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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #451
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    Die universelle Spinne

    Es war der alte Gegner Frankreichs, der Engländer, der jetzt dem Dauphin Louis die Gelegenheit bot, seine Talente zu bewähren. Bei der Ankunft seines Vaters in Tours gegen Ende April 1444 fand er den Earl von Suffolk vor, den Ersten Minister Henrys VI., der gekommen war, um zu einen Vertrag mit den Franzosen zu gelangen sowie zu einem Heiratsbündnis. Ein Waffenstillstand von zwei Jahren wurde vereinbart und mit der Verlobung zwischen Henry VI. und Margarete von Anjou besiegelt, der schönen Tochter des Herzogs René von Anjou und Lothringen (der zugleich Titularkönig von Neapel war und ein Schwager des französischen Königs war).



    Die Menschen in Frankreich nahmen die Nachricht vom verlängerten Waffenstillstand erleichtert zur Kenntnis. Da ergab sich aber ein Problem: Wohin nun mit den zehntausenden von Söldnern, deren Kriegsdienste Frankreich nun nicht mehr benötigte, die das Land aber bis auf die Knochen verheerten? Es gab keine Militärmacht im Land, die fähig gewesen wäre, sie zu bändigen oder zu vertreiben. Außerdem würden sie ja nach Ablauf des Friedens wohl erneut gebraucht werden. Glücklicherweise riefen der deutsche Kaiser Friedrich III. und sein Vetter, der Herzog von Österreich, die durch einen Freundschaftsvertrag an den französischen König gekettet waren, in diesem Augenblick um Hilfe gegen die verwegenen Schweizer. Weil die Habsburger mit ihnen nicht fertig wurden, stimmte nun die Regierung Charles VII. der Entsendung einer Armee zu, die Unterstützung leisten sollte. Angelockt von der Aussicht auf Beute wurden die Söldner Frankreichs, die zu Tausenden voller Blutdurst und Disziplinlosigkeit waren, unter den besten Anführern jener Tage marschbereit gemacht und nach Osten in Bewegung gesetzt, weg vom leidvollen Königreich Frankreich, gegen die Schweizer und was sich ihnen sonst in den Weg stellen mochte. Die Deutschen versprachen eifrig, ihre Bundesgenossen zu versorgen und einzuquartieren. Der Rattenfänger, der es fertiggebracht hatte, sich auswählen zu lassen, die Ratten wegzulocken, war der Dauphin Louis. Der Erbe übernahm eine ebenso zweideutige wie gefahrvolle Mission.



    Louis schlug sein Hauptquartier im Elsass aus (das böse unter den Übergriffen seines Heerwurms litt) und marschierte von dort gegen die Schweizer. Im August 1444 kam es zur entscheidenden Schlacht: Die Anzahl der 15.000 professionellen Söldner übertraf die der 2.500 Schweizer Infanteristen bei weitem. Der Sieg war tatsächlich bei Louis, aber das Ergebnis der Schlacht war trotzdem eine Sensation, über die man in ganz Europa staunte: Diese wenigen Schweizer hatten buchstäblich bis zum letzten Mann gekämpft und mindestens 4.000 ihrer Gegner mit in den Tod gerissen.



    Donnerwetter, muss sich der Dauphin gedacht haben, auch er zutiefst beeindruckt von den militärischen Fähigkeiten und dem Todesmut der Schweizer. Er fällte persönlich einen Entschluss: Diese tapferen Schweizer muss ich zu meinen Freunden machen! Trotz fortgesetzter Kämpfe führte er mit seinen Gegnern Verhandlungen, und die führten am 28. Oktober 1444 zum Erfolg: Louis ratifizierte einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Schweizern.

    Danach hielt es Louis in den Schrecken der marodierenden Söldner im Elsass nicht länger aus, er ritt im Januar 1445 nach Nancy, der Hauptstadt Lothringens. Am Hof des Königs René war es angenehmer, es gab Turniere, Tanz, Bankette und Spaziergänge. René wurde „der gute König“ genannt, er war das 35jährige Oberhaupt des Hauses Anjou. Sich selbst nannte er König von Neapel, er hatte es aber kläglich versäumt, dem Titel auch Inhalt zu verleihen, und dem Herzog von Burgund schuldete René noch ein enormes Lösegeld. Nun, René umgab sich lieber mit Gleichgesinnten, die sich vorzüglich auf Zeitvertreib verstanden. Sein hitziger Sohn Johann, Herzog von Kalabrien, verfügte über sämtliche Führereigenschaften, ausgenommen das richtige Gefühl dafür. Seine 16jährige Tochter Margarete, schön und gebildet, stand eben am Beginn ihres aufwühlenden und tragischen Schicksals als Gemahlin Henrys VI. von England. Als im Februar 1445 der Herzog von Suffolk mit einem ganzen Gefolge von Herren eintraf, um Margarete von Anjou nach England zu geleiten, überschlug sich der Hof mit fürstlichen Festen und Turnieren.

    Hoch über dieser ritterlichen Gesellschaft thronte König Charles VII., in seiner Nähe sah man nun eine wunderschöne junge Dame namens Agnes Sorel. Sie war eigentlich schon seit 1443 seine Mätresse und hatte Charles auch schon eine Tochter geboren, bekannt wurde ihr Gesicht aber erst jetzt. Agnes Sorel war übrigens die erste Mätresse, mit der sich ein französischer König offiziell schmückte – Beginn einer langen Tradition. Die junge Frau war angenehm im Umgang, gebildet und übte guten Einfluss auf den König aus. Auf der anderen Seite umgab sich Charles VII. mit dem tapferen Soldaten Pierre de Breze, ein Mann von feiner Lebensart, reich ausgestattet mit menschlichen Tugenden. Dann gab es da noch den mächtigen Kaufmann Jaques Couer, der das Amt des königlichen Schatzmeisters bekleidete (er war mit Handelsgesellschaften in den Orient reich geworden).

    Vor dem farbigen Hintergrund dieses Hofes machte der Dauphin Louis eine düstere Figur. Der Prinz der Heerlager und Beratungszimmer war für diese Zeit oder diesen Ort nicht geschaffen. Am Leben und Treiben der Turniere und Bankette beteiligte er sich nicht. Neidisch beobachtete Louis, wie sein Vater großzügige Geschenke an Leute wie Sorel und Breze verteilte, während er selber kurz gehalten wurde. Der Thronfolger hatte keinen Sous in der Tasche, um seine Schulden zu bezahlen. Aber es half nichts, er musste gute Miene zum bösen Spiel machen.

    Einige Monate lang hatte Louis den Auftrag, einige (ergebnislose) Verhandlungen in Burgund zu führen. Während des heißen August 1445 machten sich Louis und seine schottische Gemahlin bereit zur Abreise, da wurde die zarte Frau krank. Sie hatte sich nach einer Tagesreise (eine Wallfahrt) unvorsichtigerweise der meisten ihrer Kleider entledigt gehabt, um die Kühle in ihrem steinernen Gemach zu genießen. Am nächsten Morgen fieberte sie und wurde von Husten gequält, es war eine Lungenentzündung. Am 16. August 1445 starb sie, ein verstörender Schicksalsschlag für den Dauphin.

    Von da an verschwand Louis jahrelang quasi von der großen Bühne, er stürzte sich in seiner Grafschaft Dauphiné in die Arbeit. Lediglich im Dezember 1446 weilte er noch einmal am Hof seines verhassten Vaters. Der Anlass für das Treffen war, dass Charles VII. noch einmal Vater wurde: Am 28. Dezember schenkte die Königin einem Knaben das Leben, der den Namen seines Vaters erhielt. Es gab nun neben Louis einen weiteren möglichen Thronerben. Am 1. Januar 1447 brach Louis zurück in seine Dauphiné auf. Jetzt war es noch ein neuer Rückzug des inzwischen 23jährigen. Er sah seinen Vater nie wieder, obwohl der König noch fünfzehn Jahre regieren würde. Die rückständige Dauphiné war eine Art Exil für Louis, hier machte er sich mit seinem Hang zur Hang zur Detailarbeit an das Flottmachen seiner Grafschaft. Und das gelang ihm, er arrangierte sich geschickt mit den lokalen Adeligen und Bischöfen und ordnete erfolgreich die Verwaltung und die Wirtschaft der Grafschaft.

    Im Jahre 1450 hatte Louis seine Verwaltung fest verankert, und die Dauphiné hörte auf, alle seine Kräfte in Anspruch zu nehmen. Ruhelos streckte er seine Hand nach den sich dauernd verändernden politischen Kombinationen in Italien aus. Gespannt beobachtete er aus der Ferne die Intrigen am französischen Hof. Überall setzte Louis seine Agenten ein, um sich stets in die Pläne und Gedanken der anderen Mächtigen hineinversetzen zu können. Er wusste, dass viele am Hof seines Vaters ein Interesse daran hatten, dass dessen Verhältnis zu ihm getrübt blieb. Gerüchte über einen neuerlichen Verrat des Dauphin wurden in Paris gestreut und bereitwillig von Charles VII. aufgenommen. Louis musste sich sorgen, dass sein Vater ihn mittels einer Invasion entmachten könnte. Immerhin hatte es Charles VII. im Jahr zuvor geschafft, die Engländer aus der Normandie zu vertreiben (den Waffenstillstand hatten die Engländer 1449 törichterweise gebrochen). Henry VI. war nur noch ein jämmerlicher Flecken Land in Frankreich geblieben, nämlich Calais, und England versank nach dieser Schmach in den Wirren des Bürgerkriegs.



    Charles VII. dagegen galt jetzt als „der Siegreiche“. Der König selbst gab sich immer leidenschaftlicher den Vergnügungen hin. Die Mätresse Agnes Sorel starb 1450 und wurde durch Antoinette de Maignelais ersetzt. Genauer gesagt, umgab sich der König mit einer ganzen Schar von Geliebten, während Schatzmeister Coeur die tatsächliche Regierung ausübte. Louis wurde von seinem Vater angeklagt, „sich in die Geschäfte von Jaques Coeur zu mischen“, eine deutliche Warnung (an beide).

    Der Dauphin seinerseits hatte die Dinge beschleunigt, indem er die Einwilligung des Königs zu einer Heirat erbat. Louis wollte eine Tochter des benachbarten und verbündeten Savoyen ehelichen. Immerhin war er schon 27 Jahre alt, ohne Weib und ohne Nachkommen, es wurde also Zeit. Der Erbe des Königreichs Frankreich musste schließlich für die Dynastie sorgen. Doch Charles VII. ignorierte das Ansinnen seines Sohnes, befand die Verbindung für unangemessen. Louis entschied sich, die Hochzeit trotzdem durchzuführen, was auch am 9. März 1451 geschah. Der König war erbost über das eigenmächtige Verhalten seines Sohnes und entledigte sich zunächst des einflussreichen Schatzmeisters Coeur: Der wurde eingekerkert, der Majestätsbeleidigung angeklagt und enteignet. Coeur konnte zum Papst fliehen (er starb 1456 als Befehlshaber gegen eine türkische Flotte).
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #452
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    Nachdem der Coeur entfernt war, ging König Charles VII. langsam und in aller Ruhe gegen seinen Sohn vor, der es gewagt hatte, nach eigenem Belieben zu heiraten. Er entzog ihm 1452 seine Bezüge sowie, nachdem Louis gegen diese Maßnahme protestiert hatte, auch seine Ländereien in der Dauphiné. Auf Savoyen übte der König Druck aus, sich von Louis zu distanzieren. Zum Nachdruck setzte Charles VII. ein Heer in Richtung Savoyen in Bewegung – Louis erkannte, dass es auf seinem Weg dorthin sehr wohl auch ihn wegfegen konnte. Doch trotz der drohenden Invasion weigerte sich Louis, sich von seinen „üblen Ratgebern“ zu trennen und in Paris zu erscheinen, wie es der König von ihm forderte. Eine Schonfrist erlangte Louis noch, weil er mit Erlaubnis seines Vaters dem Lothringer René bei einem (erfolglosen) Feldzug Richtung Genua helfen durfte, der René auf den Thron von Neapel bringen sollte. Das Vorhaben war illusorisch, offenbar wollte sich Charles VII. in der Zwischenzeit noch einmal in Ruhe um die englischen Aktivitäten in Aquitanien kümmern. Nachdem er die Engländer dort 1454 in die Flucht geschlagen hatte, beschäftigte er sich wieder mit seinem Sohn.

    Ende 1455 war es dann soweit, Charles VII. zog mit Heeresmacht gegen die Dauphiné. Es blieb nicht mehr viel Zeit übrig für Verhandlungen. Louis hatte militärisch keine Chance, er stand praktisch alleine gegen seinen Vater. Vor Ort ausharren schien zwecklos und gefährlich. Also unterwerfen oder flüchten. Louis entschied sich für letzteres: Er verkündete, dem Aufruf des Papstes zu einem Kreuzzug zu folgen und schickte Anfang 1456 einen Mönch mit dieser Nachricht zu seinem Vater. Zurück kam weder eine Antwort noch ein Mönch. Statt dessen überschritt die französische Armee die Grenze zur Dauphiné. Louis packte im August seine Sachen und haute ab – nach Burgund, zu seinem Onkel, dem Herzog Philipp dem Guten. Offiziell gab sich Louis als Kreuzfahrer, der sich wegen dieser Unternehmung am Hofe des großartigen Philipp einfand. In Wahrheit war der Dauphin ein landloser Flüchtling auf der Suche nach einem starken Beschützer.

