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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #511
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Einfach toll das zu lesen
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  2. #512
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    Sehr viel bekannter als diese Episode um Württemberg ist eine andere Geschichte: Der Reichstag zu Worms von 1521, auf dem der Kaiser den Protestanten Martin Luther vorgeladen hatte. Der Kaiser war der traditionelle Schutzherr der katholischen Kirche, also musste sich Karl dieser deutschen Angelegenheit widmen. In Köln traf er zunächst Luthers sächsischen Landesherrn Friedrich den Weisen. Der war kein Lutheraner (die Bezeichnung wurde damals bereits verwendet), aber er schützte Luther aus Gerechtigkeitssinn oder aus Fürstenstolz. Der Bettelmönch Luther hatte seit drei Jahren schon allzu viele Zuhörer gefunden und genügend Fürsprecher, um sich in der politisch vielgestalteten Welt des Reiches vor dem unmittelbaren Zugriff von Kirche und Kaiser sicher zu glauben.

    Der päpstliche Legat Aleander forderte vom Kaiser die Reichsacht über den gebannten Luther. Karl V. dagegen sagte dem sächsischen Kurfürsten zu, die Reichsacht nicht ohne Verhör zu verhängen. Das klingt heute selbstverständlich, war aber eine Provokation für den Papst. Immerhin hatte die Kirche dem Mönch bereits mit ihrem Bann gedroht – und Luther hatte die Frechheit besessen, diese Bannandrohung öffentlich zu verbrennen. Wenn Karl V. ihn nun vor den Reichstag lud, um sich selbst von dessen Hartnäckigkeit zu überzeugen, machte der Kaiser sich zum Zensor an einer kirchlichen Rechtshandlung. Skandal! Der päpstliche Legat Aleander durchschaute die Rechtssituation sofort, er ahnte die Kraft der Reformation. Für den aktuellen Fall gab es ein Vorbild, das sich hundert Jahre zuvor ereignet hatte: Die Sache Jan Hus. Der war zunächst auf dem kirchlichen Instanzenweg verurteilt und gebannt worden, ehe er an ein künftiges Konzil appellierte und deshalb 1415 den Weg nach Konstanz zu Kaiser Sigismund antreten musste. Damals hatten Hus' Advokaten vergeblich die Rechtshoheit des böhmischen Königs gegenüber der Kirche beschworen. Inzwischen hatte die Wahlkapitulation des neuen Kaisers kirchlichen Rechtsansprüchen einen Riegel vorgeschoben. Luther wusste das und setzte noch einen oben drauf: „Auch ein Konzil kann irren.“ Diese Bemerkung vom Sommer 1519 war wohl der wahre Startschuss für die Reformation. Bislang ging es in Luthers Thesen um Angelegenheiten wie den Ablasshandel, bei dem die Kirche den Menschen die Vergebung von Sünden gegen Geld versprach. Das war eine Praxis, die so mancher katholische Theologe kritisch sah. Aber der Protest gegen die Lehrautorität des Konzils war eine ganz andere Hausnummer. Und dass der Kaiser diesem Luther auch noch auf dem Wormser Reichstag 1521 die Gelegenheit geben wollte, sich zu rechtfertigen, war ein Knaller.



    Der Augustinereremit und Doktor der Theologie Martin Luther wurde am 6. März 1521 vor die seit Ende Januar in Worms tagenden Reichsstände geladen, unter kaiserlichem freien Geleit, das ausdrücklich auch für seine Rückreise gelten sollte. Man erinnerte sich offenbar an Johannes Hus: Der hatte 1414 von Kaiser Sigismund freies Geleit vor das Konstanzer Konzil erhalten und war doch in Konstanz verurteilt und verbrannt worden. Seitdem wurde darüber gestritten, ob Sigismunds Geleit auch für die Rückreise galt. Luther musste nicht an seinem Geleitbrief zweifeln. Lehren aus der Geschichte zog offenbar auch der Kaiser, denn er soll eine Verhaftung Luthers in Worms abgelehnt haben mit der Bemerkung, er wolle nicht auch schamrot werden wie sein Vorgänger Sigismund.

    Mit seinem Protest gegen die Missbräuche in der Kirche hatte Luther ursprünglich viel Zustimmung gefunden. Aber dann gab es Anstoß in Glaubensdingen, weil Luther seinen theologischen Standpunkt in spektakuläre Aktionen umsetzte. Nach einem wohlwollenden Verhör durch Kardinal Cajetan in Augsburg 1518 hatte Luther nicht widerrufen, sondern war aus der Stadt geflohen. Später hatte er demonstrativ die kirchlichen Rechtsbücher und die päpstliche Bannandrohung verbrannt, auch ignorierte er Bann und Interdikt, die ihn Anfang 1521 wirklich trafen. Luthers Reformschriften von 1520 waren im Druck schnell unter die Leute gekommen, sein Manifest des Kirchenprotestes einerseits also gut bekannt. Auf der anderen Seite waren die Vertreter der Reichsstände in theologischen Fragen ungebildet, dementsprechend gingen ihre Meinungen zu Luther auf dem Wormser Reichstag weit auseinander. Plakativ waren jedenfalls so einige der Flugblätter, die Luther bekannt gemacht hatten. So bezeichnete er darin den Papst als den Antichristen, den Tyrannen am Ende der Zeiten. Der so geschmähte Papst Leo X. blieb zunächst einmal entspannt und optimistisch, denn man erwartete in Rom, dass Luther vor den Ständen in Worms widerrufen würde. Danach sah es auch durchaus aus.

    Am 16. April 1521 traf Luther in Worms ein und wurde tags darauf vor Kaiser Karl V. zitiert. Auf einem Tisch lagen seine Schriften, und Luther sollte sich dazu bekennen oder widerrufen. Luther soll mit schwacher Stimme um einen Tag Bedenkzeit gebeten haben, seine Reaktion ließ auf ein Einlenken schließen. Aber am folgenden Tag stand Luther wohl fest und klar in seiner Haltung. Er verlangte, dass er nur durch die Heilige Schrift oder die klare Vernunft widerlegt werden wollte (wie Hus es einst auch gefordert hatte). Mehr noch, Luther ging rhetorisch sogar zum Gegenangriff auf das Papsttum über – und das im Angesicht des Kaisers, des Schirmherrn der Christenheit!



    Jetzt stellen wir uns eine persönliche, gar hitzige Auseinandersetzung, einen dramatischen Showdown zwischen Luther und seinem Gegenpart vor, aber den gab es so nicht. Der Habsburger war ein schüchterner, zurückhaltender Typ, anders als der wortgewaltige und charismatische Luther: Die Reaktion des Kaisers erfolgte in schriftlicher Form, drei Tage später. Karls Erklärung umfasst im modernen Druck etwa vierzig Zeilen, er richtete sie an die Repräsentanten der geistlichen und weltlichen Stände des Reiches deutscher Nation. Inhaltlich war sie keine Überraschung: Karl V. sah sich in der Tradition der Kaiser, die alle „treue Söhne der römischen Kirche gewesen sind und stets Verteidiger des katholischen Glaubens.“ Im Gegensatz zu Luther konstatierte Karl V. den Zweck des Glaubens ohne erkennbare Emotion: Nicht aus Liebe zu Gott oder aus brennendem Eifer argumentierte der Habsburger, der Glaube war für ihn schlicht eine Frage des Traditionsbewusstseins. Bezeichnenderweise wich Karl V. vom üblichen majestätischen Plural ab, als er seine Ansicht auf den Punkt brachte: „Aus diesem Grund bin ich entschlossen, alles zu halten, was meine besagten Vorgänger und ich bis zur Gegenwart gehalten haben.“ Karls Glaube war kein Ringen um wahrhaften Glauben, sondern eine Frage der Disziplin. Der Kaiser war allenfalls bereit, gewisse Missbräuche innerhalb der Kirche zu korrigieren, mehr aber auch nicht. Die Tradition, das Beispiel der Vorfahren und ein formelhaftes Glaubensverständnis, wie Karl V. sie hervorhob, waren aber sicher keine Grundlage für einen theologischen Neubeginn, wie Luther ihn anstrebte.

    Karl V. war vermutlich enttäuscht darüber, dass Luther trotzdem nicht widerrufen wollte. Natürlich musste er als Kaiser Konsequenzen folgen lassen, er bezeichnete Luthers Ansichten als falsch und lehnte weitere Diskussionen mit ihm für alle Zeiten ab. Da Luther seine Haltung nicht änderte, stand rechtlich die Reichsacht als Konsequenz im Raume. Deren Verhängung aber verfolgte Karl V. nicht energisch weiter. Luther war für ihn ein polemischer Bettelbruder, der nun zurück in sein Kloster geführt werden sollte. Mit sicherem Geleit, wie es der Kaiser versprochen hatte, nicht aber ohne die Ermahnung, Luther möge auf dem Rückweg das Volk nicht mit seiner falschen Lehre beeinflussen, damit kein Aufruhr entstehe. Karl, aus dem spanischen Milieu strengen Kirchenregiments, argwöhnte Aufruhr. Offenbar unterschätzte er da Luthers Popularität, die er bereits beim gemeinen Mann wie beim Adel, bei Bürgern und Klerikern, Pfarrern und in nicht wenigen Klöstern hatte. Für sie war er ein Volksheld, der Träger der Reformhoffnungen, und selbst hohe deutsche Fürsten wie Kurfürst Friedrich hegten Sympathie für seine Thesen. Mittels eines Scheinüberfalls wurde Luther von Leuten des sächsischen Kurfürsten auf die Wartburg in Sicherheit gebracht und dort in Schutzhaft genommen (dieser Begriff war damals noch nicht negativ besetzt).



    Okay, soweit erst einmal zu Luther und der Reformation. Karl V. hatte auf dem Reichstag wichtigeres zu tun, es galt Autoritätspunkte zu erwerben und diese in die nächste Stufe der Reichsreformen zu investieren. Dazu brauchte Karl die Zustimmung von genügend Reichsfürsten. Gerade in jenen Tagen in Worms war Karls spanische Herrschaft in großer Gefahr. Als er sein Land verlassen hatte, rebellierten die Städte Kastiliens. In Karls Abwesenheit wurden sie besiegt, am 24. April 1521 in der Schlacht von Villalar. Karl erfuhr erst Wochen später von der Restabilisierung seiner spanischen Herrschaft, denn der Kurier aus Spanien war in Frankreich in Gefangenschaft geraten. Wahrscheinlich hätte sich der Kaiser ohnedies nicht vom politischen Geschäft des Reichstags zurückziehen können. In Worms musste über die Reichsinstitutionen gesprochen werden – das Reichsregiment, der Reichstag, das Kammergericht, und wie diese administrativ und finanziell befähigt werden sollten.



