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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #151
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    Der Erste Kreuzzug

    Hinter dem Namen des Papstes (Urban II.) stand die Person Eudes de Chatillon. Geprägt war er von der Reformidee des Abtes Hugo von Cluny, spätestens ab 1085 diente Eudes der Kurie als päpstlicher Legat in Deutschland und Frankreich und war ein enger Vertrauter von Papst Gregor VII. (wir erinnern uns, der unheimliche Mönch aus dem Kapitel zu Heinrich IV.). Drei Jahre nach dem Tod Gregors starb auch dessen Nachfolger und Eudes wurde 1088 von der Konklave zu Papst Urban II. gewählt. Die Konfrontation zwischen deutschen Kaisertum und dem Papsttum ging in die nächste Runde, Kaiser Heinrich IV. brachte gegen Urban einen eigenen Papst namens Clemens III. in Stellung.

    Urban II. reagierte darauf und arrangierte 1089 die Vermählung der Mathilde von Tuszien mit Welf V., dem Sohn des abgesetzten Herzogs von Baiern Welf IV., und band so Süddeutschland und Norditalien, traditionell Gegner des Kaisers, wieder aneinander. Sodann bemühte er sich, die gespannten Beziehungen zum byzantinischen Reich zu verbessern, und hob 1089 den Bann gegen den byzantinischen Kaiser Alexios I. auf. Dennoch gewann Clemens bald in Rom die Oberhand, so dass Urban nach Süditalien fliehen musste. Es dauerte bis 1093, bis Urban nach Rom zurückkehren konnte, weil sich die Lage gegen Heinrich IV. gewendet hatte. Jetzt hatte der Papst mehr Freiraum, um seine politischen Pläne in die Tat umzusetzen. Kurz darauf erschienen die Gesandten des byzantinischen Kaisers Alexios I., berichteten Urban II. über die Bedrohung durch die Seldschuken und boten Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der beiden christlichen Kirchen an, um die Waffenhilfe der lateinischen Christen gegen die Muslime zu erlangen.



    Die Einbeziehung des Papstes erforderte notwendigerweise eine stärkere Hervorhebung der religiösen Komponente: Dies war die Hilfe für die östliche Christenheit, die unter dem Druck der Ungläubigen stand. Daneben stellte der Kaiser wahrscheinlich wieder einmal die Kirchenunion in Aussicht. Wenn Alexios I. militärisch gegen die Seldschuken vorgehen wollte, waren zwingend kampferfahrene schwer bewaffnete Reiter vonnöten, wie sie nur abendländische fränkische Ritter darstellten. Der Gedanke an einen Glaubenskrieg war dem Kaiser sicher nicht gekommen. Es ging nur um Söldner und ein erfahrener Diplomat wie Alexios I. wusste die Vorlieben seines Gegenübers einzuschätzen und für seine eigenen Absichten zu nutzen.

    Dem Papst bot die byzantinische Anfrage die Möglichkeit, sich als spiritueller Führer der lateinischen Christenheit zu profilieren. Der Gedanke einer verchristlichten Ritterschaft (militia sacra) der in den spanischen Kriegen gegen die Umayyaden (hier waren vor allem die französischen Edlen aktiv) geboren worden war, schien zudem geeignet, kampfbereite Gruppen und Individuen, von denen es zu viele im befriedeten Westeuropa gab, in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Die wilden Zeiten, in denen jeder gegen jeden kämpfte, gehörten im Abendland der Vergangenheit an. Die Bevölkerung nahm zu, die Herrschaften wurden stabiler. Der Kampf untereinander war nicht mehr der alleinige Lebenszweck der adligen Schichten. Die Anfrage des Basileios erwies sich sozusagen als Ventil, mit dem man die überschüssigen Energien nach außen lenken konnte. Wenn die christlichen Ritter schon nicht untereinander kämpfen wollten, dann sollten sie es für einen guten Zweck und gegen Nichtchristen tun.

    Papst Urban II. nutzte wie erwähnt die Synode in Clermont im November 1095 für seinen Aufruf an die abendländischen Christen. Es war eine der großen Reden der Menschheit. Eine Rede, die das Bewusstsein veränderte und deren Ergebnis die Kreuzzüge waren. Der Papst schilderte der lauschenden Gemeinde, dass die Christen des Ostens durch den Ansturm der Türken auf das Äußerste gefährdet seien. Denn die Türken stießen in das Herz christlicher Länder, schändeten Kirchen und Altäre, misshandelten und erschlugen Menschen. Aber nicht nur Byzanz sei gefährdet und müsse diese Übel erleiden. Er machte den Zuhörern nicht nur die besondere Heiligkeit Jerusalems deutlich, sondern auch die Leiden der Pilger, die zu diesen heiligen Stätten wollten. Er malte ein gewaltiges Panorama der christlichen Welt, die in die Hände von Heiden zu fallen drohte. Dann erließ er einen großen Aufruf, mehr noch, eine Forderung, einen Appell:



    Die Christenheit müsse aufbrechen, die Brüder im Osten zu retten vor heidnischer Unterjochung. Er mahnte, von den inneren Kriegen im Abendland abzulassen, sich zu vereinen, und gemeinsam das Werk Gottes zu tun, Gott selbst werde sie dann anführen. Er versprach allen, die auf dem Zuge oder in der Schlacht das Leben ließen, volle Absolution und Vergebung der Sünden. Immer wieder wurde die päpstliche Rede unterbrochen durch den Jubelruf "Deus lo vult!", Gott will es!





    Urbans flammender Aufruf erhielt weiteren Vortrieb, als kurz darauf in Europa die Nachricht umlief, dass Jerusalem von einem sarazenischen Heer eingenommen worden sei. Dieses Ereignis wurde sogleich in eine Linie mit der verheerenden Niederlage der Byzantiner in Manzikert im Jahre 1071 gestellt. Als Urban II. sah, welchen Erfolg sein modifizierter Aufruf mit dem Ziel Jerusalem hatte, übernahm er seinerseits diese neue Zielsetzung und vertrat sie in der Folgezeit mit Nachdruck. Der Papst hatte damit offenbar einen Nerv getroffen und eine Lawine ins Rollen gebracht, die später selbst von ihm kaum zu kontrollieren war. Auch Alexios I. war sich wohl kaum bewusst, dass er mit seinem Hilfegesuch an den Papst die Büchse der Pandora geöffnet hatte.



    Mit dem Aufstieg Jerusalems sank die Hilfe für Byzanz nämlich zu einem nebensächlichen Ziel des Unternehmens Kreuzzug herab. Außerdem musste mit der Rückgewinnung des Heiligen Landes sofort die Frage in den Vordergrund treten, was mit den Eroberungen, an denen ja niemand zweifelte, geschehen sollte. Bis Clermont ging es nur um ein temporäres Unternehmen im Osten, an der Grenze zwischen christlichem Byzanz und muslimischen Türken. Aber je mehr man vom Erfolg des Kreuzzugs überzeugt war, desto dringender stellte sich die Frage, ob nicht auch jemand im Orient werde bleiben müssen, um die Eroberungen für die Christenheit zu halten. Damit aber – und auch dies dürfte ein Grund für den Erfolg der päpstlichen Kreuzzugspredigt gewesen sein – wurden auch Ritter angezogen, die an einem Heereszug, der sich im Kampf für Byzanz erschöpfte, kein Interesse gezeigt hatten. Die Kreuzzugspredigt hatte zu einem Unternehmen aufgerufen, das die byzantinische Bitte um Entsendung einiger Truppen weit übertraf. Es war etwas völlig anderes und neues, das auch eine veränderte byzantinische Haltung erforderlich machte.



    Die Teilnehmer des ersten Kreuzzugs hatten verschiedene Motivationen und Ziele. Herkunftsmäßig zerfielen sie in drei Gruppen: erstens die Südfranzosen aus der Grafschaft Toulouse, deren Führer Raimond von Saint Gilles war, zweitens die Nordfranzosen und die ihre „Nachbarn“ aus Flandern, Niederlothringen, der Normandie und den angrenzenden Gebieten. Die Anführer waren die Grafen Robert von Flandern (der bereits vorgestellt worden ist) und Stephan von Blois sowie die Herzöge Robert von der Normandie (ebenfalls bereits bekannt: Robert „Curthose“) und der Herzog von Niederlothringen, Gottfried von Bouillon, drittens schließlich die unteritalienischen Normannen unter Bohemund von Tarent.



    Bei den nordfranzösischen Adeligen darf man in der Regel religiöse Motive unterstellen (und wohl eine Portion Abenteuerlust) - mit Ausnahme von Gottfried von Bouillon, bei dem man am ehesten eine Bereitschaft unterstellen darf, gegebenenfalls im Osten zu bleiben, wenn sich dort eine günstige Gelegenheit bot. Aber auch er traf vor dem Aufbruch Vorkehrungen für den Fall, dass er zurückkehren würde.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #152
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    Der Erste Kreuzzug

    Der Südfranzose Raimund IV. von Saint Gilles war ein bereits älterer und in seiner Heimat erfolgreicher Graf, der in Spanien schon Erfahrungen im Krieg gegen Muslime gesammelt hatte. Ihm hatte der Papst die Rolle des Anführers zugedacht. Raimund schwor, dass er niemals ins Abendland zurückkehren werde. Er strebte also eine Rolle im Orient an.



    Die unteritalienischen Normannen sammelten sich unter ihrem Anführer Bohemund. Dieser war ein alter Feind der Byzantiner, gegen die er bis in die Mitte der 1080er einen Krieg geführt hatte, den Byzanz nur mit Mühe gewonnen hatte. Unter allen Kreuzzugsteilnehmern kann man vor allem ihm unterstellen, dass er das Unternehmen gegen Byzanz zu richten trachtete oder zumindest danach strebte, sich mit seiner Hilfe eine Position im Vorderen Orient zu verschaffen, da er in Italien aufgrund des normannischen Erbrechts – er war nur ein unehelicher Sohn Robert Guiskards – keine Zukunft hatte. Dass sich eine der Teilnehmergruppen ausschließlich aus alten Feinden der Byzantiner zusammensetzte, musste in Konstantinopel unweigerlich Misstrauen wecken.



    Außerdem gab es unter den Kreuzzüglern noch einige kleinere Gruppen. Hinzu kamen schließlich die „Armen“ aus verschiedenen Gebieten, schwerpunktmäßig aus Nordfrankreich. Da waren die wohl wichtigsten Anführer der „Eremit“ Peter und Walter „Habenichts“, ein Ritter. Die Motive der Teilnehmer sind nicht mehr genau auszumachen, dürften aber teils in religiöser Begeisterung, teils wohl auch in dem Wunsch nach einer Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse gelegen haben. Keiner dieser Kreuzfahrer kannte den Orient aus eigener Anschauung.

    Es war nicht die Absicht des Papstes gewesen, mit seinem Aufruf zum Kreuzzug auch Bauern, Frauen und sogar Kinder an diesem großen Unterfangen zu beteiligen. Der Appell richtete sich an die Fürsten, Ritter und deren Gefolgsleute, die zum Aufstellen eines schlagkräftigen Heeres befähigt waren. Die Wirtschaft des feudalen Europa beruhte auf einem System der Landwirtschaft, in dem hörige und freie Bauern das Mehrprodukt für Ritter und Adelige auf den oberen Sprossen der sozialen Leiter erarbeiteten. Als Zehntausende von Bauern plötzlich für die Kreuzzüge schwärmten, geriet die europäische Ökonomie zeitweise ins Wanken, besonders in Deutschland und Frankreich.

    Enthusiastische Kreuzfahrer des einfachen Volkes, gezeichnet von Hungerkrisen, zogen überstürzt los, um das "Land voll Milch und Honig" zu erreichen. Auch sie wollten von dem Versprechen ewigen Heils profitieren wie die höher Stehenden. Diese Massenbewegung überstieg die kühnsten Erwartungen des Papstes und wurde schnell unkontrollierbar. In verschiedenen Städten des Reiches metzelten die aufgestachelten Christen die jüdischen Gemeinden nieder. Ein Chronist bemerkte: "Gerade jetzt erschien ein gewisser Soldat, Emicho, ein Graf von Ländern am Rhein, ein Mann von sehr üblen Ruf wegen seiner herrischen Art. Er riss den Befehl über 12.000 Kreuzträger an sich. Als er sie an den Städten des Rheins entlang führte, rotteten sie das verhasste Geschlecht der Juden aus, wo immer sie es fanden." Es ging ums Plündern und die alten Beschuldigungen, die Juden würden nicht an den Gekreuzigten glauben und hätten Gott ermordet.