    Den fand er in dem Herzog Philippe III. von Burgund. Der Herzog, damals fast 60 Jahre alt, war ein gelassener Mann, der nur selten wütend wurde, nämlich dann, wenn ihm etwas in die Quere kam. Aber Philippe III. kam selten etwas in die Quere, gewöhnlich war er höflich gegenüber allen, seiner Größe sicher. Seine liebenswürdige Art hatte ihm den Beinamen „der gute Herzog“ eingebracht. Sein Gang, sein Aussehen, sein Auftreten verkündeten: Ich bin ein Fürst.



    Die Besitzungen und Herrschaften des Herzogs von Burgund erstreckten sich von der Nordsee bis zur Mosel. Als Graf von Flandern und Artois sowie als Herzog von Burgund gehörte er zu den Großen Frankreichs. Aus eigenem Recht herrschte er über die Niederlande, Luxemburg und die Grafschaft Burgund (Franche Comté). Im richtigen Augenblick hatte er 1435 das englische Bündnis aufgekündigt, um Frieden mit Frankreich zu schließen und für sich die Provinz Picardie zu gewinnen. Geduldig hatte er daran gearbeitet, seine zerteilten Besitzungen zu einem vereinigten Staatswesen zusammenzuschweißen. Er unterhielt kein stehendes Heer, besteuerte sein Volk mit milder Hand und lange Friedensjahre waren der Wohlfahrt seiner Länder förderlich. In den großen Handels- und Industriestädten Flanderns verwandelten Tausende von Handwerkern englische Wolle in Tuch, das in alle Teile Europas ausgeführt wurde. Burgund war deshalb immens reich und ein Zentrum höfischer Kultur.

    Jetzt aber, im Jahre 1458, als sich der Dauphin in Burgund vor seinem königlichen Vater verkrochen hatte, gab es Spannungen zwischen Frankreich und Burgund, Meldungen über französische Truppenbewegungen an der Grenze sorgten für Unruhe. Doch der Tod trieb sein launisches Spiel mit dem König und dem Herzog. Louis erfuhr, dass eine Krankheit seinen Vater befallen und ihn mit einem eiternden Bein und geschwächt zurückgelassen hatte. Dann zog sich Herzog Philippe ein ernstes Fieber zu. Der Dauphin bangte um die Gesundheit seines Beschützers, und vor allem um seine unsichere Lage. Er nahm Kontakt auf zum burgundischen Erben Charles dem Kühnen. Der war von einem anderen Schlag als der Vater, Charles war leicht in Wallung zu bringen – was seine Umgebung mit dessen sexueller Enthaltsamkeit erklärte – und extrem auf seinen sozialen Rang bedacht. Jedenfalls lernten sich die beiden späteren Rivalen in dieser Zeit persönlich kennen, und sie waren ziemlich unterschiedliche Persönlichkeiten. In der Tat war die Anwesenheit des Dauphin in Burgund nicht mehr sonderlich gewünscht, man beobachtete misstrauisch jeden Schritt dieses wichtigen Gastes. Louis verstand, dass er sich unauffällig abseits des Hofes halten musste, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

    Von seinem abgelegen Anwesen in Burgund aus beobachtete Louis die politischen Entwicklungen. In England ging es bei den Rosenkriegen rund: In einer wütenden Schlacht hatten Edward von York und der Königsmacher Warwick das Heer der Lancaster besiegt und Henry VI. nach Schottland in die Flucht geschlagen. Am interessantesten war die Nachricht vom Hof in Paris: König Charles VII. war bei schlechter Gesundheit, die Astrologen sagten voraus, dass nur ein Wunder den König über den Monat August 1461 hinaus am Leben erhalten könne. Nach außen hin zeigte sich Louis tief bekümmert und befahl, für die Gesundheit des Königs zu beten. Seinen engsten Vertrauten gab er aber zu verstehen, man solle schon mal die Koffer packen, und dass sie bald mit Ämtern rechnen könnten. Louis wollte so bald wie möglich in Reims die französische Krone empfangen, sobald sein Vater das Zeitliche gesegnet haben würde. Der Tod des Königs ereignete sich am 25. Juli 1461, jetzt war Louis der Allerchristlichste König Frankreichs - Louis XI. von Frankreich.



    Als König konnte Louis endlich sein Regierungsgeschick unter Beweis stellen, das er während seiner Zeit in der Dauphiné bereits geschult hatte. Als Berater fungierten seine Vertrauten der bisherigen Jahre, an ihnen hielt er unbedingt fest. Es handelte sich um Männer ohne Rang, aber mit vielversprechenden Talenten, was bei den Adeligen für einigen Unmut sorgte. Wusste denn der König nicht, dass ein großartiger Stammbaum großartige Männer hervorbrachte? Stattdessen umgab er sich mit Emporkömmlingen! Mehr noch: Louis XI. durchforstete die Bürokratie der königlichen Regierung, strich so manchem adeligen Beamten die Position und verlangte von dem verbleibenden Personal mehr Effizienz. Er selbst ging da mit gutem Beispiel voran: Wenn es um die Verwaltungsarbeit ging, schonte sich der König nicht, dazu war er ein Verfechter der Sparsamkeit, sein Haushalt war regelrecht bescheiden, fast schäbig. Seine Tage bestanden aus Arbeiten, Jagen und Reisen. In alle Himmelsrichtungen schickte er seine Botschafter und Spitzel aus, denn er wollte über alle relevanten Vorgänge in und außerhalb Frankreichs Bescheid wissen.



    Wenn es einen Monarchen gibt, dem in EU4 die Eigenschaft „Netzwerker +20% Spionage“ zusteht, dann ist es Louis XI. Alles in allem rüttelte er die Institutionen der Krone auf, auch die Armee wurde umgestaltet. Das Militär erhielt neue Befehlshaber und Befehle bezüglich seiner Unterbringung, Aufgaben und Disziplin. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass die französischen Magnaten an Einfluss verloren. Louis wollte sie nicht länger an den Schalthebeln der Macht sehen.
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  3. #453
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    Außenpolitisch fiel sein Blick zunächst auf Aragon, Mailand und England. In Aragon boten die inneren Unruhen die Gelegenheit zum Profit, Louis hatte es auf die Provinz Roussillon abgesehen, die die französische Grenze an den Pyrenäen prima abrunden würde. Hauptsache kein Bordergore.



    Zunächst verhandelte Frankreich mit den aufrührerischen Katalonen Barcelonas, aber als die wenig Neigung zur Zusammenarbeit zeigten, sprach Louis den bedrängten König Johann II. an, ob man nicht ins Geschäft kommen könne. Johann brauchte dringend Truppen, um die Katalanen zu besiegen. Kein Problem, meinte Louis, für 200.000 Kronen konnte Johann genügend Söldner erhalten. Das Geld konnte Aragon nicht mal eben aufbringen, das wusste Louis XI. natürlich auch. Aber er hatte sogleich eine Lösung parat, wie der Kredit abgesichert werden könnte – durch die Verpfändung der Grafschaft Roussillon an Frankreich. Das brachte den König von Kastilien auf die Barrikaden, aber den schmeichelte Louis gekonnt ein: Der kastilische König Enrique IV. sei doch der Schiedsrichter der iberischen Halbinsel schlechthin, er sei der einzig richtige, im Streit der Katalanen mit dem König von Aragon zu schlichten. Im Licht der Ergebnisse betrachtet, konnte von einem Schiedsspruch Enriques keine Rede sein, denn er griff lediglich bei einigen zwischen Kastilien und Aragon umstrittenen Grenzländereien zu. Auch dies hatte Louis gezielt herbeigeführt. Spätestens jetzt (1463) hatte er den ungefährdeten Zugriff auf Roussillon. Dieser diplomatische Triumph ließ einen Schauer von Bewunderung und Furcht durch die Höfe von Europa wehen. Es wäre ein nettes Feature für EU4, wenn man alleine durch Kredite, sondern auch durch die Verpfändung von Provinzen an Geld käme. Die Einnahmen aus der Provinz flössen an den Gläubiger, bis die Kreditlaufzeit endet. Kann der Kredit dann nicht zurückgezahlt werden, fiele die Provinz ganz an den Gläubiger. Würde nette Möglichkeiten eröffnen, als Gläubiger den Schuldner daran zu hindern, zum Stichtag über die nötigen Gelder zu verfügen.

    Dann die Politik Frankreichs mit Mailand. Louis XI. schätzte den dortigen Machthaber Francesco Sforza für seine Staatskunst und seine militärischen Fähigkeiten. Anlass für die Gespräche mit Mailand war unter anderem, dass Louis es für opportun hielt, das französische Haus der Anjou in seinem Anspruch auf Neapel zu unterstützen. Die Sache war innerhalb Frankreichs populär, und Louis konnte den Adel ja nicht in allen Belangen vor den Kopf stoßen. Die Anjou waren ständig knapp bei Kasse und mit einer ausgesprochenen Begabung für Fehlschläge ausgestattet, warum also nicht ihre Ambitionen nach außen lenken? Wer aber nach Neapel gelangen wollte, musste an Mailand vorbei. Den Sforza machte sich Louis gewogen, indem er ihn mit Genua belehnte. Sforza und vor allem dessen Gesandter am französischen Hof wurden zu geschätzten Gesprächspartnern des Königs.

    Dynastisch band Louis XI. sein Frankreich zum einen an die Provence des guten Königs René. Zu dessen Gebieten gehörten die Grafschaften Anjou, Maine, Lothringen, Bar sowie Provence. Die Eheverträge sahen vor, dass die Ländereien beim kinderlosen Tod des provencalischen Herrschers an die französische Krone zurückgehen sollten – was später dann auch geschehen sollte. Eine Eigenart von EU4 habe ich übrigens nicht klären können, nämlich warum der Herrscher der Provence in den ersten Jahrzehnten einer Partie so häufig vom Papst exkommuniziert wird (im folgenden Bild rechts unten). Ich habe bei René I. sowie den anderen Herrschern der Provence und Lothringens dazu nichts finden können.



    Die zweite dynastische Verbindung Frankreichs existierte zur Zeit von Louis' XI. Regierungsantritt bereits, es war seine eigene Ehe mit der Tochter des Herzogs Ludovico (Ludwig) von Savoyen. Ludovico hatte die Herrschaft 1434 vorzeitig von seinem Vater Amadeus VIII. übertragen bekommen, weil dieser sich ganz der Religion widmen wollte. Amadeus wurde 1439 tatsächlich zum Gegenpapst Felix V. Er kommt im Spiel aber nicht vor, obwohl er zehn Jahre lang bis zu seinem (mit Geld versüßten) Rücktritt 1449 in Genf, Lausanne und Basel residierte und immerhin von Aragon, Ungarn, Bayern und der Schweiz anerkannt worden war. Allerdings war er auch der letzte historische Gegenpapst in der römischen Kirche, verständlicherweise lohnt es sich nicht für EU4, für die paar Jahre noch einen Gegenpapst ins Spiel einzubauen. Ludovico, der Sohn, der Savoyen also erhielt, war mit Anne de Lusignan vom zypriotischen Königshaus verheiratet. Erinnert sich noch wer an den Namen? Das war der Bösewicht aus „Königreich der Himmel“, der im Kapitel zu Richard Löwenherz und Saladin schließlich seinen Platz auf Zypern gefunden hatte. Herzog Ludovico von Savoyen erwarb übrigens das berühmte Turiner Grabtuch, das darauf mehr als fünfhundert Jahre bis 1983 im Besitz des Hauses Savoyen verbleiben sollte.



    Was England anging, begnügte sich Louis damit, ein englisches Bündnis mit Burgund zu vereiteln. Keinesfalls durfte hier die Konstellation entstehen, wie sie Frankreich in den 1420ern an den Abgrund geführt hatte. Das bedeutete, dass Louis im englischen Bürgerkrieg zwar die York unterstützte, aber nur soweit, dass die Situation in England unbeständig blieb. Das war die wohl beste Garantie, dass die Engländer sich mit sich selber beschäftigten und auf der Insel blieben. Burgund war da schwieriger zu zähmen, Louis verpfändete dem Herzog Philippe die Picardie zu der Summe von 400.000 Kronen, die Frankreich eh nicht würde aufbringen können.