    Besonders das Reichsregiment (in EU4 die zweite der Reformen, die man durchführen kann) interessierte Karl, erstmals für kurze Zeit eingesetzt hatte es sein Habsburger Großvater Maximilian. Es sollte nur tätig sein bei Abwesenheit des Kaisers, aber machen wir uns nichts vor: Karls Imperium war zu groß, als dass er ständig allerorten präsent sein konnte. Daher also diese Art von Regentschaftsrat. Fünf von 21 Räten stellte der Kaiser, und schon vor dem Reichstag bezeichnete Karl seinen Bruder Ferdinand als den künftigen Statthalter und Vorsitzenden dieses Gremiums, ein Jahr später bestellte er ihn auch dazu. Das politische Gewicht des Reichsregiments aber zerrieb sich in den folgenden Jahren allmählich, und zehn Jahre später, als der Kaiser wieder in Deutschland war, ging seine Geschichte schon wieder ganz zu Ende. Karl V. löste die Sache mit der deutschen Statthalterschaft dann auch anders. Sein Bruder Ferdinand kam dabei weiter eine zentrale Rolle zu.

    In die Hände dieses Reichsregiments übergab Karl V. die Entwicklung einer einheitlichen Rechts- und Münzordnung für das ganze Reich, eine Aufgabe, die man schon seit 200 Jahren zu lösen versuchte. Ebenfalls sollte das Gremium an einer einheitlichen Strafrechtsordnung arbeiten, was sie auch tat: Das Ergebnis war die so genannte „peinliche Halsgerichtsordnung“, die bis Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland wirksam blieb. Um Reichsgewalt wirksam werden zu lassen, wollte man Fürstentümer und Reichsstädte in einzelnen Regionen zu gemeinsamem Wirken zusammenfassen, vornehmlich, damit sie für den Frieden im Land ein Polizeiaufgebot unterhielten. Zu diesem Zweck bildete man zunächst zehn Reichskreise, geführt von Kreishauptleuten, die an die Beschlüsse des Reichskammergerichts gebunden wurden. Sitz dieses Reichskammergerichts sollte Nürnberg (später Speyer) sein, wo ihr Vorsitzender Präsident mit seinen acht juristischen Beisitzern walten sollte. Die Besetzung erfolgte natürlich nach Proporz, den Präsidenten stellte der Kaiser, dafür durften die Reichsstände die acht Beisitzer benennen. Karl V. verhandelte in Worms das Einrichten dieser Institutionen geschickt: Gleich in seiner Wahlkapitulation hatte er gelobt, die Reichsreform wieder aufgreifen zu wollen, mit der die Stände die ohnehin schwache kaiserliche Gewalt in den Hintergrund drängen wollten. Aber Karl V. schob dabei die Kaisermacht wieder nach vorn. Aufgrund der Reichsmatrikel wurde das Reichsaufgebot neu geordnet, mit Finanzbeiträgen von allen Ständen in Verhältniszahlen zu ihrem Herrschaftsbereich. Freilich blieb es dem Kaiser verwehrt, mit den Matrikelgeldern ein eigenes Heer aufzustellen. Also: Es war eine Verwaltungsreform für Justiz und Polizei, aber nicht für ein stehendes Reichsheer – das musste von Fall zu Fall immer wieder neu zusammen- und aufgestellt werden.

    Blieb noch ein heikler Punkt für den Wormser Reichstag: Wie sollte man eigentlich mit dem bisher katholischen Kirchengut eines Landesfürsten umgehen, der sich zur Reformation bekannte? Die Haltung der Altkirchlichen war da eindeutig, das ist kaum überraschend. Die Reformierten hatten da ebenfalls ihre Ansicht, hier spitzte sich der Streit zu. Die Entscheidung über mögliche Besitzumschichtungen sollte das Reichskammergericht fällen, und das war erst einmal katholisch dominiert. Hier musste wohl irgendwann mal ein Kompromiss her, später jedenfalls.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #513
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  4. #514
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    Vielen Dank für Eure Nominierung und Eure Stimmen zur Story des Monats. Das motiviert und ehrt mich. Es ist das dritte Mal, dass eine meiner Storys auf diese Weise aufs Portal gehoben wird. Danke dafür! Mit der Geschichte selbst geht es natürlich noch weiter.


    Der Reichstag ging zu Ende, Karl V. konnte sich der Ordnung seiner enorm gewachsenen Habsburger Hausmacht widmen. Mit dem Tod Maximilians I. war er das neue Oberhaupt der Dynastie geworden. Karl verhandelte und teilte in dieser Sache mit seinem Bruder Ferdinand. Der Kaiser verzichtete zu Ferdinands Gunsten auf die Heirat einer ungarischen Prinzessin, damit dieser sich besser in Mitteleuropa etablieren konnte. Die gleiche Disziplin trieb die habsburgischen Prinzessinnen immer wieder in ungeliebte politische Ehen. Dass sich eine der Damen, die verwitwete Ungarnkönigin Maria, den kaiserlichen Heiratsplänen widersetzte, blieb in dieser Geschichte von vielfach tragischen Frauenschicksalen die seltene Ausnahme. Ferdinand erhielt also Zugriff auf den ungarischen Thron, neben den fünf österreichischen Herzogtümern, später kam noch Württemberg dazu (dessen Herzog ja in der Reichsacht war), sowie Tirol mit seinen wichtigen Silberminen und Alpenpässen. Und im Februar 1522 übertrug der Kaiser noch das so genannte Vorderösterreich an Ferdinand, das ist in EU4 der „westliche Flecken Österreich“ um den Breisgau. Mit einem Wort, Karl entledigte sich der Regierungsarbeit in Deutschland zugunsten seines Bruders, er blieb aber Kaiser sowie Herrscher über Spanien und Burgund. Die Macht zu teilen, war einerseits bemerkenswert, es war aber auch bloßer Pragmatismus. Das Herrschaftsgebiet war einfach zu groß für eine Person alleine, um es komplett regieren zu können. Zur Absicherung des Habsburger Griffs nach Osten wurde noch eine zweite Hochzeit eingefädelt, Karls Schwester Maria heiratete in Innsbruck den jungen Jagiellonen Ludwig, seines Zeichens König von Böhmen und Ungarn.



    Der war ein Liebling des alten Kaisers Maximilian gewesen, Ludwig war lebenslustig, leichtsinnig und ritterlich im Charakter, ganz nach dem Geschmack des „letzten Ritters“, der ihn zu Lebzeiten nicht nur protegiert, sondern gar adoptiert und Hoffnungen auf die Nachfolge auf dem Kaiserthron gemacht hatte.

    Hinter dem Ganzen stand natürlich ein politisches Konzept, und das kam bereits einige Jahre später voll zum Tragen: Dieser König Ludwig fand 1526 mit zwanzig Jahren bei einer Schlacht gegen die Türken den Tod im Sumpf. Königsschicksal, Schicksal der Ritter auf den Thronen. Nur war hier mehr verspielt als ein Ritterleben und mehr zurückgelassen als eine junge Witwe. Die beiden Königskronen von Böhmen und Ungarn fielen gemäß der Verträge (und nach Bestätigung der Stände) an Ferdinand. Die junge Witwe Maria übrigens folgte einige Jahre darauf als Nachfolgerin ihrer Tante Margarete als Statthalterin in Burgund. Der neue und durchaus unerwartete Erbfall begründete wohl endgültig den Habsburger Ruf der glücklichen Einheiraten. Böhmen zumindest war unbestreitbar ein toller Gewinn, sein Land und seine Leute umfassten das Doppelte wie Österreich, reich an Silber. Nicht zuletzt brachte Böhmen die wichtige Kurfürstenstimme für die Kaiserwahl ein. Ungarn dagegen sollte die Habsburger wegen der Türkengefahr unterm Strich mehr kosten, als es einbrachte. Zwar verließen die Osmanen nach ihrem Sieg über Ludwig das Land zunächst wieder (auch der Kosten wegen), aber ein Thronstreit brach aus, mit Doppelwahl und Doppelkrönung, der dem türkischen Sultan ein schönes Spielfeld zum politischen Eingreifen sowie für vier Feldzüge anbot. Schließlich blieb nur Kroatien mit dem nordwestlichen Ungarn (der heutigen Slowakei) in der Hand der Habsburger (1541 setzten die Osmanen in Buda sogar einen Pascha ein und hielten Siebenbürgen in ihrer Abhängigkeit). Mit Ungarn erbten die Habsburger also auch die Verantwortung, die türkische Expansion an ihren neuen Grenzen abzuwehren. Dieser Job fiel nun Ferdinand zu, Karl V. war in dieser Frage aber nicht untätig – er führte seinen Türkenkrieg als spanischer König im Mittelmeer.



    Schaut man sich nun die Landkarte an, sah es für Frankreich wohl nicht so toll aus, es war eingekeilt zwischen den Gebieten der Habsburger. An allen Landesgrenzen standen sie, dazu die niederländische Flotte im Norden und die spanische Flotte im Mittelmeer. Doch der französische König verzagte nicht, mit festem Herzen kehrte er die Rechnung um: Frankreich hat einen sehr ordentlichen Entwicklungswert, war gut organisiert und saß wie ein breiter Keil zwischen den Habsburger Gebieten. König François dürfte ebenso wie Karl V. klar gewesen sein, dass der eigentliche Kampf um die Vorherrschaft in Europa hier im Westen stattfinden würde. Zwei Exerzierfelder blieben dem Franzosen: Italien und die Niederlande. Und zwei recht unterschiedliche Bundesgenossen: der Papst und der Sultan. Andere, etwa Henry VIII. von England, der wirtschaftlich an die Niederlande gebunden war, oder Janos Zapolya, der ungarische Magnat und Thronrivale Ferdinands, kamen zeitweise ins diplomatische Spiel, dazu die Venezianer, die Sforza in Mailand und nicht zuletzt die deutschen Protestanten, sobald sie nur einmal organisiert waren.

