. Ich möchte kurz noch einige von ihnen ansprechen.

    Ich möchte mit dem Waltharilied aus dem 10. Jahrhundert, eine der ersten deutschen Heldendichtungen (wenn auch in lateinischer Sprache), beginnen, auf das das Nibelungenlied mehrfach anspielt und es als Vorgeschichte behandelt, wenngleich es Auswirkungen ignoriert. Darin geschieht Folgendes: Als die Hunnen vorstoßen, werden als Unterwerfungsgeste Geiseln an deren Hof gesandt, darunter Walthari (aus Aquitanien, im Nibelungenlied: aus Spanien), Hildegund (aus Burgund, allerdings aus dem Herzogtum westlich von Saone und Rhone mit der Hauptstadt Chalons) und Hagen (aus Worms). Walthari integriert sich in Folge in der Fremde und steigt zum Heerführer auf, doch verliebt er sich in Hildegund und wird vom Heimweh gepackt, weshalb er einen Schatz stiehlt und sich davonmacht. Davon berichtet Hagen Gunther und zusammen mit einigen Getreuen stellen sich diese den Fliehenden, um ihnen den Schatz abzujagen, was für niemanden gut ausgeht.

    Eine private These bringt mich dazu, in diesem Abschnitt auch das Rolandslied zu erwähnen, dass Ergebnisse aus dem gescheiterten Spanienfeldzug Karls des Großen verritterlicht und kurz vor dem Nibelungenlied (wahrscheinlich auf Geheiß Heinrichs des Löwen übrigens) eine deutsche Version bekam: Die nach biblischen Vorbildern zur monströsen Endschlacht erklärte Niederlage des Protagonisten sehe ich als die Vorlage der Endschlacht in der brennenden hunnischen Königshalle. (Zwischen beiden Werken besteht übrigens auch eine indirekt-literarische Verbindung: Der Autor des deutschen Rolandslieds, ein gewisser Pfaffe Konrad, wird in der Nibelungenklage als derjenige genannt, der damals mit der Verschriftlichung des Geschehens begann.)

    Dietrich von Bern ist übrigens Protagonist einiger eigener Abenteuer, auf die ich nicht tiefer eingehen möchte und die ich hier nur anmerke, damit mir kein Strick daraus gedreht wird. Er ist auch Protagonist im Rosengartenlied, dass nach dem Nibelungenlied entstand und eine andere Art Fanfiction zu diesem darstellt: „Wer wäre stärker im direkten Zweikampf, Dietrichs oder Gunthers Truppe?“

    Der Nibelungenstoff war indes nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern war auch ein Teil der skandinavischen Kultur – und wurde als solcher im dreizehnten Jahrhundert auf Island in Form der Edda-Niedersammlung verschriftlicht. Viele markante Szenen des Nibelungenlieds werden darin in anderer Perspektive präsentiert (etwa die Überwindung von Gunnar/Gunther und Högni/Hagen in sieben Zeilen statt in einem großen Endkampf) und die nur leicht angedeutete Vorgeschichte zwischen Siegfried und Brünhild mit mehr Leben gefüllt.

    Wenig später entstand in Norwegen die Thidrekssaga, die viele der Ereignisse am Wormser Hof nach der Version des Nibelungenliedes deutet…

    … und langsam artet es hier in namedropping aus, weshalb ich noch einmal festhalten möchte: Kern meiner Geschichte ist das Nibelungenlied – und auch wenn ich durchaus nicht abgeneigt bin, auf die eine oder andere oben genannte Quelle (besonders auf die Klage) bei Bedarf zurückzukommen, soll es in erster Linie um dieses gehen.
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  11. #11
    Im Monsterland
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    Von all den Fragen, die sich anschließen mögen, halte ich jene, warum ausgerechnet das Nibelungenlied in der Neuzeit seine triumphale Rückkehr feiern konnte, während der Großteil des mittelhochdeutschen Schriftguts die Hände der Mediävisten nie verließ, für ziemlich unspannend; es war der Zeitgeist, der seine machtvollen Finger im Spiel hatte und die Zeitgenossen nur auf jenes achten ließ, was sich für deren jeweilige Gegenwart instrumentalisieren ließ. So dürstete die deutsche Nationalbewegung nach einer „germanischen Ilias“, mochte ihre „Nibelungentreue“ in einer Zeit aus „Blut und Eisen“ sowie „Leder und Kruppstahl“ und dachten auch gerne an deren Wurzeln in der Völkerwanderungszeit als eine jener seltenen Gelegenheiten, in denen Welschland vor den Germanen zitterte. Darüber hinaus herrschte jedoch auch in der Adaption des Sagenstoffes aus dem dreizehnten Jahrhundert ein Wildwuchs vor, der zum Spekulieren einlädt…
    … und… nun ja… ich beschäftige mich gerade mit dem Nibelungenlied, also will ich auch. Halbwegs und so, ein bisschen seriös, aber ein bisschen auch nicht.