    Mit England wollte Louis deshalb so sehr einen tragfähigen Frieden, damit er innerhalb Frankreichs den Adel unter Kontrolle halten konnte. „Er braucht den Frieden mit England, so dass er, so hofft er, davon loskommen könne, sich den Baronen seines Königreiches unterwerfen zu müssen. Mit dem Herzog von Mailand auf der einen Seite und Warwick (dem englischen Königsmacher) auf der anderen kann er mit den Fürsten nach Belieben verfahren.“, formulierte der Mailänder Botschafter.

    Der Adel war auch nicht auf den Kopf gefallen und fand einen eigenen Hebel, um den König unter Druck zu setzen: Herzog Franz II. von Bretagne. Ursprünglich ging es darum, dass Louis XI. den stolzen Bretonen vorschreiben wollte, mit welchen Personen vakante Bischofssitze besetzt werden sollten oder wie mit den kirchlichen Pfründen aus diesen Bistümern verfahren werden sollte. Der französische Adel bestärkte nun Franz II. in seinem Streben, sich unabhängiger von der Bevormundung aus Paris zu machen. Der Spaß hörte bereits da auf, als die Bretagne die diplomatischen Fühler nach England ausstreckte und seine Truppen auf einen Konflikt mit Frankreich vorbereitete.



    Louis ließ Franz zur Rede stellen: Was das denn solle, vor allem die Konspiration mit den Engländern? Franz II. antwortete mit dem Streuen des Gerüchtes, der französische König habe den Engländern die Guyenne versprochen, wenn die ihm bei der Niederschlagung des französischen Adels helfen. Ein gezielt ausgewählter Empfänger dieses Vorwurfs war auch des Königs 17jähriger Bruder Charles de Valois, Herzog von Berry und erster in der Thronfolge, ein schwacher und oberflächlicher Mann. Louis beeilte sich, die bretonische Beschuldigung zu dementieren, aber der Adel hatte eine bequeme Entschuldigung, ihre Reihen enger zu schließen. Lief hier also nicht so gut für den König.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  4. #454
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Provence wird so häufig exkommuniziert in Folge der häufigen Rivalität zwischen Provence und dem Vatikanstaat.
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Make Byzantium even greater!
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
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  5. #455
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    Und ich kram' schon in den Büchern und in der Wiki. Auf die Idee bin ich nicht gekommen.

    ...

    Dann aber wechselte die Situation in England unvermittelt. Auf dem Thron saß inzwischen der York Edward IV., und der verursachte einen handfesten Skandal – er heiratete heimlich, „aus Liebe“, eine englische Lady aus der Familie Woodville. Deren Sippschaft wurde in der Folge mit lukrativen Pöstchen und dergleichen versorgt. Der Königsmacher Earl of Warwick, der Edward auf den Thron verholfen hatte, war blamiert, denn er hatte im Ausland nach einer politisch wertvollen Braut Ausschau gehalten. Nichts wurde es also mit einer Ehe zwischen England und Frankreich, Louis XI. musste mit ansehen, wie seine Widersacher in der Bretagne, in Frankreich und Burgund dadurch Auftrieb erhielten. Die Lage war so angespannt, dass Louis die Verteidigungsanlagen in der Normandie in Gefechtsbereitschaft bringen ließ. Er befürchtete, einen Krieg gegen drei Gegner führen zu müssen.



    Weil die Berichte der Diplomaten aus dem Ausland wenig ermutigend waren, berief der König eine Konferenz seiner Magnaten ein. Es war ein bitterkalter Dezember, so frostig, dass an einem Tage selbst Brot und Wein auf dem Tisch gefroren sein, so hieß es. Frostig war auch die Stimmung in der Versammlung. Louis' Kanzler richtete einen heftigen verbalen Angriff gegen den Herzog der Bretagne, den er der Missachtung von Rechten des Königs, der Beleidigung des Königs und der Aufnahme verräterischer Beziehungen mit den Engländern bezichtigte. Als Louis XI. das Wort ergriff, war er im Ton gemäßigter, in der Sache aber hart. Er erinnerte die Fürsten daran, was alles er in seiner bisherigen Regierung bereits erreicht habe (z.B. die Sache mit Roussillon) und brachte es dann über sich, eine Lobrede auf seine Fürsten zu halten. Diese seien von den Worten ihres Königs so ergriffen gewesen, dass ein jeder von ihnen geweint habe. Nun, das dürften die üblichen hohen Worte eines Schreibers sein. Natürlich schworen sie dem König artig ihre unbedingte Treue, bevor sie wieder abreisten. Zunächst sah es so aus, als habe Louis die Situation zu seinen Gunsten drehen können, als Franz II. sich mit versöhnlichen Tönen aus der Bretagne meldete. Dann aber verschwand der Herzog von Berry, Louis' Bruder Charles, von der Bildfläche. Er habe sich zum Jagen verabschiedet, sagte man – aber klar doch, sicher. Der König war direkt alarmiert, denn er hatte sich zuvor mit Charles über dessen Forderung nach einer höheren Apanage gestritten. Angestrengt versuchte Louis XI. zu erraten, wohin sein Bruder geflohen sein könnte und was sein Weggang wohl bedeutete.

    Die Fürsten hatten sich gegen ihren Souverän erhoben.

    Der König von Frankreich verwandelte seine Hofhaltung rasch in ein militärisches Hauptquartier und spannte jeden Nerv an, um dem Umfang der Rebellion auf die Spur zu kommen, ein Heer zusammenzubringen und das Königreich an seine Sache zu binden. Boten überbrachten den „guten Städten“ Ermahnungen, streng auf der Hut zu sein und alle Vorschläge der aufrührerischen Herren zurückzuweisen, die seinen naiven Bruder verführt hätten. Die Fürsten schlossen sich zur „Liga für das Allgemeinwohl“ zusammen, mit dabei waren verschiedene französische Herzöge, Franz II. von Bretagne sowie Louis' Bruder Charles, der wohl als Alternative für den Thron gedacht war. England, so schätzte es der König ein, war wegen der Reibereien zwischen Edward IV. und seinem Königsmacher Warwick wohl nicht mit von der Partie. Bei Burgund war er sich nicht sicher, welche Haltung es einnehmen würde: Philippe III. traute er es nicht zu, aber der war schon ziemlich krank. Charles der Kühne, der Erbe von Burgund, wäre bei der Liga dagegen vermutlich dabei, sobald er an die Regierung käme.

    Louis XI. behielt genau recht mit seiner Einschätzung. Schon bald zog das Heer der aufrührerischen Liga vor Paris, auch Charles von Burgund war mit seinen Truppen dabei. Der König war nicht alleine, er wurde von den Herren von Mailand, Lüttich und Foix unterstützt. Am 16. Juli 1465 kam es bei Montihery zur entscheidenden Schlacht, die jedoch nichts entschied, sie endete unentschieden, nachdem es für beide Seiten zeitweise nach einem Sieg ausgesehen hatte. Beide Parteien beanspruchten anschließend für sich, in Montihery die Oberhand behalten zu haben.Trotzdem war Louis XI. gezwungen, Ende 1465 einen Frieden mit der Liga zu schließen, er trat verschiedene Ländereien, Städte, Burgen bzw. Titel an die Aufrührer ab. So erhielt Burgund einige Städte an der Somme zurück, Franz II. bekam Montfort und Etampes sowie die begehrte kirchliche Jurisdikation, der Bruder des Königs wurde zum Herzog der Normandie ernannt. Dafür war eine drohende Absetzung des Königs vom Tisch, zudem setzte er die Bildung einer Kommission zur Beseitigung von „Missständen in der Verwaltung“ durch. Die Bedingungen, die Louis XI. dagegen auferlegt wurden, beachtete er nach einiger Zeit nicht mehr. Das Verhandlungsergebnis war eine Schwächung für das Königtum. Taktisch geschickt hatte Louis XI. die Vereinbarungen aber durch die Abschlüsse von Separatfrieden erreicht, was unter den Fürsten der Liga für einiges Misstrauen innerhalb ihrer Reihen sorgte. Der König hatte in den Reihen seiner Gegner also zumindest Zwietracht säen können.

    Zum Beispiel sah sich der Herzog der Bretagne als Nutznießer der Einkünfte der Normandie, obwohl dort nun Brüderchen Charles den Herzogstitel hielt. Der König unternahm nichts, um Franz von seiner Ansicht abzubringen. Der perfide Plan des Königs ging auf, bald knallte es zwischen Franz II. und Charles de Valois, beide ließen zu den Waffen greifen. Jetzt strömten von beiden Kontrahenten Botschaften zu Louis XI. nach Orleans: Um sich an Charles zu rächen, war Franz II. bereit, dem König die Stadt Caen zu übergeben sowie die anderen normannischen Plätze, die er derzeit besetzt hielt. Charles' Mitteilungen klangen derart chaotisch, dass sie der König mühelos als Bereitschaft seines Bruders zum Verzicht auf sein Herzogtum auslegen konnte. Louis XI. nahm die Einladung zur Intervention gerne an und ließ die Normandie durch königliche Truppen besetzen.



    Charles blieb nichts anderes übrig, als die Flucht in Exil anzutreten – und zwar ausgerechnet zu Franz II. von Bretagne, mit dem er sich wieder versöhnte. Was soll man sagen, der König hatte die Normandie dank seiner Intrige wieder einsacken können. Diese Vorgänge sind besser in CK2 darstellbar, in EU4 entspricht das am ehesten dem Auftauchen einer adeligen Rebellenarmee, die 25% Autonomie für ihre Provinzen einfordern.

    Ein Jahr lang, vom Frühjahr 1466 bis zum Frühjahr 1467, hielt sich Louis XI. in der Gegend der Loire auf. Es war ein gewollter Rückzug, um eine Inventur seiner Verluste und Fehler zu machen. Er unternahm nur wenig, stellte dafür endlose Berechnungen an, spann ein neues Spionagenetzwerk. Offenbar benötigte der König auch Ruhe, er litt unter Erkrankungen, vor allem die Hämorrhoiden plagten ihn. Traurig für ihn war der frühe Tod seines neugeborenen Sohnes Francois, von seinen sieben Kindern sollten nur drei das Erwachsenenalter erreichen. Das waren: Anne (1461), Jeanne (1464) und Charles (1470). Erst 1470 also sollte die Thronfolge von dem illoyalen Bruder auf den leiblichen Sohn übergehen. Tochter Jeanne wurde zur Schachfigur der Innenpolitik, der König verheiratete sie mit seinem Bastardbruder Herzog Louis von Orleans (dem späteren König Louis XII.), ein fähiger und tapferer Mann, der um einiges wertvoller war als der unfähige leibliche Bruder.

    Das erste außenpolitisch wichtige Treffen, das der König nach dieser zurückgezogenen Phase abhielt, war das mit dem englischen Königsmacher Warwick in der Normandie. Der Waffenstillstand mit England lief aus und bedurfte der Verlängerung. England stand vor der Wahl, ob es politisch mit Frankreich oder mit Burgund halten sollte. Es hieß, dass der einflussreiche Warwick eher Frankreich zugeneigt war. Kein Wunder also, dass Louis XI. ihn mit allen Ehren in der Normandie empfing. Das Treffen war voller Harmonie, im Ergebnis ging es weit über den Abschluss eines gewöhnlichen Friedensvertrages hinaus: Als Gegenleistung für einen dauerhaften Waffenstillstand und einen gemeinsamen Angriff auf Burgund erhielt Edward IV. vom französischen König eine jährliche Zahlung von 13.000 Kronen, die Einkünfte aus den Niederlanden sollten geteilt werden, die englischen Kaufleute sollten Vorrechte eingeräumt bekommen, und Louis XI. versprach, völlig auf seine eigenen Kosten der Margarete von York einen passenden Bräutigam zu besorgen. Margarete war die ledige Schwester des englischen Königs, und an der war auch Herzog Charles von Burgund dran. Diese Eheverbindung musste verhindert werden. Edward IV. zögerte noch, Margarete nach Burgund zu schicken, weil Charles der Kühne nicht bereit war, im Gegenzug seine Tochter Maria für eine Eheschließung nach England zu schicken. Der Grund war einfach: Maria war das einzige Kind des Kühnen, somit die voraussichtliche Erbin des Herzogtums Burgund. Mit dem Königsmacher Warwick kam Louis XI. auch ganz vertraulich ins Plauschen: Wenn Edward IV. den mit Frankreich ausgehandelten Vertrag erst einmal ratifiziert hat und dann der Herzog von Burgund ausgeschaltet sein würde, warum sollte Warwick nicht Fürst aus eigenem Recht werden, sagen wir, Herrscher von Holland und Seeland? Warwick war von der Idee ziemlich angetan.

    Dass sich die Planungen bereits gegen die Person Charles den Kühnen richteten, hatte seine Bewandtnis. Am 15. Juni 1467 starb Herzog Philippe III. der Gute, jetzt war sein stürmischer Sohn der neue Herzog von Burgund.



