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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #661
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    Das Zeitalter der Revolution - Manifest destiny

    n Europa brach zu dieser Zeit, im Mai 1756, der Siebenjährige Krieg aus (siehe voriges Kapitel zu Preußen). Dass Frankreich und Großbritannien im Krieg lagen, war für die Bewohner der nordamerikanischen Kolonien nicht wirklich etwas Neues, denn hier führten Franzosen und Briten ja bereits seit 1754 ihre eigenen militärischen Auseinandersetzungen. Das Kriegsglück neigte in Nordamerika zunächst weiterhin den Franzosen zu, die im August 1756 das britische Fort Oswego eroberten und damit das gesamte Gebiet um den Ontario-See unter ihre Kontrolle brachten. Ab Sommer 1758 wendete sich das Blatt zugunsten der Briten. Die Briten spielten nun ihre zahlenmäßige Überlegenheit aus und begannen einen Mehr-Fronten-Krieg. Ende des Jahres eroberten sie das Ohiogebiet, stießen dann zu den Großen Seen vor und begannen schließlich die Invasion Kanadas.



    Obwohl Washington der Überzeugung war, niemand wisse besser als er, wie das strategisch wichtige französische Fort Duquesne (heute Pittsburgh) und somit das Ohiogebiet einzunehmen sei, und britische Pläne dazu seit Braddock stets für untauglich hielt, bot er seine Unterstützung an, als 1758 der britische General John Forbes eine weitere Expedition diesbezüglich vorbereitete, deren Truppenstärke doppelt so groß war wie die der Braddock-Expedition. Auf Washingtons Rat hin wurden von Forbes Cherokee als Späher angeworben, und die britischen Soldaten trugen im Gelände nicht ihre traditionellen Rotröcke, sondern die Ranger-Uniformen von Angeworbenen der virginischen Miliz. Zudem wurden die Soldaten in Waldkampftaktik ausgebildet, die unter anderem darin bestand, bei einem Hinterhalt mit zwei Flanken sofort auf die angreifende Waldlinie vorzurücken und mit den indianischen Spähern im Rücken des Feindes anzugreifen. In einem Konflikt, der fast bis zur Gehorsamsverweigerung reichte, sah sich Washington Forbes gegenüber, was den Weg nach Fort Duquesne betraf.



    Während er sich für den bereits durch Braddock gebahnten Weg durch das nördliche Virginia aussprach, ließ Forbes von Carlisle, Pennsylvania, aus durch Ingenieure eine um 50 km kürzere Route in Form einer Straße bauen. Washington machte in Virginia, unter anderem bei dessen neuem Gouverneur, Francis Fauquier, Stimmung gegen die Pennsylvania-Route und sagte das Scheitern der Forbes-Expedition voraus. Trotz seiner Bedenken gegen die Entscheidung Forbes’ stieß er am 12. November 1758 mit seinem Regiment auf eine Erkundungspatrouille aus Fort Duquesne. Nach einem verlustreichen Scharmützel, in dem Washington unter Einsatz seines Lebens ein Kreuzfeuer unterbrach, erreichten sie siegreich Fort Duquesne und fanden es verlassen und lichterloh brennend vor, da es die Franzosen angesichts der nahenden Übermacht aufgegeben hatten.



    Ein Jahr später, als im November 1759 die französische Flotte in einer Seeschlacht vernichtet wurde, war der Krieg in Nordamerika im Grunde entschieden, denn Paris konnte nun keinen Nachschub mehr nach Neufrankreich liefern. Der Fall von Quebec und Montreal war von da an nur eine Frage der Zeit, 1760 hielten die Briten die beiden Städte.





    Im Dezember 1758 verließ Washington das Regiment im Range eines Oberst, um danach einen Sitz im Abgeordnetenhaus Virginias einzunehmen und am 6. Januar 1759 die reiche Witwe Martha Custis zu heiraten. Das Paar verlegte seinen gemeinsamen Wohnsitz auf Mount Vernon, wo Washington von nun an das Leben eines reichen Plantagenbesitzers führte (übrigens inklusive der Beschäftigung von Sklaven). Im Laufe der folgenden Jahre sollte er durch diese Heirat, durch Erbschaft sowie Landspekulationen zu einem der reichsten Männer Virginias aufsteigen.


    Der Sklavenhandel, vom dem auch Washington finanziell profitierte, war eine der wirtschaftlichen Säulen, auf denen die britischen Kolonien in Amerika standen. Sei 1650 stieg in Europa der Bedarf an Zucker, Tabak und Baumwolle – Produkten, die auf Plantagen vor allem in der Karibik angebaut wurden, wofür man billige Arbeitskräfte benötigte. Diese erhielt man in großer Zahl von afrikanischen Sklavenhändlern. Um den Menschenhandel zu erleichtern, wurden an der Westküste Afrikas Forts errichtet. Diese Sklaven wurden auf den Plantagen (nicht nur den britischen) zur Arbeit gezwungen und die produzierten Güter nach Europa verkauft. Das war der sogenannte Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika.


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  2. #662
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    Das Zeitalter der Revolution - Manifest destiny

    Die britischen Kolonien in Amerika beschränkten sich bis zum 17. Jahrhundert zunächst auf die karibischen Inseln. Die erste dauerhafte englische Siedlung in Nordamerika war das 1607 gegründete Jamestown in Virginia, aber es war ein schlecht geführter und entsprechend mühseliger Start auf dem Kontinent. Die Bevölkerung der Kolonie bestand teils aus Kriminellen, teils aus aus religiösen Gründen verfolgten Puritaniern aus England.



    Nach und nach kamen weitere Gebiete hinzu, wie Carolina, Pennsylvania und im Jahre 1664 das von den Niederländern eroberte Nieuw Amsterdam, das die Briten in New York umbenannten. Mit den Niederlanden stritt sich Großbritannien aber bevorzugt in Indonesien um den lukrativen Gewürzhandel, bis die beiden Kolonialmächte ab 1688 von dem Niederländer Wilhelm von Oranien in Personalunion regiert wurden. Der gemeinsame Rivale war fortan vor allem Frankreich, mit dem man – hinsichtlich der Kolonien – vor allem im heutigen Kanada aneinandergeriet. Dort hatten die Franzosen eine eigene Pelzhandelskolonie errichtet, die ab 1670 durch die britische Hudson Bay Company Konkurrenz erhielt. Die Company verfügte über ein königliches Pelzmonopol für das riesige Gebiet Ruperts Land, wo sie Forts und Handelsposten errichtete.



    Großbritannien konnte 1714 als Ergebnis des Spanischen Erbfolgekriegs (siehe voriges Kapitel zu Louis XIV.) seine überseeischen Besitzungen erweitern: Von Spanien erhielt man das für den Schiffszugang zum Mittelmeer strategisch bedeutende Gibraltar sowie Menorca, von Frankreich Neufundland und Akadien. In Indien dagegen konnten die Briten sowie den anderen Kolonialmächte lange nicht auftrumpfen, weil das Mogulreich zu stark war. Hier musste man sich mit den Handelsrechten begnügen, die die Moguln den Briten und ihrer hierfür gegründeten Britischen Ostindien Kompanie (BEIC) gewährten. Aber in dem Maße, in dem die Macht des Mogulreiches allmählich nachließ, stieg die Macht der BEIC – auch im Vergleich zur konkurrierenden Französischen Ostindienkompanie. Zu jener Zeit, als Washington selbst noch ein Oberst der britischen Armee war, fand im Zuge des Siebenjährigen Kriegs 1757 die erste bedeutende Schlacht zwischen dem Mogulreich und der siegreichen BEIC statt, die die britische Herrschaft über Bengalen zementierte. Ausgehend von dieser wirtschaftlich bedeutenden Provinz Indiens begann der weitere Aufstieg Großbritanniens zur dominanten Kolonialmacht dieses Subkontinents.