    Ich werde euch also nicht zu erklären versuchen, dass sich Arminius (oder Jesus) hinter Siegfried verbirgt, Aetius hinter Hagen oder Chlodwig hinter Etzel, sondern mich bei der Frage, was das Nibelungenlied aussagen möchte, auf einfache Antworten beschränken.
    Eine meiner Thesen hatte ich bereits genannt: Das Nibelungenlied erklärt die Ritterkultur als bereits in der Vergangenheit präsent. Das war zwar Mode zu dieser Zeit, aber es ist nichtsdestotrotz eine politische Aussage.
    Zum zweiten kann ich mir durchaus eine moderne Hollywood-Logik vorstellen: Wenn höfische Adaptionen historischer Stoffe modern waren und der Nibelungenstoff im Volksmund bekannt, so war die höfische Adaption des Nibelungenstoffes beinahe eine sichere Wette.
    Zum dritten möchte ich zu bedenken geben, dass die Technik, durch den Widerstreit personalisierter Standpunkte zu einer Aussage zu kommen, am Anfang der deutschen Literaturgeschichte einfach noch nicht angewendet wurde. Die Höfe von Worms, Xanten, Bechelaren und zu einem gewissen Grad auch Etzelburg unterscheiden sich in ihren Mechanismen kaum voneinander. Zwei Beispiele möchte ich dazu bringen:
    a.) Hebbel erklärt in seinen „Nibelungen“ Brünhild zur urtümlich gebliebenen Germanin vom Rande Europas, doch auch er kann nicht abändern, dass ausgerechnet sie sich in die falsche Lehensgeste bei der Brautwerbung verbeißt. Im Nibelungenlied wälzt sie daraufhin außerdem die Bücher und stellt fest, dass Siegfried keine Abgaben bezahlt.
    b.) Im Wikipedia-Artikel zum Lied erkennen sie einen Unterschied in der Herrschaftsauffassung des Eroberers Siegfried und des Verwalters Gunther. Der Drachentöter ruft allerdings nach Erhalt der Einladung ebenfalls seine Vasallen zusammen und hält mit diesen Rat über die Reise.

    Ich stelle also die These in den Raum, dass das Nibelungenlied zwar berichten, aber nicht allzu viel dazu sagen möchte. Es sagt allerdings trotzdem viel, eben weil es ein Werk seiner Zeit ist, und fast schon als Entschuldigung dafür, dass ich keine wilde These aufstelle (wobei ich natürlich auch von den Gemeinsamkeiten von Nibelungenlied und Investiturstreit sprechen kann), möchte ich darüber ein paar Worte verlieren.


    Spuren staufischer Tagespolitik im Nibelungenlied

    Lasst mich bitte zunächst eines ganz klar feststellen: „Das Nibelungenlied spielt in einer fernen Vergangenheit, die genauso ist wie die Gegenwart des Autoren“. Lasst euch von den Völkerwanderungselementen der Vorlage nicht täuschen, diese dienen rein als Makulatur. Zum Beispiel…
    … spielt zwar fast die ganze Geschichte auf einstmals römischem Boden, doch werden weder Rom noch der Kaiser im Nibelungenlied je erwähnt (die Klage ändert das).
    … stammen die exotischen Stoffe der pompösen Kleidung aus der arabischen Welt und nicht etwa aus Konstantinopel (dieses war zu der Zeit bereits ein Schatten seiner selbst, hatte durch Glück einen normannischen Vorstoß überstanden und sollte bereits wenige Jahre später den vierten Kreuzzug erleben). Griechen werden zwar genannt, doch sie reihen sich kommentarlos ein in die Schar der Ostvölker unter Etzels Herrschaft.
    … weckt auch Brünhilds Reich keine isländischen Assoziationen an ein Land starker Elemente, sondern ist außer seinem großen Palast völlig konturlos.