    Aber schon im August 1467 musste Louis XI. erkennen, dass er zu hochfahrende Hoffnungen in Edward IV. gesetzt hatte. Der englische König setzte Warwick in dessen Funktion als Kanzler ab, erneuerte das englische Bündnis mit Burgund und schloss den Ehedeal für Margarete mit Charles dem Kühnen. England rasselte wieder mit dem Säbel, erinnerte an den Anspruch ihres Königs auf den Thron von Frankreich. Der König von Frankreich war wieder auf der Nase gelandet, prompt regte sich wieder Unruhe in der Bretagne und bei den französischen Fürsten, die mit neuerlichen Zugeständnissen beruhigt werden musste. Um England aus einem möglichen Konflikt herauszuhalten, musste es wieder einmal mit sich selbst beschäftigt werden. Warwick war so freundlich, sich im heimlichen Einvernehmen mit Frankreich im Hintergrund als Unruhestifter zu betätigen, es ging um Partisanen mit anti-burgundischer Haltung. Einen Zwischenfall zur See, bei dem vier englische Schiffe von den Dänen aufgebracht worden waren, nutzte Warwick, um seinen König in einen kostspieligen Konflikt mit Dänemark zu treiben. Um ganz sicher zu gehen, dass Edward IV. alle Hände voll zu tun hat, finanzierte Louis XI. zusätzlich Jasper Tudor, einen Halbbruder des Lancaster-Königs Henry VI., die Landung in Wales, wo der Tudor einigen Schaden anrichtete. In den Jahren 1468 und 1469 sollte der König von Frankreich wenig vom englischen König zu befürchten haben.

    Hierauf kam es infolge der Vermessenheit von Bruder Charles de Valois und Franz II. zu einem Riss im bretonisch-burgundischen Bündnis, das zu seinen Gunsten auszunutzen Louis XI. bereits alle Vorkehrungen getroffen hatte. Grollend willigte auch Burgund in eine Verlängerung des Waffenstillstands ein, Charles der Kühne hatte sowieso die wichtige und aufwendige Hochzeit mit Margarete von York vor sich. Damit war die Bretagne isoliert, und Louis XI. ließ prompt Truppen an der Grenze zum Herzogtum aufmarschieren. Franz II. und Charles de Valois konnten nicht anders, als sich dem König zu unterwerfen: Die Bretagne kündigte unter Zwang seine Bündnisse mit England und Burgund, Charles widerrief seinen Anspruch auf die Normandie. Alles wieder in Butter, der französische König zeigte sich vordergründig großmütig. Und die beiden Reue heuchelnden Herzöge schoben die Schuld von sich: Ihre Verirrungen seien ganz und gar den Machenschaften des Herzogs von Burgund zuzuschreiben. Mensch, was wurde Charles der Kühne sauer, als ihm davon berichtet wurde.

    Der Zorn des Kühnen richtete sich gegen Louis' Partner Lüttich, das sich in einem Aufstand gegen Burgund stellte, und gegen das er in den Krieg ziehen wollte – und wofür er aufgrund früherer Verträge den Beistand Frankreichs einforderte.



    Louis XI. war geneigt, sich mit dem Burgunder persönlich zu treffen, um die Sache zu klären und eine Eskalation zu verhindern. Die Berater warnten den König, sich in eine solche Gefahr zu begeben, denn war dem Herzog überhaupt zu trauen? Der König reiste trotzdem in das burgundische Peronne, wo das Gipfeltreffen stattfinden sollte. Die Warnungen, so zeigte sich, waren berechtigt. Louis wurde in Peronne von einem Spitzel mitgeteilt, dass die Sache gütlich verlaufen würde, wenn Charles der Kühne seinen Willen bekommen würde. Anderenfalls jedoch sei der König in einer großen Gefahr.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  6. #456
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    Die universelle Spinne

    Als der Herzog zum Auftakt der Gespräche die bescheidenen Räume des Königs in Peronne betrat, war sofort erkennbar, dass er sich emotional kaum unter Kontrolle hatte. Louis fragte ihn daher: „Mein Bruder, bin ich denn nicht sicher in Ihrem Haus, in Ihren Ländern?“ Der antwortete: „Mein Her, doch!“, und fügte nichtssagende Versicherungen hinzu. Nun aber brach der Herzog in bittere Vorhaltungen aus, warf dem König vor, ihn zu täuschen und die Bürger von Lüttich aufzuhetzen. Dem widersprach der König, er führe nichts dergleichen im Schilde. Prima, meinte Charles, dann würde der König ihn sicherlich nach Lüttich begleiten, um den Aufstand gemeinsam niederzuschlagen. Wenn der beschworene Frieden erst einmal beschworen sei, würde er glücklich sein, seinen Bruder nach Lüttich zu begleiten, antwortete Louis gefasst. Da war der Burgunder beruhigt und beide schworen mit der Hand auf dem Kreuz, ihre Versprechen einzuhalten. Der König war nun als „Gast“ in der Hand des burgundischen Herzogs, es ging gemeinsam nach Lüttich.

    Die Mauern der Stadt wurden mit Kanonen niedergeschossen, die Burgunder stürmten die Stadt, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die meisten Bürger hatten sich zuvor bereits abgesetzt. Nur ein paar hundert von Lüttichs Einwohnern hatten den Tod erlitten, einige weitere hundert wurden im Zuge der Plünderungen getötet oder im Fluss ertränkt. Das war dem Kühnen offenbar zu wenig der Vergeltung. Bis hierhin hatte sich Louis die Sache ohne Regung angesehen, aber dann kündigte Charles an, ganz Lüttich bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Da schritt der König protestierend ein, trotzdem ließ sich der Burgunder von seinem Zorn nicht abbringen. Spätestens jetzt wollte Louis XI. zusehen, sich von dem burgundischen Heer abzusetzen. Der Preis dafür war hoch: Der französische Teil Flandern wurde aus dem Zugriff Frankreichs gelöst, was die Unabhängigkeit Burgunds stärkte. Louis' Bruder, der noch immer im bretonischen Exil weilte, erhielt die Champagne. Erst nach Abschluss dieses Vertrages im Oktober 1468 war es dem französischen König gestattet, sich aus der burgundischen Gefangenschaft – um nichts anderes handelte es sich de facto – zu entfernen. So entkam der durchnässte Fuchs aus der Höhle des Löwen.

    Aber es entsprach nicht dem Stil des Königs, zu verlieren, ohne ein paar Blumen unter den Nesseln der Niederlage zu pflücken. Gerade in dem Augenblick, in welchem er sich vom Herzog von Burgund verabschiedete, hatte Louis mit einstudierter Gleichgültigkeit eine Frage aufgeworfen. „Wenn zufällig“, so bemerkte der König, „mein Bruder in der Bretagne mit der Apanage Champagne nicht zufrieden sein sollte, die ich aus Liebe zu Dir gebe, was wünscht, das ich dann noch tun soll?“ Charles der Kühne antwortete unbekümmert: „Wenn er sie nicht zu nehmen wünscht und Du ihn auf andere Weise zufriedenstellen kannst, dann überlasse ich das Euch beiden.“ Also dann: Zu Beginn des Jahres 1470 ließ der König die Provinz Guyenne vor der Nase seines Bruders baumeln, ein weit höherer Preis als die Champagne, aber in sicherer Entfernung zu den burgundischen Herrschaftsgebieten. Der unerfahrene Charles de Valois gab seine Zustimmung, er war wieder ein Herzog, jetzt der von Guyenne – ein vergiftetes Geschenk. Ein persönliches Treffen der Brüder wurde anberaumt, eine merkwürdige Versöhnung. Es war so sehr voller Misstrauen, dass jeder Schritt und jede Begebenheit dieses Treffens genau verabredet werden mussten. Erst dann konnten sich der König und sein Bruder herzlich in die Arme fallen und unter Tränen versöhnen. Es war halt das übliche protokollarische Theater.

    Louis XI. konnte sich den Rückschritt immerhin damit schönreden, dass er die Front seiner Gegner nicht mehr vereint gegen sich stehen hatte. Sogar die Freundschaft zum Königsmacher Warwick zahlte sich inzwischen aus, seine Wühlarbeit in England hatte Wirkung und endete in einem großen Knall. Im August 1469 hatte Warwick seine Tochter Isabel mit Edwards IV. Bruder Georg, Herzog von Clarence, verheiratet, und sich damit mit ihm gegen den englischen König verbunden. In einer Schlacht war das königliche Heer von Warwicks Truppen geschlagen worden, doch schließlich hatten Warwick und Clarence im Frühjahr 1470 – aufgrund des tatkräftigen Eingreifens von Edwards jüngerem Bruder Richard (der spätere Richard III.) - trotzdem aus England fliehen müssen. Louis XI. erwartete die beiden Aufrührer mit offenen Armen an der französischen Kanalküste.

    Der französische König hatte einen verwegenen Plan. Bei dem Treffen mit Warwick schlug er ihm vor, den schwachsinnigen Lancaster Henry VI. wieder auf den englischen Thron zu hieven. Zu diesem Zweck sollten Warwick und Margarete von Anjou, Henrys Ehefrau im französischen Exil, zusammenarbeiten. Das war eigentlich unmöglich, die beiden waren Todfeinde, seitdem Warwick Edward IV. geholfen hatte, Henry VI. zu stürzen. Margarete war knallhart und herrisch, eine Versöhnung mit Warwick lächerlich. Eines war klar: Louis XI. würde seine ganze politische Erfahrenheit benötigen, um die beiden an einen Tisch zu bringen.

    Am 30. Juni 1470 trat jenes Ereignis ein, worauf der König und alle seine treuen Franzosen schon so gespannt gewartet hatten. Königin Charlotte schenkte einem gesunden Sohn das Leben. Der Thronfolger wurde sogleich auf den Namen Charles (VIII.) getauft.



    Der jubelnde König ergriff die Gelegenheit, seine Verehrung für das Haus Lancaster zu zeigen. Edward, der Sohn von Margarete von Anjou, übernahm das Patenamt für das Kind, zumal da beide einen gemeinsamen Urgroßvater hatten, den geisteskranken Charles VI. von Frankreich. Vielleicht war es Gesten wie diese, die Margarete zum Einlenken bewegten, sie stimmte schließlich in die Heirat ihres Sohnes Edward mit der Tochter des Königsmachers Warwick ein. Unter einer Bedingung: Sie und ihr Sohn würden erst nach England kommen, wenn die Thronbesteigung von Warwick gesichert worden war. Da schwang die Sorge mit, unversehens in der Geiselhaft des einst verfeindeten Bündnispartners zu landen. Für Warwick war der Deal trotzdem gut: Er würde nach dem erfolgreichen Umsturz in England wieder der unangefochtene Königsmacher sein, seine Tochter würde Königin, und ein späterer Enkel mit seinem Blut die englische Königsdynastie fortsetzen.

    Eines wusste Louis XI. mit Gewissheit: Das Vorhaben würde entweder sehr schnell Ergebnisse zeigen, oder zu gar nichts führen. Mag sein, kalkulierte er, dass die Lancaster sich nach dem Erringen des Thrones rasch von ihrer Zusammenarbeit mit Frankreich lösen würden, um in England Punkte zu machen. Aber Warwick würde dann erneut in die Arme des französischen Königs getrieben werden. Hauptsache war, dass der Bürgerkrieg in England am Köcheln gehalten wurde, dafür war Louis gerne bereit, die Ausrüstung von Warwicks Armee zu finanzieren.

    Es stand bereits in dem Kapitel zu den englischen Rosenkriegen – die Invasion glückte, Warwick konnte Edward IV. vom Thron verjagen und Henry VI. darauf setzen. So weit, so gut. Jetzt sollte es an den zweiten, den geheimen Teil der Abmachung zwischen Louis XI. und Warwick gehen: Den gemeinsamen Einmarsch in Burgund, um Charles dem Kühnen Flandern und Holland zu entreißen, Warwick winkte hier der Lohn einer eigenen Landesherrschaft. Der Burgunder aber war nicht doof und schickte seinerseits Truppen und Geld zu Edward IV. nach England, um den Umsturz wieder rückgängig zu machen. Während sich auf dem Kontinent bereits die Heere Frankreichs und Burgunds einander näherten, ereignete sich in England die entscheidende Schlacht zwischen Edward IV. und Warwick. Die Sache stand gut für die Seite der Lancaster, als eine Attacke von Warwicks Reitern im Nebel irrtümlich die eigenen Leute niedermähte. So konnte das Heer der York doch noch den Sieg erlangen, und noch schwerwiegender: Warwick wurde auf dem Feld gestellt und getötet. Das blutige Ende des Königsmachers. Warwicks Plan, sein Blut in die königliche Dynastie zu bringen, ging übrigens auch nicht auf. Seine Tochter Isabel wurde später zur Witwe, als Clarence 1478 hingerichtet wurde. Auch ihr gemeinsamer Sohn Edward fand den Tod, er wurde 1499 im Tower enthauptet. Die andere Tochter Warwicks, Anne, die mit Henrys VI. Sohn Edmund verheiratet worden war, traf das gleiche Schicksal, als Edmund 1471 in der Schlacht von Tewkesbury fiel. Sie heiratete anschließend den Mörder ihres Mannes, den späteren Richard III., mit dem sie den gemeinsamen Sohn Edward hatte. Dieser war zwar der englische Thronfolger, der kränkliche Junge starb jedoch 1484. Die Eltern folgten ihm bald in den Tod: Anne erlag 1485 vermutlich der Tuberkulose, Richard III. wurde kurz darauf von dem Tudor Henry VII. besiegt und auf dem Schlachtfeld getötet.

    Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod des Königsmachers ereignete sich ein weiterer wichtiger Todesfall, dieses mal in Frankreich. Am 27. Mai 1472 erhielt Louis XI. die Nachricht vom Tod seines wankelmütigen Bruders Charles, der im Alter von nur 25 Jahren an der Tuberkulose starb. Das Herzogtum, das ihm der König hatte überlassen müssen, fiel wieder zurück an die Krone.



    Damit war es mit der Gefahr, dass der Adel Charles als Alternative für den französischen Thron instrumentalisieren könnten, endlich vorbei. Die Thronfolge für den kleinen Charles VIII. war ab sofort unumstritten. Louis XI. beeilte sich, militärisch und politisch die Hand auf das ledig gewordene Herzogtum Guyenne zu legen, bevor Burgund und die Bretagne ihm in die Parade fahren konnten. Genau das sollte sich nämlich ereignen, beide Herzogtümer musterten ihre Heere für einen Feldzug gegen Frankreich (womit sie gegen die vereinbarte Waffenruhe verstießen).



    Als erster marschierte Charles der Kühne mit seinen Truppen in gegnerisches Territorium, ließ die kleine Stadt Nesle stürmen. Trotz der laufenden Übergabeverhandlungen hatten die burgundischen Truppen den Angriff unternommen und die 500 Mann Garnison niedergemacht, die in einer Kirche Schutz gesucht hatten. Einem Bericht zufolge trieb der gepanzerte Herzog von Burgund sein Schlachtroß in das blutbespritzte und leichenübersäte Hauptschiff der Kirche, wo er seinen Truppen im Angesicht der zuhauf herumliegenden menschlichen Körper zurief: „Beim Heiligen Georg! Kinder, da habt ihr eine feine Schlächterei angerichtet!“ Die Nachricht hiervon ließ ganz Frankreich erschaudern. Der französische Adel schien aber mit dem Burgunder zu kooperieren, einige Städte öffneten auffällig zügig dem Feind ihre Tore. Die gesamte Lage schien für Louis XI. ins Wanken zu geraten, doch er prophezeite: „Der erste Platz, der ihm (dem Herzog von Burgund) widerstehen kann, der wird ausreichen, um ihn zugrunde zu richten.“



    Am Morgen des 27. Juni 1472 erschien die Vorhut der burgundischen Armee vor der großen Stadt Beauvais. Sie war unzureichend befestigt, ihre Garnison aber trotzdem fest zur Verteidigung entschlossen. Nach tagelangem Beschuss befahl Charles der Kühne Angriff auf Angriff gegen die Stadt, alle wurden blutig abgewiesen. Rasend vor Wut musste der Herzog die Belagerung nach einem Monat abbrechen und mit seinem Heer in Richtung Normandie weiterziehen. Frankreich hatte mit den Bürgern von Beauvais echte Helden, deren entschlossenen Einsatz der König mit einer Steuerbefreiung für die Stadt belohnte. In der Normandie sah sich die burgundische Armee in der Klemme: Die Franzosen griffen in ihrem Rücken die Picardie an, zugleich war der Weg zur Bretagne versperrt. Louis' Prophezeiung hatte sich erfüllt, Charles musste am 3. November voller Widerwillen einen halbjährigen Waffenstillstand schließen.

    Der burgundische Angriff war abgewehrt, die Bretagne derzeit nicht handlungsfähig (hier wütete zu dieser Zeit die Pest). Frankreich war fürs Erste sicher, da fiel der Schlaganfall, den König Louis erlitt, in eine günstige Phase, wenn man in diesem Zusammenhang von günstig sprechen kann. Es dauerte einige Zeit, bis er sich rechtzeitig davon erholte: Louis XI. konnte und musste sich der nächsten Gefahr zuwenden, denn in England hatte Edward IV. vom Parlament die Ermächtigung erhalten, einen langen Krieg gegen Frankreich zu führen. Natürlich war England wieder eifrig dabei, die Bretagne und Burgund für eine Koalition zu gewinnen. Da passte ein Giftanschlag, der auf den französischen König verübt wurde, ins Gesamtbild. Louis verdächtigte Burgund, dahinter zu stecken.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  7. #457
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    Die universelle Spinne

    Jetzt war endlich die Zeit gekommen, da sich Louis XI. entsann, wer ihm als wertvoller Waffenbruder beistehen könnte. Niemals hatte er die Lektion vergessen, die ihm die tapferen Schweizer im Jahre 1444 beigebracht hatten, als er die Söldner gegen Basel führte. In den ereignisreichen Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er stets schweizerische Gesandte willkommen geheißen und die Beziehungen aufrechterhalten. Er hatte die Schweizer als Freunde angesprochen, als die „prächtigen Herren aus Oberdeutschland“, und darin lag keine Ironie. Louis sah nur auf die herrschenden Machtverhältnisse und war frei von feudalen Vorurteilen. Die Unabhängigkeit der Schweizer Kantone war weder vom Habsburger Kaiser Friedrich III. anerkannt, noch von dessen schwerfälligen Vetter Sigismund, der die Länder von Tirol bis zum Elsass beherrschte, wozu damals das Gebiet der Kantone gehörte. Aber stets waren die Schweizer in den bisherigen Konflikten als Sieger hervorgegangen. Jetzt, im Jahre 1473, erteilte Louis XI. den Anfragen Sigismunds, gemeinsam gegen die Schweizer ins Feld zu ziehen, eine klare Absage, und stellte sich an die Seite der Kantone. Die Reaktion darauf war dem König wohl bewusst: Sigismund wendete sich nun an den Herzog von Burgund, dem sehr an eine Besetzung des oberrheinischen Gebietes gelegen war, um seine burgundischen Territorien endlich miteinander verbinden zu können. Der ungestüme Charles schluckte den Köder und rüstete gegen die Schweizer. Gut für Frankreich, wenn Burgund in diese Richtung abgelenkt wurde. Lothringen sah sich dadurch bedroht, und hielt es in dieser Gemengelage mit Frankreich. Nur Mailand spielte nicht so mit, wie Louis erhoffte: Der neue Herzog von Mailand kündigte voller Angst das bisherige Bündnis mit Frankreich auf und schloss lieber einen Vertrag mit Burgund.

    Das Jahr 1475 brach an, jeder in Europa erwartete, dass der bisherige Zustand des „Kalten Krieges“ bald in einen Konflikt mit scheußlichen Schlächtereien münden würde. Als der Waffenstillstand mit Burgund am 1. Mai auslief, setzte Frankreich sein Heer in Bewegung und marschierte in die Picardie ein. René II. von Lothringen übernahm den Angriff auf das burgundische Luxemburg, und die Schweizer rückten in die Freigrafschaft Burgund ein. Herzog Charles musste reagieren: Die Engländer waren noch nicht auf dem Kontinent erschienen, er selbst konnte im Reich das belagerte Neuss nicht bezwingen (dazu stand mehr im Kapitel über Friedrich III.). Burgund musste mit dem Reich einen Waffenstillstand schließen, um auf den französischen Angriff reagieren zu können. Während der zähen Verhandlungen mit dem Kaiser zeigte Charles der Kühne stolz auf seine Artillerie: „Heilige Majestät, Sie sehen diese Kanonen hier? Es sind die Schlüssel, mit denen ich die Städte des Königreiches Frankreich zu öffnen hoffe.“ Der Hofnarr des Herzogs rief dazu aus: „Heilige Majestät, lassen Sie sich doch von meinem Herrn denjenigen zeigen, mit welchem er Beauvais aufgeschlossen hat.“

    Der Krieg fing gut an für Frankreich: Das englische Heer landete zwar an der französischen Kanalküste, fand aber nur verbrannte Erde vor, weil Louis zuvor alles hatte verwüsten lassen. Die englischen Soldaten waren als gute Esser bekannt, jetzt mussten sie all ihren Proviant von der Insel herbeiführen. Und weiter im Süden waren bei einer Schlacht die Burgunder geschlagen worden, wobei Charles der Kühne seine besten Kommandeure verloren hatte. Wütend stieß der Herzog zum Heer seiner englischen Alliierten vor und tobte, wie schwach doch das Heilige Römische Reich sei. Wenn der Krieg mit Frankreich, Lothringen und der Schweiz erst einmal gewonnen sei, würde er direkt wieder zurück im Reich sein, um die Deutschen zu zerschmettern.

    Offenbar waren die Engländer von Charles weniger überzeugt, als der es von sich selber war. Edward IV. verlor schnell die Lust an der Invasion gegen Frankreich und schenkte den Gesandten des französischen Königs Gehör: Louis XI. habe stets gewünscht, mit England im Frieden zu leben. Es sei doch nur die englische Pflicht gegenüber Burgund gewesen, die Edward IV. in diesen Krieg gezogen habe. Sicher, England hatte viel Geld für diese Invasion ausgeben müssen. Aber das könne Frankreich bestimmt mit einer Zahlung heilen, wenn die beiden Reiche wieder Frieden schlössen. Man ahnt es: Edward IV. nahm das angebotene Geld – es handelte sich um 75.000 Kronen Sofortzahlung plus weitere 50.000 Kronen jährlich - und schloss einen siebenjährigen Separatfrieden mit Frankreich. Sollte Burgund doch selbst zusehen, was es aus seinem Krieg macht. Hier sieht man, wie Louis' Strategie aufging. Er mied Kriege und kümmerte sich lieber darum, sein Reich effizient zu regieren. Er spielte sozusagen tall statt wide.

    Weil das Eingreifen mailändischer Söldner wirksam von den Schweizern unterbunden wurde, blieben noch Burgund und die Bretagne als Alliierte gegen Frankreich übrig. Beide Herzöge, Franz II. und Charles der Kühne, beeilten sich, den jeweils anderen zu verraten, und schlossen im September 1475 ebenfalls einen heuchlerischen Frieden mit Frankreich. Der Herzog der Bretagne schwor, auf immer in guter Nachbarschaft zu Frankreich zu leben. Der burgundische Herzog schloss einen neunjährigen Frieden mit Louis, der in einem geheimen Zusatz versprach, der Schweiz und Lothringen nicht beizustehen, wenn Burgund mit ihnen aufräumt. Man sieht also bereits, was sich Charles der Kühne als nächsten Schritt vorgenommen hatte. Bis auf die Schweizer hatten sämtliche Kriegsbeteiligten keine Bedenken, ihre Verbündeten zu opfern.



    Einstweilen war Frankreich vom Krieg befreit, Burgund prima abgelenkt. Louis XI. amüsierte sich köstlich über die Darbietungen von einem seiner Abgesandten, der den burgundischen Herzog im Zustand der Raserei nachäffte, indem er mit dem Fuß auf den Boden stampfte, beim Heiligen Georg schwor und König Edward den Bastard eines Bogenschützen nannte. Charles erfuhr davon und reagierte darauf beleidigt und mit weiterem Zorn.



    Innerhalb Frankreichs konnte sich Louis in Ruhe um die Adeligen kümmern, die ihn während des burgundischen Vormarsches im Stich gelassen hatten. Für einige Herren wurde das sehr unangenehm.

    Auf den ersten Blick hatte Louis XI. durch den Friedensvertrag wenig gewonnen. Im Gegenteil, er hatte seine Verbündeten der burgundischen Gewalt ausgeliefert. Ende 1475 überrannte der Herzog Lothringen und errichtete in Nancy eine wichtige Basis.



    Würde er auch noch mit den Schweizern aufräumen und das unglückliche Herzogtum Savoyen besetzen, so fände sich Charles auf der Höhe der Alpenpässe mit Zugang zu Mailand - gleichsam auf dem Gipfel der Macht, zu seinen Füßen auf der einen Seite die Lombardische Krone Mailands und auf der anderen Seite das goldene Diadem deutscher Länder. Ganz alleine ließ Louis XI. die Schweizer aber nicht: Frankreich ging wieder über zum Zustand des Kalten Krieges gegen Burgund, Handelsboykott und dergleichen. Dadurch ging dem Burgunder finanziell allmählich die Luft aus, er musste ja ein teures Söldnerheer unterhalten. Charles schnauzte die flandrischen Städte an, sie sollen ihm gefälligst treu dienen (also ihre Steuern zahlen), aber die hatten keine Lust dazu. Beeinflusst von Frankreichs Einflüsterungen, wiesen sie ihren Herzog darauf hin, dass sich ihre Handelsinteressen schlecht mit seinen Kriegen vertragen würden. Das intrigante Netzwerk, das Louis XI. um Burgund legte, zeigte Wirkung.