    In Nordamerika war Großbritannien ebenfalls der Profiteur aufgrund des Friedensvertrags, der 1763 den Siebenjährigen Krieg beendete, denn Frankreich musste seinen gesamten Besitz östlich des Missisippi übergeben. Bei den Kolonisten selbst jedoch fing die Stimmung an zu gären: Die Krone erhöhte die Steuern, um die Siedler an den Kriegskosten zu beteiligen, und sperrte zudem die neugewonnenen Gebiete für die Besiedlung, zum Schutz und aus Rücksicht auf die mit der Krone verbündeten Indianer. Die Beziehungen zwischen der britischen Krone und seinen Untertanen in den sogenannten Dreizehn Kolonien in Nordamerika verschlechterten sich zusehends – insbesondere, weil das britische Parlament die Steuern einführen wollte, ohne dass die Siedler angemessen im Parlament vertreten waren. Exemplarisch war das im Herbst 1765 eingeführte Gesetz zur Stempelsteuer, eine direkte Steuer zur Finanzierung der Verwaltungskosten des expandierenden Empire.

    George Washington war ebenfalls empört, beteiligte sich aber nicht aktiv an der Debatte um diese Steuer, sondern handelte im persönlichen Bereich: Von 1766 an gab er in Mount Vernon den Anbau von Tabak für den Export auf und war damit einer der ersten bedeutenden Pflanzer Virginias, die diesen Wechsel vollzogen. Von nun an würde er Weizen anbauen, seine eigene Mühle errichten, um ihn zu Mehl zu mahlen, und das Mehl dann in Alexandria und Norfolk, später auch in Lissabon, verkaufen. Zudem ließ er sich von seinen Sklaven Schiffe bauen, mit denen Washington im Potomac Heringe fangen und vor Ort oder der Karibik verkaufen ließ. Nebenher entstand in Mount Vernon ein Spinn- und Webunternehmen, das Arbeitskleidung herstellte. All diese Schritte dienten Washington dazu, sich vom Exportgeschäft ins britische Mutterland abzunabeln, das so stark besteuert war und an dem so mancher Zwischenhändler sich ordentliche Provisionen abzwackte.



    In diesem frühen Stadium der Empörung dachten die Kolonisten, unter ihnen Unternehmer wie Washington, aber noch nicht an Abspaltung vom britischen Mutterland, zumal die Krone die umstrittene Stempelsteuer 1766 wieder aufhob. Ungeklärt blieb die verfassungsrechtliche Frage nach der Autorität des britischen Parlaments, aber das war eher uninteressant, solange sie nur theoretischer Natur war. Der Verzicht auf die Erhebung direkter Steuern bedeutete aber nicht, dass die Kolonisten nicht zur Kasse gebeten werden sollten. Der britische Finanzminister führte 1767 stattdessen Zölle auf Waren wie Leder, Papier und Tee ein, die von den Kolonien importiert werden mussten. Die Kolonisten reagierten heftig auf die Zölle und riefen zu Boykotten auf, was zur Stationierung britischer Soldaten in den amerikanischen Hafenstädten führte, um die Erhebung der Zölle durchzusetzen. Zusammenstöße zwischen diesen Truppen und den protestierenden Kolonisten kosteten 1770 die ersten Menschenleben. In London erkannte man mittlerweile, dass die Zölle - finanziell und nüchtern betrachtet – kaum eine Rolle spielten, denn sie befeuerten lediglich den Schmuggel. Bald wurden die Zölle wieder abgeschafft, mit Ausnahme der Teesteuer, dem einzig lukrativen Zoll. Während die Boykotte der anderen Waren praktisch wieder endeten, kauften die Kolonisten weiterhin vornehmlich geschmuggelten niederländischen Tee.

    Der weitgehende Wegfall des nordamerikanischen Marktes brachte die Ostindische Kompanie bald in Bedrängnis. Unverkaufter Tee verrottete tonnenweise in ihren Londoner Lagerhäusern. Die britische Regierung konnte sich den drohenden Bankrott der Gesellschaft jedoch nicht leisten, auch weil diese aus eigenen Ressourcen die britischen Kolonialtruppen in Indien unterhielt. Um den Ruin der BEIC abzuwenden, beschloss das britische Parlament im Mai 1773 den Tea Act. Er bezweckte ein Absenken des Endpreises, was den Verkauf von Tee in den Kolonien wieder stimulieren und so den Profit der Ostindiengesellschaft erhöhen sollte. Kurioserweise konnte man sich zum Erreichen dieses Ziels jedoch nicht auf den simpelsten Weg einigen, nämlich eine Aufhebung der nordamerikanischen Importzölle, die die eigentlichen Auslöser der Misere waren. Stattdessen wurden die von der Ostindiengesellschaft beim Import nach England zu entrichtenden Zölle beseitigt. Außerdem erhielt die Gesellschaft nun größere Autonomie bei der Abwicklung ihres Handels und konnte beispielsweise auf amerikanische Zwischenhändler beim Absatz ihres Tees verzichten. Im Verhältnis zu den nordamerikanischen Kolonien führte der Tea Act zu einer entscheidenden Eskalation. Die Ostindiengesellschaft wäre jetzt in der Lage gewesen, den Endpreis des weiterhin mit den nordamerikanischen Importzöllen belasteten Tees so stark zu senken, dass dieser in den Kolonien sogar billiger hätte verkauft werden können als der weit verbreitete niederländische Schmuggel-Tee. Die Kolonisten erkannten im Tea Act einen Versuch der britischen Regierung, die Boykottbewegung gegen die als unberechtigt angesehenen Zölle zu unterlaufen und einen Keil zwischen die eher von prinzipiellen und die eher von ökonomischen Überlegungen geleiteten Kolonisten zu treiben. Außerdem sahen einflussreiche nordamerikanische Zwischenhändler ihre Interessen verletzt. Die im Tea Act verankerte Möglichkeit des direkten Endverkaufs durch die Ostindiengesellschaft hätte den Zwischenhandel überflüssig gemacht. Es zeichnete sich ab, dass die Gesellschaft auch in den nordamerikanischen Kolonien ein Handelsmonopol errichten werde. Schließlich befürchteten die Kolonisten, erwartete Mehreinnahmen der Krone durch die Importsteuern könnten zur Finanzierung von Institutionen der königlichen Gouverneure herangezogen werden. Dadurch schien wiederum die Selbstregierung der Kolonisten durch die eigenen parlamentarischen Versammlungen bedroht. Sie wehrten sich, indem sie die Teelieferungen der Kompanie nach Nordamerika aktiv behinderten: Im Dezember 1773 stürmten Kolonisten ein Handelsschiff und warfen die Teekisten über Bord. Auch anderenorts kam es in den Dreizehn Kolonien zu vergleichbaren Aktionen, bei denen der Importtee auf Scheiterhaufen verbrannt wurde.