    Karl V. kehrte von Deutschland nach Spanien zurück, auf dem Weg machte er einen Abstecher. Mit Henry VIII. führte er Verhandlungen über eine Verlobung zweier Angehöriger ihrer Häuser, aber eines wusste der Habsburger bei seiner Abreise aus London: Die Engländer waren unsichere Bundesgenossen, das hatte er bereits vermutet. Vereinbart war mit England zwar ein gemeinsamer Krieg gegen Frankreich in zwei-drei Jahren, aber bis da war es ja noch lange hin. Endlich zurück in Spanien, reiste Karl umher und sah nach dem Rechten. Er nahm sich sogar Zeit, seine Mutter Juana zu besuchen, die nominelle Königin Spaniens, die seit Jahren unter Hausarrest gehalten wurde. Er kam, um ihr den Sarg mit dem Leichnam ihres Gatten Philipp wegzunehmen, sowie ihre letzte vor Ort gebliebene Tochter Katharina (die wollte Karl nämlich als Braut nach Portugal schicken). Da kam es bereits zur ersten Herausforderung durch seinen Gegenspieler François: Ein französisches Heer marschierte in Navarra ein (also, um diese Zeit gibt es in meinen EU4-Partien schon längst kein eigenständiges Navarra mehr...) und musste in einem monatelangen Abwehrkampf zurückgetrieben werden. Bei Navarra ging es übrigens um einen Erbanspruch, den der französische König aus der Schublade geholt hatte, wohl ein typischer Fall aus der taktischen Rubrik „Ansprüche fingieren“.



    Währenddessen war Karls Statthalter in Spanien, Kardinal Adrian von Utrecht, unerwartet (wenn auch nicht ohne Karls Hilfe) zum Papst gewählt worden. Ein reformstrenger Mann, der sich dem Versuch politischer Einflussnahme durch den Kaiser gleich entzog. Aber er saß ab 1522 als Hadrian VI. kaum mehr als ein Jahr auf dem Heiligen Stuhl, dann folgte mit Clemens VII. wieder ein Medici an die Spitze der römischen Kirche. Das passte besser zur politischen Bedeutung Italiens im Konzert der Großmächte. In Oberitalien schürzte sich der Knoten der internationalen Rivalitäten. Den Kampf um Italien hatte schon 1494 Charles VIII. (siehe voriges Kapitel über den Borgia-Papst) mit einem Zug in das Königreich Neapel begonnen, er konnte es aber nicht halten. Die Verbindung der Habsburger mit Spanien und der spanischen Herrschaft über Neapel, Sizilien und Sardinien, also über das westliche Mittelmeer, machte nun auch die Auseinandersetzung um Oberitalien (Reichsitalien) interessant. Dass die Herrschaft über Ober- und Unteritalien jetzt in einer Hand lag, war wie der Schlüssel zur Vorherrschaft über Europa. Hier musste Frankreich ran, wenn es nicht den Kürzeren ziehen wollte. Aktuell hatte François I. lediglich noch auf Mailand seine Hand.



    König Francois I. von Frankreich

    Als Clemens VII. im Jahre 1523 neuer Papst wurde, waren in Norditalien die Kämpfe zwischen Frankreich und Spanien bereits im vollen Gange. Clemens sah den Kirchenstaat zwar von Nord und Süd von den Habsburgern umklammert - das war eine Situation, in der der Papst damals im Fall der Staufer heftig gegen diese reagiert hatte – aber er musste wohl notgedrungen ein Bündnis mit Karl V. eingehen. Einzig Frankreich konnte da Abhilfe schaffen und erbot sich, Clemens militärisch aus der Umklammerung zu helfen. François I. marschierte in Oberitalien ein und zog im Triumph in Mailand ein. Rasch war Karls Heer in einer üblen Situation und musste sich um Pavia verschanzen. Hier kam es im Februar 1525 zur entscheidenden Schlacht, die gerade mal eine Stunde dauerte – und mit dem großartigen Sieg der Kaiserlichen ausging! Das französische Heer war entweder aufgerieben oder auf der Flucht. Und mehr noch: König François war den Gegnern in die Hände gefallen und nun ein Gefangener von Karl!

    Mit 25 Jahren hatte Karl V. den vollkommenen Sieg erzielt, er hatte politisch alle Karten in der Hand. Zeit für die Ernte, forderten die Berater in Karls Umfeld. Doch der Kaiser wehrte den Gratulationen bei Hofe, er zog sich zum Gebet zurück und unternahm eine Wallfahrt in Spanien. Die Nachricht vom triumphalen Sieg von Pavia hatte den Kaiser offenbar in einer nachdenklichen Verfassung angetroffen, in einer inneren Krise. In Briefen brachte Karl V. seine Gedanken zu Papier: Die französischen Truppen hatten sich noch immer in Mailand festgesetzt, England war ein unsicherer Partner, Karl selber drückten arge Schulden. Um Frankreich in Italien den Fangstoß zu geben, musste er selber dorthin, aber dazu brauchte er das Geld seiner Stände und Räte. Und diese wollten – misstrauisch und eifersüchtig – ihren König nicht gleich wieder aus Spanien fortlassen, wurde er hier doch gerade erst heimisch. Karl V. grübelte nach. In Spanien war Frieden, hier erwartete ihn nur Verwaltungsarbeit. In Italien, da war der Krieg und es gab Ruhm für ihn zu ernten. Dann wieder sinnierte Karl: Er wolle nicht aus unbedachter Ruhmsucht das Blut von Christen vergießen, der Frieden musste ihm als Kaiser mehr gelten als der Krieg.

    In Karls Grübeln war der Einfluss von Humanisten erkennbar, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts von Italien bis Polen eine lebhafte Diskussion über den Wert des Friedens führten und, modern ausgesprochen, über Möglichkeiten der Konfliktregelung innerhalb einer Gesellschaft. Im Jahre 1516 hatte der Engländer Thomas More die Erzählung „Utopia“ veröffentlicht, der Entwurf einer (wenn auch nicht pazifistischen) Friedenspolitik von der Insel Utopia. Eigentlich war die Debatte der Humanisten kaum etwas für jenes Milieu europäischer Machthaber, deren Erziehung vom Ritterideal geprägt war. Hier galt, am meisten wohl für einen Herkules wie Karl V. auf dem Thron: Plus ultra – immer höher hinaus! Das war ein machtpolitischer Anspruch und keine ohnmächtige Humanistendevise, den mittelalterlichen Fürsten war Alexander der Große stets näher als ein Platon.



    Wie dem auch sei, Karls zurückhaltende Reaktion auf den Sieg von Pavia enttäuschte jene Männer, die im wahrsten Sinne des Wortes in der Schlacht ihren Kopf dafür hingehalten hatten. Das Lob des Kaisers für seine Generäle fiel nur kärglich aus, die Belohnung war mager. Einer von ihnen war der Söldnerführer Pescara, der während der Kampfhandlungen gleich dreimal verwundet worden war. Er hatte Geld und Leben für den Kaiser eingesetzt und seine Söldner stets bei guter Moral gehalten, aber auch er fand bei Karl V. keinen Dank. Und dann war der Kaiser nicht einmal entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich Italien zu unterwerfen. Tatsächlich: Italien fiel dem Habsburger nicht wie von selbst zu, stattdessen bildete sich eine neue Koalition, die sich gegen ihn richtete. Zu viel AE halt. Die Italiener neigten nun dem geschlagenen Frankreich zu – Venedig, Florenz, Mailand und der Papst rückten mit Frankreich zusammen, noch ehe Karl V. seinen Sieg genützt hatte.

    Die Räte des Habsburgers wurden nicht schlau aus ihm. Den gefangenen französischen König behandelte Karl monatelang mit ausgesuchter Nichtachtung, zuerst in Italien, dann in Spanien. Er stellte Forderungen, die der französischen Integrität zu nahe traten: das burgundische Erbe des Urgroßvaters Karls des Kühnen, der doch ein französischer Prinz gewesen war und eben jenes Erbe auch als ein Stück Frankreich übernommen hatte. Berechtigter wäre schon die Rückgabe des alten Reichsgebietes zwischen der Rhone und den Westalpen gewesen, des sogenannten Königreiches Arelat, das seinerzeit Karl IV. 1378 an den Dauphin als Reichsvikariat übertragen und seitdem vom Reich getrennt hatte (siehe voriges Kapitel über Kaiser Karl IV.). Der König von Frankreich lehnte alles ab, und als er schließlich zustimmte, waren seine Schwüre falsch. Eigentlich war er durch Karls Maßlosigkeit in diesen Betrug getrieben worden. So etwas passiert eben, wenn man Friedensforderungen weit über dem Warscore erhebt, oder sich mit mehr Überdehnung als 100% vollfrisst. Nach Karls Koordinaten freilich musste ein Ritterwort immer gelten. Am Ende blieb nach dem am 14. Januar 1526 in Madrid beschworenen Frieden nur das Eheversprechen in Kraft, das der verwitwete François für Karls verwitwete Schwester Eleonore gegeben hatte. Zwei unmündige Söhne musste der gefangene König dem Sieger als Geiseln stellen, und dazu viel Lösegeld. Kaum war François wieder auf französischem Boden, schmiedete er bereits Pläne für einen neuen Krieg und vertraute auf das gute Glück seiner Dynastie.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  5. #515
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    Herzlichen Glückwunsch zur SdM!

  6. #516
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Glückwunsch Mark.
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  7. #517
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    Danke Mark für diese Story!

  8. #518
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    Guten Morgen, ich war einige Zeit im Urlaub gewesen. Die Zeit habe ich zum Wandern, Joggen - und Lesen verwendet, um mir weitere Anregungen für die Story zu holen.

    Das Glück warf aber dem Hause Habsburg eine neue Erwerbung zu: die Kronen von Böhmen und Ungarn, nach dem Tod Ludwigs II. bei Mohács. Ein maßvoller, dafür fester Frieden mit Frankreich hätte gemeinsam mit dem, was der Zufall nun im östlichen Mitteleuropa den Habsburgern eintrug, Karls Spekulation von einer Universalmonarchie weit mehr geholfen als seine überzogenen Forderungen an den König von Frankreich. Denn jetzt waren es Karls (bzw. Ferdinands) Grenzen, an denen im Osten die Türken standen, während der Westen nicht wirklich befriedet war. Gedanklich war der Kaiser zu dieser Zeit eh woanders, er heiratete im März 1526 Prinzessin Isabella von Portugal. Dafür musste er zwar die Verlobung mit der englischen Prinzessin lösen (Henry VIII. wird nicht erfreut gewesen sein), aber die Verbindung mit Portugal war wohl zu reizvoll. Finanziell gesehen natürlich, nicht wegen der Braut. Isabella war zwar Karls Cousine, aber Papst Clemens VII. war so freundlich, den notwendigen Dispens für die verwandtschaftliche Ehe zu erteilen. Man glaubt es kaum, aber das Brautpaar führte dann tatsächlich eine harmonische Ehe. Schon die Flitterwochen gerieten so lang, dass Karl von den spanischen Ständen gerügt werden musste, sich mal wieder bei der Regierungsarbeit blicken zu lassen. Und schon 1527 kam der Thronfolger Felipe II. zur Welt.