    In den Jahren vor der Abfassung herrschte in Deutschland lange Friedrich Barbarossa, gefolgt von der kurzen Regierungszeit seines Sohnes Heinrich VI. und dem folgenden Unheil nach dessen plötzlichen Tod (der von mir im Eingangswort zitierte Walther von der Vogelweide beklagt diesen Zustand in seinem berühmten Reichston). In Schlagworte gefasst bedeutet dies für Barbarossa: eine ambitionierte Außen- und damit besonders Italien-Politik, ein kompliziertes Verhältnis mit seinem welfischen Gegenspieler Heinrich den Löwen, ein noch ambitionierterer Kanzler, schließlich ein politisches Scheitern und Tod auf seinem Kreuzzug. Heinrich würde vieles davon wiederholen, doch fügt er noch eines hinzu: Sizilien als Beute einer Heiratspolitik.
    Klingt vieles vertraut? Lasst mich bitte noch eines anfügen: Friedrich Barbarossa war außerdem gekrönter König von Burgund.

    Ich möchte jedoch nicht mit ihm beginnen, sondern festhalten, dass ich es erstaunlich finde, in welchem Maß der Nibelungenlied-Siegfried Heinrich dem Löwen nachempfunden wurde. In der wahren Welt waren Friedrich und Heinrich Verwandte und schienen den Konflikt zwischen Staufern und Welfen beizulegen. Zunächst kämpften sie gemeinsam zusammen in Italien und waren dabei erfolgreich (gemeinsame Werbungsfahrt nach Isenland) – erst als sie sich entzweiten, wendete sich das Blatt (Siegfrieds Tod auf Brünhilds Initiative hin). Heinrich verfügte außerdem mit Sachsen und Bayern über zwei klassische Lehen, gewann allerdings durch die Ostkolonisation im Kampf gegen Wenden sächsisches Land hinzu (Siegfried verfügt über das ererbte Xanten und über das eroberte Nibelungenland). Dabei führte er mit Friedrichs Billigung auch Krieg gegen Dänemark (Siegfried kämpft für Gunther gegen Sachsen und Dänen). Letzten Endes scheinen es die Standesunterschiede gewesen zu sein, die die Harmonie störten: Heinrich war mächtig genug, um König oder gar Kaiser zu sein, musste sich jedoch rechtlich Friedrich unterordnen. Anschließend wurde er ermordet… nicht tatsächlich, aber politisch: In Abwesenheit ging er auf einem Reichstag all seiner Lehen verlustig und musste als Privatmann ins Exil gehen.
    (Ob es da als Zeichen zu deuten ist, dass Siegfried bei der Jagd vor seinem Tod im Odenwald einen Löwen erlegt? Ihr seht jedenfalls, dass von dem „Romulus“-Findelkind und Schmiedelehrling der Edda-Vorlage im Nibelungenlied nicht viel erhalten blieb. Der berühmte Drache wird nur in einem Nebensatz erwähnt und führt nicht einmal zu dem Schatz – diesen erringt Siegfried, als er mit einer Erbengemeinschaft aneinander gerät und ein Blutbad anrichtet… und wisst ihr was? Auch die Burgundenherrscher sind in erster Linie eine Erbengemeinschaft. Macht daraus, was ihr wollt.)

    Barbarossas Kanzler war Rainald von Dassel, seines Zeichens auch Erzbischof von Köln. Der Erzbischof von Köln war auch ein Anstifter und Profiteur des Welfenendes und übernahm dabei die westfälischen Gebiete, die zu EU4-Beginn immer noch in Kölner Händen verweilen. (Dieser Erzbischof war allerdings nicht mehr Rainald von Dassel, sondern dessen Nachfolger.)