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  3. #663
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    Das Zeitalter der Revolution - Manifest destiny

    Diese Provokation wollte sich die britische Regierung nicht bieten lassen und erklärte, „nur neuenglische Fanatiker“ könnten sich einbilden, von verbilligtem Tee unterdrückt zu werden. Im Parlament von London kam die Forderung nach einer Strafaktion gegen Boston auf, selbst die Zerstörung der Stadt wurde diskutiert, während solche mäßigende Stimmen untergingen, die Zugeständnisse gegenüber den Kolonisten in Fragen ihrer Selbstverwaltung für sinnvoll hielten. Die Sache schaukelte sich hoch. In den Dreizehn Kolonien verbreitete sich die Stimmung, dass man vom Mutterland systematisch und bewusst unterdrückt werde, und dass man dagegen gemeinsam dagegen angehen müsse. So kam es zu der Verabredung, im Herbst 1774 in Philadelphia erstmals den Kontinentalkongress einzuberufen, zu dem die Dreizehn Kolonien ihre Delegierten hinschickten.



    Für Virginia war einer dieser Delegierten kein anderer als George Washington. Auf dem Kongress versicherten sich die Dreizehn Kolonien, politisch gemeinsam gegen das britische Mutterland aufzutreten und füreinander einzustehen. Der Kongress schickte an König George III. direkt adressierte Briefe, um das britische Parlament zu umgehen. Man beschwerte sich bei ihm über mehrere aufgezwungene Gesetze wie das Einquartierungsgesetz, nach dem die Kolonisten britische Soldaten beherbergen und verpflegen mussten. Was die verhassten Zölle betraf, kündigte der Kongress an, dass die Kolonien den Warenimport und -export mit dem britischen Mutterland ab Dezember 1774 bzw. September 1775 solange einstellen werde, bis die strittigen Gesetze abgeschafft und den Kolonien politisches Mitspracherecht gegeben werde. In England rief das eine entschiedene Empörung hervor. Die Londoner Regierung erklärte im Februar 1775 Massachusetts zur abtrünnigen Provinz und befürwortete die gewaltsame Bestrafung der widerspenstigen Kolonien. Die entsprechende Eingabe durch König George III. fand sowohl im Unter- als auch im Oberhaus eine klare Mehrheit. Die klare Positionierung des Königs ließ unter vielen der Kolonisten die Hoffnung platzen, dass er in ihrem Streit mit dem britischen Parlament vermitteln könne. Bis hierhin hatten ja viele gar nicht vorgehabt, sich von der Krone loszusagen, man wollte nur mehr politische Eigenständigkeit in den lokalen Angelegenheiten.



    Als es am 19. April 1775 zu einem ersten Scharmützel zwischen einer amerikanischen Miliz und britischen Truppen kam, war das der Beginn des Unabhängigkeitskriegs, denn jetzt gab es kein Zurück mehr. Britische Truppen, die eigentlich Militärvorräte der Milizen auffinden und zerstören sollten, gerieten in Hinterhalte und zogen sich nach Boston zurück. Als General Cage am nächsten Morgen erwachte, musste er feststellen, dass Boston auf der Landseite durch die Milizen umstellt und belagert wurde. Zwar wurden die 10.000 Soldaten der Briten dank ihrer Seehoheit weiterhin vom Hafen her versorgt, aber die Truppen waren in ihrer Operationsfähigkeit in Boston gebunden. Nachdem über den Hafen weitere 4.500 Soldaten eingetroffen waren, unternahmen die Briten im Juni einen Angriff auf die amerikanische Stellung am Bunker Hill bzw. Breeds Hill, um die Umklammerung zu brechen. Zwar gewannen die Briten die Kämpfe, allerdings zu einem hohen Blutzoll von eintausend Toten, und der taktische Sieg hatte keinen Einfluss auf den Fortgang der Belagerung. In London bemerkten britische Offiziere sarkastisch, es bedürfe nur noch einiger derartiger Siege, dann wäre die gesamte britische Armee vernichtet.



    Strategisch betrachtet waren die Chancen der 2,5 Millionen aufständischen Siedler aber ungünstig. Weder reguläre Truppen noch finanzielle Mittel und Kriegsmaterial waren in ausreichender Menge vorhanden, als George Washington am 2. Juli 1775 den Oberbefehl über eine Ansammlung von 15.000 Milizionären erhielt, die Kontinentalarmee genannt wurde. Er selbst bezeichnete sie als disziplinlos und nannte die Neuengländer „ein außerordentlich schmutziges und garstiges Volk“. Auf der gegnerischen Seite standen neben den ausgebildeten britischen Soldaten vor allem 30.000 deutsche Söldner, die wegen ihrer Herkunft Hessen genannt wurden.



    Ergänzt wurde die britische Streitmacht von Loyalisten, also englandtreuen Siedlern, und mehreren englandtreuen Indianerstämmen, die sich in ihrer Unabhängigkeit von den Siedlern bedroht fühlten. Washington war sich bewusst, dass seine Milizen die Kampfkraft der gegnerischen Truppen nicht alleine mit Enthusiasmus besiegen könnten, und dass es wohl ein langer Konflikt werden würde, bis man in London die politische Unabhängigkeit der Dreizehn Kolonien als Verhandlungslösung überhaupt nur in Betracht ziehen würde.

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  4. #664
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    Mir kommt gerade in den Sinn, wie der englische König George III. in Colonization dargestellt wurde. Diejenigen, die schon zu Civ4-Zeiten mit von der Partie waren, werden sich erinnern:

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  5. #665
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    Das Zeitalter der Revolution - Manifest destiny

    Als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee fiel es Washington zu, die Frage nach der richtigen Kriegsstrategie zu beantworten. Im Grunde gab es drei Möglichkeiten: Erstens, sich vor dem Druck der britischen Truppen mit den eigenen Soldaten immer weiter in den wilden Westen zurückzuziehen und den Gegner gleichsam in die Weite des Raumes zu locken. Dies hieß allerdings auch, die eigenen Städte und Territorien großflächig dem Feind zur Plünderung zu überlassen. Dies erschien Washington feige und es barg das Risiko, dass sich die Siedler der offensichtlich überlegenen Seite der Loyalisten zuwenden würden. Zweitens, eine starre Verteidigungshaltung einzunehmen, wobei man den Briten - aufgrund ihrer Seehoheit - zwar die Küsten mit ihren Städten überlassen musste, aber den Zugang zum Landesinnern in Defensivstellungen verteidigte. Diese Optionen überließ den Briten die Initiative, zumal sie mittels ihrer Schiffe ihre Soldaten schneller entlang der Küsten hin- und herverlegen konnten, als die Kontinentalarmee zu marschieren vermochte.



    Die dritte Option war die aggressive und zugleich riskanteste, nämlich selber in den Angriff zu gehen und den Sieg in einigen entscheidenden Schlachten herbeizuführen. Es war unvernünftig, die regulären britischen Truppen frontal mit schlecht ausgebildeten Milizen anzugreifen, doch es entsprach Washingtons Naturell, dass er selbst zu größeren Kampfhandlungen bereit war, auch wenn es seine Armee nicht war - selbst wenn eine Niederlage das schnelle Aus der amerikanischen Rebellion bedeuten konnte. Andererseits kalkulierte er, dass er es sich, nachdem er mit einem Angriff seinen Mut unter Beweis gestellt haben würde, es sich anschließend eher leisten könne, ausweichende und damit feige Manöver zu befehligen, ohne an Ansehen zu verlieren.