    Karls Sieg über Frankreich ohne durchgreifende Neuordnung in Italien fügte schließlich zur italienischen Verschwörung einen neuen, unvorhergesehenen Gegner: England. Dieser Frontwechsel seines Onkels und möglichen Schwiegervaters Henry VIII. war wohl weniger eine Folge des aufgekündigten Verlöbnisses mit Maria, sondern eher ein Versuch des englischen Lordkanzlers Kardinal Wolsey, seine eigenen Ambitionen an der Kurie mit königlichen Interessen zu verbinden. Henry wünschte eine päpstliche Lösung seiner Ehe mit der alternden Katharina, er wollte einen männlichen Nachkommen zur Sicherung seiner Dynastie und vor allem die legale Verbindung mit Anne Boleyn. Also trat er der „Heiligen Liga“ bei, dem französisch-päpstlichen Bund, dem auch Venedig und geringere oberitalienische Potentaten angehörten. Die Entscheidung in dem Ringen musste in der Lombardei fallen. Dorthin hatte ein französischer Vorstoß ein neues kaiserliches Heer gezogen, schlecht besoldet, nach Gewaltmärschen meuternd. Es war kein anderer als Jörg von Frundsberg, aller frommen Landknechte lieber Vater, gegen den sich da am 16. März 1527 die Spieße kehrten. Den massigen Mann rührte darob der Schlag. Nun wälzte sich der führerlose Haufen, siebentausend beutegierige Knechte, unaufhaltsam gegen Rom. Vergeblich bot der Papst 150.000 Dukaten, das Unheil abzuwenden. Sieben Wochen später standen die Truppen vor der Ewigen Stadt, und gleich im ersten Ansturm am 6. Mai überstiegen sie die Mauern. Die Söldner wüteten monatelang, ehe sie, durch Seuchen dezimiert, wieder in militärische Disziplin gezwungen wurden. Frundsbergs Truppe löste sich auf. Der Papst aber wurde zum kaiserlichen Gefangenen, wie zuvor der König von Frankreich. Die Verwüstung Roms, der grausame Sacco di Roma, konnte nur verglichen werden mit den vergangenen Stürmen der Gallier, Vandalen und Normannen. Luther goss seinen Zorn über die große Hure Babylon aus: Rom habe nun die biblische Strafe wegen seiner ruchlosen Päpste erhalten.

    Gemeinsam mit Genua (bzw. dessen Flotte) ging Frankreich nun gegen die Kaiserlichen in Neapel und Mailand vor. Bei der Belagerung Neapels hatte Karl V. Glück, der genuesische Admiral Andrea Doria wechselte aus Frust über die französischen Partner die Fronten, Neapel war wieder für Spanien gesichert. Im Norden, um Mailand tauchte 1528 ein neues deutsches Heer auf, aber dieses löste sich mangels Soldzahlungen bereits auf, bevor es überhaupt zum Kampf gegen die Franzosen kommen konnte. Stattdessen erledigten die spanischen Soldaten das Blutgeschäft und besiegten ein weiteres Mal die Franzosen. Es war Zeit, einen Frieden zu schließen. Ironischerweise waren es nicht die beiden Herrscher Karl und François, sondern zwei couragierte Frauen, die der Diplomatie zum Sieg verhalfen. Die Tante des Kaisers und die Mutter des französischen Königs handelten den Frieden aus: François I. sollte auf Italien verzichten und Karl V. auf den französischen Teil von Burgund. Die Grafschaften Flandern und Artois sollten aus französischer Lehnshoheit entlassen werden, dafür kehrten die beiden Söhne von François aus spanischer Geiselhaft zurück. Die restlichen Punkte des Warscore füllte man wie üblich mit einem ordentlichen Lösegeld auf (damit konnte Karl seine ganzen Schulden in England begleichen). Auch Herzog Sforza von Mailand schloss nun Frieden mit Karl, er akzeptierte die spanischen Besatzungen. Venedig erklärte sich neutral, und den Medici-Papst besänftigte der Kaiser mit der Ankündigung, dessen Familie in Florenz mit Waffengewalt wieder an die Macht zu bringen.

    Dieser so genannte „Damenfrieden von Cambrai“ sorgte für klare Verhältnisse an den Grenzen und war zweifellos ein pragmatisch-vernünftiger Vertrag. Deshalb wurde er auch von den regierenden Herren bald wieder gebrochen.



    In Italien war vorläufig Frieden, jetzt konnte sich Karl wieder wegen der Protestanten und der Osmanen sorgen. Die hatten sich nach ihrem Sieg von Mohács 1525 zwar wieder zurückgezogen, aber jetzt bedrohte ein neuer Vorstoß die Ostgrenze Österreichs, brachte sogar Wien in Gefahr. Karls Gegner war kein Geringerer als Sultan Süleyman der Prächtige, der von 1520 bis 1566 die osmanische Politik lenkte. Und die war großenteils auf Expansion gerichtet, in einfachen, aber beharrlichen Schritten. Allein das Schaukelspiel zwischen Ost und West, zwischen den orientalischen und den europäischen Offensiven der Osmanen, bot Gelegenheit zur diplomatischen Gegenwehr. Direkt 1520 hatte der neue Sultan Syrien und Ägypten seiner Machtsphäre einverleibt, 1521 fiel Belgrad, kurz darauf nahmen die Osmanen Rhodos ein und vertrieben somit die Ritter des Johanniterordens. Dann entfaltete sich die Ungarnoffensive von eben dieser siegreichen Schlacht von Mohács bis zur Errichtung eines Satellitenstaats in Siebenbürgen und der Eroberung von Buda 1541.

    Ferdinands erste Gesandtschaft nach Istanbul im Mai 1528 musste erfahren, dass die Hohe Pforte seine Thronfolge in Ungarn nicht anerkannte. Erst Jahre später erreichte der Habsburger mit stattlichen Geldgeschenken, dass er überhaupt ein Übereinkommen mit dem Sultan erhielt. Ein fünfjähriger Waffenstillstand gegen eine jährliche Pension in Höhe von 30.000 Gulden. Kein Wunder, dass man in Deutschland mit Spannung die Rückkehr des Kaisers erwartete, auf dass er sich der Bedrohung annehmen möge. Karl V. reiste 1530 über Italien nach Augsburg an, er holte sich zunächst in Mailand die Eiserne Krone und in Rom die fällige Kaiserkrönung durch den Papst ab. Immerhin waren 40% Italiens von Karls Truppen kontrolliert, wer sollte da gegen ihn aufmucken?

    In Deutschland wartete dagegen die ungelöste Sache mit den Protestanten auf Karl. Die war seinerzeit ja nur verschoben worden, und in der Zwischenzeit war die Anzahl protestantischer Fürsten gewachsen. 1526 hatten sie auf einem Reichstag in Speyer einen Kompromiss durchgesetzt, nach dem die Stände „mit ihren Untertanen also leben, regieren und sich halten sollen, wie ein jeder solches gegen Gott und kaiserliche Majestät hoffe und vertraue zu verantworten.“ Das war mal richtiger Sprengstoff, denn wo war hier die Gehorsamspflicht gegenüber dem Papst? Der Glauben sollte tatsächlich als Angelegenheit persönlicher Verantwortung gelten? Das waren ja ähnliche ketzerische Ausmaße, die denen der böhmischen Hussiten hundert Jahre zuvor nicht nachstanden! Die Protestanten wurden immer kecker, in Marburg wurde eine protestantische Universität ohne kaiserliches Privileg gegründet. Die meisten Reichsstädte in Süddeutschland standen zur neuen Lehre, Kerngebiet der übergetretenen Fürsten waren das Kurfürstentum Sachsen sowie Hessen. Auch „von unten“ wuchs die Bewegung, was den Fürsten durchaus etwas unheimlich war. Die Menschen kamen ihrer Meinung nach auf dumme Ideen, Erwachsenentaufe und dergleichen, die Radikaleren lehnten die alten Autoritäten gleich ganz ab, begrüßten sogar die Türken als Befreier oder erwarteten ein neues, revolutionäres Zeitalter des Heiligen Geistes. Also, gehorsam ihnen gegenüber sollten die Untertanen schon noch bleiben, da waren sich auch die protestantischen Fürsten einig. Was ihren eigenen Gehorsam gegenüber dem Kaiser anging, waren die Obrigkeiten flexibler. Ihnen selbst sollte die Religionsfreiheit zustehen, nicht dem gemeinen Mann. Also formulierten sie ihre Kompromissformel 1529 um: „Ein jeglicher“ sollte für sich vor Gott stehen und Recht geben. Ein „jeglicher“ ist nicht jedermann. Gemeint war ein jeglicher, der im Reichstag Sitz und Stimme hatte. Mit dieser Stimmung musste Karl V. nun also klarkommen.

    Die Lutheraner erwarteten, dass der Kaiser als Schiedsrichter auftreten würde, sich alle Streifragen anhört, sie prüft und dann entscheidet. Doch der agierte nicht als Schiedsrichter, sondern direkt als Partei. Mitte 1530 ließ Karl V. jenen protestantischen Vertretern im Reichstag seine Widerlegung ihres „Augsburger Bekenntnisses“ vorlesen. Karls „Confutatio“ wurde ihnen aber nicht ausgehändigt. Die angesprochenen Fürsten sollten akzeptieren, nicht diskutieren. Das war der Bruch, Ende der theologischen Kompromissformeln, von nun an übernahmen die politischen Umstände den weiteren Verlauf: Die Protestanten sahen sich zu einer Reaktion genötigt – und gründeten Ende 1530 den Schmalkaldischen Bund, um ihren Glauben zu verteidigen.



    „Wir haben einen frommen Kaiser“, ließ Luther 1532 vernehmen, aber er fügte hinzu: „Er hat einen Keil im Herzen, es hab' ihn ihm dreingesteckt, wer da will. Er ist fromm und still. Ich halt, er rede in einem Jahr so viel als ich an einem Tage.“ Der Schmalkaldische Bund war noch keine Revolution, weil weder dem Kaiser seine obrigkeitliche Funktion bestritten wurde, noch die Grundlagen der religiösen Gebundenheit in Frage gestellt waren. Aber die Kaiserliche Glaubwürdigkeit als oberste Reichsgewalt wurde bald zur Debatte gestellt, weil die protestantischen Fürsten ihren Anteil an der Türkenhilfe davon abhängig machten, dass Karl V. sein Edikt und alle Strafandrohungen wieder suspendiert. Und tatsächlich gab er nach, damit er sein Reichsheer nach Wien gegen die Türken schicken konnte (die zogen ihr Heer schlicht zurück und wichen dem Kampf aus). Eines war klar geworden: Es war 1531 nur die Gefahr, die von den Osmanen ausging, die die christliche Gemeinsamkeit zusammengehalten hatte.