    Charles von Burgund war nicht der Typ, sich auf das intrigante Spiel seines Rivalen einzulassen, er wollte den militärischen Befreiungsschlag gegen die Schweizer. Politisch beschränkte er sich darauf, mit Kaiser Friedrich III. einen Vertrag über die Heirat zwischen Maria von Burgund (Charles Tochter und Erbin) und Maximilian von Habsburg (Friedrichs Sohn und Erben) zu schließen. Wenn es gegen die Schweizer ging, war Habsburg durchaus gerne mit von der Partie.



    Kaiser Friedrich III. war aber nicht der Typ für politische Abenteuer, ganz und gar nicht. Jahrzehntelang verharrte er in Phlegma, aber in diesem Augenblick griff er mit beiden Händen zu: Maria von Burgund war wegen ihres bevorstehenden Erbes eine hervorragende Partie für Maximilian, die Habsburger Dynastie hatte die Chance, seine Besitzungen beträchtlich zu erweitern.

    Im Januar 1476 zog er seine Armee aus Lothringen heraus und eilte in seine südliche Grafschaft Burgund. Bern und seine Konföderierten zogen ihre Truppen im Gebirge zusammen. Westeuropa hielt den Atem an. Jedem Winterwetter zum Trotz warf Burgund seine Soldaten gegen die Provinz Waadt im Juragebirge. Die befestigte Stadt Grandson wurde in einem wütenden Sturm beschossen, bis sie sich ergab. Charles machte kurzen Prozess mit der Bevölkerung, die die Waffen gestreckt hatte. Er ließ sie im burgundischen Feldlager hinter seinem Zelt aufstellen und allesamt töten. Binnen einer Viertelstunde waren sie alle bis auf den letzten Knaben an den Bäumen aufgeknüpft. Dieses Schicksal würden alle Schweizer erleiden, grollte der Herzog. Er fühlte sich ganz wie der große Feldherr Hannibal, der in der Antike ebenfalls die Alpen überquert hatte.



    Im März 1476 war das Heer der Schweizer nah genug an das burgundische Feldlager herangekommen, um eine Schlacht zu provozieren. Voller Hochmut und Siegesgewissheit zog Charles mit seinen Söldnern den Schweizern entgegen, obwohl sein Feldlager auf den Hochplateau eine gute Verteidigungsstellung darstellte, und das Umland wenig Möglichkeiten für Manöver zuließ. Der Verteidigungsbonus von +2 im Gebirge fiel damit den Schweizern zu, aber das war Charles egal, er würde sowieso gewinnen. Da hatte er sich verkalkuliert, die Schweizer strömten gut verteilt aus den steilen Wäldern hinab auf das burgundische Heer und trieben es binnen Minuten auseinander. Als es Charles nicht gelang, seine Truppen neu zu sammeln, musste er die schändliche Flucht antreten. Nur der Mangel an Kavallerie in den Reihen der Schweizer und die reiche Beute im Feldlager der Burgunder rettete die Armee des Herzogs vor der völligen Vernichtung. Die Artillerie und der prächtige persönliche Besitz des Herzogs aber fielen den Schweizern in die Hände. Der Herzog ritt Hals über Kopf in seine Grafschaft Burgund zurück. Auf der Flucht rief sein Hofnarr mit beißendem Spott aus: „Mein Herr, wir sind heute ganz schön hannibalisiert worden!“

    Die Niederlage hatte auch politisch negative Folgen für Burgund, so mancher sah jetzt zu, sich von Charles dem Kühnen abzusetzen, zum Beispiel Mailand. Das war die Stunde des gewieften französischen Königs. Den verzagten Diplomaten aus Mailand und Lothringen sagte er: „Behaltet das Geld, das Eure Herren mir anbieten. Wenn der Herzog von Mailand bereut, dass er sich von dem Bündnis mit mir losgesagt hat, um sich mit dem Herzog von Burgund zu verbünden, dann finde ich mich damit ab, dass alles wieder so wird, wie es war.“ Hört sich freundlich an, doch konkret bedeutete das: René II. von Lothringen musste die Provence seinem kinderlosen Neffen überlassen, und sie nach dessen Tod in den Herrschaftsbereich Frankreich übergehen lassen.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  8. #458
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Diese Schweizer
    Mal wieder, einfach eine unglaubliche Story.
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Make Byzantium even greater!
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Imperium first, Bedenken second!

  9. #459
    vom Werwolf gebissen Avatar von Kampfhamster
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    Immer noch eine faszinierende, unterhaltsame, bedingungslos lesenswerte Story, in der überdurchschnittlich viel Arbeit steckt und die auch dadurch beeindruckt, dass sie ohne Pause fortgeschrieben wird. Hut ab!
    Die aktuelle Story:

    [Col2 Werewolves] Nich lang schnacken, Seesack packen!


    Die Story des Monats Juli 2010:

    Tom Driscoll und seine Gefährten begeben sich in das Testgewölbe.
    letzte Aktualisierung: 31.1.2013, 20:19 Uhr

  10. #460
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    Die universelle Spinne

    Im Kontrast zu Louis setzte Charles der Kühne jetzt noch mehr auf Gewalt, um seinen Willen durchzusetzen. Er kehrte mit seinem Heer in die Provinz Waadt zurück und marschierte auf die ummauerte Stadt Morat, unweit vom östlichen Ausläufer des Sees Morat, die die Straße nach Bern beschützte. Die Stadt wurde von einer Garnison von zweitausend Männern beschützt. Im Juni 1476 lief die Belagerung, burgundische Artillerie schoss Breschen in die Mauern, am 18. Juni befahl Charles den Sturmangriff. Aber dieses Mal wurde er blutig abgewiesen. Gleichzeitig rückte ein Heer von 18.000 Mann Fußvolk und 2.000 Reitern der Schweizer aus Bern heran. Okay, ich werde sie gebührend empfangen, entschied der Burgunder, und stellte sein Heer entsprechend auf dem Hochplateau auf, die belagerte Stadt Morat in seinem Rücken. Tagelang standen die Burgunder unter Waffen im prasselnden Regen, doch die Schweizer zeigten sich nicht. Der Herzog schloss daraus, dass die Schweizer würden verhandeln wollen. Er schickte seine Soldaten zurück ins Lager, damit sie ein Dach über dem Kopf und zu Essen haben. Nur die Artillerie blieb auf dem Hochplateau zurück, beschützt von 1.000 Fußsoldaten sowie rund 1.800 Reitern.



    Gegen Mittag des 22. Juni 1476 hörte es auf zu regnen. Etwa im gleichen Augenblick ließen die greulichen Schweizer Schlachthörner ihren Ruf auf den Höhen erschallen. Aus dem Wald heraus bewegten sich zwei furchtgebietende geschlossene Schlachtreihen von Pikenieren, dazwischen eine starke Kavallerie-Abteilung. An der Spitze von dreihundert Reitern ritt der junge Herzog René II. von Lothringen, der erst wenige Stunden zuvor den Anschluss an die Schweizer Armee gefunden hatte. König Louis XI. hatte ihm mit Geld unter die Arme gegriffen und ihm eine starke Eskorte zur Verfügung gestellt.

    Der größere Verband der Schweizer, zehntausend Mann stark, hielten auf die befestigte Stellung des Herzogs, ließen sich in ihrem Angriff selbst von dem Beschuss durch die englischen Bogenschützen und der burgundischen Artillerie abhalten. Binnen Minuten wurde der Druck der Schweizer Pikeniere und Arkebusenschützen so stark, dass die burgundische Reihe ins Wanken geriet.



    Charles der Kühne reagierte hektisch. Um ihn herum lösten sich die Reihen seiner Leute einfach auf, doch der Fluchtweg wurde ihnen versperrt – die Schweizer hatten den Weg um den See herum blockiert. Als der Herzog Hals über Kopf Richtung Lausanne davon galoppierte, schnitten die Schweizer den Burgundern, die sich noch im Lager auf den Kampf vorbereiteten, munter die Kehlen durch. Graf von Marle wurde umgehend getötet, obwohl er sich nach der Gefangennahme noch mit 25.000 Dukaten hatte freikaufen wollen. Den Rest besorgte die Kavallerie der Schweizer, sie drängte die feindlichen Soldaten in den See hinein, in dem viele ertranken. Wer nicht ins Wasser sprang, wurde abgeschlachtet. Die Hälfte der burgundischen Armee ging in dem Tumult zugrunde, Charles hatte zehntausend Söldner verloren.



    In Westeuropa war für jeden klar erkennbar, dass die Schweizer nicht zu bezwingen waren. Nur einer sah das anders, Charles der Kühne selber. Er kochte vor Zorn über die wiederholte Niederlage und suchte bei anderen die Schuld, zum Beispiel bei Savoyen und Lothringen. Den Sommer 1476 verbrachte Charles damit, noch einmal Geld aufzutreiben, um den Schweizern ein weiteres Mal die Stirn zu bieten. Nur machten die flandrischen Stände da langsam nicht mehr mit. Kümmerliche 1.100 Lanzenreiter konnte Charles zusammenkratzen, das war einfach zu wenig. Dazu war die Moral der Soldaten am Boden, und da Burgund seine fähigen Befehlshaber bereits verloren hatte, konnten die neuen Kommandeure da auch nicht mehr reißen. Sich selbst ließ der Herzog äußerlich gehen, Bart und Fingernägel wurden immer länger. Bei einem Sturz hatte sich Charles mehrere Zähne der oberen Reihe ausgeschlagen. Er sah nicht sonderlich gut aus, um es so auszudrücken. Die Ärzte ermahnten ihn, sich zu rasieren, denn ein Bart sei oft die Ursache von Melancholie. Das war eine höfliche Umschreibung für die Verzweiflungsausbrüche des Herzogs, einsame Wutanfälle wechselten sich ab mit augenblicklichem Gelächter, lachend versicherte Charles, er werde noch einmal mit einer Armee von 150.000 Mann auf der europäischen Bühne erscheinen. Die Diplomaten schrieben vertraulich ihre persönlichen Eindrücke auf, in dem burgundischen Herzog habe aus Verdruss über seine Fehler die dunkle Blume der Todessehnsucht zu sprießen begonnen.

    Es gab noch einen einsamen Versuch des Herzogs, den französischen König auf diplomatische Weise einzubinden. Ein burgundischer Gesandter überbrachte Louis XI. den Vorschlag, Burgund und Frankreich könnten doch gemeinsam Savoyen unter sich aufteilen. Der König antwortete dem Diplomaten trocken mit einer Parabel: „Es war einmal ein Löwe, der hieß seine Nachbarn, ihn auf einer großen Jagd zu begleiten, und versprach, jeden einen gehörigen Anteil an dem erlegten Wild zu gewähren. Plötzlich erhob sich der Hase und sprach: Herr, was werde ich denn gewinnen, wenn ich auf die Jagd gehe? Esse ich doch kein Fleisch! Der Löwe erwiderte: Wir werden allerlei bepelztes Getier erlegen und Dir einige Felle geben. Darauf gab der Hase zurück: Her, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, denn ich habe selbst Fell genug.“ Eine ebenso kühle wie beschämende Abfuhr.

    Für Charles den Kühnen kam es nicht in Frage, einen Rückzieher zu machen. Was für ein Kontrast zwischen ihm und Louis XI. von Frankreich: Der eine arrogant und hochfahrend, der andere äußerlich bescheiden und verschlagen. Charles konnte offenbar nicht aus seiner Haut. Waren die Voraussetzungen nach den Niederlagen noch so schlecht, er wollte die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu seinen Gunsten biegen, koste es, was es wolle. Louis XI. dagegen hatte in der Vergangenheit oft gezeigt, dass er bereit war, notfalls auch mal Kreide zu fressen – freilich ohne sein Ziel aus dem Auge zu verlieren. Der Burgunder unternahm im Herbst 1476 den finalen Feldzug, für den er noch einmal alle Gelder aufgebracht hatte, die er auftreiben konnte. Zunächst sollte Lothringen diszipliniert werden, um sich dann den Schweizern zuzuwenden. Aber schon mit Lothringen funktionierte das nicht mehr, weil der französische König René II. mit Geld fütterte, damit dieser sich militärisch wappnen konnte. Am 1. Januar 1477 näherte sich der Herzog von Lothringen Nancy mit einer Armee von zehntausend Schweizern, zahlreichen Deutschen und einer berittenen Truppe, die auch aus französischen Freiwilligen bestand. Die burgundischen Feldherrn baten ihren Herrn, sich nach Luxemburg zurückzuziehen, um Verstärkungen und Nachschub sicherzustellen, aber Charles beschimpfte sie als Feiglinge. Er trieb seine Armee auf eine Hochebene südlich von Nancy hinauf und blockierte die Straße, auf der seine Feinde heranrückten. Bei bitterer Kälte besichtigte Charles seine Streitmacht, die aus weniger als dreitausend Mann bestand. Entmutigt, ohne Sold, schlecht bewaffnet und viele Erkrankte unter ihnen. Trotzdem wollte Charles das letzte Gefecht.