    In seinem aggressivsten Vorschlag, der tatsächlich angenommen wurde, forderte er einen separaten Feldzug gegen Quebec. Nachdem klar war, dass die Briten ihm nicht den Gefallen tun wollten, erneut aus Boston herauszukommen, entschloss sich Washington, 1.200 Soldaten abzukommandieren und sie unter dem Kommando eines jungen Oberst hinauf nach Kanada zu schicken. Hier spiegelte sich die konventionelle Ansicht aus dem French and Indian War wieder, dass dem Besitz der Forts eine strategische Bedeutung zukam. Doch die Truppe musste 550 Kilometer auf dem schwierigem Gelände Neuenglands zurücklegen und gerieten dabei in den Wintereinbruch. Innerhalb eines Monats aßen die Soldaten ihre Pferde, ihre Hunde und Mokassins, und sie starben reihenweise an Unterkühlung und Krankheiten. Als das Heer schließlich Quebec erreichte, war die Situation bereits so verzweifelt, dass es am 31. Dezember 1775 trotz Schneegestöber einen nächtlichen Sturmangriff auf die Stadt unternahm, der in einer vollständigen Niederlage endete. Kanada war und blieb fest in britischer Hand.



    Weiter im Süden wechselte der Schauplatz des Geschehens von Boston hinüber zu New York. Im März 1776 entschlossen sich die Briten, das belagerte Boston zu verlassen und die Soldaten geordnet mit Schiffen abzuziehen. In London hatte man sich dazu entschlossen, die Entscheidungsschlacht gegen die Rebellen zu suchen, die ihrer Ansicht nach militärisch unterlegen und politisch unzuverlässig waren, und wählte dafür Long Island aus. Wenn beide Parteien den ernsthaften Willen dazu gehabt hätten, wäre zu dieser Zeit vielleicht noch ein politischer Kompromiss möglich gewesen, denn es gab dafür durchaus Vorschläge. Die Kolonien hätten, als politisch eigenständige Territorien, wirtschaftlich ein Teil des Britischen Commonwealth bleiben können. Die Rebellion und damit George Washington wären dann wohl eine Fußnote der Geschichte geblieben. Die Dynamik des Krieges führte aber in eine andere Richtung.

    Washington ahnte bereits, wo die Briten ihre Truppen einsetzen wollten, nämlich auf Long Island. Schwerlich hätte man sich einen Ort denken können, der sich für die britische Armee besser als New York geeignet hätte, der Kontinentalarmee entgegenzutreten und sie zu vernichten. Strategisch gesehen war die Stadt der südliche Zugang zum Hudson-Korridor, der, wenn man ihn besetzte, Neuengland von den anderen aufrührerischen Kolonien abschnitt. Topographisch gesehen war sie maßgeschneidert für die Art von Operationen zu Wasser und zu Lande, die durch die maritime Überlegenheit der Briten ermöglicht wurden und von denen Washingtons Truppen nur träumen konnten. Politisch gesehen waren sowohl Long Island als auch Manhattan Brutstätten von Loyalisten, die darauf warteten, die Briten zu empfangen. Es erstaunt somit kaum, dass am 2. und 3. Juli 1776, gerade in den Tagen, als sich der Kontinentalkongress für die Billigung der amerikanischen Unabhängigkeit entschied und die Formulierungen in Jeffersons Entwurf revidierte, mit denen dieser revolutionäre Akt erklärt wurde, die orausabteilungen der britischen Flotte mit der Ausschiffung von Soldaten begann. Während 32.000 Briten mit ihren Hilfstruppen an Land gingen, marschierte Washington mit 20.000 Milizionären nach New York und ließ schwere Befestigungen bauen. Die Augen der Welt waren auf Washington und dem britischen General Hoew und ihre Armeen gerichtet.

    Was die Welt im August 1776 mit ansah, war eine demütigende amerikanische Niederlage. Long Island ging an einem Tag verloren, und dabei gab es 300 Tote und eintausend Gefangenge. Durch die Aufteilung seiner Streitmacht auf Manhattan und Long Island hatte Washington Howe die Gelegenheit gegeben, die Kontinentalarmee Einheit um Einheit zu vernichten. Washington gelang es zwar, einige seiner Einheiten aus Brooklyn abzuziehen und zu retten, doch der Rest seiner Armee auf Manhattan lief jetzt Gefahr, auf der Halbinsel eingeschlossen zu werden. Washington wurde seinem Kriegsrat bedrängt, sofort zu handeln und New York beim Abzug zu verbrennen, um die drohende Niederlage der Rebellion hoffentlich noch abzuwenden. Trotzdem entschied er sich zu bleiben, den Briten die Stirn zu bieten und sie zu schlagen. Das war angesichts der Situation ein wahnwitziges Unterfangen: als hätte sich eine Maus, die von einem Trupp Katzen in die Enge gedrängt worden war, zu einem Löwen erklärt. Washingtons Entscheidung, weiter auf Manhattan zu bleiben, war militärisch nicht zu erklären und taktischer Selbstmord. Dass er und seine Armee am Ende verschont und am Leben blieben, war lediglich dem militärisch unerklärlichen Zögern und Herumtrödeln seines britischen Gegenübers, General Howe, zu verdanken. Howe ließ die Falle nicht zuschnappen, vielleicht weil er auf eine diplomatische Initiative zur Beilegung des Krieges hoffte. Nach dem Fall eines wichtigen Forts, bei dem dreitausend Milizionäre entweder getötet oder gefangengenommen worden waren, war Washington nun doch zum Abzug seiner Truppen aus Manhattan bereit. Genauer gesagt mit den Resten seiner Armee, denn sie existierte kaum noch.



    Washington stand Ende 1776 nach dem Debakel von New York unter Zugzwang. Sein Ruf war angekratzt, und die gesamte amerikanische Unabhängigkeitsbewegung stand am Rande der Auslöschung, es war durchaus möglich, dass sie im Laufe des Winters den Geist aufgeben würde. Er musste irgendeinen Streich führen. Das Resultat nahm die Form eines (unter Bruch des üblichen Weihnachtsfriedens) am Heiligabend geführten Überraschungsangriffs an, bei dem er den von Eisschollen bedeckten Delaware überquerte. Mit 2.400 Soldaten und 18 Geschützen überfielen die Amerikaner in einer komplizierten aufeinander abgestimmten Aktion die hessischen Söldner, denen sie Verluste von 100 Toten und 900 Gefangenen beibrachten, ohne eigene nennenswerte Verluste zu erleiden. Washington war erneut ein kühnes Wagnis eingegangen, und dieses Mal hatte er gewonnen. Eine Woche später wiederholte er den Vorgang in Princeton. Irritiert durch die unerwartete Niederlage von Heiligabend, entsandten die Briten eine überlegende Streitmacht gegen Washingtons kampierende Armee. Washington erfuhr jedoch von dem geplanten Angriff, erkannte aber, dass es eine Chance gab, dem ungünstigen Gefecht auszuweichen. Aufgrund seiner landwirtschaftlichen Erfahrungen mutmaßte er, dass es in der Nacht zu Frost kommen würde, der bislang aufgeweichte Boden gefrieren und somit einen Abzug der Truppen erlauben würde. Er ließ seine Truppen Lagerfeuer anzünden, um den britischen Spähern ihre unveränderte Anwesenheit vorzuspielen, und zog im Schutze der Nacht seine 6.000 Soldaten nach Princeton ab. Dort war die Nachhut der Briten stationiert, die von den plötzlich auftauchenden amerikanischen Milizen überrascht wurde.