    War es unter dem Eindruck dieser Ereignisse oder eine langfristig geplante Familiendisposition, dass Karl V. bald darauf seinen Bruder Ferdinand zum deutschen König wählen ließ? Ungewöhnlich war der Schritt allemal. In der Vergangenheit hatte es natürlich öfter mal einen deutschen König zu Lebzeiten eines über ihn stehenden Kaisers gegeben. Das war dann aber der Sohn und designierte Nachfolger eines Kaisers gewesen. Nur einmal hatten sich zwei konkurrierende Herrscher gütlich auf ein Doppelkönigtum geeinigt, aber das galt nur für eine kurze Zeit (die beiden Cousins Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne). Dass ein Kaiser seinen Bruder zum römisch-deutschen König und damit zu seinem Nachfolger küren lassen wollte, war neu. Keine Frage, besonders die protestantischen Fürsten waren misstrauisch, aber Karl konnte die Vorbehalte der Kurfürsten mit 350.000 Gulden besänftigen. Immerhin war das nur der halbe Betrag, wie Karl ihn seinerzeit für seine eigene Wahl auf den Tisch hatte legen müssen. Der sächsische Kurfürst sah es trotzdem nicht gern, dass die katholischen Habsburger sich nun doppelt an die Krone hefteten, den bayrischen Wittelsbachern war die überbordende Macht der Habsburger grundsätzlich ein Dorn im Auge. Sie begriffen wohl als erste, dass sich die Habsburger daran machten, sich endgültig und entgegen dem Sinn der Wahlmonarchie der Krone zu bemächtigen.

    Zeit für den inneren Hader gab es auch jetzt nicht. Nachdem die Türken 1529 Wien bereits einmal wochenlang belagert hatten, rüsteten sie schon wieder zu einem neuen Zug. Das Reich musste ein Aufgebot auf die Beine stellen, um die Türken abzuwehren! Erneut schoben Katholiken und Protestanten ihre Differenzen beiseite und marschierten einig im Reichsheer die Donau entlang, um dem Feind entgegenzutreten. Und wieder das gleiche Spiel: Die Türken wichen der Konfrontation aus und zogen sich zurück.



    Karls Sache war dieser Feldzug bereits nicht, die Regierung über Deutschland hatte er ja Ferdinand übertragen. Der Kaiser selber wollte die Türken von seinem Königreich Spanien aus angehen, und das hieß, die Oberhand im Mittelmeer zu erlangen. Die erste Etappe dahin war Tunesien, hier wurde 1534 der mit Spanien befreundete Hasan von einem griechischen, in türkischen Diensten stehenden, Apostaten vertrieben. Das war der Anlass für einen über die See geführten Angriff, bei dem die spanische Flotte die tunesischen Schiffe versenkte, das spanische Heer an Land setzte und Karl V. in Tunis einmarschieren konnte. Der griechische Apostat namens Chaireddin Barbarossa, floh nach Algier. Karl wollte nun auch Algier belagern, aber seine Berater konnten ihn mit Verweis auf die hohen Verschleißwerte in der Wüste davon abbringen. Also Rückkehr und Einzug in Neapel, danach in Rom als Triumphator. Diesmal hatte Karl V. den Triumph verdient, die türkische Seemacht war deutlich angeschlagen. Tunesien ließ sich nach der Wiedereinsetzung von Hasan unter spanischem Protektorat bis 1574 behaupten, die Küsten des westlichen Mittelmeers waren vorerst beruhigt, endlich Schluss mit diesen Piratenmeldungen.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Jetzt konnte Karl V. den nächsten Schritt gegen die Osmanen planen. Im Folgejahr wollte er Algerien einnehmen, dann eine große Seeoperation gegen Istanbul wagen. Dumm nur, dass Frankreich ihm da einen Strich durch die Rechnung machte. Ende 1535 war nämlich Francesco Sforza gestorben, ohne Erben, und das weckte von neuem französische Ansprüche auf Mailand. Im Damenfrieden von Cambrai hatte Francois zwar verzichtet, aber was hieß das schon.

    Es war kein großer Krieg, dieser dritte französische Waffengang in Karls Regierungszeit, aber er hatte eine bemerkenswerte ideelle Tiefe. Obwohl selbst nicht nur in feindliche Aktionen, sondern auch in Verhandlungen verwickelt mit den Türken, konnte Karl V. doch der französischen Politik eine unangemessen enge Bindung an die Hohe Pforte vorhalten, die den gemeinsamen Interessen der Christenheit zuwiderlaufe, ganz abgesehen von der christlichen Verpflichtung zum Kampf gegen die Ungläubigen, die auch der Allerchristlichste König und Ritter des Goldenen Vlieses Francois I. in seiner Politik hätte beachten müssen. Zum Krieg gegen Frankreich war Karl nicht gewappnet, sowohl politisch als auch finanziell. Zwar wuchsen die Einkünfte aus dem „neuen Indien“, aus Amerika also, wie man bald sagte, aber es war Pfandgeld, das ihn da über die spanische Silberflotte allmählich erreichte. Und die spanische Verwaltung war unfähig, es in Wirtschaftskraft umzumünzen. Mal eben 150 Gold Gutschrift bei +0,3% Inflation lief noch nicht so recht. Die Fuhren der Silberflotten ließen sich allenfalls für sofortige Hilfszahlungen versetzen. Jedenfalls kam der Geldfluss nur langsam in Gang.



    Ungewöhnlich war es nicht, dass Karl V. notorisch pleite war, das ging den anderen europäischen Monarchen ebenso. Allerorten gingen die Könige mit dem ihnen anvertrauten Geld sehr sorglos um. So war auch Frankreich von stetem Geldmangel geplagt. Sein Gesandter in Istanbul bat damals (vergebens) um eine kräftige Finanzspritze, was einiges über die finanzielle Situation sagt. Überall war der staatliche Umgang mit Kredit und Geld unstet, auf konkrete und aktuelle Bedürfnisse gerichtet, von grobschlächtiger Budgetierung.

    Karl V. war wieder in Spanien. Aus der Ferne ertrug er einen erheblichen Fehlschlag der habsburgischen Hausmachtpolitik leichter: den Verlust Württembergs. Dieses Herzogtum war 1520 von Karl mit 220.000 Dukaten gekauft worden, als Herzog Ulrich der Reichsacht verfallen war. Es war Ferdinand übergeben worden, und die österreichischen Amtsleute verwalteten es in Übereinkunft mit den Ständen redlich, abgesehen davon, dass sie guten Glaubens die Protestanten verfolgten. Doch damit weckten sie die protestantische Solidarität. Frankreich leistete Beistand um den Preis der Grafschaft Mömpelgard und kam damit ein Stückchen nach Osten voran, zur Reichsgrenze. Und schließlich holte Philipp von Hessen mit leichter Hand das Herzogtum für Ulrich zurück. Der Machtverlust des Kaisers wirkte in Deutschland lange nach. Mit Württemberg hätten die Habsburger tatsächlich die jahrhundertelang ersehnte Landbrücke zwischen Österreich und dem Oberrhein geschlossen und die Alpenpässe kontrolliert. Es ist nicht bekannt, mit welcher Resignation Ferdinand und Karl den Verlust ertrugen. Die deutsche Geschichte wäre mit einem habsburgischen Württemberg jedenfalls anders verlaufen.

    Im September 1534 war Papst Clemens VII. gestorben, der mit der Sacco di Roma. Seine Politik hatte er ja auf Frankreich ausgerichtet und dabei auch die Ehe zwischen seiner 13jährigen Nichte Katharina mit Prinz Henri von Frankreich vermittelt. So kam es, dass die Florentiner Kaufmannsfamilie der Medici auf den französischen Königsthron gelangte. In Civ6 taucht sie als französische Anführerin auf: Katharina di Medici.



    Der neue Papst Paul III. (1534-1549) wollte einen neutraleren politischen Kurs einschlagen. Er war übrigens kein anderer als der Farnese Alessandro, der seinerzeit zum Kardinalshut gelangte, weil seine Schwester die Geliebte des Borgia-Papstes Alexander war, und deshalb als „Kardinal Unterrock“ verspottet. So weit hatte er es also trotzdem gebracht. Karl V. besuchte ihn 1536 in Rom, Paul war ihm wegen seiner Tunesien-Expedition wohlgesonnen und hatte ein Ohr für die Beschwerden über das französische Störmanöver, das Karl vom Kampf gegen die Türken ablenkte. Geschickt vermied es Paul, sich zu einer Parteinahme drängen zu lassen, er vermittelte dafür aber 1538 einen zehnjährigen Frieden zwischen Karl/Ferdinand und Francois, der immerhin vier Jahre halten sollte. Höhepunkt des Waffenstillstandsabkommens war das persönliche Treffen von Karl und seinem Schwager Francois, bei der Karl nach sechzehn Jahren erstmals seine Schwester Eleonore wiedersah.

    Karl V. konnte jetzt wieder an die Seeoperation gegen die Türken denken, doch am 1. Mai 1539 traf ihn ein schwerer persönlicher Schlag: Seine Gattin Isabel, die Kaiserin, starb im Kindbett. Voller Trauer zog er sich einige Tage in das Kloster der Hieronymiten zurück (hier sollte er 20 Jahre später seinen eigenen Tod erwarten). Doch viel Zeit der Einkehr war ihm nicht gegönnt, denn aus den Niederlanden schickte seine Statthalterin Maria einen Hilferuf: Aufstand in Gent! Die Rebellion richtete sich gegen die hohen Steuern, zuletzt waren Kriegssteuern für den Waffengang gegen Frankreich erhoben worden. Anlass war aber auch der generelle wirtschaftliche Niedergang der Region, es war ein Aufstand der Mittelschichten gegen das Patriziat, nicht ohne Grausamkeiten. Karl brach in seine Geburtsstadt auf, um Gericht zu halten. Vor dem Verlassen Spaniens suchte er ein letztes Mal seine verwirrte Mutter Juana auf, dann ging die Reise auf dem Landweg quer durch Frankreich (dank des Friedens war das nun möglich). Es wurde eine Prunkreise, bei der ihm die Franzosen viel Ehrerbietung entgegenbrachten. Karl V. musste jedoch in einer Sänfte reisen, die Gicht machte ihm inzwischen ordentlich zu schaffen. Anfang 1540 erreichte er Gent und hielt Gericht. Acht Anführer mussten auf das Schafott, eine geringe Zahl, dafür in einem kalten Ritual der Vergeltung. Mehr als hundert Aufrührer mussten im Hemd mit dem Galgenstrick Abbitte leisten. Gent verlor seine Privilegien, die Niederlanden mussten stattliche Steuern in die kaiserliche Schatulle abführen, so eine Art regionaler, zeitlich befristeter, prozentualer Steuerbonus. Es mag sich komisch anhören, aber Karl V. wurde in Gent mehr verehrt als zuvor.