    Der Bauernkreuzzug wurde dann angeführt von Peter dem Eremiten, einem charismatischen Mönch. Ihr militärischer Anführer war Walter Sans-Avoir (Habenichts). Sie überquerten die Grenze nach Bulgarien, nachdem das undisziplinierte Bauernheer bereits einigen Stunk in Ungarn angezettelt hatte. In Belgrad verweigerte man ihnen den Proviant, weshalb die Lumpenarmee Amok lief. Es gab über 10.000 Tote, bevor die Kreuzträger überhaupt Byzanz erreichten. Alexios I. vergab den "Pilgern" ihre Ausschreitungen und eskortierte sie nach Konstantinopel. Dort trafen sie im August 1096 ein und wurden rasch über den Bosporus übergesetzt, bevor sie weiteren Ärger machen konnten. Dort plünderten und töteten sie alles, was ihnen auf dem Weg nach Nicäa in die Hände fiel. Die dort stationierte türkische Garnison konterte sie leicht aus und zerrieb den ungeordneten Haufen. Wer von den Besiegten nicht zum Islam übertrat, wurde getötet. Unter den wenigen Überlebenden, die entkommen konnten, befand sich Peter der Eremit, der während des Massakers in Konstantinopel war.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #153
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    Der Erste Kreuzzug

    3. Der Zug durch das Byzantinische Reich

    Größeren Erfolg konnten sich dagegen die Ritterheere versprechen, die sich im Wesentlichen aus französischen sowie venezianischen Heerführern und erprobten Kämpfern zusammensetzten. Wegen des Investiturstreits (siehe Heinrich IV.) war niemand aus dem Deutschen Reich dabei. Beim Aufbruch des Kreuzritterheeres gab es im Grunde gar keine Organisation. Man hatte als gemeinsamen Treffpunkt Konstantinopel vereinbart, was aus logistischen und militärischen Gründen vernünftig war. Für den weiteren Marsch hatte man keine Absprachen getroffen, einen eindeutigen Heerführer gab es ebenso wenig. Jeder Fürst war Herr seiner Gefolgsleute und eifersüchtig auf seine Unabhängigkeit bedacht. Die Führungsrolle, die der Papst Graf Raimund zugedacht hatte, wurde von den anderen Fürsten so wie gut niemals anerkannt. Der päpstliche Legat war in gewisser Weise der geistige Leiter, starb aber noch vor der Ankunft in Konstantinopel. Insofern kam es zu keiner gemeinsamen politischen Haltung gegenüber Byzanz oder zu der Zukunft der zu erobernden Gebiete. Dies sollte dazu führen, dass der byzantinische Kaiser die Kreuzfahrer in gewissen Grenzen gegeneinander ausspielen konnte.

    Eigentlich wäre die prestigeträchtige Leitung des Kreuzzugs die ideale Rolle für einen König gewesen, der für diese Funktion zugleich die nötige Autorität mitgebracht hätte. In Frage kamen dafür im Grunde nur der salische Kaiser Heinrich IV. und der Kapetinger Philipp I. von Frankreich. Beide Monarchen lagen mit dem Papst im Clinch - der eine wegen des Investiturstreits, der andere wegen seiner fragwürdigen Wiederverheiratung – und kamen als Teilnehmer des Kreuzzugs deshalb nicht in Frage. Für Philipp barg im Gegenteil die Teilnahme seines Vasallen, des Herzogs Robert von der Normandie, eine Gefahr: Robert nahm nämlich, um seine Heerfahrt zu finanzieren, einen Kredit bei seinem Bruder Wilhelm II. von England auf und übertrug ihm als Pfand die Normandie.

    Da es für den Kreuzzug keine Oberleitung gab, gab es auch keinen organisierten Marsch bis Konstantinopel, vielmehr machte sich jeder Heerhaufen selbstständig auf den Weg und suchte seine Route, um zum vereinbarten Zeitpunkt (Frühjahr 1097) dort zu sein. Demzufolge trafen die verschiedenen Gruppen auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Konstantinopel ein. Im Wesentlichen gab es drei Möglichkeiten, von Westeuropa nach Byzanz zu gelangen: erstens auf der alten Heerstraße von Süddeutschland über Ungarn, Belgrad und Nis nach Konstantinopel, zweitens nach Süditalien, von dort über die Adria und dann auf der großen Heer- und Handelsstraße über Thessalonike nach Konstantinopel, schließlich drittens per Schiff von einem der südfranzösischen oder italienischen Häfen direkt nach Konstantinopel.



    Den ersten Weg hatten die „Armen“ gewählt, auch das lothringische Kontingent unter Gottfried von Bouillon nutzte ihn. Im Sommer erreichte das Kreuzritterheer Bulgarien und schickte Gesandte mit der Botschaft voraus, dass es keine feindlichen Absichten hege. Mit einer Eskorte ungarischer Truppen passierte es das Land bis zum Eintritt in das byzantinische Reich, wo sie von einer anderen Eskorte empfangen wurden. Beim Durchmarsch solcher Truppenmengen wie denen des Ersten Kreuzzugs musste es zu Problemen mit den Anwohnern kommen, selbst wenn sich alle Beteiligten Mühe gaben, Konflikte zu vermeiden. Die ökonomische Struktur mittelalterlicher Staaten war der Aufgabe, eine solche Menschenmenge zu versorgen, nicht gewachsen. Eine der Folgen war eine gewisse Verbitterung auf beiden Seiten, als die Kreuzritter Konstantinopel erreichten. Die Lateiner fühlten sich nicht ausreichend unterstützt, die Byzantiner wiederum fanden sich bestätigt in ihrem Argwohn gegen diese Heere, die sie nicht gerufen hatten, von denen sie sich bedroht fühlten und die keine Rücksicht auf die Belange der Bevölkerung nahmen, die entlang der Marschroute lebte. Der Bauernkreuzzug hatte als erster durchziehender Haufen ja nun wahrlich keinen guten Eindruck hinterlassen. Entsprechend gereizt war die Stimmung.

    Vermutlich wusste Alexios I. schon, das nicht die Hilfe für sein Reich, sondern die Eroberung des Heiligen Landes das Hauptziel der Ritter war. Er konnte natürlich nicht ausschließen, dass die Kreuzfahrer, zu denen immerhin mit den unteritalienischen Normannen alte Feinde des Reiches zählten, sich auch nicht gegen ihn wenden würden, wenn sie eine Gelegenheit dazu fanden. Angesichts der Truppenzahlen war es verständlich, dass Alexios die einzelnen Abteilungen möglichst schnell aus der unmittelbaren Umgebung Konstantinopels entfernen und eine Vereinigung des Heeres erst an einem weniger sensiblen Ort zulassen wollte. Alexios hatte um Söldner gebeten und sie nicht bekommen. Was er bekommen hatte, waren große Heere unter eigenen Heerführern, deren Ziel angeblich Jerusalem war.



    Die Kreuzritter erwarteten Dankbarkeit von den Griechen und wussten gar nicht - bzw. nahmen nicht ernst - dass Byzanz selbst Anspruch auf Jerusalem und Palästina erhob und sich als Schutzmacht der dortigen Christen betrachtete. Anders dürfte das bei dem Normannen Bohemund gewesen sein, der über die konkreten Verhältnisse besser informiert gewesen sein muss. Das Heilige Land einfach den Kreuzfahrern zu überlassen, hätte dem Selbstbild einer Großmacht wie Byzanz nicht entsprochen. Dummerweise war das Gebiet nicht byzantinisch, und damit gehörte es nach lateinischer Rechtsauffassung dem, der es erobern würde, zumal es von den Ungläubigen gehalten wurde. Hier lag der Interessenkonflikt zwischen Griechen und Lateinern.

    Alexios I. musste bestrebt sein, sein Reich und dessen Ansprüche zu wahren, ohne die Kreuzfahrer vor den Kopf zu stoßen. Die konnten ihm in gewisser Weise ja nützlich sein, wenn er es richtig anstellte. Nach kurzer Zeit setzte der Kaiser mit seiner Flotte das nordfranzösische Heer nach Kleinasien über und wies ihnen dort ein Lager zu. Ohne Schiffe konnten sie ihm nicht mehr gefährlich werden, und da das dortige Gebiet unter dem ständigen Druck der Seldschuken aus Nikaia stand, gab es auch nicht allzu viele Griechen, die von den Kreuzrittern ausgeplündert werden konnten. Denn plündern mussten sie, um sich selbst zu versorgen, trotz der Zusage einer gewissen Grundversorgung durch den Kaiser.

    Der nächste, der mit seinem Heerzug in Byzanz eintraf, war Hugo von Vermandois. Der Bruder des französischen Königs Philipp I. und Herr der Grafschaft Vermandois war mit einer kleinen Schar über Rom gereist und hatte dort die Überfahrt über die Adria gewagt, dabei aber Schiffbruch erlitten und sich mit nur wenigen Begleitern retten können. Von Dyrrhachion wurden sie von einer byzantinischen Eskorte nach Konstantinopel begleitet. Hugo hatte in Rom von Urban II. die Fahne des heiligen Petrus bekommen und fühlte sich offenbar als Anführer der Kreuzfahrer. Alexios I. empfing ihn ehrenvoll, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er von Hugo als Sicherheit einen Vasalleneid verlangte. Er schränkte Hugos Bewegungsfreiheit ein und übte wohl auch sonst Druck auf ihn aus, bis Hugo einwilligte und Alexios den Vasalleneid leistete. Empört über die Behandlung zeigte er sich nicht, Hugo spielte in der Hierarchie des Kreuzfahrerheeres allerdings kaum eine Rolle. Die Eidesleistung Hugos bildete einen Präzedenzfall für alle späteren Kreuzfahrer. Alexios forderte von ihnen die Huldigung und den Treueid, dem soweit alle bis auf Raimund von Saint Gilles zustimmten. Nach längeren Verhandlungen leistete er zumindest einen Sicherheitseid und verpflichtete sich, nichts zum Schaden von Byzanz zu unternehmen. Gottfried von Bouillon dagegen leistete offenen Widerstand, wurde aber geschlagen und legte dann auch den Eid ab. Auch seine Truppen wurden darauf nach Kleinasien übergesetzt.

    Für den Großteil der Fürsten war der Eid kein Problem, denn sie planten nicht dauerhaft im Orient zu bleiben und strichen im Gegenteil dafür reiche Geschenke des Kaisers ein. Bohemund dagegen war regelrecht begierig darauf, dem Kaiser den Eid zu leisten. Sein späteres Verhalten offenbart freilich, dass er von vornherein nicht daran dachte, ihn zu halten. Bohemund war – vielleicht als einziger Kreuzfahrer – realistisch genug einzusehen, dass Alexios die stärkere Position innehatte, und darüber hinaus skrupellos genug, um sich an einen solchen Eid moralisch nicht gebunden zu fühlen.

    Die Fürsten hatten Alexios den Eid geleistet, ihre künftigen Eroberungen, soweit sie ehemaliges byzantinisches Territorium betrafen, dem Kaiser zurückzugeben. Von konkreten byzantinischen Gegenleistungen ist nichts bekannt, abgesehen von den üblichen Pflichten, die der Lehnsvertrag dem Lehnsherrn auferlegte. Für Alexios I. war das also ein vorteilhaftes Geschäft. Konkret ergeben sich zwei Probleme: erstens das Ausmaß der byzantinischen Rückgabeforderungen und zweitens die Lehnsverträge als solche. Betrafen sie nur die Gebiete, die seit 1071 an die Seldschuken verloren gegangen waren? Dann wären nur die Eroberungen in Kleinasien und Nordsyrien inklusive Antiochia Gegenstand der Rückgabe gewesen, das Heilige Land hätte nicht dazugehört. Hier hätten die Ritter also eigene Herrschaften gründen können, gleichwohl als Vasallen des Kaisers. Alexios hatte aber wohl die Rückforderung aller jemals byzantinisch kontrollierten Gebiete im Sinn, bis hin nach Ägypten. Eindeutig ausdrücken tat er sich gegenüber den Lateinern wohlweislich nicht – wichtig war ihm, dass der Kreuzzug erst einmal weiterging. Später würden die Lateiner im Erfolgsfall sowieso von ihm abhängig bleiben.

    Für einen Lehnsverhältnis waren die Verträge jedoch ziemlich ungewöhnlich, ja pervertiert. Gewöhnlich erhielt der Vasall im Zuge des Vertrags Land sowie die geldwerten Rechte daraus (Zölle, Steuern). Hier gab es konkret weder geldwerte Rechte noch Grundherrschaft zugewiesen – das betreffende Land musste ja erst noch erobert werden! Dem abendländischen Rechtsempfinden entsprach das nicht, wohl aber dem byzantinischen. Eigentlich vergab der Kaiser Privilegien an Untertanen, Alexios griff aber zum Mittel des abendländischen Lehnvertrags, um die Ritter zufriedenzustellen. Man braucht jedoch nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie die Kreuzritter auf diese Vereinbarungen reagierten. Sie mussten sich als unterbezahlte Söldner empfinden, die für den Kaiser Eroberungen tätigen sollten und selbst bei Errichtung einer eigenen Herrschaft wenig Aussicht auf eine eigenständige Zukunft im Orient hatten. Aber sie konnten den Kreuzzug auch nicht einfach abbrechen und heimkehren. Und ein Sturm auf Konstantinopel lag außerhalb der militärischen Möglichkeiten der Lateiner.