    Der Nachhut gelang halbwegs intakt der Abzug, und nach dieser Episode war es für beide Seiten an der Zeit, sichere Winterquartiere zu beziehen. Die Gefechte am Delaware und in Princeton fügten den Briten keinen ernsthaften militärischen Schaden zu, aber sie zwangen Howe sehr wohl, seine Truppenentfaltung in New Jersey zu überdenken, und zudem hatten sie, was das Wichtigste war, massive psychologische Auswirkungen auf die amerikanische Öffentlichkeit. Eine Sache, die so ausgesehen hatte, als sei sie verloren, war jetzt zu neuem Leben erweckt worden. Was Washington selbst betraf, begann er einzusehen, dass der Krieg auch dadurch zu gewinnen war, dass man ihn nicht verlor.

    Schon bevor er sein Winterquartier bezogen hatte, forderte Washington vom Kontinentalkongress die Übertragung quasi diktatorischer Vollmacht und den Aufbau eines Heers von etwa dreitausend Mann mit einer „bis zum Kriegsende“ verlängerten Dienstzeit, eine Art stehendes Heer. Die Situation war so verzweifelt, dass man ihm dies bewilligte und darauf vertraute, dass er die persönliche Macht nicht missbrauchen würde.



    Im Vergleich zur britischen Streitmacht war Washingtons Truppenstärke jedoch so gering, dass er stark übertriebene Angaben in die Welt setzen ließ. Dadurch sollten die Briten dazu verleitet werden, die Größe des amerikanischen Heeres als zumindest ernstzunehmend einzuschätzen. Wenn die Briten gewusst hätten, wie schwach die Kontinentalarmee tatsächlich gewesen war, wären sie noch im Winter zum Angriff übergegangen und hätten sie zerschlagen. Washington ließ über den Winter seine Truppen gegen die Pocken impfen (die Krankheit wütete in den Kolonien und forderte mehr Opfer unter den Soldaten, als es die Kampfhandlungen taten) und überdachte seine militärische Strategie. New York hatte gezeigt, dass es die Kontinentalarmee mit regulären britischen Soldaten auf dem konventionellen Schlachtfeld nicht aufnehmen konnte, und dass seine Ressourcen zu gering waren, das britische Heer frontal zu überwältigen. Er musste zur Fabianischen Strategie übergehen und den Gegner mit Hit-and-run-Nadelstichen zermürben, der Löwe musste zum Fuchs werden.
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    Natürlich machte sich auch der Gegner Gedanken über seine nächsten Schritte. Die britische Strategie des Jahres 1777 verfolgte zwei Ziele. Zunächst sollte Neuengland mit einem Sichelschnitt von Kanada den Hudson hinunter nach Albany von den restlichen Kolonien abgetrennt werden, während eine andere Großeinheit, die von New York aus nach Norden vorrücken sollte, die Umklammerung vervollständigen und die kanadischen Einheiten verstärken sollte. Der zweite Teil der Strategie lautete, Philadelphia einzunehmen, da sich dort der Sitz der Revolutionsregierung befand. Der britische Plan hatte, so stellte sich später heraus, den Makel, dass die Operation viel zu weitschweifig und umständlich ausgeführt wurde, und dass Philadelphia lediglich einen symbolischen, jedoch keinen strategischen Wert besaß. Der Plan war wenig dazu geeignet, die Kontinentalarmee zu stellen und zu vernichten.

    Zur ersten größeren Schlacht des Jahres 1777 kam es dementsprechend erst im September am Brandywine Creek, wo sich Washington dem britischen Vormarsch auf Philadelphia entgegenstellte. Die Amerikaner wurden durch eine simple Umfassungstaktik ausmanövriert, die die Verteidiger aufspaltete. Es war klug gewesen, dass Washington seinen Truppen für diesen Fall einen Fluchtweg offengelassen hatte, den sie im Schutze der Dämmerung nutzen konnten. Nach diesem Sieg sicherten die Briten zwei Wochen lang zunächst das Gebiet und marschierten anschließend in Philadelphia ein, ohne in der Stadt auf Gegenwehr zu treffen. General Howe richtete im nahegelegenen Germantown sein Hauptquartier ein und stationierte hier 9.000 Soldaten. Washington versuchte Anfang Oktober einen Gegenangriff, bevor sich die Briten in Germantown festsetzen konnten, aber der zunächst ordentlich geführte Angriff scheiterte buchstäblich am Fog of war, weil sich amerikanische Einheiten im Nebel versehentlich gegenseitig unter Musketenbeschuss nahmen. Während dies geschah, konnten sich die Briten formieren und die Rebellen schließlich zur wilden Flucht treiben.



    Deutlich erfolgreicher als bei Washington verlief es für die amerikanischen Truppen, die Albany gegen die britische Offensive verteidigten. Wie erwähnt erfolgte dieser Feldzug derart weitschweifig und umständlich, dass es an Irrsinn grenzte. Howe setzte seine 8.000 Soldaten nämlich ohne Not in der Chesapeake-Bucht ab, wo sie in einem Meer feindlicher Milizen aus dem westlichen Neuengland eingekesselt waren. Die Milizen standen unter dem Kommando von Horatio Gates, unter dem sie ganz nach dem Ideal der Minutemen funktionierten. Das Ergebnis war für die anmaßenden Briten, die davon ausgingen, dass ihnen der Sieg sicher sei, verheerend. Im Oktober 1777 kapitulierte das Heer mit dem überlebenden Rest von 6.000 Mann. Von diesem Ereignis gingen Erschütterungen aus, die sich bis nach London und Paris bemerkbar machten und die dazu führten, dass das britische Kabinett den Ausstieg aus dem Krieg und die französische Regierung den Einstieg in den Krieg erwog. Wellen schlug das Ereignis auch im Kontinentalkongress, wo der großartige Erfolg bei Saratoga den Stern von Gates aufsteigen ließ und hinter den Kulissen Anlass zu Vergleichen mit dem Oberbefehlshaber Washington gab, dem es nicht gelungen war, Howe an der Einnahme von Amerikas Hauptstadt zu hindern. Allerdings forderte letztlich niemand ernsthaft, Washington tatsächlich abzuberufen. Bei dem unglücklichen britischen Oberbefehlshaber Howe sah das anders aus, er wurde durch General Henry Clinton ersetzt.

    Der militärische Erfolg von Saratoga ermöglichte den diplomatischen Erfolg in Paris, denn dort konnte Benjamin Franklin für die Amerikaner ein Bündnis mit Frankreich aushandeln. Die revolutionäre Begeisterung war in den Pariser Cafes sowieso ausgeprägter als auf den amerikanischen Schlachtfeldern, wie ein Beobachter formulierte.



    Das Bündnis mit Frankreich eröffnete Washington ganz neue Optionen, denn jetzt konnte er auf das Auftauchen der französischen Flotte vor New York hoffen, wo er die Entscheidungsschlacht zu führen gedachte. Zudem tauchten weitere französische Freiwillige in Amerika auf, allerdings war ihr Nutzen für die Sache der Rebellen eher mäßig. Eine Ausnahme war der Marquis de Lafayette, ein 19jähriger Adeliger. Anfangs betrachtete Washington ihn als noch so einen von jenen herrischen und unqualifizierten französischen Freiwilligen, die immer wieder im Lager auftauchten und zum General ernannt werden wollten. Doch sein persönlicher Mut in der Schlacht und seine Bereitschaft, in jedem beliebigen Rang zu dienen, machten ihn Washington sympathisch, und dadurch wurde Lafayette die Ausnahme und schließlich das Hauptsymbol des ruhmreich wirkenden französisch-amerikanischen Bündnisses.