    So, jetzt konnte es aber endlich gegen die Türken gehen. Die bedrohten, nach dem Tod ihres ungarischen Satellitenkönigs Zapolya, von neuem ganz Ungarn. In Deutschland machte der Kaiser im Geheimen beiden Konfessionsparteien Zugeständnisse, um ihre Hilfe gegen den Sultan zu gewinnen. Für dieses Vorgehen hatte sich Karl keine reichsrechtliche Billigung eingeholt, ein Zeichen für seine politische Autorität. Das offizielle Reichsheer führte er freilich nicht persönlich, das überließ er Ferdinand. Gefallen hätte ihm das durchaus, denn man sagte, Sultan Süleyman selber führe die Truppen in Ungarn an. Karl reizte der Gedanke, dass es Sache des Kaisers sei, dem Sultan im Feld zu begegnen. Aber er schob das beiseite, seine Aufgabe war es, nach Algier zu segeln.



    Das herbstliche Unternehmen, vor dem Wetterkundige gewarnt hatten, wurde zu einer Katastrophe. Während der Landeoperation überfiel ein Orkan die kaiserliche Flotte. Viele Kapitäne ließen Kanonen und allen Ballast über Bord gehen, um ihre Schiffe zu retten. Andere kappten die Aufbauten, um die Ladung an Land zu bringen. 150 Schiffe gingen unter. Die gelandeten Truppen waren ohne Nachschub und vom Feind bedrängt, erreichten nach verlustreicher Einschiffung mit knapper Not Italien.



    Das war ein herber Schlag, der lange sitzen sollte. Die Hoffnung, man könne die türkische Seeherrschaft brechen, war an der Küste von Algerien für mindestens dreißig Jahre zerstoben. Weil Karl V. seine militärischen Kräfte nicht dem Reichsheer zu Lande angeschlossen hatte, erreichte die unmittelbare Bedrohung des Reiches eine neue Qualität: Süleyman der Prächtige zog die Erbschaft Zapolyas an sich und erklärte Zentralungarn zur türkischen Provinz und den Königssitz Ofen zur Hauptstadt. Ungarn fiel für die nächsten 150 Jahre an das Osmanische Reich. Der Sieger über die osmanische Seemacht musste erst noch geboren werden. Er kam gut sechs Jahre später zur Welt, und es war kein anderer als sein illegitimer Sohn Hans, entstanden aus der Liaison mit einer Regensburger Baderstochter. Unter dem Namen Don Juan d'Austria ging er später als Sieger von Lepanto in die Geschichte ein.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Der Feldzug gegen den Sultan war gründlich in die Hose gegangen, also machte sich Karl V. zurück zu den anderen Themen. Familienpolitik zum Beispiel. Im Jahre 1543 war sein Sohn Felipe sechzehn Jahre alt geworden, Zeit also, ihn in eine vorteilhafte Ehe zu bringen. Im November heiratete er seine Cousine Maria von Portugal, die Tochter des Königs Joao III. Schon wieder also eine Verbindung mit Portugal. In der Tat hatte die Ehe den Zweck, die dynastische Verknüpfung Spaniens in dieses Königreich zu festigen. Nur so für den Fall, dass die Dynastie Avis in Portugal ausstirbt, was - typisch Habsburg Dusel – schließlich 1580 auch geschah. Jedoch: Für Felipe II. blieb es nicht bei dieser einen Ehe. Maria starb bereits zwei Jahre nach der Hochzeit im Wochenbett, nachdem sie den gemeinsamen Sohn Don Carlos zur Welt gebracht hatte. Solange keine neue passende Prinzessin in Portugal zur Verfügung stand, behalf sich Felipe mit einer Mätresse.

    Der Kaiser selber machte sich wieder auf den Weg nach Deutschland, Mitte August 1543 traf er in Bonn ein. Er hatte einen Feldzug zu unternehmen, denn der Herzog von Kleve war zu einem gefährlichen Alliierten des französischen Königs herangewachsen, hatte Geldern okkupiert und versetzte die Niederlande in Angst und Schrecken. Karl ging rigoros gegen ihn vor: Düren wurde bis zur Kapitulation zusammengeschossen, danach ging es weiter nach Venlo. Der junge Herzog von Düsseldorf, auch er ein Bundesgenosse des französischen Königs, eilte dorthin, um rechtzeitig vor dem Kaiser den Kniefall zu üben. Geldern wurde aus dem Griff von Kleve genommen - endlich mal ein paar Punkte Reichsautorität? Nein, Karl V. zog Geldern einfach für sich ein und erweiterte die niederländische Herrschaft im Norden bis an die Ems (die Grenzen, die heute noch gelten). Die Südgrenze galt es ebenso zu sichern. Auch hier zeigte sich Karl als überlegener Feldherr, ihn quälten jedoch die Gicht und die Schulden. Ein Reichstag in Speyer vom Januar bis Juni 1544 sollte für Reichshilfe sorgen. Karl V. erhielt auch ein entsprechendes Votum, einhellig in diesem Fall, vielleicht auch leichter zu erreichen nach dem Exempel am Herzog von Kleve. Mit dem Geld sollte es wieder gegen Frankreich und gegen die Osmanen gehen. Gegen eine Konzession allerdings, die seit Nürnberg 1532 zur Regel geworden war, fast so etwas wie Gewohnheitsrecht: Religionstoleranz bis zu einem künftigen Konzil.

    Der Kaiser wünschte ein religiös beruhigtes Deutschland und ein attachiertes Frankreich im Rücken, wenn er gegen die Türken ziehen wollte. Dieser Feldzug war nicht alleine im Zeichen des Kreuzes geplant, es ging ebenso um die Interessen der christlichen Seefahrt wie um die Sicherheit der österreichischen Grenzen. Nachdem Kleve unterworfen war, zog Karl mit dem Reichsheer nach Frankreich und drang bis an die Marne vor, ohne dass es mit Francois zu einer entscheidenden Schlacht kam. Obwohl das Reich mit 40.000 Mann das bis dahin größte Heer auf die Beine gestellt hatte, wurde dieser vierte Krieg gegen Frankreich kein Duell der Herrscher. Offenbar waren bei einfach alt geworden. Obwohl die Deutschen zwei Tagesstrecken vor Paris standen, schloss der Kaiser einen diplomatischen Frieden: Frankreich ließ darin zum einen Savoyen politisch von der Leine, zum zweiten verpflichtete sich Francois, seine Unterstützung für die deutschen Protestanten einzustellen und an einem Krieg gegen sie auf Seiten der Katholiken teilzunehmen.

    Die Zeichen der Zeit standen also nicht gerade auf Annäherung der Konfessionen, geplantes Konzil hin oder her. Der mochte womöglich am Sankt-Nimmerleins-Tag stattfinden. Luther hatte eh schon Zweifel daran angemeldet, dass ein Konzil der Wahrheit letzter Schluss sein könne, das Gewissen jedes einzelnen vor Gott war sein Maßstab – ein fundamentaler Angriff auf die Autorität der katholischen Kirche und ihrer Institutionen. Eine Reaktion der Altgläubigen erfolgte im glaubensstrengen Spanien, in dem in diesen Jahrzehnten rund 15.000 Menschen durch die berüchtigte Inquisition ums Leben kamen – nie bei der ersten Anklage, sondern immer nur als rückfällige Ketzer, freilich im Netz eines weitgespannten Denunziationswesens, das sich vor allem gegen konvertierte ehemalige Juden richtete. Die Hinwendung zum alten Glauben erfolgte natürlich nicht nur aus Furcht vor Gott oder der Inquisition, sondern auch aus religiöser Hingabe. Neben der berühmten Theresa von Avila kann hier die Gründung des Jesuitenordens genannt werden. Diese künftige päpstliche Elitetruppe wurde durch den ehemaligen kaiserlichen Offizier Ignatius von Loyola gegründet und 1540 vom Papst anerkannt.



    Karl V. hat diesen Orden noch nicht sonderlich zur Kenntnis genommen, die große Zeit der Jesuiten brach erst mit dem Reformationsstreit in den 1550ern an. Auch bei den Protestanten entstanden radikalere Gruppen, genannt seien hier die Calvinisten: Der französische Jurist Jean Calvin hatte seit 1536 in der Reichsstadt Genf sowie in Straßburg Fuß gefasst, von wo er seine strenge, alle Politik unmittelbar mit den reformierten Glauben vereinigende neue Kirchenordnung organisierte. Mit Todesurteilen und Verbannungen verteidigte er seine reformierte Kirche ungleich härter als der Kaiser die alte Kirche. Nun trat Calvin ungebeten neben Karl V. wie neben Luther.



    Was das Zustandekommen des totgeglaubten Konzils anging, versuchte Karl V. aber tatsächlich einen neuen Anlauf, er schlug dem Papst als mögliche Austragungsorte drei Städte im Reich vor. Das war ein Fingerzeig: Nicht traditionell in Rom, sondern in der Tradition der Reformkonzile von Basel und Konstanz sollten die Probleme geklärt werden. Um den Papst zu locken, deponierte Karl 100.000 Dukaten für einen Türkenkrieg in Augsburg. In Rom hatte sich die Stimmung zwischenzeitlich aber gedreht: Es sollte nicht unbedingt gegen die Türken gehen, ein Kriegszug zur Erledigung des „Protestantenproblems“ hatte an der Kurie einflussreiche Fürsprecher. Rom war auch bereit, für sein Votum zu bezahlen. Der Papst Farnese drehte das Angebot um und bot dem Kaiser seinerseits 100.000 Dukaten aus den päpstlichen Schatztruhen, dazu 12.000 Bewaffnete und eine Million Dukaten aus den Einkünften der spanischen Kirche. Das war mal mehr als ein gutes Angebot! Denn Karl hatte dazu ja noch die Beistandszusage Frankreichs!

    Verständlicherweise zögerte Karl V. trotzdem. Ferdinand warnte ihn, in Deutschland einen Religionskrieg vom Zaun zu brechen. Die Protestanten waren immer noch Christen, und sie waren deutlich mehr als zwanzig Jahre zuvor. Wollte man wirklich das Blut dieser Brüder in Christi vergießen? Monatelang hielt sich der Kaiser grübelnd in Deutschland auf. Sofern es seine Gicht zuließ, entspannte er sich bei der Jagd. Eine Sache mochte ihm in die Karten spielen, Martin Luther starb 1546, damit war Karl V. also befreit von seinem wortgewaltigsten Gegner. Zur selben Zeit stiegen die amerikanischen Einkünfte seit fünf Jahren spürbar an. Auch wenn seine Konquistadoren das sagenhafte Eldorado nicht hatten finden können, so ermöglichten die Schätze aus der Neuen Welt doch fortan eine merkliche Freiheit seiner Aktionen. Es kam nur darauf an, sie möglichst rasch über Kredite flüssig zu machen.

