Es war der alte Gegner Frankreichs, der Engländer, der jetzt dem Dauphin Louis die Gelegenheit bot, seine Talente zu bewähren. Bei der Ankunft seines Vaters in Tours gegen Ende April 1444 fand er den Earl von Suffolk vor, den Ersten Minister Henrys VI., der gekommen war, um zu einen Vertrag mit den Franzosen zu gelangen sowie zu einem Heiratsbündnis. Ein Waffenstillstand von zwei Jahren wurde vereinbart und mit der Verlobung zwischen Henry VI. und Margarete von Anjou besiegelt, der schönen Tochter des Herzogs René von Anjou und Lothringen (der zugleich Titularkönig von Neapel war und ein Schwager des französischen Königs war).
Die Menschen in Frankreich nahmen die Nachricht vom verlängerten Waffenstillstand erleichtert zur Kenntnis. Da ergab sich aber ein Problem: Wohin nun mit den zehntausenden von Söldnern, deren Kriegsdienste Frankreich nun nicht mehr benötigte, die das Land aber bis auf die Knochen verheerten? Es gab keine Militärmacht im Land, die fähig gewesen wäre, sie zu bändigen oder zu vertreiben. Außerdem würden sie ja nach Ablauf des Friedens wohl erneut gebraucht werden. Glücklicherweise riefen der deutsche Kaiser Friedrich III. und sein Vetter, der Herzog von Österreich, die durch einen Freundschaftsvertrag an den französischen König gekettet waren, in diesem Augenblick um Hilfe gegen die verwegenen Schweizer. Weil die Habsburger mit ihnen nicht fertig wurden, stimmte nun die Regierung Charles VII. der Entsendung einer Armee zu, die Unterstützung leisten sollte. Angelockt von der Aussicht auf Beute wurden die Söldner Frankreichs, die zu Tausenden voller Blutdurst und Disziplinlosigkeit waren, unter den besten Anführern jener Tage marschbereit gemacht und nach Osten in Bewegung gesetzt, weg vom leidvollen Königreich Frankreich, gegen die Schweizer und was sich ihnen sonst in den Weg stellen mochte. Die Deutschen versprachen eifrig, ihre Bundesgenossen zu versorgen und einzuquartieren. Der Rattenfänger, der es fertiggebracht hatte, sich auswählen zu lassen, die Ratten wegzulocken, war der Dauphin Louis. Der Erbe übernahm eine ebenso zweideutige wie gefahrvolle Mission.
Louis schlug sein Hauptquartier im Elsass aus (das böse unter den Übergriffen seines Heerwurms litt) und marschierte von dort gegen die Schweizer. Im August 1444 kam es zur entscheidenden Schlacht: Die Anzahl der 15.000 professionellen Söldner übertraf die der 2.500 Schweizer Infanteristen bei weitem. Der Sieg war tatsächlich bei Louis, aber das Ergebnis der Schlacht war trotzdem eine Sensation, über die man in ganz Europa staunte: Diese wenigen Schweizer hatten buchstäblich bis zum letzten Mann gekämpft und mindestens 4.000 ihrer Gegner mit in den Tod gerissen.
Donnerwetter, muss sich der Dauphin gedacht haben, auch er zutiefst beeindruckt von den militärischen Fähigkeiten und dem Todesmut der Schweizer. Er fällte persönlich einen Entschluss: Diese tapferen Schweizer muss ich zu meinen Freunden machen! Trotz fortgesetzter Kämpfe führte er mit seinen Gegnern Verhandlungen, und die führten am 28. Oktober 1444 zum Erfolg: Louis ratifizierte einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit den Schweizern.
Danach hielt es Louis in den Schrecken der marodierenden Söldner im Elsass nicht länger aus, er ritt im Januar 1445 nach Nancy, der Hauptstadt Lothringens. Am Hof des Königs René war es angenehmer, es gab Turniere, Tanz, Bankette und Spaziergänge. René wurde „der gute König“ genannt, er war das 35jährige Oberhaupt des Hauses Anjou. Sich selbst nannte er König von Neapel, er hatte es aber kläglich versäumt, dem Titel auch Inhalt zu verleihen, und dem Herzog von Burgund schuldete René noch ein enormes Lösegeld. Nun, René umgab sich lieber mit Gleichgesinnten, die sich vorzüglich auf Zeitvertreib verstanden. Sein hitziger Sohn Johann, Herzog von Kalabrien, verfügte über sämtliche Führereigenschaften, ausgenommen das richtige Gefühl dafür. Seine 16jährige Tochter Margarete, schön und gebildet, stand eben am Beginn ihres aufwühlenden und tragischen Schicksals als Gemahlin Henrys VI. von England. Als im Februar 1445 der Herzog von Suffolk mit einem ganzen Gefolge von Herren eintraf, um Margarete von Anjou nach England zu geleiten, überschlug sich der Hof mit fürstlichen Festen und Turnieren.
Hoch über dieser ritterlichen Gesellschaft thronte König Charles VII., in seiner Nähe sah man nun eine wunderschöne junge Dame namens Agnes Sorel. Sie war eigentlich schon seit 1443 seine Mätresse und hatte Charles auch schon eine Tochter geboren, bekannt wurde ihr Gesicht aber erst jetzt. Agnes Sorel war übrigens die erste Mätresse, mit der sich ein französischer König offiziell schmückte – Beginn einer langen Tradition. Die junge Frau war angenehm im Umgang, gebildet und übte guten Einfluss auf den König aus. Auf der anderen Seite umgab sich Charles VII. mit dem tapferen Soldaten Pierre de Breze, ein Mann von feiner Lebensart, reich ausgestattet mit menschlichen Tugenden. Dann gab es da noch den mächtigen Kaufmann Jaques Couer, der das Amt des königlichen Schatzmeisters bekleidete (er war mit Handelsgesellschaften in den Orient reich geworden).