    In der Analogie wäre Brünhild dann das personifizierte Italien, ein fremd-mystisches und gefährliches Land – oder aber die Normannentochter Konstanze von Sizilien, deren Heirat den Staufern ein neues Land beschert. Als Heinrich VI. jedoch stirbt, kämpft diese mit Entschlossenheit gegen die Deutschen in ihrem Land unter deren Kanzler Markward von Annweiler, die eher an Kriemhild in der Etzelburg erinnert. Schätze gab es übrigens auch genug: Steuern aus Italien, die Barbarossa erringen konnte, die Mathildischen Güter, die zwischen Welfen und Staufern umstritten blieben und schließlich auch das erschreckend hohe Lösegeld für den englischen König Richard Löwenherz, den der Staufer Heinrich VI. einfach einkassierte, als dieser vom Kreuzzug zurückkehrte. Mit diesem Geld finanzierte er übrigens seine Eroberung Siziliens.

    Die nächsten beiden Analogien gebe ich nur wieder, weswegen ich mich kurz fasse: Hinter dem Haus Bechelaren verbergen sich die Babenberger, die mit den Staufern verbündet waren und deren Gebiet in Österreich durch den Fall des Welfen dazugewann. Hinter Etzels Hunnen verbergen sich schließlich die christianisierten Ungarn. So konnte es passieren, dass die „Geißel Gottes“ Attlia im Nibelungenlied so schwach und zahm auftritt – Anfang des dreizehnten Jahrhunderts war eine jener seltenen Zeiten, in der keine Furcht vor wilden Horden aus dem Osten herrschte.

    Bleibt hier nur noch eine Figur, nämlich Dietrich von Bern… und hier muss ich gestehen, nichts dazu zu sagen zu haben. Ich kann ihn niemandem zuordnen und kann nur anmerken, dass ich ihn in einer wishfulfillment-Rolle sehe, als eine ersehnte Figur statt eine historische. So besteht Dietrichs ganze Agenda daraus, die Katastrophe doch noch irgendwie zu verhindern – indem er die Burgunden warnt, sich gegen Kriemhild stellt und diese sterben sieht – und dem es immerhin gelingt, den in der Vorlage untergehenden Etzel gleich zweimal zu retten. Im Übrigen fällt mir auf, dass er mit seiner Truppe, jenen benamten Kämpfern in fremdem Land, ein Spiegelbild der Burgunden zu bilden scheint, mit seiner rechten Hand Hildebrand und dem Heißsporn Wolfhart statt Hagen und Volker.

    Am Ende lande ich jedoch an einem toten Punkt: Da die Burgunden und besonders Gunther in der Geschichte insgesamt und besonders im Vergleich zu den Lichtfiguren Siegfried und Volker nicht besonders gut wegkommen, müsste dies eigentlich bedeuten, dass das Nibelungenlied von einem Staufengegner oder wenigstens –Kritiker stammt. Nach allem, was bekannt ist, weist die Spur allerdings zum Passauer Bischof Wolfger von Erla… und der war, wie es scheint, linientreu.
    Man sollte eben doch nicht zuviel hereinlesen wollen.
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  12. #12
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    Damit habe ich nun endlich, nach etwa eineinhalb Monaten nach Storybeginn, einen ersten Abschnitt erreicht: Das Vorwort ist vorbei, es wird Zeit für dieses Bild.

    Bild

    Nun haben wir also die Vorstellungs- und Wertewelt des Spiels betreten. Es wird also Zeit für ein paar Grundsatzentscheidungen.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken
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  13. #13
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    Nibelungen und die Zahlen (1): Die Zahl Sieben