    Außerdem war da noch Friedrich Wilhelm August Heinrich Ferdinand Baron von Steuben. Steubens Titel war völlig frei erfunden, und Gleiches galt für seine Behauptung, er habe in vertrauter Beziehung zu Friedrich dem Großen gestanden und in der preußischen Armee den Rang eines Generals bekleidet. Doch Steuben war nicht nur ein liebenswürdiger Schwindler, er verfügte auch über gründliche Kenntnisse in preußischer und französischer militärischer Taktik sowie über eine ansteckende Begeisterung für das Drillen von Soldaten auf dem Exerzierplatz. Schon bald nachdem er als unangemeldeter Freiwilliger aufgetaucht war, beschäftigte er sich damit, erst Züge, dann Kompanien, schließlich ganze Regimenter energisch, wenngleich ziemlich unverständlich – sein Englisch war von deutschen Flüchen durchsetzt – mit gebrüllten Marschbefehlen zu traktieren. Die Wirkung, die Steuben auf die Disziplin der Kontinentalarmee ausübte, wird nur verständlich, wenn man sich klar macht, dass es vor seinem Auftauchen für das Marschieren und für die Manöver überhaupt keine einheitlichen Standards gegeben hatte. Auf den Schlachtfeldern des 18. Jahrhunderts war es von entscheidender Bedeutung, wenn Soldaten die Fähigkeit besaßen, präzise von Kolonnen- zu Linienformation und umgekehrt überzugehen und somit am Angriffspunkt maximale Feuerkraft zu entfalten oder während eines strategischen Rückzug militärische Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Nerven, ruhig strammzustehen, während der Mann, der einem gegenübersteht, von einer Kanonenkugel zerschmettert wird, ist nicht angeboren, sondern erworben. Im Mai 1778 wurde Steuben Generalinspekteur der Kontinentalarmee, und bald darauf wurde sein „Blaues Buch“ zur Standardquelle für disziplinarische Normen in allen Einheiten. Mehr als jeder andere war Steuben dafür verantwortlich, der Kontinentalarmee einen professionellen Leistungsstandard zu vermitteln, der es ihr ermöglichte, den regulären britischen Soldaten gleichberechtigt entgegenzutreten.



    Als der neue britische Oberbefehlshaber Clinton im Frühling 1778 damit begann, seine 10.000 Soldaten aus Philadelphia nach New York zu führen, war Washington versucht, seine besser ausgebildete Armee in einer großen Schlacht zu erproben, entschied sich einigem Grübeln und Debattieren aber für eine vorsichtigere Strategie. Jetzt, da alle das Eintreffen der französischen Flotte erwarteten, erschien es töricht, Verluste zu riskieren und alles auf eine Karte zu setzen. Der Sieg im Unabhängigkeitskrieg, so die allgemeine Erwartung, stand ja kurz bevor. Wie sich herausstellte, war der Sieg im vollen und endgültigen Sinne, wie Washington diesen Begriff definierte, in Wirklichkeit noch fünf Jahre entfernt. Die Zeit zwischen Herbst 1778 und Frühjahr 1781 erschienen wie eine einzige lange Abwärtsbewegung und war die wahre Prüfungszeit für die Unabhängigkeitskämpfer.

    Eine der Quellen der Frustration war die französische Flotte. Die Vorherrschaft zur See hatte sich in dem Krieg als Großbritanniens wichtigster Aktivposten erwiesen. Sie gestatte es, Truppen schnell und ungehindert zu verlegen und ebenso jede größere amerikanische Stadt zu bedrohen. Von dem Augenblick an, in dem das Bündnis mit den Franzosen offiziell geworden war, träumte Washington von dem Tag, an dem die Präsenz einer französischen Flotte diesen britischen Vorteil wettmachen und ihm dieselbe Mobilität ermöglichen würde. Und der dramatische Höhepunkt seines Traums war eine gemeinsame französisch-amerikanische Operation, bei der die französische Flotte einer großen britischen Armee den Weg verlegte, während die Kontinentalarmee sie ähnlich wie bei der Belagerung von Boston einschloss. Washingtons Traum musste aber ein Traum bleiben, weil Frankreich darauf bestand, seine Hauptflotte in der Karibik zu stationieren, um seine Interessen auf den Westindischen Inseln zu schützen. Die britische Flotte an der amerikanischen Ostküste blieb also einstweilen intakt, und Washingtons Ziel, die große britische Enklave New York anzugreifen, nicht realisierbar. Sicher spielte auch seine Eitelkeit bei der Fixierung auf New York eine gehörige Rolle, immerhin war er hier zu Beginn des Krieges so schmachvoll besiegt worden. Aufgrund dieser Fixierung auf New York ist es zu verstehen, dass Washington unerbittlich Argumentationen des Kongresses entgegentrat, die sich für einen weiteren Kanada-Feldzug aussprachen. Für ihn war Kanada nur ein Nebenschauplatz, der benötigte Truppen und Mittel binden würde. Zudem äußerte er die Befürchtung, dass die Franzosen wohl kaum ihre eigene ehemalige Kolonie wieder verlassen würden, sobald sie erst einmal die Gelegenheit bekommen hätten, ihr Banner dort wieder einzupflanzen: Man solle aus übermäßigem Hass auf England nun nicht Frankreich übermäßig vertrauen.

    Eine Ausnahme von seiner Ansicht, die eigenen Kräfte dürften nicht auf Nebenschauplätzen verzettelt werden, machte Washington beim Grenzland im Westen, in der Region Ohio, die er so gut kannte. Der Irokesenbund oder die Sechs Nationen hatten die völlig vernünftige, aber in spektakulärer Weise verfehlte Überzeugung gewonnen, dass Amerika den Krieg verlieren musste. Und so hatten sie an der Seite britischer Soldaten aus Kanada Überfälle auf Siedler im Westen von New York und Pennsylvania unternommen, um die amerikanische Präsenz zu beseitigen. Die Kämpfe im Grenzland waren besonders grausam. Im Frühjahr 1779 befahl Washington einen Vernichtungsfeldzug mit 4.000 Soldaten zu führen, bei dem möglichst viele Indianer gefangengenommen und ihre Siedlungen völlig zerstört werden sollten. Dem Brand fielen 20 Stämme zum Opfer, lediglich die Oneida wurden verschont, weil sie zu den Amerikanern übergelaufen waren. Die Sechs Nationen, die einst die Region Ohio beherrscht und sich durchaus mit den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien hatte messen können, erholte sich nie wieder von diesem Schlag. Washington glaubte zwar nicht, dass dieser Feldzug nennenswert zum Sieg über Großbritannien beigetragen hatte, aber es wurde durch ihn leichter, nach dem Krieg den Schatz jenseits der Alleghenies der amerikanischen Kontrolle zu unterstellen.

    Während Washington eine Abteilung seiner Armee nach Westen entsandte, schickten die Briten eine größere Streitmacht in den Süden. Schließlich wurde ihm klar, dass sich die Garnison in New York, die er für den Kern der britischen Macht auf dem Kontinent hielt, jetzt in ein Sprungbrett für einen regelrechten Eroberungsfeldzug in Nord- und Südcarolina verwandelte. Viele Amerikaner waren davon ausgegangen, dass der Triumph von Saratoga den Anfang vom Ende markierte, aber das britische Kabinett hatte entschieden, er sei lediglich das Ende vom Anfang. Anstatt sich zurückzuziehen, hatten die Briten ihre Anstrengungen verdoppelt, hatten die in Saratoga verlorenen Soldaten ersetzt und ihnen noch eine weitere Armee von gleicher Größe hinzugefügt, um eine Invasion des außerordentlich verwundbaren amerikanischen Südens in die Wege zu leiten. Den amerikanischen Befehlshabern, die sich eben noch untereinander so engagiert über Nichtigkeiten gestritten hatten, fuhr der Schreck in die Knochen, ebenso erging es ihren Soldaten, die mittlerweile eher schläfrig ihren Dienst schoben. Die Männer hatten teilweise seit einem Jahr keinen Sold mehr erhalten, bekamen tagelang keinerlei Verpflegung, und die Hälfte von ihnen besaß nicht einmal Schuhe. Kein Wunder, dass viele bereits darüber nachdachten, einfach nach Hause zu gehen. An zwei Orten kam es zu Meutereien, bei denen zumindest die Rädelsführer hingerichtet wurden, um die Truppe zur Disziplin zu zwingen.