    Zwei weitere wichtige Personen der Ära Karls starben bald darauf 1547, zunächst im Januar der englische König Henry VIII. Tudor. Er litt seit Jahren an Krankheiten wie Gicht, Wassersucht, Syphilis oder Diabetes. Henry war in den letzten zehn Jahren seines Lebens einfach so dick geworden (160 kg), dass der Körper nicht mehr mitmachte. Auch sein Geisteszustand hatte sich zunehmend verdüstert, aus dem einst strahlend athletischen Ritter war herrschsüchtiger und tückischer Tyrann geworden, der England in die Pleite ritt. Die Kriege mit Schottland und Frankreich hatten das Land ruiniert, die englische Kirche hatte der König aus eigennützigen Interessen gespalten. Bei seinem Tod hinterließ er drei legitime Kinder, eines davon war der 1537 geborene Edward aus dritter Ehe, der eine protestantische Erziehung erhalten hatte und nun mit zehn Jahren als Edward VI. den Thron bestieg. Der zweite Tod betraf den französischen König Francois I. im März. Er starb während der Vorbereitungen für einen Feldzug gegen die Niederlande und Spanien. Sein eigentliches Ziel, die Universalmonarchie Karls zu unterminieren und dazu Mailand zu erwerben, erreichte er mit all seinen Kriegen nicht. Immerhin, Frankreich hatte militärisch die Hand auf Savoyen und Piemont, sie sollten in französische Provinzen umgewandelt werden, sobald Francois genügend Machtpunkte zum Coren generiert haben würde. Auf den Thron folgte der Sohn Henri II. (*1519), der wegen des frühen Todes seines älteren Bruders Francois in der Erbfolge nach oben rückte. Die beiden Brüder waren übrigens diejenigen, die seinerzeit als Geiseln in Spanien hatten verharren müssen. Die Haftbedingungen damals waren nicht gerade standesgemäß gewesen, das verzieh Henri II. dem Kaiser niemals. Freunde wurden die beiden jedenfalls nicht mehr.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #521
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    Die Wechsel in England und Frankreich beeinflussten nicht den Entschluss Karls, in Deutschland den Protestanten den Garaus machen zu wollen. In dem ehrgeizigen Moritz von Sachsen fand Karl V. ein williges Werkzeug gegen den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich. Moritz stammte nämlich aus der minderberechtigten Linie der Wettiner und konnte vom Kaiser mit der Aussicht auf die Kurstimme seines Oheims gelockt werden.



    Damit hatte Karl V. einen Bundesgenossen im Rücken seines Gegners. Die Heere der Katholiken und der Protestanten trafen am 24. April 1547 an der Elbe aufeinander, und binnen einer Stunde entschied sich das Schicksal der Schmalkaldener, bei nur geringen kaiserlichen Verlusten. Und wieder geriet der feindliche Heerführer unmittelbar in die Hand des Kaisers. Ihn traf der ganze Zorn seiner Majestät. Karl V. erwiderte seinen Gruß nicht und beschied ihn nach kurzem Wortwechsel: „Ich werde Euch halten nach Gelegenheit und Eurem Verdienst, geht hinweg.“ Herzog Johann Friedrich war mit kühler Verachtung entmachtet.

    Es genügte Karl V. hinsichtlich des deutschen Religionsfriedens fürs erste offenbar, dass Sachsen neu vergeben und das protestantische Heer zerschlagen war. Im Jahre 1548 machte sich der Aktenfresser Karl daran, die Welt für die Zeit nach ihm zu ordnen. Der Kaiser war nun 48 Jahre alt und erheblich von der Gicht geplagt, und er wollte, dass sein politisches Erbe ihn überdauert. Bei dem Habsburger war ein Testament für die Familie zugleich die Skizze für die künftige Ordnung Europas. 1548 hatte Karl den Erzherzog Maximilian, seinen Neffen und Schwiegersohn, zum Regenten in Spanien eingesetzt, mit ausführlicher schriftlicher Instruktion. Seinen gleichalterigen Sohn Felipe II. hatte er in die Niederlande beordert. Für die Kaiserwürde hatte sich Karl V. etwas besonderes ausgedacht: Hier sollte ihm zunächst sein Bruder Ferdinand nachfolgen (der war in Deutschland nämlich recht beliebt), danach dann aber Sohn Felipe (der war in Deutschland quasi unbekannt und fremd), als Dritter in der Thronfolge wurde schließlich Neffe Maximilian benannt. Karl V. wollte zudem vermeiden, dass die beiden Zweige der Familie allzu sehr auseinanderdriften, so wie es bei den französischen Valois mit Burgund geschehen war. Karls Tochter sollte gemäß dem Testament deshalb Ferdinands Sohn heiraten, und sein Enkel aus Felipes Ehe sollte ebenfalls seine Cousine zur Frau bekommen.



    Als Leser mag man sich vorstellen, dass Ferdinand und Maximilian über die Berücksichtigung in der Thronfolge froh gewesen sein müssen. Waren sie aber nicht, jedenfalls nicht in dieser Form. Ferdinand war eigentlich ein umgänglicher Typ, aber er missbilligte diese Zurücksetzung seines eigenen Sohnes Maximilian. Dadurch, dass Ferdinand schon seit längerem deutscher König war, stand er nach altem Herkommen als Nachfolger in der Kaiserwürde ja bereits fest. Und nun sollte nach ihm zunächst Felipe in der Thronfolge des Vaters auf den Sohn dazwischengeschoben werden? Wenn das nicht die erbitterte Feindschaft zwischen den beiden Jungspunden Felipe und Maximilian heraufbeschwor!

    Im Jahre 1552 folgte eine neuerliche, letzte Zerreißprobe mit den Protestanten in Deutschland. Gegen die Habsburger hatte sich eine beachtliche Koalition aus deutschen Protestanten, Frankreich sowie mit dem Osmanischen Reich gebildet. Zumindest stellte die Propaganda der Habsburger dies so dar. Manche sehen den gewaltsam von Karl eingesetzten Kurfürsten Moritz von Sachsen als Urheber der politischen Zuspitzung an. Der war ja selber ein Protestant und musste ziemlich vorsichtig zwischen dem katholischen Kaiser und den protestantischen deutschen Fürsten lavieren. Moritz hatte ja schließlich, obwohl selber Protestant, erheblich zum Sieg Karls über den Schmalkaldener Bund beigetragen und im kaiserlichen Auftrag die Reichsacht über das renitente Magdeburg vollzogen. Kurz: Gerade weil der Exekutor ein Protestant war, musste er sich wohl vor dem Zorn seiner Konfessionsgenossen schützen – und achtete auf den rechten Zeitpunkt, die Fronten zu wechseln. Anlass für Moritz' Umschwenken zu den Protestanten war ein Vertrag, den ein paar protestantische Fürsten mit König Henri II. von Frankreich geschlossen hatten. Sie wollten den gefangenen Landgrafen von Hessen befreien, überhaupt „die deutsche Freiheit wiederherstellen“ und dafür Henri II. das Reichsvikariat über einige westliche Reichsstädte (Metz, Toul, Verdun, Cambrai) in Aussicht stellen. Wichtig war, dass Frankreich um Hilfe ersucht wurde und damit einen casus belli gegen Karl V. an die Hand bekam.

    Henri II. seinerseits stand mit in enger Abrede mit Sultan Süleyman, als er diesen fünften Krieg Frankreichs gegen Karl eröffnete. Die Gelegenheit zu diesem Bündnis hatte aber nicht der Machtwille des Fürsten Moritz geschaffen und nicht Frankreichs unbeirrbare Ostexpansion, sondern der Kaiser selbst. Die Gefangennahme der fürstlichen Führer des Schmalkaldischen Bundes und das Augsburger Interim hatten die politischen Verhältnisse offensichtlich überspannt. Dazu kam ja noch Karls Testament, in dem sein Machtwille über Europa zugunsten der Habsburger offenbar wurde. Selbst auf die Reichsstädte konnte sich der Kaiser nicht mehr voll verlassen: Die gingen zwar nicht mit den aufständischen Fürsten, aber die Augsburger schworen Gehorsam nunmehr dem Reich, nicht mehr dem Kaiser. Dies bereits roch nach Widerstand!

    Entnervt von dem neuen Krieg verhandelte Karl V. in Augsburg mit dem Bankhaus der Fugger, von denen er mal wieder ein Darlehen benötigte. Parallel wurde auch in Spanien eifrig Geld eingesammelt, um damit Truppen gegen Frankreich aufzustellen.



    Da traf den Kaiser im Mai 1552 ein Seitenhieb aus der eigenen Familie, weil er die Warnungen hierzu ignoriert hatte. Sein Bruder Ferdinand, der deutsche König, zeigte gegenüber den Protestanten seine Bereitschaft an, ihre „Existenz“ anzuerkennen (wenn auch nur in Form vager Formulierungen). Immerhin waren inzwischen 30 Jahre vergangen, in denen Karl V. weder seine eigene Linie durchsetzen konnte, noch die Hoffnungen auf das versprochene Konzil zur Lösung der Glaubensdifferenzen erfüllt hatte.

    Moritz von Sachsen versuchte, mit einem gezielten Schlag gegen Innsbruck seine Position zu stärken: Der Kaiser entkam mit Mühe. Wie unsicher die Rebellen bei ihrer unerhörten Unternehmung gegen die kaiserliche Majestät waren, zeigt eine Bemerkung, die von Moritz nach der Flucht des Kaisers kolportiert wird: Er hätte gar keinen Käfig gehabt, um einen so großen Vogel zu fangen. Der große Vogel floh nach Villach. Sein Bruder verhandelte für ihn weiter mit dem Aufrührer, und er handelte fortan auch für ihn. Karl V. bekam nach diesem skandalösen Anschlag auf seine Majestät die deutsche Politik nicht mehr in den Griff, Ferdinand übernahm hier das Ruder. Aus dem europäischen Feld war Karl V. aber noch nicht geschlagen. Das Konzil von Trient, das der neue Papst Julius III. im Mai 1551 wiedereröffnete, behandelte nicht (und damit gegen Karls Willen) den Religionsvergleich, obwohl einige Vertreter protestantischer Fürsten geladen waren. Denen blieb als einzige bedeutungsvolle Handlung in Trient nur der Protest.

    Von den Türken hörte man deutlich weniger. Zwar hatte König Henri II. einen Flottenvertrag geschlossen, diesmal für die italienische Libertät gegenüber dem Kaiser, und die türkische Flotte belagerte im August dieses Jahres die Insel Malta. Auch eroberte sie Tripolis, so dass der Erfolg von Karls spektakulärem Sieg bei Tunis für die Mittelmeerschifffahrt endgültig vertan war.