    Am 9. Januar 1477 ertönte morgens lautes Klopfen gegen die Tür von König Louis' Gemach. Herein schritt der Herr de Lude mit einer Depesche vom königlichen Statthalter an der lothringischen Grenze. Am vergangenen Sonntag, dem 5. Januar 1477, hatte die Armee Renés II. die schwachen Kräfte des Herzogs von Burgund bei der ersten Kampfberührung vernichtend geschlagen, die fliehenden Burgunder zu Hunderten getötet sowie hohe Herren gefangen genommen. Vom Herzog selbst freilich lagen noch keine Nachrichten vor. Gut gelaunt lud der König seine Ratgeber und einige Fürsten zu einem gemeinsamen Mahl ein, bei dem sich der König voller Frohlocken ausführlich mehr von der Schlacht erzählen ließ. Die anwesenden Fürsten zeigten wenig Appetit angesichts der Schilderungen: Für unerschütterlich gehaltene Staaten gingen zugrunde. Wer konnte sich wohl noch sicher wähnen, wenn ein so großer Körper am feudalen Firmament wie der Herzog von Burgund zerstört werden konnte? Und wozu konnte ihr undurchschaubarer Souverän noch fähig sein, nachdem er das einzige Hindernis seines Willens beiseite geschoben hatte? Im Augenblick seines Erfolges blieb Louis XI. ebenso allein, wie er es in vielen Stunden des Misserfolgs schon gewesen war.

    Am nächsten Morgen erhielt der König die sichere Nachricht, dass sein mächtiger Gegner tatsächlich auf dem Schlachtfeld geblieben war. Zwei Tage nach der Schlacht spürte ein italienischer Page seinen Leichnam auf. Der dem Gott Mars leidenschaftlich ergebene Jünger, der alle Eigenschaften eines großen Generals, mit Ausnahme der Feldherrenkunst, und alles, was einen Eroberer ausmachte, mit Ausnahme von Siegen, aufwies, lag nackt mit dem Gesicht nach unten auf einem zugefrorenen Weiher. Sein Haupt war von der Schädeldecke bis zum Kinn durch eine Schweizer Hellebarde gespalten, sein Körper von Schweizer Piken durchbohrt, sein blutiges, entstelltes Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Gefangenes Personal von ihm identifizierte den Leichnam anhand der langen Nägel, der fehlenden oberen Zahnreihe und einiger Narben am Körper.


    Tja, was soll ich sagen? So selten kommt das Event vom Burgundischen Erbe gar nicht vor. Beim Spielen einer Frankreich-Partie für diese Story habe ich es trotz aller Anläufe ums Verrecken nicht erhalten. Irgendwann habe ich mir die Bilder vom Event deshalb einfach aus dem Netz besorgt.

    Trotz hartem Winterwetter ritt Louis XI. zu seiner Lieblingskapelle Unserer Lieben Frau von Behuard, um ihr Dank zu sagen. Die luftigen Fäden, gesponnen von der „Universalspinne“, gestalteten sich zu dauerhaften Drähten. Nicht einen einzigen Mann hatte er eingebüßt, noch hatte sein ganzes Königreich auch nur so viel zu leiden gehabt wie ein verbranntes Dorf. Dieses Königreich stand jetzt unangefochten da als die Vormacht des Westens, und sein König als der angesehenste unter den Monarchen. Louis XI. war jetzt 53 Jahre alt, er regierte seit 15 Jahren. Ein Künstler des Kalten Krieges, der jetzt die Ernte einfahren konnte.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #461
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    Hättest du doch auch per Konsole triggern können.

  12. #462
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    Zitat Zitat von Kampfhamster Beitrag anzeigen
    (...) die auch dadurch beeindruckt, dass sie ohne Pause fortgeschrieben wird. (...)
    Zu Beginn hatte ich die Story ab Februar 2016 rund zehn Wochen lang vorbereitet, bevor ich im April 2016 überhaupt mit den Veröffentlichungen startete. Mit diesem Puffer gleiche ich Phasen aus, in denen ich wochenlang keine Zeit oder Lust habe, daran weiterzuschreiben. Dafür gibt es dann andere Phasen, in denen ich in recht kurzer Zeit ganze Kapitel fertigstelle.

    Zitat Zitat von Teuta Beitrag anzeigen
    Hättest du doch auch per Konsole triggern können.
    - ich weiß zwar aus YT-Videos, dass es die Konsole gibt, habe mich aber noch nie damit beschäftigt. In der Wiki steht, während der Partie Shift + 2 drücken, werde ich mal ausprobieren.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  13. #463
    vom Werwolf gebissen Avatar von Kampfhamster
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    Zitat Zitat von Mark Beitrag anzeigen
    Zu Beginn hatte ich die Story ab Februar 2016 rund zehn Wochen lang vorbereitet, bevor ich im April 2016 überhaupt mit den Veröffentlichungen startete. Mit diesem Puffer gleiche ich Phasen aus, in denen ich wochenlang keine Zeit oder Lust habe, daran weiterzuschreiben. Dafür gibt es dann andere Phasen, in denen ich in recht kurzer Zeit ganze Kapitel fertigstelle.
    Das ist clever. Ich mache das auch manchmal so, habe aber nie mehr als drei Updates im Köcher und monatelange Phasen ohne Schreibzeit- und lust. Wenn ich doch nur mehr Disziplin oder Lust hätte, würde es vielleicht auch so klappen wie bei dir.
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    letzte Aktualisierung: 31.1.2013, 20:19 Uhr

  14. #464
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Die universelle Spinne

    Der burgundische Herzog Charles war tot, wie ging es nun weiter mit seinem Herzogtum? In EU4 ist die Angelegenheit stets unmittelbar klar: Mit dem Event vom Tod des Herzogs wird Burgund zwischen zwei Großmächten geteilt, die mit Burgund im Krieg liegen oder ein Heiratsbündnis haben. Historisch geht es um Frankreich und Österreich, im Spiel kann aber auch z.B. Spanien der Nutznießer sein. Jedenfalls ist die Teilung von Burgund direkt vollzogen.



    In der Realität war die Sache natürlich langwieriger. Da war zunächst nur eines klar: Wem das Erbe zufiel, es gehörte natürlich seiner einzigen Tochter Maria, einer jungen Frau von 20 Jahren. Glücklich machte sie das nicht, sie befand sich unversehens in Gent in großer Drangsal. Der Vater tot, sie selbst ohne Truppen, ohne Geld und ohne Macht, war sie eine Gefangene des Genter Volkes. In dem Augenblick, da der Tod des Herzogs bekannt wurde, beförderten die Genter Bürger ihre führenden Beamten sowie eine Anzahl wohlhabender Kaufleute sofort ins Jenseits, weil diese die tyrannische Herrschaft des Herzogs begünstigt hatten. Sie verlangten von Maria die Einberufung der Drei Stände von Flandern und zwangen sie, ihnen die gewohnte Unabhängigkeit und die Regierungsgewalt zu übergeben.

    Von größter Bedeutung war die Frage, wen Maria heiraten sollte. Eine Frau konnte Herzogin sein, wenn es nicht anders ging, aber nach eigenem Ermessen entscheiden, wen sie heiratet, das war zu fundamental für die Zukunft des Herzogtums. Es ging schließlich um die außenpolitische Ausrichtung sowie die Frage, welche Dynastie sich in Burgund einheiratet und in späterer Generation das Ruder von Maria übernimmt. Ohne ein Heiratsbündnis würde sich Burgund unter diesen Umständen alleine kaum halten können. Maria selbst hatte ihr Herz offenbar bereits an den Kandidaten verloren, den ihr Vater vor seinem Tod für sie ausgesucht hatte: Den Habsburger Maximilian, Sohn des Kaisers. Der war der Erbe von Österreich, außerdem hatte er gute Aussichten, eines Tages von den deutschen Kurfürsten zum Kaiser gewählt zu werden, als Nachfolger seines Vaters. Aber wollten das die Bürger von Flandern, womöglich eine Provinz der Habsburger und des Reiches werden? Selbstverständlich wedelte Friedrich III. mit dem Heiratsvertrag, den er im Jahr zuvor mit Charles abgeschlossen hatte: Wozu noch diskutieren, die Sache war doch bereits entschieden. In Flandern sah man das teilweise anders.

    Interessierte Mächte, die sich Maria sichern wollten, gab es natürlich zuhauf. Sie war die begehrteste Partie in ganz Europa. Einige hatten von vornherein nur Außenseiterchancen, Kleve und Geldern zum Beispiel. Zunächst schoss sich England selber aus dem Rennen, Edward IV. bot lediglich einen Grafen ohne Geld an. Unbrauchbar für die Zukunft von Burgund. Denn eines war klar: Wenn eine andere Macht als Frankreich nach Burgund geholt würde, dann musste sie Burgund auch vor Frankreich beschützen können. Louis XI. hatte nämlich eigene klare Vorstellungen davon, wen Maria heiraten sollte: Natürlich den Dauphin, seinen siebenjährigen Sohn Charles VIII. Um seinem Werben Nachdruck zu verleihen, rückten französische Truppen in Burgund ein und besetzten einen Teil des Territoriums.

    In Flandern ging es hoch her zwischen den Fraktionen, die entweder für ein Zusammengehen mit Frankreich oder eben mit Habsburg waren. In den Tumulten wurden einige Unterhändler aus dem Umkreis der jungen Herzogin zum Tode verurteilt, ihnen wurde Konspiration mit Frankreich vorgeworfen. Verzweifelt wendete sich Maria vom Balkon ihrer Residenz aus an die Bürger und versuchte, das Blutvergießen zu verhindern. Doch man hörte kaum auf sie, Maria hatte keine Macht und stand unter Hausarrest. Die Todesurteile gegen die Diplomaten wurden vollstreckt.

    Maria setzte weiter auf ihre Verbindung mit Maximilian, weil hinter ihm die Macht des Kaisers stand und ihm daher am ehesten zuzutrauen war, die Ansprüche Louis XI. auf ihr burgundisches Erbe abwehren zu können. Sie schaffte es, ein Schreiben an ihren bevorzugten Bräutigam an ihren Bewachern vorbei zu schmuggeln. In diesem Schriftstück, das erhalten blieb, formulierte die Herzogin, dass sie bestrebt sei, an ihrer Vermählung mit Maximilian festzuhalten und dass er ihr möglichst bald zu Hilfe kommen solle. Kaiser Friedrich III. ließ nun schnell eine aus dem Herzog von Bayern, Prälaten und hohen Beamten zusammengesetzte Delegation nach Flandern abschicken, die eine Heirat per procurationem durchzuführen hatte. Überraschenderweise wurde diese Gesandtschaft in Brügge sehr zuvorkommend empfangen, denn die Haltung der dortigen Bevölkerung hatte sich angesichts des Einfalls von Truppen Louis XI. in Luxemburg und Brabant und damit verbundenen Plünderungen radikal geändert. Die Niederländer erhofften durch einen mächtigen Mann an Marias Seite Sicherung des Friedens sowie ihrer Geschäfte und die Generalstände stimmten dem Heiratsprojekt zu. Maria selbst bekräftigte noch einmal, gemäß dem Willen ihres Vaters die Ehe mit dem Kaisersohn eingehen zu wollen. Die Hochzeit per procurationem fand am 21. April 1477 in Brügge statt, wobei der Herzog von Bayern als Stellvertreter Maximilians fungierte, und wurde am folgenden Tag in Gent wiederholt, damit keine Eifersüchteleien gegenüber Brügge entstanden.

    Das konnte Louis XI. kaum auf sich sitzen lassen. Burgund gehörte zu Frankreich! Der erste Schritt, sich in Ruhe mit diesem Habsburger Maximilian befassen zu können, bestand darin, die Engländer aus der Sache rauszuhalten. Die Gelegenheit war günstig, Edward IV. war einer Verlängerung des Waffenstillstandes nicht abgeneigt – vorausgesetzt, er bekäme weiterhin diese schicke jährliche Rente aus Frankreich zugeschickt. Louis verhandelte ein bisschen herum, außerdem ließ er Edward das Gerücht ins Ohr setzen, sein Bruder Clarence habe die Ambition gehabt, Maria von Burgund zu heiraten, um sich anschließend selber an Edwards Stelle auf den englischen Thron zu schwingen. Es war ja bekannt, dass Clarence ein hinterhältiger Neider war, auch Edward IV. traute ihm offenbar nicht über den Weg. Jedenfalls verschwand Clarence bald darauf tatsächlich im Tower, aus dem er mehr freikommen sollte (er war derjenige, der in einem Weinfass ersäuft wurde). Außerdem machte Louis dem englischen König das verlockende Angebot, sich militärisch an der Aufteilung Burgunds zu beteiligen, er könne dann einen Anteil der Beute behalten. Wie wäre es mit Holland, Seeland und Brabant? Das Angebot war echt verlockend, auch wenn es sich um Reichsgebiete handelte. Man weiß ja, was passiert, wenn man in EU4 Reichsgebiet besetzt, dann kommt die Ermahnung des Kaisers und zehn Jahre Unruhe in den besetzten Provinzen. Natürlich meinte Louis das Angebot gar nicht ernst, aber es reichte, um Edward IV. monatelang zum Grübeln zu bringen. Der war erst einmal beschäftigt, und Louis konnte in Burgund Tatsachen schaffen. Obwohl vielen Engländern klar war, dass Frankreich ihr eigentlicher Feind war, hatte Louis XI. allen Sand in die Augen gestreut und politische Verwirrung gestiftet.