    Im Frühsommer 1097 erreichte das vereinte Heer der Kreuzfahrer die Stadt Nikaia und belagerte sie. In den Quellen ist dieses Ereignis eine nachrangige Episode, aber sie sollte noch Bedeutung für den weiteren Fortgang des Kreuzzugs erlangen. Wie gesagt war die Stimmung unter den Kreuzfahrern nicht sonderlich byzanzfreundlich. Vor Nikaia zeigte sich, dass so mancher Teilnehmer die Dauer und die damit verbundenen Kosten dieses Unternehmens unterschätzt hatte, die finanziellen Reserven waren bei vielen bereits aufgezehrt. Gleichzeitig stiegen die Preise für Lebensmittel, je länger der Kreuzzug – der auf Zufuhr von außen angewiesen war - in der Region verweilte. Nikaia war von den Seldschuken besetzt, es war ein „dankbares“ Ziel. Auch den Kaiser in Konstantinopel konnte es nur recht sein, wenn die Stadt genommen und ihm anschließend vereinbarungsgemäß zurückgegeben würde. Für den Nachschub der Kreuzzügler war es nicht gut, einen feindlichen Stützpunkt im Rücken zu haben, wenn sie diese Stadt achtlos passieren. Aber noch wichtiger war, dass der Eroberer einer Stadt nach abendländischer Vorstellung das Recht hatte, sie zu plündern. Das konnte dem Kaiser aber nicht recht sein, denn an der Rückgabe einer zerstörten Stadt hatte er kein Interesse. Die muslimische Garnison erkannte ihre Unterlegenheit und nahm folgerichtig Kontakt zum Kaiser auf, um mit ihm über die direkte Übergabe von Nikaia zu verhandeln. Nikaia wurde von byzantinischen Truppen besetzt und die Plünderung durch die Kreuzfahrer blieb aus.



    Feindselige Reaktionen im Lager der Katholiken waren die Folge. Alexios ließ zwar reichlich Geschenke und Geldmittel verteilen, die glichen die zu erwartende Beute einer Plünderung aber nicht aus. Spätestens jetzt musste der letzte Kreuzritter erkennen, dass es Byzanz mit den Verträgen ernst war und dass dem Kaiser die Bedürfnisse seines Reiches näher waren als die Unterstützung des Kreuzzugs. Man war aber auf die Hilfe byzantinischer Führer angewiesen, für eine spätere Rückkehr brauchte man erneut die Schiffe des Kaisers. Wenn nach außen hin auch bestens Einvernehmen herrschte, so war schon jetzt klar, dass diese Kooperation nur so lange währen würde, wie die Kreuzfahrer auf Byzanz angewiesen waren.



    Der Einmarsch in die muslimischen Länder im Sommer 1097 geschah zufällig zu einem Zeitpunkt, zu dem die muslimische Welt sehr geschwächt war. Es bestand (und besteht noch heute) die grundlegende Spaltung im islamischen Glauben in Sunniten und Schiiten. Erstere kontrollierten Kleinasien, Syrien und im Osten die Länder Persiens, ihr geistlicher Führer war der Kalif von Bagdad. Die Dynastie der Fatimiden war hingegen schiitisch und regierte Ägypten von Kairo aus, dem Sitz ihres Kalifats. Die Sunniten und Schiiten waren so erbitterte Feinde, dass die bereit waren, sich mit den Kreuzfahrern gegen den anderen zu verbünden, statt eine vereinte Front gegen die einmarschierenden Christen zu bilden. In Kleinasien entstand durch den Tod des mächtigen Seldschukensultans Malikschah ein Machtvakuum, das zur Folge hatte, dass die Kreuzfahrer keine größere internationale Macht zum Gegner hatten, sondern lediglich kleinere Fürstentümer, denen die Kleinkriege untereinander wichtiger waren als der Kampf gegen die Christen.

    Der Marsch durch Kleinasien ging also weiter, und vor Dorylaion kam es zur ersten Schlacht mit einer starken Streitmacht der Seldschuken, die eine schwere Niederlage erlitt. Da die Seldschuken bereits Nikaia verloren hatten, konnte Byzanz nun die Kontrolle über das westliche Kleinasien erlangen – zumindest über die Küstenregionen, das anatolische Hochland blieb unter der Kontrolle von türkischen Nomadenstämmen. Die Kreuzfahrer marschierten problemlos nach Osten durch militärisch/wirtschaftlich eher bedeutungsloses Gebiet, das dem Kaiser übergeben wurde (sofern man sich mit Eroberungen aufhielt). Nur Edessa, dessen armenischer Herr die Kreuzfahrer um Unterstützung anging und in der Konsequenz schließlich die Herrschaft über Stadt und Umland an Balduin, den jüngeren Bruder Gottfrieds von Bouillon, verlor, war groß und bedeutsam genug, um fränkisches Interesse zu wecken.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  4. #154
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    Der Erste Kreuzzug

    Selbst jetzt interessierte sich der Kalif von Bagdad kaum für die Ereignisse an der westlichen Peripherie seiner Territorien und ignorierte weitgehend ihre Hilferufe. Da es eine vergleichbare Invasion noch nie gegeben hatte, erkannten die wenigsten Muslime, dass es sich hier um einen religiösen Kolonisationskrieg handelte. Sie hielten den Kreuzzug für einen weiteren Überfall aus Byzanz, nicht für einen Eroberungskrieg. Dieser Irrtum erklärt nicht zuletzt, weshalb die Kreuzfahrer auf keinen geordneten Widerstand stießen. Aus heutiger Sicht, und wenn man bedenkt, wie knapp sich die Kreuzfahrer behaupten konnten, ist es fraglich, ob sie jemals über Kleinasien hinaus gelangt wären, wenn sich ihnen ein stärkerer Führer wie seinerzeit Malikschah in den Weg gestellt hätte.

    Als der Kreuzzug das reiche Antiochia erreichte, wurde erneut die Frage bedeutend, wie man es mit der Übergabeverpflichtung an Byzanz halten sollte. Antiochia lag an wichtigen Handelsstraßen und hatte eine berühmte christliche Vergangenheit, man zählte es zum Heiligen Land. Vor allem gab es von hier eine direkte Seeverbindung zum lateinischen Europa, die Stadt war also auch in strategischer Sicht relevant. Erst einmal waren die Kreuzfahrer hier in einer schwierigen Lage: Die Stadtbefestigungen erwiesen sich als unüberwindbar, und ein türkisches Entsatzheer war im Anmarsch. Diese Situation nutzte Bohemund, indem er Antiochia für sich forderte, wenn er die Eroberung bewerkstelligte. Mit dieser Forderung stieß er auf den Widerstand von Raimund von Saint Gilles, aber die meisten Führer sprachen sich schließlich für Bohemund aus, wenn nicht der Kaiser selbst komme, um die Stadt zu übernehmen. Wenig später gelangten die Kreuzfahrer nach monatelanger Belagerung in die Stadt, da ein armenischer Unterbefehlshaber, der von Bohemund bestochen worden war, Verrat beging. Allerdings besserte sich die Lage der Kreuzritter dadurch nicht, da sie nun von dem heranrückenden Heer der Türken eingeschlossen wurden und bald in größte Not gerieten.



    Graf Stephan von Blois und der byzantinische Befehlshaber Tatikios verließen das Heer, das aber doch noch wie durch ein Wunder gerettet wurde: Ein Ritter sah angeblich in einer Vision den Ort, an dem sich die Heilige Lanze befand, mit der bei der Kreuzigung die Seite Jesu durchstochen worden war. Tatsächlich fand man an der angegebenen Stelle eine Lanze, was den Kampfgeist der Belagerten so sehr stärkte, dass sie einen Ausfall wagten und die türkischen Belagerer vernichtend schlugen. Antiochia blieb in ihrem Besitz.

    Alexios scheint sich an seine vertraglichen Pflichten gehalten zu haben. Nach der Eroberung der wichtigsten Küstenstädte Kleinasiens zog er ebenfalls in Richtung Nordsyrien und nahm die Flüchtlinge des Kreuzfahrerheeres – darunter Stephan von Blois – auf, die ihm von der verzweifelten Situation der Ritter berichteten. Der Kaiser musste den Eindruck haben, das die Kreuzfahrer in Antiochia bereits untergegangen waren und zog es vor, sich nach Kleinasien zurückzuziehen. Ein Zug gegen die vermeintlich siegreichen Türken wäre unter diesen Umständen ein hohes Risiko für Byzanz gewesen. Die Konsequenz war, dass Antiochia in die Hand von Bohemund übergeben wurde, der hier ein eigenes Fürstentum begründete. Beide Seiten fühlten sich anschließend im Recht, als sie über den Verbleib Antiochias stritten. Alexios pochte auf das Lehnsrecht aus dem Vertrag, Bohemund kritisierte den Rückzug des Kaisers, den er als Verzicht wertete. Den übrigen Kreuzfahrern schwante, dass eine Feindschaft mit Byzanz eine schwere Hypothek für die Zukunft sein würde.

    Die Entdeckung der Heiligen Lanze hatte noch ein bemerkenswertes Nachspiel: Da es Bohemund gewesen war, der von ihrer Entdeckung profitierte, war es nicht überraschend, dass manche den Verdacht eines Schwindels hegten. Die Rivalen äußerten lautstark ihre Zweifel, so dass Peter Bartholomäus, der Entdecker der Lanze, der inzwischen von seiner Rolle als göttlicher Bote überzeugt war, sich freiwillig einer Tortur aussetzte: der Feuerprobe. Zur Zeit des Ersten Kreuzzugs war diese Praxis nicht mehr gebräuchlich, weil die Menschen ihre Aussagekraft anzweifelten. Die Hitze des Feuers konnte zum Beispiel von frevelhaften Kandidaten manipuliert werden. Auf geistlicher Ebene galt es als beleidigend zu verlangen, dass Gott mit einem Wunder auf so entscheidende Weise eingreifen würde. Peter entschied sich für die wohl härteste Form der Folter, auf die er sich vier Tage mit Fasten und Gebeten vorbereitete. Vor der Augen eines großen Publikums trug er die Reliquie durch eine schmale Gasse zwischen zwei Wänden aus lichterloh brennenden Olivenzweigen, vier Fuß hoch und dreizehn Fuß lang. Ein Augenzeuge berichtete, Peter sei unversehrt aus dem Gang getreten und habe gerufen: „Gott steht uns bei!“ Dann wurde er von der begeisterten Menge zu Boden gerissen, die unbedingt ein Stück vom Mantel eines so geheiligten Mannes ergattern wollte. Im Verlauf dieses Handgemenges sei Peter das Rückgrat gebrochen worden, was letztlich zu seinem Tod geführt habe. Andere Beobachter waren skeptischer und beschrieben, die Haut des Priesters sei verbrannt und er so schwer verwundet worden, dass er an den Verbrennungen starb – die göttliche Strafe für sein betrügerisches Verhalten. Der Kult der Heiligen Lanze ließ nach, aber sie hatte ihren Zweck bereits erfüllt.

    Nach der Eroberung Antiochias stand der Kreuzzug eine Weile vor der Auflösung. Bohemund war saturiert und an einem Weitermarsch nicht interessiert. Die anderen wussten nicht recht weiter und forderten den Papst in einem Brief auf, selbst in den Osten zu kommen und den Kreuzzug persönlich nach Jerusalem zu führen. Ebenso stellte man dem Kaiser ein Ultimatum, nach Nordsyrien zu kommen, Antiochia zu übernehmen und sich am Marsch auf Jerusalem zu beteiligen. Aber niemand kam und so entschloss man sich zum Weitermarsch nach Süden. Die Zusammenarbeit mit Byzanz war damit am Ende.

    Erst danach erschien im Frühjahr 1099 eine byzantinische Gesandtschaft in Antiochia und verlangte von Bohemund die Übergabe der Stadt. Der wies das natürlich zurück. Die Gesandten ritten dem Kreuzzug hinterher, konnten aber auch hier nichts mehr erreichen – das Vertrauen, der Kaiser würde doch noch mit einem Heer nachfolgen, war bereits dahin. Die Kreuzritter wussten, dass er – selbst wenn Alexios tatsächlich kommen würde – die Übergabe von Antiochia zur Bedingung machen würde. Bohemund, der dem Kreuzzug sowieso nicht mehr half, würde sich in Antiochia einigeln. Sollte der Kreuzzug dann etwa dem Kaiser dabei helfen, die Stadt zu gewinnen? Das war ausgeschlossen, es hätte Zeit gekostet und den inneren Zusammenhalt des Kreuzzugs gesprengt. Man war nicht bereit, so etwas ausgerechnet für die Griechen zu riskieren, zumal sie als eidbrüchig betrachtet wurden. Und bei einem gemeinsamen Weitermarsch hätte der Kaiser dann wohl die Übergabe von Jerusalem verlangt (woran Alexios kaum gelegen haben dürfte, weil er dieses Gebiet alleine sowieso nicht lange hätte halten können). Das Ergebnis war, dass die Beziehungen zwischen Byzanz und dem Abendland schlechter waren als zuvor.

    Eine Zusammenarbeit mit Konstantinopel wäre angesichts der kulturellen Unterschiede und abweichenden politischen Ziele schwierig gewesen, aber nicht unmöglich. Das zeigte das Beispiel von Raimund von Saint Gilles, der für das bald darauf eroberte Tripolis dem Kaiser den Lehnseid erneuerte. Aber jedes Zusammengehen wurde torpediert durch Bohemund von Antiochia, der Byzanz unmittelbar nach Beendigung des Kreuzzugs angriff und im Abendland eine heftige anti-byzantinische Propaganda entfachte.