    Auf dem Weg durch das weite Feld der Grundsatzentscheidungen möchte ich bei den Zahlen beginnen – und zwar tatsächlich bei meiner Zahl. Im doppelten Sinne. Ich rede von der Sieben.
    Sieben Völker stellte ich euch zur Auswahl – Wormser, Xantener, Berner, Bechelaren, Isländer, Passauer und Hunnen – und wählte sie aus einer Mischung aus Relevanz für die Geschichte und Unverbrauchtheit in der EU4-Welt aus. Sie werden uns auch alle hier begleiten. Sie braucht damit allerdings noch nicht vollständig zu sein.
    Ich kann mir, die Optionen der Konsole im Hinterkopf behaltend, folgende weiteren Mitspieler vorstellen:
    a.) Das Nibelungenreich in Norwegen: Im Nibelungenlied herrscht Siegfrieds Vater über Xanten. Siegfried erringt das Nibelungenreich mit dem Schwert, übernimmt später die Krone seines Vaters und beherrscht beide Länder als Personalunion. Als er schließlich stirbt, zerbricht diese und sein Vater kehrt in Xanten an die Macht zurück, während die Burgunden das herrenlose Nibelungenland einziehen. Ich könnte nun in EU4 diesen Block ebenfalls als zwei Staaten in einer Personalunion umsetzen – mit zwei ganz unterschiedlichen Gesichtern und all den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.
    b.) Tronege: Hagens Familie besitzt im Nibelungenlied eine gewisse Autonomie und es gibt tatsächlich Gründe dafür und dagegen, sie als eigene Nation darzustellen – als einen Vasall der Burgundenherren von Beginn an (Diese Wahl würde tatsächlich das Spiel für mich vereinfachen).
    c.) Die Bayernmark des Ritters Else: Hier war ich damals schon am Seufzen: Sollte ich lieber die Nation umsetzen, zu der der Text mehr hergibt, oder sollte ich lieber dem Avatar des mutmaßlichen Autors treu bleiben? Ich entschied mich für Passau. So kann ich nun anbieten, den verlorenen Ein- oder Zweiprovinzler doch noch hinzuzufügen, doch würde seine einzige Rolle in der Geschichte wahrscheinlich darin bestehen, Bayern noch weiter zu fragmentieren.
    d.) Das Reich der Herzogin von Wien: Ich kündige schon einmal an, dass ich vor der Frage stehen werde, was ich aus Wien mache – und eine Option besteht darin, es als Einzelnen darzustellen.
    Diese Frage möchte ich tatsächlich gerne an euch weitergeben. Was meint ihr? Soll noch der eine oder andere der vier hinzugefügt werden? Oder alle? Oder keiner? Ich würde die Frage gerne, solange ich an den Grundsatzentscheidungen sitze, im Raum stehen lassen.
    (Ihr müsst jedoch nichts schreiben. In dem Fall werde ich wahrscheinlich die Würfel schwingen.)
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  14. #14
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    Nibelungen und die Zahlen (2): Zeit und Alter

    Zeit vergeht im Nibelungenlied… und das viel davon: zwischen Siegfrieds Aufbruch und seinem Tod 10 Jahre, zwischen seinem Tod und Etzels Werbung 13 und zwischen der Werbung und der fatalen Einladung weitere 13. So steht also mit 36 Jahren ein ganzes Lebensalter im Raum.
    Mein erster Impuls wäre es, dies völlig zu ignorieren und einfach meinen Weg zu gehen, und obgleich ich am Ende zu diesem Ergebnis zurückkehren mag, halte ich es nicht für falsch, mir zu überlegen, was das heißt.
    Kurzum: Ich denke, diese Zeitspanne dient allein dazu, Kriemhilds Lebensweg von dem jungen Mädchen zur ergrauten Matriarchin nachzuzeichnen, andere Figuren scheint sie nicht zu beeinflussen. Lasst mich dazu einmal kurz auf Giselher blicken, den jüngsten der Burgunderkönige: Er wird als „Giselher, das Kind“ eingeführt, doch da er schon bei Siegfrieds erstem Auftritt in Worms erwachsen sprechen und mit Erwachsenen handeln kann, kann er nicht zu jung sein – sagen wir mal, er ist fünf. Sechsunddreißig Jahre später wirbt er nun um die junge Tochter des Markgrafen Rüdiger und wird dabei wie ein selbstverständlich zur Verfügung stehender junger Mann behandelt.
    Obgleich also die Vorlage diesem Umstand wenig Beachtung schenkt, bringt er mich auf einen Gedanken, der mir gefällt: Wer sagt eigentlich, dass es sich bei Gunther, Rüdiger, Etzel und Dietrich nicht um eine Generation handelt, sie also ähnlich alt sind? Attila war auf den Katalaunischen Feldern um die 50 Jahre alt, Gunther kann ich mir zu Beginn der Geschichte Anfang zwanzig vorstellen… und… nun, ich denke, ihr seht, was ich meine. Zwar gefällt mir der Gedanke überhaupt nicht, die erste Aventüre als „11. November 1444“ zu lesen, weil mich das eine ganze Reihe danach geborener Erben kosten würde, doch die Idee von Generationen gefällt mir. So kann ich viele meiner Herrscher zu Beginn 20 Jahre alt sein lassen.
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  15. #15
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    Ein halbes Herz, eine ganze Idee