    Derweil setzte Frankreich die Niederlande unter Druck. Durch vernichtende Feldzüge zu Lande und zu Wasser sowie durch finanzielle und wirtschaftliche Kriegsführung hatte Louis Monat für Monat die Situation für die Niederlande verschärft. Französische Überfälle hatten die Ernten verwüstet. Die Flotte zerstörte Hunderte von Fahrzeugen der Heringsflotten und nahm Prisen aus der Zahl der Schiffe, die Getreide aus dem Ostseeraum oder aus Italien heranführten. Französischen Kaufleuten wurde der Besuch der großen Messen in Flandern untersagt. Die Nahrungsmittelausfuhr aus Frankreich wurde ernstlich gedrosselt. Das Murren der hungrigen Handwerker in Gent, Brügge und Ypern wurde immer lauter. Auf König Louis' Druck hin verbot sein guter Freund Lorenzo de Medici seiner Bank in Brügge, Maximilian und Maria Anleihen zu gewähren. Damit alleine war Maximilian jedoch nicht in die Knie zu zwingen, doch Louis hatte gnadenlos und scharfsinnig dessen Schwächen offenbart, über die ganz Europa spotten sollte: Die Pläne des Habsburgers waren stets umfangreicher als seine Mittel, seine Begeisterung größer als seine Aufrichtigkeit. Er hatte Gefallen an Listen und Intrigen, die er hastig in die Wege leitete und ohne Sorgfalt ausführte, so dass sie rasch ans Licht kamen. Und beständig änderte er seine Vorschläge, wechselte die Seiten und fasste neue Pläne. Edward IV. machte sich da übrigens noch seine eigenen Gedanken. Er verbündete sich später, Mitte 1480, mit Maria und Maximilian und gewährte ihnen eine Anleihe. Ironischerweise ging ein Teil davon als jährliche Rente an ihn zurück, und zwar in der gleichen Höhe, wie er sie von Frankreich bezog. So lief das eben.

    Louis XI. mag geglaubt haben, dass Maria und Maximilian ihr Burgund nicht lange gegen Frankreich verteidigen würden. Aber die beiden waren ziemlich entschlossen, hatten dank der Privilegien, die sie den niederländischen Städten gewährten, nun auch die Bürger hinter sich. Während Maria sogar ihren Schmuck versetzte, um ihr Erbland zu verteidigen, stand Maximilian auf dem Schlachtfeld seinen Mann. Weil er mit den Fußtruppen in vorderster Reihe kämpfte, genoss er bei seinen Soldaten hohen Respekt. Das gemeinsam führte dazu, dass Frankreich es trotz seiner Übermacht gegen Burgund nur zu einem Unentschieden brachte. Es gab eine Schlacht, bei der Maximilian und seine Burgunder trotz aller Widrigkeiten das Feld gegen die Franzosen behaupten konnten, so dass Louis XI. verächtlich schnaubte: „Soll er doch Blumen pflanzen auf dem Feld!“ Burgund war nicht so einfach einzukassieren wie gedacht, aber Frankreich konnte darauf setzen, dass es auf längere Sicht über die deutlich größeren Reserven zur Fortsetzung des Krieges verfügte. Irgendwann würden Maria und Maximilian schon die Luft ausgehen.

    Mitten in der Auseinandersetzung mit Maximilian stellte Louis plötzlich fest, dass sich die Last der Unruhen auf der italienischen Halbinsel auf seine Schultern gesenkt hatte. Italien war vielleicht nicht der zentrale Schauplatz Europas, dafür fand hier alles wie unter einem Vergrößerungsglas statt. Der Wettbewerb zwischen den gleichstarken Mächten in Italien sorgte dafür, dass jede Äußerung und Geste mit großer Genauigkeit analysiert wurde und große Folgen nach sich ziehen konnte. Ein schönes Spielfeld für einen Intriganten wie Louis. Bisher hatte er sich wegen der französischen Ansprüche auf Neapel zurückgehalten, aber 1477 hatten sich die Machtverhältnisse auf der Halbinsel verschoben.

    Venedig, Mailand und Florenz schlossen sich zu einem Dreierbündnis zusammen, das, nachdem ihm Ferrante von Neapel und der Papst die kalte Schulter gezeigt hatten, Italien in zwei Koalitionen teilte. Der Brand des Krieges kam ins Lodern, weil Papst Sixtus IV. unter Anwendung von Intrige und Gewalt für seinen Neffen ein Herzogtum zusammenzimmern wollte (so wie Papst Alexander VI. zwanzig Jahre später auch, dazu kommt ein eigenes Kapitel). Der Plan konnte nur auf Kosten von Florenz gehen, das in Opposition zum Papst ging. Sixtus IV. zeigte sich nicht abgeneigt, einen Umsturz in Florenz zu unterstützen, der die Medici wegfegen sollte. Natürlich nur, schob der Papst fromm hinterher, ohne Blutvergießen. Aber natürlich. Der Mordanschlag gegen die führenden Familienmitglieder der Medici ereignete sich während einer Messe im Dom. Der Putsch misslang, die Attentäter und einige Hintermänner landeten prompt am Strick, darunter der Erzbischof von Florenz. Wütend verhängte der Papst die Exkommunikation über Florenz und rief Neapel zu den Waffen, was Mailand und Venedig auf Seiten von Florenz auf den Plan rief. Die Medici klopften bei Louis an, ebenfalls einzugreifen.


    Die politische Karte Italiens zu Beginn der Kämpfe 1477...

    Louis XI. mahnte den Papst zum Frieden, man möge doch lieber die Kräfte gegen die Türken vereinen. Erste Kriegserfolge machten Sixtus jedoch hochmütig, er ließ die französischen Gesandten kühl abblitzen. Der König antwortete mit Sanktionen, verbot den französischen Geistlichen das Reisen nach Rom, und vor allem das Überweisen von Geld an den Kirchenstaat. Die Schatztruhen waren halt die empfindlichste Stelle des Papsttums. Das Androhen eines Konzils, das päpstliche Missbräuche untersuchen und abstellen solle (also den Papst absetzen könnte), gehörte daneben zum üblichen Ton, wenn es gegen den Heiligen Vater ging. Die Wirkung dieser diplomatischen Maßnahmen wollte Louis erst einmal abwarten, auch wenn ihn die italienische Koalition bestürmte, endlich militärisch einzugreifen.

    Als Louis XI. einen Gesandten aus Neapel empfing, da war seine angegriffene Gesundheit bereits offensichtlich. Zunächst ließ er sich zunächst darüber aus, was für ein Unruhestifter König Ferrante von Neapel doch sei, dann erging sich Louis in in ungewöhnlich offenen Ausschweifungen zu seiner eigenen Person: Sein eigener Großvater Charles VI. sei geisteskrank gewesen. Dessen Frau Isabella von Bayern sei eine große Hure gewesen. Er selbst stamme von ihr ab und wisse deshalb gar nicht genau, wessen Sohn bzw. Enkel er eigentlich sei! Louis wandte sich hierauf direkt an den Gesandten: „Euer König, so wie er ist (ein Bastard), ja, glauben Sie denn, dass er der Sohn von König Alfons ist?“

    Wie gesalzen indes seine Redeweise auch geworden sein mochte, Louis wollte noch immer keiner italienischen Mächtegruppierung zum Sieg über die andere verhelfen, sondern die Befriedung der Halbinsel unter seiner wohlwollenden Schirmherrschaft sicherstellen. Die heimischen Anjou saßen ihm im Nacken, sie nach Neapel zum Sieg zu führen, aber er wollte sich alle Türen offenhalten. Daher sein offenherziger Hinweis auf seine eigene unklare Herkunft, mit dem er sich an Ferrante anbiedern wollte. Die Zeit spielte ihm tatsächlich in die Hände. Neapel erkannte nämlich, dass der Krieg an der Seite des Papstes keinen Nutzen brachte. Im Gegenteil, Neapel schwächte sich und eröffnete damit den Türken die Möglichkeit, sie anzugreifen.

    Neapel hielt die diplomatischen Gespräche mit Frankreich aufrecht. Die Unruhestifter Italiens seien Lorenzo di Medici (Florenz) und Cicco Simonetta (Regent von Mailand). Eigentlich sei doch Lorenzo di Medici der rechtmäßige Regent von Mailand, außerdem sei es Simonetta gewesen, der Mailand damals von Frankreich weg ins burgundische Lager habe wechseln lassen. Oh, antwortete Louis, man könne über Simonetta reden. Frankreich würde nicht feindselig reagieren, wenn Neapel dessen Sturz betreiben würde. Das genügte Neapel womöglich für einen gesichtswahrenden Friedensschluss. Innerhalb kurzer Zeit konnte Ludovico triumphalen Einzug halten in Mailand, und Simonetta verschwand im Kerker (wo er umgebracht wurde). Und Ludovico unternahm eine spektakuläre Mission: Er reiste persönlich nach Neapel zu Ferrante, seinem Kriegsgegner, der für seine Grausamkeit berüchtigt war. In Mailand war man entgeistert. Aber Ludovico war tatsächlich erfolgreich, er erzielte einen Frieden mit Neapel. Selbst der Papst musste angesichts dieser Entwicklung zähneknirschend das Kriegsbeil begraben.

    Ohne einen einzigen Soldaten über die Alpen geschickt zu haben, hatte Louis XI. die politische Existenz von Lorenzo di Medici gerettet, seine Verbündeten den Klauen des Krieges entrissen und trotz allem die Beziehungen zur gegnerischen Koalition aufrechterhalten, womit er die Befriedung Italiens sichergestellt und seiner Oberherrschaft über die Angelegenheiten der Halbinsel Bestätigung verschafft hatte. Abseits stand jedoch Venedig. Niemals würde Venedig ein starkes Neapel dulden, auch die Dreier-Koalition war für Venedig wertlos geworden. Die Handelsrepublik suchte sich mit dem Papst einen neuen Freund. Da sortierten sich die politischen Lager also schlicht neu. Nur eines konnte die verschiedenen Lager in Italien zusammenbringen: Die äußere Gefahr durch die Türken. Louis war bereit, den Italienern Geld zu geben, damit sie sich zu abgesprochenen Aktionen gegen die Osmanen aufraffen konnten.

    Das Problem war, dass Venedig 1479 einen Waffenstillstand mit den Türken abgeschlossen hatte, um sich Atempause zu verschaffen. Für kein Geld der Welt, verkündeten die Venezianer, würden sie den Vertrag brechen. Dann aber hatte Louis Glück, wenn man das so sagen will, Sultan Mehmed starb im Frühjahr 1481, das Osmanische Reich erfuhr eine Schwächung. Rasch ließ Venedig erkennen, dass die vom französischen König geduldig angebotene Vermittlung willkommen sei.

    Diese ganzen Schilderungen sind nicht unbedingt tiefgreifende Umwälzungen in der italienischen Geschichte, aber sie machen anschaulich, wie sehr sich Louis XI. zum Schiedsrichter und Schirmherr der Halbinsel entwickelt hat. Er wurde quasi zum Schutzpatron der italienischen Renaissance, weil er über lange Jahre das Gleichgewicht der Mächte austarierte und somit Kriege bannte.


    … und nach dem Ende der Kämpfe 1481, sie ist unverändert geblieben.

    Wenn wir den Blick zurück nach Frankreich werfen, kann man unter dem Strich ebenfalls eine positive Bilanz von Louis` Herrschaft ziehen. Er hatte durch seinen Fleiß und seine sparsame Regierung eine Macht gesammelt, wie sie kein französischer König vor ihm inne gehabt hatte. Der Adel war kaltgestellt, die wohlhabenden Bürger waren ihm wohlgesonnen, der Klerus seiner Kontrolle unterstellt. Adel und Kirche in Frankreich hatten eine Macht dargestellt, und der König hielt nichts von vielerlei Gewalten in seinem Reich. Für die Heilige Inquisition hatte er keine Verwendung. Der alte Feudalismus war gebrochen, zahlreiche fürstliche Lehen hatte Louis XI. in Staatseigentum überführt. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Louis XI. der Wegbereiter des französischen Absolutismus war, der Ausgangspunkt so mächtiger Könige wie Louis XIV.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #465
    Legion Doge Avatar von Zplash
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    Sehr gut geschrieben, wie immer ;D
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    Die Legende besagt, dass Zplash noch immer Steinhagel einsetzt
    Zitat Zitat von Fimi Beitrag anzeigen
    Wer Raucht, gehört eh vom Balkon geworfen
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