Vor dem farbigen Hintergrund dieses Hofes machte der Dauphin Louis eine düstere Figur. Der Prinz der Heerlager und Beratungszimmer war für diese Zeit oder diesen Ort nicht geschaffen. Am Leben und Treiben der Turniere und Bankette beteiligte er sich nicht. Neidisch beobachtete Louis, wie sein Vater großzügige Geschenke an Leute wie Sorel und Breze verteilte, während er selber kurz gehalten wurde. Der Thronfolger hatte keinen Sous in der Tasche, um seine Schulden zu bezahlen. Aber es half nichts, er musste gute Miene zum bösen Spiel machen.
Einige Monate lang hatte Louis den Auftrag, einige (ergebnislose) Verhandlungen in Burgund zu führen. Während des heißen August 1445 machten sich Louis und seine schottische Gemahlin bereit zur Abreise, da wurde die zarte Frau krank. Sie hatte sich nach einer Tagesreise (eine Wallfahrt) unvorsichtigerweise der meisten ihrer Kleider entledigt gehabt, um die Kühle in ihrem steinernen Gemach zu genießen. Am nächsten Morgen fieberte sie und wurde von Husten gequält, es war eine Lungenentzündung. Am 16. August 1445 starb sie, ein verstörender Schicksalsschlag für den Dauphin.
Von da an verschwand Louis jahrelang quasi von der großen Bühne, er stürzte sich in seiner Grafschaft Dauphiné in die Arbeit. Lediglich im Dezember 1446 weilte er noch einmal am Hof seines verhassten Vaters. Der Anlass für das Treffen war, dass Charles VII. noch einmal Vater wurde: Am 28. Dezember schenkte die Königin einem Knaben das Leben, der den Namen seines Vaters erhielt. Es gab nun neben Louis einen weiteren möglichen Thronerben. Am 1. Januar 1447 brach Louis zurück in seine Dauphiné auf. Jetzt war es noch ein neuer Rückzug des inzwischen 23jährigen. Er sah seinen Vater nie wieder, obwohl der König noch fünfzehn Jahre regieren würde. Die rückständige Dauphiné war eine Art Exil für Louis, hier machte er sich mit seinem Hang zur Hang zur Detailarbeit an das Flottmachen seiner Grafschaft. Und das gelang ihm, er arrangierte sich geschickt mit den lokalen Adeligen und Bischöfen und ordnete erfolgreich die Verwaltung und die Wirtschaft der Grafschaft.
Im Jahre 1450 hatte Louis seine Verwaltung fest verankert, und die Dauphiné hörte auf, alle seine Kräfte in Anspruch zu nehmen. Ruhelos streckte er seine Hand nach den sich dauernd verändernden politischen Kombinationen in Italien aus. Gespannt beobachtete er aus der Ferne die Intrigen am französischen Hof. Überall setzte Louis seine Agenten ein, um sich stets in die Pläne und Gedanken der anderen Mächtigen hineinversetzen zu können. Er wusste, dass viele am Hof seines Vaters ein Interesse daran hatten, dass dessen Verhältnis zu ihm getrübt blieb. Gerüchte über einen neuerlichen Verrat des Dauphin wurden in Paris gestreut und bereitwillig von Charles VII. aufgenommen. Louis musste sich sorgen, dass sein Vater ihn mittels einer Invasion entmachten könnte. Immerhin hatte es Charles VII. im Jahr zuvor geschafft, die Engländer aus der Normandie zu vertreiben (den Waffenstillstand hatten die Engländer 1449 törichterweise gebrochen). Henry VI. war nur noch ein jämmerlicher Flecken Land in Frankreich geblieben, nämlich Calais, und England versank nach dieser Schmach in den Wirren des Bürgerkriegs.
Charles VII. dagegen galt jetzt als „der Siegreiche“. Der König selbst gab sich immer leidenschaftlicher den Vergnügungen hin. Die Mätresse Agnes Sorel starb 1450 und wurde durch Antoinette de Maignelais ersetzt. Genauer gesagt, umgab sich der König mit einer ganzen Schar von Geliebten, während Schatzmeister Coeur die tatsächliche Regierung ausübte. Louis wurde von seinem Vater angeklagt, „sich in die Geschäfte von Jaques Coeur zu mischen“, eine deutliche Warnung (an beide).
Der Dauphin seinerseits hatte die Dinge beschleunigt, indem er die Einwilligung des Königs zu einer Heirat erbat. Louis wollte eine Tochter des benachbarten und verbündeten Savoyen ehelichen. Immerhin war er schon 27 Jahre alt, ohne Weib und ohne Nachkommen, es wurde also Zeit. Der Erbe des Königreichs Frankreich musste schließlich für die Dynastie sorgen. Doch Charles VII. ignorierte das Ansinnen seines Sohnes, befand die Verbindung für unangemessen. Louis entschied sich, die Hochzeit trotzdem durchzuführen, was auch am 9. März 1451 geschah. Der König war erbost über das eigenmächtige Verhalten seines Sohnes und entledigte sich zunächst des einflussreichen Schatzmeisters Coeur: Der wurde eingekerkert, der Majestätsbeleidigung angeklagt und enteignet. Coeur konnte zum Papst fliehen (er starb 1456 als Befehlshaber gegen eine türkische Flotte).