    An dieser Stelle wollte ich eigentlich noch meine Betrachtungen der Armeestärken des Nibelungenlieds mit einfließen lassen und feststellen, dass man sie zwar nicht direkt umsetzen, jedoch in Relation zueinander setzen kann, jedoch… nein, das führt langsam wirklich zu weit. So halte ich fest: Im Nibelungenlied ist die Zahl der Ritter-Gefolgsleute bedeutsam, in EU4 Land, Steuern und Bevölkerung… und selbst wenn ich etwa festhalten würde, dass das norwegische Nibelungenreich wohl kaum schwächer sein sollte als das Reich der Burgunden, was hätte ich damit wohl gewonnen? Ich möchte es ganz einfach nicht bis nach Stockholm ausdehnen, überhaupt nicht.
    Ansonsten merke ich gerade, dass ich (einmal mehr) von meinem selbst verordneten Kurs der Halbherzigkeit abweiche. Eigentlich wollte ich ja nur einmal wieder ein blödes, kleines Pseudo-Setting und nun steuert gerade alles auf einen Mod zu… nun ja.
    Diesen Mod wird es nicht geben – und trotzdem möchte ich den sich mir aufdrängenden nächsten Schritt nicht verdammen. Er lautet: Wenn ich nun Tronege und Nibelungenreich als separate Nationen hinzufüge, wie kann ich dann das Hunnenreich als Einheit präsentieren, wenn es sich doch aufdrängt, ihm eine ähnliche Position wie dem EU4-Burgund zuzuweisen: viele Vasallen zu Spielbeginn, die es einerseits stärken, doch andererseits außenpolitisch einschränken und durch ihre Masse bedrohen – und dies würde tatsächlich gut zu den Ereignissen passen, die das echte Hunnenreich so schnell verschwinden ließen.

    Nichtsdestotrotz stellt sich mir die Frage, wie ich Ideen handhabe – ob ich dabei die Einheitskultur wiedergebe oder nachsehe, wo sich Besonderheiten finden oder auch hereinprojizieren lassen. Ein Beispiel: Ein burgunderroter Rheingau wird sicher für einen guten Wein sorgen… und tatsächlich taucht an ein paar Stellen auch Wein auf. Sollte ich nun diesen als „hervorragender Wein: +x % Produktionseffizienz“ aufnehmen, auch wenn er niemals direkt gelobt wird? Oder lieber auf die großen Meilensteile blicken und sagen: „Feiert Fest: + x Prestige“?
    Ich werde tatsächlich der Mehrheitskultur folgen und versuchen, deren Auswirkungen einheitlich durchzuführen (einheitlicher als EU4 zumindest). So werden dann alle, die tolle Feste feiern, von einem Prestigevorteil profitieren. Dann kann ich auch gleich Motive übernehmen: Wenn sich Siegfrieds Xanten über „Balmung: +1 Schock“ freuen darf, dann wird dies auch Hagens Tronege erlaubt sein, da dessen Herr dieses Schwert ja später führt.

    Es gibt jedoch auch Unterschiede, die ich in der Ideenwahl durchsetzen und mit der ich jenseits aller Mehrheitskultur auch Differenzierungen hereinbringen möchte. So siegen die Burgunden durch die Qualität ihrer Truppen, Siegfrieds Xanten jedoch durch starke Anführer. Die nächsten beiden Völker nehmen Mittelstellungen ein: Die unerlaubt den Kampf beginnenden Goten haben Moral, doch keine Disziplin, während es dem um Neutralität bettelnden Markgrafen Rüdiger an Moral, nicht jedoch an Disziplin mangelt. Etzels Truppen fehlt schließlich jeder Wert, sie sorgen allein durch ihre Masse für Durchschlagkraft.
    Sollte ich übrigens die Riege erweitern, so werden sich die Parteien ergänzen: Die Nibelungen dienen Siegfried als brauchbare Soldaten, während die Troneger die Truppen der Burgunden anführen.
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