    4. Im Heiligen Land

    Als das Kreuzfahrerheer die Levante erreichte und entlang ihrer Küste südwärts Richtung Jerusalem zog, befand es sich jetzt auf dem Gebiet der ägyptischen Fatimiden. Die ersten Städte begrüßten und feierten die vorbeiziehenden Kreuzfahrer. Die Fatimiden hatten freundschaftliche Beziehungen mit Konstantinopel und hofften auf ein Bündnis mit den Kreuzfahrern gegen die Türken. Als die Christen dann Askalon niederbrannten, gab es sie keine Umkehr mehr. Den Fatimiden war nun klar, dass die Kreuzfahrer ihnen Jerusalem abnehmen wollten. Die Kreuzritter riefen Gottes Gnade und den Schutz der Heiligen an und marschierten weiter Richtung Süden.



    Aus Bethlehem kamen christliche Boten und baten die Kreuzritter, Christi Geburtsort zu befreien. Die Nacht darauf bestiegen hundert Ritter ihre Pferde und eilten nach Bethlehem. Das Kreuzfahrerheer bewegte sich ebenfalls ins Landesinnere Richtung Bethlehem, wo die Anführer am Tag darauf der Lesung der Messe lauschten. Von hier aus schwenkte das Heer nach Norden und vereinigte sich mit einem polnischen und einem venezianischen Kontingent, das von Antiochia aus die Küstenroute genommen hatte. Von einem Hügel namens Montjoie, dem Freudenberg, erblickten die Soldaten und Pilger die Heilige Stadt Jerusalem. Nach Jahren des Marsches hatten sie das von Papst Urban II. gewiesene Ziel erreicht. Sie mussten es nur noch erobern. Mit geringer Verpflegung und von der Sommerhitze geplagt, schien diese Aufgabe jedoch unerfüllbar.

    Der Statthalter der Fatimiden, Iftikar al Daula, war gut vorbereitet. Er war vor den nahenden Kreuzfahrern gewarnt worden und hatte Vorräte in der Stadt gesammelt und die Zisternen gefüllt. Seine Garnison war alarmiert und bereit, jeden Angriff abzuschlagen. Getreide und Vieh war aus der Umgebung entfernt worden, die Bauernhöfe und Dörfer waren zerstört und Quellen, Teiche und Flüsse vergiftet oder verseucht worden.



    Die Fatimiden hatten Jerusalem erst im August 1098 den seldschukischen Türken wieder abgenommen. Die Mauern, die zuletzt der römische Kaiser Hadrian niedergerissen hatte, waren repariert und verstärkt worden. Eine starke Garnison, darunter 400 Elitesoldaten, war gut gerüstet. Diese Verteidigungsmaßnahmen beeindruckten die Kreuzfahrer auf dem Montjoie nicht sonderlich. Als sie die Heilige Stadt zum ersten Mal erblickten, jubelten und frohlockten sie.



    "Ich sage Euch, dass nichts, sei es groß oder klein, was im Namen des Herrn unternommen wird, fehlgehen kann." Blindes Vertrauen war typisch für die Sicht der Kreuzfahrer. Nachdem sie so weit gereist waren, schien es unbegreiflich, dass sie scheitern sollten. Die Belagerung begann und die Stellungen wurden bezogen.

    Erste Angriffe scheiterten, weil die Verteidigungsanlagen zu hoch waren und die Kreuzfahrer kein Holz hatten, um Leitern zu bauen. Der Heerführer Tankred löste das Problem persönlich. Offenbar erkrankte er an Durchfall und suchte einen abgelegenen Ort auf, um sich zu erleichtern. Dabei entdeckte er in einer Höhle zahlreiche gestapelte Holzstämme – eine wahrhaft göttliche Fügung. Das Eintreffen von weiterem Holz, dazu Werkzeuge und Nägel von einem genuesischen Versorgungsschiff spornten die Belagerer zusätzlich an. Sie verbrachten die folgenden Wochen mit dem Bau zweier mächtiger Belagerungstürme, mehrerer Katapulte und einer Ramme.

    Mit dem verwüsteten Umland und den überlangen Nachschublinien war es unmöglich, das Heer monatelang in der Sommerhitze vor den Mauern liegen zu lassen. Wasser musste zu Fuß aus zehn Kilometern Entfernung herangeholt werden. Die Fürsten waren sich einig, dass sie keine andere Möglichkeit als einen Sturmangriff hatten. Einer der Kreuzfahrer hatte eine Erscheinung des jüngst verstorbenen Bischofs Adhemar, der sie aufforderte, sich von ihrer Unreinheit zu befreien und "dass jeder von seinen Wegen des Bösen ablasse. Dann marschiert mit bloßen Füßen um Jerusalem und ruft Gott an und ihr müsst auch fasten. Wenn ihr das nicht tut, wird der Herr alle Übel, die ihr erlitten habt, vervielfachen." Die Kreuzfahrer waren immer willens, sich himmlischer Führung anzuvertrauen und fasteten. Am nächsten Tag konnten sich die Verteidiger am Anblick der barfüßigen Kreuzfahrerprozession ergötzen, die von Priestern und Bischöfen rings um die Stadtmauern geführt wurde. Der Spott der Garnison wurde mit Posaunen- und Trompetenschall beantwortet, allein, die Mauern stürzten davon nicht ein. Die Belagerer warteten noch einige Tage und vollendeten ihre Belagerungstürme und Sturmleitern.

    Mittlerweile gingen Proviant und Wasservorrat zur Neige, und jeden Tag konnte aus Ägypten Verstärkung für die Muslime eintreffen. Abgesehen von dem religiösem Eifer brauchten die Kreuzfahrer somit dringend einen raschen Durchbruch. Einige der Anführer trafen auf dem Ölberg einen Einsiedler, der ihnen sagte: „Wenn Ihr die Stadt morgen zur neunten Stunde angreift, wird sie der Herr in Eure Hand geben." Die Herren nahmen seine Worte als Omen ernst.

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    Der Erste Kreuzzug

    Raimunds Turm setzte die Südwestecke der Stadt stark unter Druck und band große Scharen an Verteidigern. Der Belagerungsturm im Norden zeigte jedoch offenbar wenig Wirkung. Die Muslime leisteten starken Widerstand und hatten sich klug an den Stellen gesammelt, wo die Kreuzfahrer sie am härtesten bedrängten. Am Abend des 13. Juli bewies Gottfried von Bouillon jedoch sein militärisches Genie: Er hatte einen anderen Abschnitt der Mauer entdeckt, der schwächer und nicht so gut verteidigt war. Der Herzog befahl, den Turm in seine wichtigsten Bestandteile zu zerlegen, und ließ ihn im Schutz der Dunkelheit über einen Kilometer nach Osten versetzen und neu zusammenbauen. Sobald der Morgen graute, begannen die Kreuzfahrer ihren Ansturm, weil sie den Überraschungsvorteil nach Kräften nutzen wollten. Zuerst schoben sie einen riesigen Rammbock an die äußere Mauer heran, um für den Turm eine Bresche zu schlagen. Nach stundenlangen Kämpfen stießen die Christen mit ihrer Muskelkraft den Rammbock durch das Mauerwerk. Als die Sonne unterging, war Jerusalem reif zum Sturm. Die Schlacht hatte die kritische Phase erreicht und bei Einbruch der Dunkelheit breitete sich Furcht in beiden Lagern aus.

    Bei Tagesanbruch entflammte der Kampf von neuem. Gottfried von Bouillon befehligte die Schlacht persönlich vom Inneren des großen Belagerungsturms aus. Der sperrige Apparat wurde durch einen Hagel aus Steinen und Flammen bis auf wenige Meter an die Außenwand herangeschoben. Ein Stein köpfte einen Mann, der unmittelbar neben dem Herzog stand, aber Gottfried kämpfte unerschrocken weiter. Der Turm überragte die Befestigungsanlagen um zwei Meter, und dieser Höhenunterschied gab den Ausschlag, weil die Männer im obersten Stockwerk auf die Verteidiger herabschießen konnten. Die Muslime setzten sogar eine Art griechisches Feuer ein – eine brennbare Flüssigkeit auf Erdölbasis, die mit Wasser nicht gelöscht werden konnte. Einheimische Christen hatten die Kreuzfahrer davor gewarnt, deshalb hatten sie einen Vorrat Essig zur Hand, um die Flammen zu ersticken.

    Dennoch schwächte der hartnäckige Widerstand der Muslime allmählich sowohl die Kampfmoral als auch die Kraft der Christen. Etliche Belagerungswaffen waren bereits zerstört, und die Kreuzfahrer hatten viele Männer verloren. Gegen Mittag fing jedoch ein christlicher Bogenschütze an, brennende Pfeile in die Sarazenen gegenüber dem Belagerungsturm zu schießen. Womöglich entzündete einer dieser Pfeile die Brandwaffen der Verteidiger, jedenfalls tobte ein starkes Feuer auf der Mauer, das die muslimischen Soldaten an diesem Abschnitt zum Verlassen ihrer Posten zwang. Das war die Gelegenheit für die Angreifer. Eilig befahl Gottfried, die Brücke des Belagerungsturms herabzulassen, die bis auf die Mauer reichte. Die beiden Brüder Ludolf und Engelbert von Tournai waren dem Vernehmen nach die ersten Männer, die auf die Brustwehr sprangen. Nach diesem Einbruch wurden Leitern gegen die Mauern gelehnt und Gottfrieds Männer strömten in den Norden der Stadt. Raimund hatte im Südwesten bisher kaum Fortschritte erzielt, doch die Nachricht von dem Durchbruch im Norden führte auch hier zum Zusammenbruch des muslimischen Widerstands. Als die Kreuzritter das Damaskustor öffneten, suchte der Jerusalemer Statthalter Iftikar Zuflucht im zentralen Felsendom und verhandelte um sein Leben. Man nahm das Lösegeld und ließ den General aus der Stadt eskortierten. Die anderen Nichtchristen hatten nicht soviel Glück.



    Die ganzen Anspannungen des dreijährigen Marsches, die furchtbaren Leiden bei der Belagerung Antiochias und der erbitterte Kampf um Jerusalem, nicht zu vergessen der religiöse Fanatismus trugen allesamt dazu bei, dass die Kreuzfahrer die Muslime in der Stadt ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter umbrachten. In der Al-Aksa-Moschee erschlugen die Kreuzfahrer jeden, den sie antrafen, darunter eine große Zahl Imams und Gelehrter, die in frommer Zurückgezogenheit an diesem heiligen Ort lebten.



    Die jüdische Bevölkerung flüchtete sich in die Hauptsynagogen, doch die siegreichen Christen kümmerten sich nicht um religiöse Feinheiten. Die Synagogen wurden mit den eingeschlossenen Menschen niedergebrannt. Das Schlachten hielt an, bis nur noch Christen in Jerusalem am Leben waren. Bischof Dagobert von Pisa schrieb an den Papst: "Wenn Du wissen willst, was dem Feind geschah, so wisse, dass im Salomonstor und im Tempel unsere Männer bis zu den Kniegelenken unserer Pferde im Blut der Sarazenen ritten." Die Kreuzfahrer hatten das Unmögliche vollbracht und dabei gleichzeitig das schlimmste Blutbad der Kreuzzüge angerichtet.



    Eine der reichsten Städte des Orients lag den Kreuzfahrern zu Füßen und die Männer drangen in die Häuser ein und nahmen, was sie tragen konnten. Wer mehr mit geistlichen Angelegenheiten beschäftigt war, besuchte die heiligen Stätten als Abschluss seiner vor so langer Zeit begonnenen bewaffneten Wallfahrt.



    Eine Woche, nachdem die Priester unter dem Hohn der muslimischen Garnison barfuß um die Stadtmauer gelaufen waren, zogen sie mit den Fürsten in einer feierlichen Prozession durch die Straßen. Ihr Ziel war die Kirche des Heiligen Grabes, der heiligste Platz in der heiligsten Stadt. Die Kreuzfahrer glaubten, dass durch die Berührung des Steins, auf dem der Leichnam Christi einst aufgebahrt war, dessen Heiligkeit auf sie übergehe. Sie hörten die Messe und dankten am Ende ihrer Wallfahrt Gott für den Sieg. Die Mehrheit der Kreuzfahrer hatte keinen Zweifel an dem Sinn ihrer Reise. Obwohl sie reiche Belohnung für ihren Sieg ernteten, überwog der spirituelle Sieg für sie die materiellen Vorteile der Einnahme von Jerusalem. Es zählt zu den Ironien der Geschichte, dass Papst Urban II. den Erfolg des Kreuzzugs nicht mehr erlebte: Er starb am 29. Juli 1099, noch bevor die Nachricht von der Einnahme Jerusalems bis nach Rom vorgedrungen war.




    … wie ging es weiter?

    Mit der Eroberung Jerusalems war das eigentliche Ziel des Kreuzzugs erreicht, die meisten Ritter kehrten zurück in das Abendland. Das Versprechen, die Eroberungen an Byzanz zu übergeben, wurde natürlich nicht eingehalten. Das Kreuzfahrerreich bestand aus dem eigentlichen Königreich Jerusalem sowie den Fürstentümern im Norden: das Fürstentum Antiochia und die Grafschaften Tripolis und Edessa. Später kam noch das Königreich Kleinarmenien hinzu.