    Insofern war Süleyman dagegen bei der Herrschaft über Ungarn nicht konsequent genug. Die wechselhaften politischen Verhältnisse in Ungarn machten das Land unter dem Strich zu einem Verlustgeschäft für das Osmanische Reich – die Kriege hier kosteten mehr, als sie einbrachten. Süleyman konnte nicht alles zugleich machen, er bevorzugte also die Entscheidung auf den Gewässern des Mittelmeers. Aber der Kaiser hatte inzwischen einen seiner Diplomaten die Beziehungen zu Persien um die maximalen +100 verbessern lassen, mit Erfolg: Sultan Süleyman wurde geschlagene drei Jahre lang durch einen ergebnislosen Krieg gegen den persischen Schah von weiteren Aktionen im Westen abgelenkt.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #522
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    Immer wieder toll wie du das alles aufbereitest.
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  13. #523
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Ungefähr drei Viertel der Story sind jetzt durch, wenn ich bis Napoleon-Metternich blicke. Meinst Du, dass wir hier bis zum Release von Crusader Kings 3 fertig werden? Eigentlich hatte ich auf Victoria 3 gesetzt, dann hätte ich chronologisch direkt weitermachen können (Victoria 2 besitze ich zwar, habe mich damit aber nie ernsthaft beschäftigt).
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  14. #524
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    Es blieb der Krieg mit Frankreich. Karl V. wollte ihn. Nachdem er sich wochenlang von der überstürzten Flucht aus Innsbruck hatte erholen müssen, war er im Herbst 1552 rheinaufwärts gezogen. Die bedachtsame Schwester Maria warnte. Aber aus Spanien kamen Geld und Truppen. So rückte Karl V. im Spätherbst, trotz Gicht und verschlammten Wegen, vor Metz, um die Reichsstadt zurückzugewinnen. Soldaten zogen damals im Winter eigentlich nicht ins Feld, so wenig wie die Bauern. Aber Karls Wille suchte alles zu überwinden. Er verlor. Im Januar 1553 hob er die Belagerung auf und hatte 2,5 Millionen Dukaten vertan. Jetzt zog er sich, schwerkrank und verzweifelt, nach Brüssel zurück. Seine Finanzsorgen waren nicht einmal das Schlimmste. Der Kaiser war, jetzt wirklich und unwiderruflich, unter seinen verzweifelten Willensanstrengungen zusammengebrochen.

    Im Juli 1553 erfuhr er von einer unverhofften Wendung der europäischen Konstellationen. König Edward VI. von England war gestorben, und die Thronfolge lag bei einer unvermählten Frau, nämlich Maria, die katholisch erzogenen Tochter von Karls spanischer Tante. Beides griff der Kaiser auf, in jäher Aktivität. Und er war tatsächlich imstande, seinen Sohn Felipe, der, seit Jahren verwitwet, in neuen Eheverhandlungen stehend, mit der englischen Königin zu verheiraten. Ein katholisches Bündnis gegen den englischen Protestantismus und, wichtiger noch, die vollendete habsburgische Einkreisung der unruhigen Franzosen!



    Die Hochzeit vom 25. Juli 1554 zwischen der 38jährigen ältesten und nach katholischem Erbrecht einzig legitimen Tochter von Henry VIII. und dem 27jährigen verwitweten Sohn Karls V. war eine politische Sensation. Sie verband das seit zwanzig Jahren reformierte und durch Parlamentsakt von der Papstkirche entfernte England über den Prinzgemahl, der den Titel eines Königs von England erhielt, mit dem erzkatholischen Spanien. Die neue Konstellation begünstigte zwar die Wirtschaftsbeziehungen zwischen England und den Niederlanden, aber sie zerschnitt die französischen Verbindungen und stürzte England schließlich in einen ruinösen Krieg mit dem so oft bekämpften Nachbarn auf dem Festland, bei dem 1558 dann auch Calais, der letzte englische Stützpunkt auf dem Kontinent, verlorenging. Es hätte die Welt verändert, wenn „Bloody Mary“, so Marias bekannter Beiname, nach ihrer Heirat länger gelebt hätte als vier Jahre, denn sie leitete in England eine gewaltsame Rekatholisierung ein, die ganz im Interesse Spaniens gewesen war. Als die Ehe 1554 geschlossen wurde, war das für viele Zeitgenossen ein weiterer Beweis für die göttliche Fügung der Habsburger, denen mit ihrer Hochzeits- und Erbpolitik einfach jedes Meisterstück gelang.

    Ohne Geld war der Auftrag Gottes nicht zu erfüllen. So riesig Karls Wille zur Herrschaft war, so karg war die Realität in seinen Bilanzen. Nicht, dass der Kaiser im Laufe seiner langen Regierung über schier unermessliche Mittel verfügt hätte, angefangen mit der enormen Geldsumme für seine Wahl bis zu Felipes Ausstattung für die englische Hochzeit. Es war vielmehr ein Krieg nach dem anderen, es waren die Musterungspläne und Schlachtfelder, auf denen die Steuern, Zinsen und Zehnten von Bauern und Städten, von Prälaten und Klöstern, von armen Sündern und reichen Bankiers wahrhaft verpulvert wurden, die Silberflotten aus der Neuen Welt und die Kreuzzugzehnten der Spanier.



    1534 wurde der Goldschatz der Inkas in Sevilla an Land getragen, und kaum einer, mit Ausnahme Albrecht Dürers, würdigte seine künstlerische Qualität. Was man einschmolz, wird auf 100 Millionen Gulden geschätzt, das 120fache also der bekannten spektakulären Wahlhilfe aus dem Jahr 1519; aber es verschwand genauso im unersättlichen Schlund des Krieges wie die Steuerleistungen aus Spanien, aus Italien, den Niederlanden oder dem Deutschen Reich. Währung, Preise, Wirtschaft und Handel in Karls Ländern waren arg gebeutelt. Ein Staatsbankrott im modernen Sinne war das noch nicht gewesen, irgendwie gelang es Karl immer wieder, sich mit den militärischen Plünderungen und den Reparationszahlungen, die mit seinen Kriegen einhergingen, über Wasser zu halten. Nicht zuletzt musste der Staatsbankrott von den Gläubigern ausgetragen werden, während schon die nächste Schiffsladung aus Amerika die kaiserlichen Kassen wieder zahlungsfähig machten.



    Silber und Gold aus der Neuen Welt waren, wie wir auch aus EU4 wissen, ein Inflationstreiber. Die Preistreiberei hätte überhand genommen, wenn nicht jenseits des kaiserlichen Edelmetalls die Wirtschaftspartner eine gewisse Restabilisierung bewirkt hätten. Karl V. setzte also gerne auf einen Berater, der zumindest die regelmäßigen -0,1% Inflationssenkung mit sich brachte.



    Amerika als Ort der Entdeckungen, der Eroberungen und Zerstörungen fremder Zivilisationen, die spanische Grausamkeit vor Ort, all das interessierte Karl V. nicht – für ihn bedeutete Amerika allein der stete Nachschub mit Edelmetallen. Ironischerweise gründete sich das unmenschliche Vorgehen der Spanier gegenüber den Eingeborenen auf Rechtsbewusstsein, als frommer Mensch tat man das alles mit Rechtfertigung vor Gott. In Tordesillas war 1494 ein Vertrag über die Eroberungsrechte zwischen Spanien und Portugal ausgehandelt worden, den Papst Alexander VI. bestätigte (siehe dazu das Kapitel über diesen Papst). Auf Bitten der Vertragspartner war er um ein halbes Jahr vordatiert worden, so dass alle Politik in Übersee sozusagen auf ihn zurückging. Der Papst teilte den beiden Seemächten das Entdeckungsrecht zu und begrenzte geographisch ihre Aktionsräume.

    Zwanzig Jahre später erarbeitete ein spanischer Kronjurist die seither von der innerspanischen Kritik immer wieder angegriffene Indianerproklamation. Damit wurde nicht einfach Eroberungsrecht gesetzt, sondern das Recht, im Namen Gottes zu bekehren, wobei Bekehrung gleichbedeutend war mit der Anerkennung spanischer Oberherrschaft. Theoretisch bedeutete das durchaus eine Duldung nichtchristlicher Herrschaftsordnung, wie sie christliche Kreuzzugsgegner schon im 13. Jahrhundert gefordert hatten oder die polnischen Gegner des Deutschen Ritterordens 1415 auf dem Konstanzer Konzil. Aber das war juristische Theorie, die Praxis des europäischen Kolonialismus – des Europa Universalis – stand immer dagegen. Die Form wurde dabei durchaus gewahrt: Die ersten Begegnungen zwischen den Konquistadoren und den Würdenträgern der großen organisierten Reiche der Azteken, der Maya und der Inkas erfolgte immer als protokollierter Rechtsakt (so eine Meldung über den Erstkontakt zu einem neuen Land fehlt in EU4). Dabei wurde die Indianerproklamation feierlich verkündet, und erst der Widerstand der Eingeborenen gegen die Ausbreitung des rechten Glaubens begründete den Krieg, als bellum iustum, als gerechten Krieg - der Nutzen des vollständig erforschten Ideenzweigs Frömmigkeit.



    Es war übrigens Karl V. gewesen, der auf die Klagen seiner Vizekönige in Amerika hörte, wonach die Indios der harten Zwangsarbeit in den Bergwerken nicht standhalten konnten (sie starben massenhaft) und die Arbeitskräfte in den entvölkerten Regionen knapp wurden. Der Kaiser gab seine Zustimmung zur Einfuhr leistungsfähiger afrikanischer Arbeiter, womit Karl V. eigentlich die Negersklaverei in Amerika eingeführt hat. Nun, in EU4 fehlt die Darstellung der Bevölkerungsstruktur, die Pops von Victoria kommen nun mit Rom II. zurück. Strenggenommen gründeten die Spanier übrigens keine Kolonien in Amerika, sondern ein zweites spanisches Reich. Denn sie missionierten die Indianer, womit sie ihnen durchaus zugestanden, Menschen zu sein. Das klingt zynisch angesichts der Unterwerfung und Ausbeutung. Die Relation wird nur deutlich, wenn man die spätere europäische Kolonialpraxis zum Vergleich heranzieht. Menschenrechte wurden da nicht gewährt. Noch 1835 verbot das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten von Nordamerika jedwede Indianermission. Rothäute waren vom Christenrecht ausgeschlossen.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #525
    Provence
    Gast
    Hast du eigentlich was im Laufe der Story zu Dänemark gemacht?

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