    Dieser Krieg war noch lange nicht gewonnen, im Gegenteil, denn Washington schwante, dass der längere finanzielle Atem den Ausschlag über Sieg und Niederlage geben würde, und in dieser Hinsicht sah es bei den Amerikanern trüb aus. Der Kongress war politisch schwach und nicht in der Lage, Profiteure und preistreiberische Kriegsgewinnler zu verfolgen, Leute die nach seiner Ansicht an den Galgen gehörten. Wie konnten es die Abgeordneten zulassen, dass die Währung zum Gegenstand ständiger Witzeleien wurde, und die Inflation derartige Höhen erreichte? Das Problem war nicht persönlicher, sondern struktureller Natur: Der Argwohn gegen die Regierungsmacht, der die Autorität des Kontinentalkongresses stark einschränkte. Das Parlament in London und das britische Kabinett konnten Steuern erheben und Armeen aufstellen, weil sie über die Souveränität verfügten, für die britische Nation zu sprechen. Während der ersten Kriegsmonate hatte der Kontinentalkongress Notstandsbefugnisse von vergleichbarer Autorität übernommen, die die Schaffung der Kontinentalarmee und die Ernennung Washingtons zu ihrem Oberbefehlshaber möglich gemacht hatten. Seit er sich aber als nationale Legislative, als amerikanische Version des britischen Parlaments gebärdete, setzte sich der Kongress eben der Kritik aus, die die Kolonien am Londoner Parlament geübt hatten. Der zentrale Impuls der Amerikanischen Revolution war die tiefe Abneigung gegen eine Gesetzgebung gewesen – besonders wenn sie Steuern betraf – die von einem fernen Souverän ausging, der der unmittelbaren Kontrolle und Aufsicht der betroffenen Büger entzogen war. Der Kongress verkörperte keine einheitliche amerikanische Nation, sondern eine Konföderation souveräner Staaten. Vor dem Krieg hatte Washington über diese politischen Fragen kaum nachgedacht. Er selbst hatte nichts gegen das Ausüben von Macht, zum Revolutionär war er lediglich geworden, weil es sich um britische Macht gehandelt hatte. Dem Kongress wiederum hatte er nicht durchgängig den Rücken gestärkt: Seit 1777 hatte Washington wiederholt Rundbriefe an die einzelnen Staaten geschickt, um nach weiteren Mitteln für die Fortsetzung des Krieges zu werben. Damit gestand er indirekt ein, dass die Befugnis in diesen entscheidenden Punkten letztlich bei den Regierungen der Staaten lag. Im Jahre 1780 jedoch konnte er sich aber nicht mehr leisten, hierzu zu schweigen, er wurde zum entschiedenen Verfechter erweiterter Befugnisse auf nationaler Ebene.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Die Kontinentalarmee war auf eine Größe von zehn- bis achttausend Mann geschrumpft, so genau wusste man das nicht. Die Männer hatten entweder das Ende ihrer befristeten Dienstzeit erreicht, waren desertiert oder einfach dienstuntauglich. Ohne die notwendigen Mittel blieb Washington nichts anderes übrig, als bei der eigenen Bevölkerung die Konfiszierung von Vieh und Getreide anzuordnen. Selbst für den Fall, dass die lange erwartete französische Flotte mit einem Zauberschlag vor Long Island auftauchte, standen den Amerikanern nur etwa die Hälfte der Soldaten zur Verfügung, die für eine erfolgreiche Belagerung von New York erforderlich waren. Als aus Südcarolina zwei bedeutende Siege der Briten gemeldet wurden, bei denen ihnen die Stadt Charleston sowie 5.000 amerikanische Gefangene in ihre Hände fielen, musste Washington im Oktober 1780 seinen bewährten General Greene nach Süden schicken, um den Briten wenigstens halbwegs Einhalt zu gebieten.

    Der Herbst brachte noch weitere schlechte Nachrichten, diesmal aus einer Richtung, die Washington nicht erwartet hatte. Im August hatte er Benedict Arnold als Kommandeur der Garnison in West Point entsandt, der Angelpunkt des Hudson-Korridors und daher der strategisch wichtigste Punkt auf dem gesamten nördlichen Kriegsschauplatz. Wie sich herausstellte, hatte Arnold seit Monaten mit den Briten über eine hohe Bestechungssumme verhandelt, für die er ihnen West Point ausliefern wollte. Im letzten Moment wurde die Verschwörung durch Zufall aufgedeckt und Arnold konnte nur knapp zu den Briten entfliehen. In New York empfingen ihn die Briten und hieß ihn sogleich in der Armee ihrer Majestät willkommen.

    Das war der Tiefpunkt der Talsohle. Die britische Armee war im Süden siegreich, die Kontinentalarmee stand im Norden am Rande der Auflösung. Und der Kontinentalkongress erklärte, keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen zu können. Die amerikanische Wirtschaft befand sich ebenfalls in der Auflösung. Und trotzdem drehte sich ab April 1781 das Blatt innerhalb der kommenden neun Monate. An der politischen Front gelang es den Staaten nach fünfjährigem Feilschen, die Konföderationsartikel zu ratifizieren, wodurch das neue Gebilde namens Vereinigte Staaten von Amerika jetzt eine verfassungsgemäße Grundlage erhielt, auf der die überfällige Verwaltungsreform mit Bildung eines Quasi-Kabinettsystems aufgebaut wurde. Es gab nun Minister für Finanzen, Krieg und auswärtige Angelegenheiten, die zumindest für größere Kohärenz bei den Kriegsanstrengungen sorgten, wenn sie schon kein Geld herbeizaubern konnten. Um finanzielle Mittel bemühte sich stattdessen Benjamin Franklin, der in Paris einen Kredit der Franzosen aushandelte.



    Eine französische Armee von 6.000 kampferprobten Männern unter dem Kommando von Graf Rochambeau stand bereits seit Monaten in Rhode Island bereit, aber erst jetzt gelang es Washington, sich mit ihm über das Ziel sowie die Ausführung eines gemeinsamen Feldzugs zu einigen. Weil Washington auf New York als Ziel beharrte, die französische Flotte sich aber weiter in der Karibik befand, konnte der tote Punkt der Verhandlungen erst dann überwunden werden, als Rochambeau sich bereit erklärte, seine Truppen über den Landweg zu verlegen. Das war aber nur eine Finte, im Hintergrund veranlasste Rochambeau, dass die französische Flotte eben nicht vor New York auftauchen sollte. Offenbar hatte er erkannt, dass Washington noch Zeit benötigen würde, um von seiner Fixierung auf New York abzulassen.