    Mangels eigener Truppen war das Kreuzfahrerreich ständig in der Defensive, obwohl das Zusammenleben mit der muslimischen Bevölkerung im eigenen Land ganz gut klappte. Ernst wurde es nach 1140, als die muslimischen Nachbarreiche ihre Streitigkeiten beilegten und sich allmählich auf die Christen konzentrieren konnten. Einen ersten Warnschuss gab es 1144, als Edessa an die Syrer fiel. Im Abendland wurde der Zweite Kreuzzug ausgerufen, der aber nichts einbrachte. Und richtig ernst wurde es, als Jerusalem im Jahre 1187 – immerhin rund 90 Jahre nach dem ersten Kreuzzug – zum Ziel des wohl bekanntesten Anführers der muslimischen Welt wurde: Saladin.


    Verwendete Literatur:
    • Ehlers, Müller, Schneidmüller: Die französischen Könige des Mittelalters
    • Phillips: Heiliger Krieg
    • Geo Epoche: Zeitalter der Kreuzzüge
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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Die achte Kapitel setzt an das sechste Kapitel an, das 1106 mit dem Sturz und dem Tod Heinrichs IV. in Deutschland endete. Es wird eine etwas längere Episode, die sich über 90 Jahre in der Zeitskala erstrecken wird:

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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Heinrich der Löwe
    Herzog von Sachsen und Baiern, lebte von 1129-1195
    Startdatum: 1. Juli 1147


    Achtung Spoiler:
    1. Frühmittelalter
    Karl der Große
    1. Wie man einen König macht
    2. Bruderzwist
    3. De bello saxonici
    4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
    5. Die Krönung zum Kaiser
    6. Die Nachfolgeregelung
    Das byzantinische Kaiserreich
    1. Konstantin V. (769-780)
    2. Leo IV. (780-797)
    3. Romylia (797-801)
    4. Konstantin VI. (801-810)

    2. Das Zeitalter der Wikinger
    Alfred der Große
    1. Ethelred (867-884)
    2. Alfred (884-918)
    Die ersten deutschen Könige
    1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
    2. Ludwig der Deutsche (840-873)
    3. Karlmann von Baiern (873-886)
    4. Arnulf von Kärnten (886-898)
    5. Ludwig III. (898-937)
    6. Heinrich I. (937-968)
    7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

    3. Das Hochmittelalter
    Wilhelm der Eroberer
    1. Vorgeschichte
    2. Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft
    3. Die Normandie und England
    4. Der König und sein Königreich – Wilhelmus Rex
    5. Williams letzte Jahre – die liebe Familie
    Heinrich IV.
    1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!
    2. De bello saxonico
    3. Der unheimliche Mönch
    4. Der Gegenkönig
    5. Reges geminati, papae geminati
    6. Deus lo vult!
    7. Heinrichs letztes Gefecht
    Der Erste Kreuzzug
    1. Prolog – über das Leben Philipps I. von Frankreich
    2. Der byzantinische Hilferuf
    3. Der Zug durch das byzantinische Reich
    4. Im Heiligen Land
    Duell: Heinrich der Löwe und Barbarossa
    1. Vorgeschichte der Welfen und Staufer
    2. Die Zeit unter dem Salier Heinrich V. (1104-1125)
    3. Die Staufer werden um die Krone gebracht - Lothar III. (1125-1137)
    4. Der erste Staufer auf dem Thron - Konrad III. (1137-1152)
    5. Duell: Friedrich I. Barbarossa (1152-1190)
    1. Heinrich der Löwe verzichtet auf die Königskrone
    2. Heinrichs Kämpfe gegen die Wenden
    3. Krieg in Italien, Ärger in Sachsen
    4. Heinrichs Pilgerfahrt
    5. Die Unterredung von Chiavenna
    6. Der Prozess gegen den Löwen
    7. Nach dem Sturz
    6. Das letzte Aufbäumen des Löwen - Heinrich VI. (1190-1197)

    „Hie Welf! Hie Waibling!“ Dieser Schlachtruf soll zuerst bei der Schlacht um Weinsberg im Jahr 1140 gebraucht worden sein. Die nach der staufischen Burg Waiblingen benannte Partei des Stauferkönigs Konrad III. besiegte dort die Gegenpartei der Welfen, eines fränkischen Adelsgeschlechts, das durch die Wahl Konrads zum König seine Machtansprüche verletzt sah. Das Ringen zwischen diesen beiden Familien, zwischen diesen beiden Parteien, dominierte die deutsche Geschichte durch das gesamte zwölfte Jahrhundert. Und am bekanntesten in diesem Konflikt wurde derjenige zwischen dem Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa und dem Welfenherzog Heinrich der Löwe. Wie üblich hole ich mit der Vorgeschichte aus, in der ich nachzeichne, wie diese beiden Geschlechter an die Spitze der Feudalgesellschaft gelangten.




    Vorgeschichte der Welfen und Staufer

    Die Welfen waren ursprünglich ein fränkisches Adelsgeschlecht aus dem Raum von Maas und Mosel, das seit dem achten Jahrhundert bekannt war und eng mit dem Kaiserhaus der Karolinger verwandt war. Im Kapitel über die ersten deutschen Könige erwähne ich Judith (Pfeil 1), die Tochter des Grafen Welf, die im Jahre 818 die zweite Ehefrau wird von Kaiser Ludwig dem Frommen – dem Sohn und Nachfolger von Karl dem Großen. Ihr gemeinsamer Sohn Karl der Kahle wurde 843 der König von Westfranken. Aus erster Ehe von Ludwig dem Frommen stammte Karls Halbbruder Ludwig der Deutsche, der heiratete 827 die Welfin Hemma (Pfeil 2).



    Im Jahre 1055 starben die Welfen im Mannesstamm aus, durch eine Heirat in die oberitalienische Familie d'Este entstand die Linie der sogenannten jüngeren Welfen (Pfeil 3). Diese Linie herrschte ab 1070 über das Herzogtum Baiern. Wir erinnern uns an das vorige Kapitel über Heinrich IV. und die Absetzung des bairischen Herzogs Otto von Northeim im Jahre 1070. Damals verlieh im der Salier das Herzogtum an Welf I. (geboren um 1030-1040).

    1077 verlor Welf I. sein Herzogtum zwischendurch wieder, weil er im Investiturstreit auf päpstlicher Seite stand und den Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden gegen Heinrich IV. unterstützte. Um 1089 sorgte die Ehe zwischen Welfs 17jährigen Sohn Welf II. mit der 44jährigen Mathilde di Canossa für einen Skandal. Die Trennung dieser Verbindung im Sommer 1095 bereitete Welfs Wechsel auf die kaiserliche Seite und die ein Jahr später erfolgende Versöhnung mit dem Kaiser vor, mit der auch die Rückgabe Bayerns an Welf verbunden war. Welf I. nahm dann am Kreuzzug von 1101 teil und starb auf der Rückfahrt von Jerusalem auf Zypern.

    Sein Nachfolger in Baiern wurde sein ältester Sohn Welf, der nach der Scheidung von Mathilde di Canossa nicht mehr heiratete. Welf II. blieb dem Kaiser gegenüber loyal und beschränkte sich auf sein Amt als Herzog. Da er kinderlos blieb, war klar, dass eines Tages sein jüngerer Bruder Heinrich der Schwarze als Herzog nachfolgen würde.



    Die Staufer waren ein Grafengeschlecht aus dem Riesgau. Im Südwesten des Reiches waren sie Mitte des elften Jahrhunderts eine feste Größe. Das erste exakt nachweisbare Datum der Familiengeschichte und zugleich eine wichtige Station für den Bedeutungszuwachs der Staufer zu einer der wichtigsten Adelsfamilien des Reiches ist das Jahr 1079, als Heinrich IV. den Staufer Friedrich I. mit dem Herzogtum Schwaben belehnte und ihm seine Tochter Agnes zur Ehefrau gab. Schwaben hatte zuvor dem Gegenkönig Rudolf gehört, den Heinrich IV. besiegte – und Friedrich hatte als schwäbischer Graf trotzdem treu zum Salier gehalten. Was für ein Aufstieg in den hohen Adel!

    An der Kuppe des Berges Hohenstaufen errichtete er die Burg, die seinem Geschlecht den Namen geben sollte. Doch Friedrich I. konnte nicht über ganz Schwaben verfügen, er hatte nur die nördlichen Gebiete unter seiner Kontrolle. Die anderen schwäbischen Ländereien hielt noch immer der Zähringer Berthold, der sich seinerseits als Nachfolger des getöteten Rudolf von Rheinfelden legitimierte: Unterstützt von den Welfen und dem Papst wurde er 1092 gegen den Staufer Friedrich zum Herzog von Schwaben gewählt. Um 1098 kam es zwischen Berthold und Friedrich I. zu einem Ausgleich, im Zuge dessen der Zähringer zwar auf das Herzogtum Schwaben verzichtete, jedoch die Vogtei über die bedeutende Stadt Zürich erhielt sowie weiter den nominellen Herzogstitel führen durfte. Nach dem Tod von Friedrich I. im Jahre 1105 folgte sein Sohn Friedrich II. als Herzog von Schwaben nach.



    Der Staufer Friedrich II. war also ein Enkel von Kaiser Heinrich IV., dessen Leben ich hier bereits schilderte. Wie erwähnt wurde dieser von seinem eigenen Sohn Heinrich V. entmachtet. Die verwandtschaftliche Bande zum salischen Herrscherhaus blieb bestehen – der neue König Heinrich V. war der Onkel des Staufers.

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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Die Zeit unter dem Salier Heinrich V. (regierte 1104-1125)

    Ob der alte Herzog Friedrich I. die Machtübernahme des jüngeren Heinrich, seines Schwagers, noch erlebt hat, lässt sich nicht sagen, weil sein genaues Todesdatum nicht bekannt ist (im folgenden Bild habe ich sein Todesjahr mit 1105 angegeben). Als der alte Kaiser Heinrich IV. 1103 in Mainz einen allgemeinen Landfrieden verkündete, an den sich noch ein Sonderfrieden für Schwaben anschloss, gehörte noch Friedrich I. zu denen, die ihn mit ihrem Eid bekräftigten. Im Juli 1105 tauchen Urkunden auf, in denen dann erstmals der gerade 15jährige jüngere Friedrich unterzeichnet. Mag sein, dass sein Vater zu dieser Zeit bereits tot war. Denkbar ist auch, dass der Sohn Friedrich damals die Schwertleite erhalten hatte und damit mündig wurde.



    Durch den Tod des alten schwäbischen Herzogs Friedrich I. war Agnes, die Schwester des neuen Königs, zur Witwe geworden. Agnes war 1105 mit 33 Jahren noch jung genug, um neu verheiratet zu werden, was der König dann auch arrangierte: Recht zügig verheiratete er sie mit dem Babenberger Leopold von Österreich, den er damit politisch fest an seine Seite binden wollte. Agnes bekam schon 1107 oder 1108 das erste Kind von Leopold, der Sohn wurde bezeichnenderweise Heinrich genannt.

    König Heinrich V. war, als sein Vater 1106 starb, gerade einmal zwanzig Jahre alt. In dieser Zeit gab es in den verschiedenen wichtigen Familien überall den Generationenwechsel. Bei den schwäbischen Staufern folgten die jugendlichen Friedrich II. und sein Bruder Konrad, bei den Welfen traten Welf II. und sein Bruder Heinrich der Schwarze in Baiern das Erbe an.



    Mit dem Sieg von Heinrich V. im Machtkampf mit seinem Vater kehrte tatsächlich Ruhe ein im Reich und im Verhältnis zwischen König und Papst. Die ersten Jahre seiner Alleinherrschaft verliefen erstaunlich ruhig und ohne größere Probleme. Die wichtigsten Helfer von Heinrich V. waren zu dieser Zeit die weltlichen Fürsten des sogenannten Reformadels, der sich die Ziele der Kirchenreform zu eigen gemacht hatte. Auch die Bischöfe im engeren Umkreis des Königs boten hinsichtlich ihrer Lebens- und Amtsführung dem Papst Paschalis II. (regierte 1099-1118) kaum Anlass zur Kritik. Der Dissens in der entscheidenden Frage des königlichen Rechts der Bischofseinsetzung – der bereits zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. so sehr eskalierte Streitpunkt - ließ sich aber nicht lange kaschieren.



    Zu demonstrativ nahm auch Heinrich V. das Recht der Investitur von Bischöfen mit Ring und Stab wahr. Paschalis II. reagierte zunächst besonnen und ließ sich auf Verhandlungen ein. In der Sache blieb aber auch er beim bisherigen Kurs: Eine Kirchensynode in Italien sprach im Frühjahr 1106 erneut das generelle Verbot der Laieninvestitur aus. Heinrichs Unterhändler, Bischof Bruno von Trier, bestand dagegen auf das ius regni. Beide Seiten ließen trotzdem die Verhandlungen nicht abreißen. Immerhin gab es in Frankreich und England bereits eine Vorlage, wie eine Einigung aussehen könnte. Dort hatte man jeweils ein Konkordat geschlossen, in dem man anerkannte, dass das Bischofsamt eine geistliche und eine weltliche Seite habe und man dieser Tatsache bei der Amtseinsetzung faktisch und symbolisch Rechnung tragen könne.

    Innenpolitisch fällte der neue Herrscher bereits 1106 eine wichtige Entscheidung. Nach dem Tod des sächsischen Herzogs Magnus Billung (im folgenden Bild links) war sein Geschlecht in männlicher Linie ausgestorben. Magnus hinterließ aber zwei Schwiegersöhne, und das waren der Welfe Heinrich den Schwarze (der erwähnte Bruder des neuen bairischen Herzogs Welf, im Bild rechts oben) sowie der Askanier Graf Otto von Ballenstedt (rechts unten).



    Klar, dass die beiden sich als Nachfolger für das Herzogtum Sachsen bereithielten. König Heinrich V. bevorzugte jedoch nicht einen der beiden Schwiegersöhne, sondern vergab den Titel an den Grafen Lothar von Süpplingenburg (zweite Reihe, rechts)



    Damit machte Heinrich V. klar, dass für ihn der Amtscharakter des Herzogtums im Vordergrund stand, und nicht die Ansprüche dynastischer Erbgewohnheiten. Offenbar wollte er auch die Machtkonzentration der Billunger Sippe in Sachsen auflösen, außerdem einen Herzog einsetzen, der mangels eigener Hausmacht auf die Zusammenarbeit mit dem König angewiesen war. Die Entscheidung des Königs stieß auf keinen erkennbaren Widerstand.
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    Wenn du mit Heinrich VI weiterspielst, musst du es ja irgendwie schaffen, England zu vasallisieren, das wird spannend (wobei Tributpflicht herstellen wahrscheinlich schon reichen würde).

  10. #160
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    Das sind so Sachen, bei denen ich mit dem Historien-Nachspielen merke, dass CK2 an seine Grenzen stößt bzw. noch hätte verfeinert werden können. Deshalb sagt mir nach dem ersten Probieren der jüngste DLC mit den Orden nicht recht zu, der wirkt aufgesetzt. Mir wäre lieber gewesen, man hätte sich z.B. lieber um den Investiturstreit, die geistlichen Lager der Reichs- und der Reformkirche und um mehr Ereignisse im Zusammenhang mit Nachfolgebesetzungen in Grafschaften und vor allem Bistümern gekümmert.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #161
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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Die ersten Jahre der Herrschaft beschäftigte sich Heinrich V. mit den Entwicklungen an der Ostgrenze des Reiches. Dynastische Wirren in Böhmen, Ungarn und Polen machten ein Eingreifen nötig. Als Heinrich V. mit Truppen dorthin einmarschierte, befand sich auch der junge Staufer Friedrich II. an seiner Seite, der auf seinem ersten Kriegszug wohl das schwäbische Kontingent anführte. Unter der Teilnehmern war auch Gottfried von Lothringen, ein bewährter und im Krieg erfahrener Mann, der für den jungen Herzog der Lehrmeister gewesen sein kann. In Ungarn wurde Pressburg erfolglos belagert, doch Friedrich II. lernte dort die Art der Kriegsführung kennen, die schon zu Zeiten seines Vaters üblich gewesen war: Verwüstung und Brandschatzung ganzer Landstriche, die das Heer durchzog. Auch Klöster und Kirchengüter, die auf dem Weg lagen, wurden dabei nicht geschont. Aber für einen künftigen Heerführer war es eine Selbstverständlichkeit, für seine Ritter und Soldaten sorgen zu müssen, und diese haben sich beschafft, was sie brauchten. Eine „Logistik der Kriegsführung“ hielt man nicht für berichtenswert, deshalb wissen wir heute gar nicht, ob Feldzüge von langer Hand geplant wurden oder ob die anstehenden Probleme vor Ort gelöst wurden.

    Während Feldzüge gegen Ungarn und Polen 1108/09 relativ erfolglos blieben, gelang es Heinrich in Böhmen, seinen Kandidaten Swatopluk als Herzog durchzusetzen. Das geschah übrigens erst nach einigen Parteiwechseln des Königs – Heinrich richtete seine Unterstützung vorrangig nach den ihm angebotenen Geldzahlungen aus. Man musste sich angeblich sogar am Prager Kirchenschatz vergreifen, um Heinrichs Geldgier zu sättigen. In Polen und Ungarn aber, wo Heinrich V. weniger erfolgreich agierte, lösten sich die Häuser Piast und Arpad aus der deutschen Dominanz und konnten eine eigenständige Politik betreiben. Hier waren die Zeiten der deutschen Einflussnahme offenbar an ihr Ende gelangt.



    Dafür war der nächste Heereszug sicher von langer Hand geplant worden. Er führte nach Rom. Parallel zu den Kriegen im Osten hatte Heinrich V. seinen Kanzler Adalbert von Mainz Verhandlungen mit dem Papst bezüglich der Kaiserkrönung führen lassen. Diese Gespräche wurden wie TTIP im Geheimen geführt, denn der dazu geschlossene Vorvertrag von Anfang 1111 bezog auch die leidige Sache mit der Investitur ein – und sah eine Einigung vor, die vollständig zu Lasten der geistlichen Großen ging!

    Heinrich V. versprach, in Zukunft gänzlich auf eine Beteiligung an der Investitur von Bischöfen zu verzichten. Diese mussten ihm jedoch zuvor alle sogenannten Regalien zurückerstatten. Das waren Herzogtümer, Markgrafschaften und Grafschaften, Münz-, Markt- und Zollrechte, Reichsvogteien, Reichsburgen und einiges andere mehr. Kurz: Es handelte sich um all die Privilegien, die seit der Zeit der Karolinger den kirchlichen Würdenträgern für ihre Dienste für die Krone zugestanden worden waren. Das alles bildete eine Säule des Herrschaftssystems im Reich.

    Die nun gefundene Lösung war ebenso einfach wie radikal. Sie zog im Grunde die Konsequenz aus der alten Forderung der Kirchenreformer, die Bischöfe sollten ihre Verstrickung in weltliche Angelegenheiten beenden und sich auf ihre geistlichen Aufgaben konzentrieren. Um dies zu gewährleisten, sollten sie alles das dem Königtum zurückerstatten, was dieses im Laufe der letzten Jahrhunderte den Kirchen an königlichen Rechten und Privilegien eingeräumt hatte. Damit entfiel auch die Verpflichtung zum Dienst und folglich auch für den König die Notwendigkeit, bei der Einsetzung der Bischöfe mitzubestimmen. Bei dieser Lösung hatte man aber im wahrsten Sinne des Wortes die Rechnung ohne den Wirt gemacht...

    Heinrich V. reiste nach Abschluss des Vorvertrages mit dem deutschen Hauptheer über Burgund nach Oberitalien, wo sich in der Poebene die einzelnen Aufgebote aus Sachsen und dem Rheingebiet, aus Schwaben und Baiern dazugesellten. Auf den Roncallischen Feldern hielt der König eine Musterung seiner Truppen ab, und dabei sollen 30.000 Mann gezählt worden sein. Angesichts dieser Macht arrangierte sich Mathilde di Canossa, die Herrin über Tuszien, mit dem König. Mathilde war die reichste Herrscherin dieser Region, und da sie im hohen Alter stand und kinderlos war, sah man ihrem Ende mit Spannung entgegen. Neben Friedrich II. stand auch Welf II. im Heer. Der war ja 1095 mit Mathilde verheiratet worden, sie war seine Exfrau. Es ist aber nichts davon bekannt, dass er noch etwas mit ihr im Sinn hatte oder sich in Gedanken mit ihrem Erbe beschäftigte.

    Anfang Februar 1111 stand Heinrich V. vor Rom, um das ebenso vorteilhafte wie radikale Abkommen mit dem Papst zu schließen und sich außerdem zum Kaiser krönen zu lassen. Am 12. Februar begrüßte Heinrich den Papst mit Fußkuss und Leisten des üblichen Schutzeides. Dann wurde die päpstliche Urkunde über die bisher geheime Vereinbarung zur Investitur sowie Rückgabe der geistlichen Privilegien verlesen. Ein Tumult brach los, die deutschen Bischöfe waren entsetzt über die Vereinbarungen und versuchten, eine andere Lösung zu finden. Das war kein Wunder, denn mit dem Vertrag entzog der Papst den Bischöfen ihre weltlichen Machtgrundlagen und gab sie dem König an die Hand.

    Aus der Korrespondenz zwischen Heinrich V. mit seinen Unterhändlern geht hervor, dass sie die Durchführung des Vorhabens von vornherein für ausgeschlossen hielten. Aber warum sollte das Heinrichs Problem sein, wenn das der Papst so akzeptiert hatte? Durch die Proteste der Bischöfe wurde nun wie erwartet überdeutlich, dass der Papst seine Verpflichtungen nicht würde einhalten können. In dieser tumultartigen Situation forderte Heinrich V. wieder das Investiturrecht und überdies die Kaiserkrönung. Paschalis II. stand allein und lehnte beides jetzt ab. Da ergriffen die Soldaten des Königs den Papst und seine Kardinäle und zogen mit ihnen aus Rom ab, bevor die Römer darauf reagieren konnten.



    Zwei Monate hielt Heinrich V. die Würdenträger in einer Art Beugehaft, bis ihm Paschalis vertraglich die Investitur der Bischöfe mit Ring und Stab zugestand. Überdies versprach der Papst, Heinrich zum Kaiser zu krönen und ihm niemals wegen des Vorgefallenen zu exkommunizieren. Natürlich waren alle diese Zugeständnisse durch die Haft erzwungen. An einem schlichten Donnerstag, dem 13. April 1111, kam es dann in Rom zur Kaiserkrönung, einer gewiss eigenartigen Veranstaltung.

    Danach ließ Heinrich den Papst frei und kehrte zügig ins Reich zurück. Auf dem Rückweg schloss der Kaiser mit Mathilde di Canossa einen Vertrag, durch den er zu ihrem Erben eingesetzt wurde. Dies widersprach der Schenkung, die sie 1102 an die römische Kirche vorgenommen hatte. Und nach seiner Rückkehr im Reich ließ Heinrich V. den Sarkophag seines Vaters mit päpstlicher Genehmigung nun endlich im Dom zu Speyer begraben.

    Das war mal ein Kantersieg für den Kaiser. Immerhin hatte sich Heinrichs Vater im Ringen mit dem Papst und den Reichsfürsten viele Jahre lang abgekämpft, bis Heinrich V. in das Lager der Gegner wechselte und seinen Vater vom Thron stieß, um die salische Dynastie zu retten. Jetzt hatte er die Kaiserkrone, das Recht zur Investitur und die matildischen Güter in der Tasche, außerdem hatte er in Sachsen seinen Kandidaten Lothar durchgesetzt.

    Doch der vermeintliche Sieg über das Papsttum wirkte sich negativ aus, denn die öffentliche Reaktion wandte sich wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen den Kaiser. Das erpresste „Privileg“ wurde von der römischen Kurie im März 1112 für hinfällig zum „Pravileg“ (üble Urkunde) erklärt und durch die Kardinäle, nicht durch den Papst, der Bann ausgesprochen. So war man in der Investitur also wieder nicht weitergekommen, im Gegenteil war das Vertrauen der letzten Jahre zerstört. Für Heinrich V. endeten 1111 die Jahre des Konsens, er regierte von nun an konfrontativ – offenbar ließ er jetzt die Maske seines verschlagenen Charakters fallen. Das gab auch im Reich einigen Ärger.

    Ausgerechnet derjenige, der Heinrich V. seinen Aufstieg zu einem Gutteil verdankte, geriet als erster mit dem Kaiser in Konflikt: Herzog Lothar von Sachsen. Der Grund hierfür ist überliefert, aber historisch nicht gesichert: Zwei Ministerialen des Markgrafen von Stade namens Friedrich und Ulrich, die für unfrei gehalten wurden, weil sie von einer englischen Schiffsbrüchigen abstammten, waren durch Dienst zu Ansehen und Reichtum gekommen. Ulrich war an den Hof von Heinrich V. gegangen und hatte sich dort wie ein freier Mann aufgeführt, was den Markgrafen von Stade veranlasste, sein Herrschaftsrecht an ihm dadurch klar anzumelden, dass er Ulrich in Anwesenheit des Kaisers eine Ohrfeige gab. Zuvor hatte er sich vom Herrscher eine Rechtsauskunft erbeten, ob man sein Anrecht auf einen Leibeigenen jederzeit öffentlich kundtun dürfe. Diese Frage war bejaht worden. Damit war Heinrich V. öffentlich in einer Weise desavouiert, dass sein heftiger Zorn über das Verhalten des Stader Grafen verständlich ist, wenn denn die Geschichte so stimmt.

    Der andere Ministeriale, Friedrich, wandte sich später an den Herrscher und bot ihm immerhin 40 Mark Gold, wenn er ihm den Status eines Freien zubillige, worauf Heinrich V. offensichtlich eine rechtliche Klärung der Angelegenheit anberaumte. Der Gerichtstag wurde jedoch vom Stader Markgrafen und Herzog Lothar dadurch gesprengt, dass sie Friedrich und seinen Anhang einfach gefangen nahmen und in die Haft abführten. Dies empörte Heinrich V. erneut, und er ließ Markgraf Rudolf und Herzog Lothar durch den Spruch einiger Fürsten einfach ab- und durch andere Große ersetzen. Der Konflikt eskalierte bis an den Rand bewaffneter Auseinandersetzungen, denn Heinrich führte ein Heer vor die Burg Salzwedel, in der dieser Ministeriale Friedrich einsaß. Hier gelang jedoch die Beilegung des Konflikts durch Einlenken Lothars und Rudolfs, die daraufhin die herrscherliche Gnade und ihre Ämter zurückerhielten.