    In Carolina schlug sich Greene mit seinen Milizen ganz gut, aber das galt nur solange, bis kein anderer als der Verräter Benedict Arnold, nunmehr britischer General, dort auftauchte. Er lief mit seinen Truppen in einer nahezu schutzlosen ländlichen Gegend Amok. Washington schickte Lafayette mit zweitausend Mann Verstärkung nach Carolina, aber auch das verbesserte die gefährliche Lage im Süden nicht. Es drohte die Isolation und Vernichtung des gesamten amerikanischen Heeres im Süden, denn die Briten verfügten in Charleston und Yorktown über starke Kräfte.

    Im Frühsommer 1781 erschienen die Aussichten auf einen amerikanischen Sieg äußerst gering. Washington glaubte ebenso wie mehrere andere amerikanische Staatsmänner, dass die Ressourcen des Landes erschöpft seien und die Kontinentalarmee vor dem Untergang stehe. Der gegenwärtige Feldzug musste der letzte sein. In Ermangelung eines eindeutigen Ergebnisses war die wahrscheinlichste Entwicklung eine ausgehandelte Übereinkunft mit den Briten im darauffolgenden Jahr. Ein solcher Waffenstillstand hätte vermutlich die militärische Lage im Gelände bei Kriegsende widergespiegelt und somit die Tatsache, dass die Briten New York, Charleston, Savannah und beträchtliche Teile aller Staaten südlich des Potomac kontrollierten. Der diplomatische Einfluss der Briten im Amerika wäre erheblich geblieben, eine vollständige amerikanische Unabhängigkeit wäre unter diesen Voraussetzungen wohl kaum möglich gewesen.

    Unter diesem Druck ließ Washington im Juli 1781 von seinem fixen Ziel New York ab und erklärte sich bereit, seine Truppen, gemeinsam mit Rochambeaus Soldaten, nach Carolina zu schicken. Und plötzlich fügte sich alles zusammen: Die Briten versammelten im August ihre gesamten Truppen (7.000 Soldaten) auf der Halbinsel Tidewater bei Yorktown, und kurz darauf erschien genau dort die französische Hauptflotte. Washington konnte die es kaum fassen, als er die Nachricht darüber erhielt. Jetzt blickte er nicht mehr bedauernd zurück auf New York, sondern handelte schnell und sendete 1.000 Mann Verstärkung zu Lafayette, damit die Briten bei Yorktown auf der Halbinsel festgenagelt werden konnten. Deren Befehlshaber Cornwallis erkannte zwar, in welch missliche Lage er sein Heer geführt hatte, und ihm blieben nur wenige Tage Zeit, um einen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Doch aufgrund fataler Fehlkommunikation ging er davon aus, dass Oberbefehlshaber Clinton ihm den Befehl gegeben habe, die Stellung zu halten. Mitte September 1781, als Washington vor Ort eintraf, war die Falle um Yorktown zugeschnappt. Die Entscheidungsschlacht, seit sechs Jahren ersehnt, stand endlich bevor – ironischerweise nicht wie erwartet in New York, sondern keine 50 Kilometer von der Plantage entfernt, die er einst geerbt hatte.

    Die Belagerung von Yorktown war im Wesentlichen eine Übung im Pionierwesen, bei dem es sich nun gerade um eine der Hauptschwächen der Kontinentalarmee handelte. Glücklicherweise hatte die französische Armee die besten Pioniere der Welt. Infolgedessen war die Belagerung von Yorktown in erster Linie eine französische Operation, obwohl Washington offiziell das Kommando führte. Am 17. Oktober 1781 fügte sich Cornwallis in das Unvermeidliche und ersuchte um eine Zusammenkunft zur Vereinbarung von Kapitulationsbedingungen. Interessanterweise konzentrierte sich diese Vereinbarung auf logistische Details, offenbar war sich Washington gar nicht bewusst, dass Yorktown die letzte Schlacht des Krieges darstellte. Zwei Tage später zogen die geschlagenen britischen Soldaten ab und marschierten zwischen den Reihen der französischen und amerikanischen Soldaten hindurch. Wie ein Zeuge berichtete, machten sich einige Rotröcke über den unordentlichen Aufzug der amerikanischen Soldaten lustig und spotteten über barfüßige Sieger. Cornwallis schützte Krankheit vor und ließ sich bei der Kapitulationszeremonie entschuldigen, und sein Stellvertreter, der anscheinend Rochambeau mit Washington verwechselte, versuchte dem französischen General sein Schwert zu überreichen. Während den englandtreuen Loyalisten die Abreise gestattet wurde, ließ Washington dagegen mehrere hundert schwarze Sklaven, die unter dem Schutz von Cornwallis gestanden hatten und zu fliehen versuchten, einfangen und zu ihren früheren Besitzern bringen. Die folgenreichste Schlacht der amerikanischen Geschichte, die Entscheidungsschlacht, die Washington sechs Jahre lang angestrebt hatte, war soeben siegreich geschlagen worden, aber Washington erkannte nicht, dass der Krieg vorüber war, und die surreale Kapitulationsszene machte die Verwirrung noch größer. Über mehrere Monate hinweg mahnte er zur bewaffneten Wachsamkeit gegenüber einem erneuten britischen Feldzug, allen Gerüchten zum Trotz, dass die Briten ihr amerikanisches Kolonialreich nunmehr abgeschrieben hätten.



    Das Kontinentalheer blieb stehen und voll unter Waffen, ein Umstand, der bei manch einem Amerikaner den Argwohn erweckte, Washington könne die Absicht haben, zum amerikanischen Cromwell zu werden. Manche befürchteten, er könne die Armee nach Philadelphia marschieren lassen und dem Kontinentalkongress befehlen, sich aufzulösen. Die junge amerikanische Republik stand demnach im Begriff, noch in der Wiege von einer ebensolchen Militärdiktatur umgebracht zu werden, wie sie die römische und die englische Republik in ihrer Entwicklungsphase vernichtet hatte. In der Tat gab es amerikanische Offiziere, die insgeheim der Meinung waren, der Kongress sei zu schwach, um in der Nachkriegszeit für Stabilität zu sorgen: Bevor die Republik dann in die Katastrophe abgleite, sei es besser, wenn sich Washington zum König ausrufen würde. (Wenn der Titel selbst Probleme verursachte, ließe sich vielleicht ein weniger anstößiger Titel erfinden, um die öffentliche Meinung zu beruhigen.) Washington reagierte mit einer strengen Strafpredigt und verurteilte solche einen Plan als voll des größten Unheils, der über das Land kommen kann. Als sich die Kunde von Washingtons Reaktion in der Welt verbreitete, hörte man keinen geringeren Experten auf diesem Gebiet als George III. sagen, falls Washington den Königsmantel ablehne und sich tatsächlich wie angekündigt zur Ruhe setze, dann sei er der größte Mann der Welt.



    Aber genau das tat Washington: Er setzte sich zur Ruhe. Als 1783 der offizielle Friedensvertrag mit Großbritannien unterzeichnet wurde, in dem die Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien anerkannt wurde, war Washington auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere. Und er bewies, dass er gegen die Verlockung diktatorischer Macht immun war. In sorgfältig vorbereiteten Reden erteilte er im März erneut gegenüber seinen Offizieren jedem Gedanken an einen Militärputsch eine Abfuhr, und forderte bei seiner Abschiedsrede im November alle Soldaten auf, nicht als Virginier oder Neuengländer, sondern als Bürger der Vereinigten Staaten in ihre Heimat zurückzukehren. Washington trat von der Bühne, es war der größte Abgang in der amerikanischen Geschichte.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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