    Dies hinderte jedoch weder Lothar noch Rudolf, sich gleich der nächsten sächsischen Empörung gegen Heinrich V. anzuschließen, die sich noch im selben Jahr am Erbe des kinderlosen Grafen Udalrich von Weimar entzündete. Heinrich zog die Lehen ein und entfachte den Widerstand der sächsischen Adeligen, an der sich auch der Bischof Reinhard von Halberstadt beteiligte. Dieses Mal kam es zu Kämpfen, aus denen der Kaiser siegreich hervorging. Herzog Lothar musste 1114 auf der Hochzeit Heinrichs in Mainz im Büßergewand und barfuß erscheinen und den Salier mit einem Fußfall um Verzeihung bitten, die er auch erhielt.

    Genau, Heinrichs Hochzeit. Der Kaiser heiratete Matilde, die Tochter des englischen Königs Henry I. Beauclerc, der wiederum ein Sohn und Nachfolger von William dem Eroberer war. Die Verlobung mit der damals Siebenjährigen war bereits 1109 verhandelt worden, Heinrich V. brauchte die Mitgift von 10.000 Mark Silber für den erwähnten Romzug, den er 1111 unternehmen sollte.



    Schon im Jahr darauf fand man Herzog Lothar erneut unter den Aufständischen in Sachsen. Bei dieser Empörung ging es um den Plan des Kaisers, einige sächsische Adelige ihrer Würden zu berauben und diese an seine Günstlinge zu verteilen. Lothar koalierte mit einer rheinisch-westfälischen Verschwörung unter Führung des Kölner Erzbischofs Friedrich, die die gleichen Vorwürfe gegen Heinrich V. erhob. Der Kaiser plage die Region mit zu hohen Steuern und lasse sie durch seine Ministerialen beherrschen.



    Auch in diesem Fall war man zum Waffengang entschlossen, und es kam am 11. Februar 1115 am Welfesholz zur Schlacht, in der das kaiserliche Aufgebot vernichtend geschlagen wurde. Die Folgen dieser Niederlage waren gravierend und Heinrich V. hat sie bis zu seinem Tode nicht wieder wettmachen können.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #162
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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Herzog Friedrich II. von Schwaben blieb ein treuer Parteigänger des Kaisers, neben seinem Bruder Konrad (der für seine Loyalität im Jahre 1116 zum Herzog von Franken ernannt wurde) und dem Pfalzgrafen Gottfried von Calw sogar der einzige, der in allen Situationen zu ihm stand. Heinrich V. hatte sich durch seine Härte überall unbeliebt gemacht, er besaß mehr Feinde als Freunde. Friedrich II. aber band das gesamte Gebiet am Ober- und Mittelrhein eng an den Kaiser. Dort lag die Hauptstärke des Reiches, seine Achse. Vor allem das linksrheinische Gebiet hat Friedrich II. bereist und überall dort, wo er einen geeigneten Platz fand, eine Burg gebaut. Dies wurde zum Sprichwort: Herzog Friedrich schleppt am Schwanz seines Pferdes stets eine Burg hinter sich her.



    Lothars Sachsen dagegen wurde von nun an zum Zufluchtsort der Gegner des Kaisers. Die Situation ähnelte jener, die auch zwischen Heinrich IV. und den Sachsen vierzig Jahre zuvor bestanden hatte. Mit seiner sächsischen Politik war Heinrich V. jedenfalls alles andere als erfolgreich. Gleichermaßen folgenreich wie der Bruch mit Herzog Lothar war auch sein Zerwürfnis mit dem bereits erwähnten Mainzer Erzbischof Adalbert, zu dem es noch 1112 kam, kaum dass der vertraute Kanzler den Mainzer Erzstuhl bestiegen hatte. Heinrich V. war Adalbert Verrat, Mordpläne und alle möglichen Schlechtigkeiten vor.



    Der Hintergrund war profan – Adalbert wollte die Burg Magdeburg nicht herausrücken, die Heinrich V. von ihm verlangte. Der Kaiser handelte konsequent wie ungewöhnlich und setzte Adalbert gefangen. In den nächsten Jahren hielt er den Erzbischof in so strenger Haft, dass 1115 bei seiner Freilassung die Haut kaum mehr an seinen Knochen hing. Die Feindschaft war in der Folge sehr tief, denn die Freilassung war nur durch die Erhebung der Mainzer Bürger erzwungen worden. Adalbert agierte also weiter gegen Heinrich, wo er konnte - so während der Abwesenheit Heinrichs V. in Italien, als er seine Kämpfe gegen dessen Stellvertreter, die Staufer Brüder Friedrich II. und Konrad, fortsetzte.

    Nach Italien musste Heinrich V. nämlich eilig aufbrechen, weil die mächtige Mathilde di Canossa gestorben war und der Kaiser ihr Erbe einsacken wollte, bevor es andere – womöglich der Papst – taten. Und das gelang ihm auch. Heinrich V. konnte mit seiner jungen Gemahlin Matilda sogar in Rom einziehen, obwohl er immer noch exkommuniziert war. Die Römer hatten sich kurz zuvor nämlich gegen Paschalis II. erhoben und ihn aus der Stadt vertrieben. So konnte Heinrich seine Frau durch den gefälligen Gegenpapst Gregor VIII. zur Kaiserin krönen lassen.

    Gregor VIII. hielt sich nicht auf dem Heiligen Stuhl, obwohl Paschalis II. im Jahre 1118 starb. Als der in Vienne erhobene Calixt II. 1120 nach Rom zurückkehrte, beendete er die Herrschaft Gregors sehr unrühmlich. Unbekleidet trieb man den Gegenpapst auf einem Esel durch Rom, ihn so rituell entehrend, ehe man ihn in ein abgelegenes Kloster verbrachte. Es war das typische Schicksal eines vom Kaiser installierten Papstes, sobald der Schutzherr Rom den Rücken gekehrt hatte. Man kann Heinrich V. nicht vorwerfen, dass er sich nicht mit der Situation zu arrangieren wusste. Schon im September 1119 begannen mit den Vertretern Calixt II. neue Verhandlungen für einen Ausgleich im Investiturstreit.



    In der Sache blieben die Gespräche zäh und der Papst machte Druck, indem er den Kaiser erneut bannte. Auch im Reich schien zunächst alles auf eine Konfrontation hinauszulaufen. Im Jahre 1121 sagte Heinrich V. eine Heerfahrt gegen Mainz und den Erzbischof Adalbert an. Es drohte eine große Schlacht vor Mainz, denn Adalbert wurde von den Sachsen militärisch unterstützt. In dieser Situation griffen Fürsten beider Seiten in neuer Weise vermittelnd ein und rangen dem Kaiser ein Zugeständnis größter Tragweite ab. Wie es dazu kam, ist nicht bekannt, zumindest aber: Im Angesicht der drohenden militärischen Konfrontation setzten sich besonnene Fürsten durch und stifteten Frieden. Der Kaiser hatte sich verpflichtet, ihren Urteilsspruch anzuerkennen und sie fügten ihrem Spruch daher warnend hinzu: „Wenn aber der Herr Kaiser dies nicht befolgt, werden die Fürsten die Treue, die sie sich gegenseitig versprochen haben, untereinander bewahren.“ Dies bedeutete nichts anderes, als notfalls gemeinsam gegen den Kaiser vorzugehen.



    Heinrich V. musste außerdem versprechen, dem Apostolischen Stuhl zu gehorchen. Der Weg war dadurch frei zum inneren Frieden als auch zu erneuten Verhandlungen mit dem Papst, die nun schnell zu Ergebnissen führten. Sie wurden im Wormser Konkordat vom 23. September 1122 festgeschrieben und waren ein Kompromiss im langen Investiturstreit. Heinrich V. verzichtete einerseits auf die Investitur der Bischöfe mit Ring und Stab und garantierte ungestörte kanonische Wahl und Weihe. Dafür wurde ihm im Reichsgebiet, mit Ausnahme von Italien und Burgund, die persönliche Anwesenheit bei der Wahl ermöglicht. Bei zwiespältiger Wahl besaß der König die Entscheidung, das eröffnete Möglichkeiten zur Einflussnahme.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  13. #163
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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Die strittigen Regalien aber wurden vom Herrscher nun mittels Zepter an die Bischöfe verliehen, wodurch das Recht der Könige an diesen Regalien anerkannt und die Forderung von Gegenleistungen im Reichsdienst akzeptiert wurden. Damit traten die Bischöfe des Reiches zum König in ein Lehnsverhältnis, wie es die weltlichen Fürsten besaßen. Das entsprach so gar nicht den Vorstellungen der Reformer in der Kirche. Die Zukunft musste zeigen, wie sich das Verhältnis zwischen Bischöfen und König gestalten würde.



    Im Reich kehrte nach Jahrzehnten der Unruhe und des Bürgerkriegs endlich Frieden ein, nur Sachsen blieb für Heinrich V. schwierig. Der Kaiser fand aber nicht die Kraft und die Zeit, sich mit seinem Rivalen Herzog Lothar zu messen. Durch Entwicklungen im Westen schien es nämlich möglich, dass Heinrich V. als Erbe seines Schwiegervaters, König Henry I. von England, die Herrschaft über dieses Königreich und die Normandie würde antreten können.



    Der englische Thronfolger William war am 25. November 1120 beim Untergang des White Ship im Ärmelkanal ertrunken. Auf dem Schiff waren fast dreihundert Leute, darunter viele Barone. William habe Wein ausgeteilt und die Besatzung sei betrunken gewesen. Das Schiff des Königs hatte zuerst abgelegt. Die betrunkene Meute verlangte nun vom Schiffsführer, das Schiff des Königs einzuholen. Vor lauter Eifer habe niemand auf das Meer geachtet, bis die linke Flanke des Schiffes einen Felsen rammte, der zwei Planken eindrückte. Wasser drang in das Schiff und es sank sehr schnell.

    William war der einzige legitime Sohn des englischen Königs gewesen. Weil Henry I. keine weiteren legitimen Söhne mehr bekam, suchte er – da seine unehelichen Söhne aus Rücksicht auf die Kirche als Nachfolger ausschieden – seiner Tochter Matilda den Thron von England zu sichern.



    Allerdings war die Herrschaft einer Frau unpopulär. Die Situation wäre jedoch grundsätzlich anders gewesen, wenn Matilda mit ihrem Ehemann Heinrich V. einen männlichen Thronerben gezeugt hätte. Große Möglichkeiten zur Vereinigung von Deutschland, England und der Normandie taten sich auf.



    Ein militärischer Vorstoß bis Metz, mit dem Heinrich V. seinen Schwiegervater unterstützen wollte, löste in Frankreich jedoch so etwas wie eine nationale Bewegung aus, deren militärischer Macht Heinrichs Aufgebot offensichtlich nicht gewachsen war. So zog er sich wieder zurück, bevor es zu Kämpfen mit dem französischen König Ludwig VI. kam. Das Vorhaben mit England war gescheitert.

    Heinrich V. gewann die alte Machtposition des Königtums im Reich nicht mehr zurück. Ihm fehlte seit dem Konkordat die wichtige Basis eines gefestigten Reichskirchensystems und ihm war in Sachsen jede Einflussmöglichkeit genommen. Der Sachsenherzog Lothar schaffte es sogar, bei der Wiederbesetzung der Markgrafschaften Meißen mit Konrad von Wettin und Niederlausitz mit Albrecht von Ballenstedt seine Kandidaten gegen Heinrichs Interessen durchzusetzen. Sogar die treuen Städte standen nicht mehr zu ihm, so kam es 1124 zum Aufstand der Stadt Worms, den er nach längerer Belagerung niederwerfen konnte.

    Dazu kam, dass Heinrich V. trotz der zehn Jahre Ehe mit Matilda noch immer keinen Thronfolger erhalten hatte. Die Zeitgenossen haben dies als Zeichen des Himmels betrachtet, als Strafe Gottes für den Frevel, die Heinrich auf seinen Kriegszügen begangen habe, vor allem natürlich für sein hartes Vorgehen gegenüber dem Papst, den er betrogen, erpresst und gedemütigt hatte.

    So gesehen war sein Neffe und engster Vertrauter, der Staufer Friedrich II. von Schwaben, mehr vom Glück gesegnet. Friedrich hatte im Jahre 1120 die Tochter des bairischen Herzogs Heinrich der Schwarze geheiratet, es war also eine Verbindung zwischen dem Haus der Staufer und dem der Welfen. Der Sohn, den Friedrich und Judith im Jahre 1122 bekamen, wurde mit dem Stammnamen der Staufer benannt – Friedrich. Bekannt werden sollte dieser Knabe aber unter dem Namen Barbarossa.

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  14. #164
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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Damit hatten die beiden großen Häuser Staufer und Welfen für ihre jeweiligen Herzogtümer Schwaben und von Baiern den Sohn und designierten Nachfolger. In Baiern war das nämlich Judiths jüngerer Bruder Heinrich, der zu dieser Zeit 14 Jahre alt war und später den Beinamen Der Stolze bekommen sollte.



    Ostern 1125 verbrachte Heinrich V. in Lüttich, von dort zog er nach Utrecht, wo er am 23. Mai 1125 an einem Krebsleiden starb. Auf dem Totenbett vertraute er seine Gemahlin und sein Eigentum seinem Neffen, dem Staufer Friedrich II. von Schwaben, an. Ihn wählte der sterbende Kaiser auch zu seinem Wunschnachfolger auf dem Thron aus. Die Reichsinsignien gab Heinrich V. zur Burg Trifels, wo sie bis zur Fürstenversammlung aufbewahrt werden sollten.




    Die Staufer werden um die Krone gebracht – Lothar III. (regierte 1125-1137)

    Die Entscheidung, ob der Staufer Friedrich tatsächlich der Nachfolger auf dem Thron sein würde, fiel aber noch immer den Reichsfürsten zu. Eine Gruppe geistlicher und weltlicher Fürsten lud gemeinsam zum Hoftag nach Mainz, um dort den Beschluss bezüglich der Nachfolge zu fassen, „wie der heilige Geist es uns eingeben mag.“ Die Leitung des Wahlverfahrens oblag dem Erzbischof Adalbert von Mainz, einem erklärten Gegner der Salier. Und da die Staufer eng mit den Saliern verbandelt gewesen waren, durfte von Adalbert kein Durchwinken der Kandidatur Friedrichs erwartet werden. Die Atmosphäre in Mainz war tatsächlich angespannt. Zu den ersten Beratungen versäumte es Friedrich zu erscheinen. Als Neffe des verstorbenen Königs war er der erste männliche Verwandte und als solcher erwartete er wohl die Nachfolge. Das Gremium aus vierzig Fürsten benannte nach diesen ersten Beratungen dann drei Kandidaten für die Thronfolge:

    • den Herzog Friedrich II. von Schwaben (Staufer)
    • den Markgrafen Leopold von Österreich (Babenberger)
    • den Herzog Lothar von Sachsen (von Süpplingenburg)



    Damit war klar, dass sich das Gremium nicht auf einen Kandidaten hatte einigen können. Unter Tränen und niederkniend erklärten Leopold und Lothar in der Mainzer Versammlung, sie würden eine solche Würde nicht annehmen – und bewiesen mit dieser Demut ihre Eignung für das hohe Amt. Auch eine Art der Bewerbung. Herzog Friedrich missverstand das offenbar als Verzicht der beiden und glaubte sich bereits als Sieger des Wahlverfahrens. Als er jedoch in der Versammlung erschien, stellte Erzbischof Adalbert allen drei Kandidaten die Frage, „ob jeder bereit sei, ohne Widerspruch, Zögern und Neid demjenigen zu gehorchen, den die Fürsten erwählen würden.“

    Im Unterschied zu seinen Kontrahenten verweigerte Friedrich eine Antwort und wollte sich zunächst beraten. Beleidigt entzog er sich der Versammlung, enttäuscht von der für ihn überraschenden Skepsis der Fürsten. Am nächsten Tag versuchten irgendwelche Anhänger von Herzog Lothar, der Versammlung ihren Willen aufzuzwingen. Sie ergriffen den angeblich sich heftig sträubenden Lothar, hoben ihn auf einen Schild und trugen ihn unter dem Ruf „Lothar soll König sein“ lärmend im Saal herum. Dies führte beinahe zum Eklat und zum Abbruch der Versammlung, denn vor allem die bairischen Bischöfe protestierten und erklärten, sie seien ohne ihren Herzog nicht bereit, eine Entscheidung in der Nachfolge zu fällen. Mit Mühe gelang es dem päpstlichen Legaten, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen, so dass die Beratungen fortgesetzt werden konnten.

    Die Einigung gelang nun überraschend schnell – und ausschlaggebend war Heinrich der Schwarze. Es ist ja auffällig, dass er selbst nicht für die Krone kandidierte, obwohl der Welfe als Herzog von Baiern ja zum Kreis der denkbaren Kandidaten gezählt werden musste. Das galt ebenso für den Herzog von Lothringen, hier war der Verzicht von Gottfried VI. dem Bärtigen nachvollziehbar – der war nämlich schon 62 Jahre alt. Heinrich IX. der Schwarze hingegen war gerade 50 Jahre alt, aber man rechnete damit, dass er die Kandidatur seines staufischen Schwiegersohns Friedrich unterstützen würde. Doch Heinrich der Schwarze wechselte jetzt die Seiten:

    „Also wurde der Herzog von Baiern herbeigeholt, und nun einte die Gnade des heiligen Geistes den Sinn aller Wähler in einem gemeinsamen Geiste, und König Lothar, der Gott so wohlgefällig war, wurde durch die allgemeine Übereinstimmung und die Bitten der Fürsten zur Königswürde erhoben.“ Was hier kaum angedeutet ist, bedeutete, dass der welfische Baiernherzog seinen staufischen Verwandten im Stich ließ und sich zur Wahl des Sachsen Lothar entschloss. Diese Affäre darf man getrost als den Beginn der langen Feindschaft zwischen Staufer und Welfen bezeichnen!

    Natürlich war der Parteiwechsel des Welfen für Lothar nicht umsonst zu haben. Lothar III. versprach die Vermählung seiner Erbtochter Gertrude mit Heinrich dem Stolzen, dem Sohn von Heinrich dem Schwarzen.



    Die glänzende Aussicht, so nach dem Tode Lothars Ansprüche auf die Königswürde erheben zu können, veranlasste die Welfen wohl dazu, die Unterstützung ihrer staufischen Verwandten aufzugeben, damit war die Sache entschieden. Das Prinzip der freien Wahl durch die Fürsten hatte über Designation und Erbanspruch gesiegt. Im September 1125 wurde Lothar von Erzbischof Friedrich von Köln in Aachen gekrönt.

    Lothar von Süpplingenburg war 1075 geboren und verheiratet mit der resoluten Richenza von Northeim. Nachdem der bis dahin eher unbedeutende Lothar im Jahre 1106 vom Salier Heinrich V. zum Herzog von Sachsen erhoben worden war, hatte er mit großer Tatkraft eine starke Machtposition aufgebaut und 1115 sogar seinen einstigen Förderer in der Schlacht am Welfesholz geschlagen. In Sachsen konnte ihm keiner das Wasser reichen und mit 50 Jahren erschien er nun als erfahrener Mann, der geeignet schien, das Reich vor den Salier- und Stauferanhängern zu schützen.

    Herzog Friedrich II. von Schwaben hatte den Wahlort erzürnt verlassen, leistete dann aber Lothar III. den Huldigungseid. Er hatte das salische Königsgut in Besitz, wobei nach über hundert Jahren der salischen Herrschaft der Unterschied zwischen Hausgut und Krongut gerade in Franken völlig verwischt war. Lothar III. setzte das Thema auf die Agenda eines Hoftags Ende 1125 in Regensburg. Für die Staufer ging es da also um einiges. Der König beschlagnahmte bei seinem Umritt einige (nicht alle) der einst salischen Güter, was Herzog Friedrich natürlich aufbrachte – prompt erschien er nicht zu dem Hoftag in Regensburg. Sächsische Fürsten überredeten Lothar III. in der Folge dazu, die Acht über den Staufer zu verhängen. Bis 1127 zog sich die erste Phase der Kämpfe hin, schlagen konnte der König die Staufer aber nicht.

    Die Staufer als Attackierte erhielten im Gegenteil die Sympathien der anderen Fürsten und schlugen Ende 1127 politisch zurück: Von fränkischen und schwäbischen Anhängern wurde Friedrichs Bruder Konrad (im folgenden Bild rechts) am 18. Dezember 1127 zum Gegenkönig erwählt. Herzog Friedrich hatte inzwischen den Beinamen „der Einäugige“, was ein Hinweis darauf ist, warum er nicht selbst König werden konnte.



    Nach der Erhebung zum Gegenkönig hatten die Staufer keinen großen Zulauf an Anhängern, aber anfangs Kriegsglück. Friedrich besetzte Speyer, Konrad sackte – für die Staufer als Rechtsnachfolger der Salier - in Italien das Erbe von Matilda di Canossa ein und erhielt von den Mailändern die Lombardische Krone. Das aber auch nur, weil die Mailänder gerade Ärger mit dem Papst hatten.

    Bei den Welfen war unterdessen die Generationsfolge eingetreten. Im Jahre 1126 war Herzog Heinrich IX. der Schwarze gestorben, ihm folgte für Baiern sein Sohn Heinrich X. der Stolze nach. Natürlich war er als Schwiegersohn des Königs eifrig dabei, den Staufern ihre Grenzen aufzuzeigen. Und mit seiner Frau Gertrude von Süpplingenburg bekam er 1128 oder 1129 einen Sohn, dem sie den welfischen Stammnamen Heinrich gaben – Heinrich der Löwe.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Duell: Barbarossa und der Löwe

    Bis 1131 wendete sich das Glück gegen die Staufer, und sie hielten nur noch ihr Kernland. Den Rest hatte König Lothar ihnen abgenommen. Lothar III. ging in dieser Zeit daran, das Reichsgut zu konsolidieren. Zudem intervenierte der König, als es in Rom mal wieder zwei Päpste zugleich gab. Nach dem Tod von Honorius II. am 14. Februar 1130 wählten rivalisierende Adelsfamilien in der Mehrheit Anaklet II. (der hatte in Italien die Anerkennung), in der Minderheit Innozenz II. (der erhielt Unterstützung in Frankreich, England und Deutschland). Innozenz II. wendete sich wie sein Vorgänger klar gegen die Staufer und exkommunizierte ihren Gegenkönig Konrad. Als Dankeschön trafen sich Lothar und Innozenz im März 1131 in Lüttich, wo der König dem Papst den Stratordienst leistete und Unterstützung für seine Rückkehr nach Rom versprach. Er verlangte aber auch, dass der Papst das Investiturverbot für ihn zurücknehmen solle, weil er dadurch großen Schaden erlitten habe. Der Papst konnte ihm nicht nachgeben.



    Trotzdem schlug sich Lothar III. mit einem kleinen Heer bis nach Rom durch und empfing dort am 4. Juni 1133 von Innozenz II. die Kaiserkrone in der Lateranbasilika. Die Peterskirche hatte nämlich Anaklet II. in Besitz. Die Inhalte des Wormser Konkordats wurden bekräftigt, außerdem erhielt Lothar III. die Mathildischen Güter in Oberitalien gegen eine Zinszahlung an die römische Kirche (Mathilde hatte ja sowohl der Kirche als auch dem Kaiser ihre Güter vermacht) übertragen, und zwar in Form eines Ringes. Der König übergab diese Güter weiter an seinen Schwiegersohn Heinrich den Stolzen. Die Kirche benutzte diese Vorgänge zur Propaganda. In einem Wandgemälde des Lateranpalastes wurde Lothar III. als Lehensmann des Papstes gezeigt, denn der Stratordienst von Lüttich wurde als Lehensdienst und die Investitur in die Mathildischen Güter als Lehensübergabe gesehen. Unter anderem dies brachte Lothar übrigens die Bezeichnung „Pfaffenkönig“ ein.

    Zurück im Reich kämpften Lothar und Heinrich weiter gegen die Staufer Friedrich und Konrad, die im Jahre 1135 schließlich aufgeben mussten. Lothar III. nutzte ihre Schwäche aber nicht, um die Staufer zu vernichten, sondern er suchte den Ausgleich und seine Anerkennung. Zur Besiegelung des Friedens heiratete Konrad Gertrud, die Tochter des Grafen von Sulzbach und Schwägerin des Welfenherzogs Heinrich. Das Gegenkönigtum Konrads war natürlich auch vom Tisch. Ein Grund für Lothars Milde war, dass er die Staufer brauchte, um einige außenpolitische Gefahren für das Reich abzuwenden.

    Zum einen drohte eine allzu enge Verbindung zwischen dem König von Dänemark und Herzog Boleslaw III. von Polen, der neuerdings wieder ein Tributpflichtiger des deutschen Königs war. Boleslaw plante nun aber, seine Tochter mit dem dänischen Thronfolger Magnus zu verheiraten. Das ergab eine schwierige Situation für das Reich. Lothar III. marschierte in Dänemark ein, der böhmische Herzog Sobieslav überfiel das polnische Schlesien. Das Ergebnis war ein Sieg der deutschen Seite, der Däne Magnus musste Lothar den Lehnseid leisten und erhielt dafür die Krone von Dänemark.



    Die Sache mit Polen stand im engen Zusammenhang mit dem zweiten Schauplatz, nämlich Ungarn. Ein Thronfolgestreit gab König Lothar die Gelegenheit zum Eingreifen. In Ungarn stand Boris mit seinem Vetter Bela in Konkurrenz um die Nachfolge von König Stephan (+1131). Der erwähnte polnische Herzog/König Boleslaw III. unterstützte Boris, also ergriff der deutsche König Partei für Bela und setzte erneut seinen Vasallen Sobieslav von Böhmen aus nach Ungarn in Marsch.



    Am Ende wurde Bela der ungarische König und 1137 wurde der Frieden von Glatz geschlossen. Darin musste auch der polnische König gegenüber Lothar III. die Lehenshuldigung ablegen. Zur Belohnung durfte er als Ehrenamt dem Kaiser auf dem Weg zum Dom das Reichsschwert vorantragen.



    Auf dem Höhepunkt seiner Macht konnte sich Lothar III. nun den Problemen in Italien zuwenden. Innozenz II. hatte sich nicht in Rom halten können und wartete in Pisa auf deutsche Intervention. Der Gegenpapst Anaklet II. hatte einen mächtigen Beschützer, den normannischen König Roger II. von Sizilien, der nach und nach Süditalien seinem Reich einverleibte.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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