5. Reges geminati, papae geminati
Heinrich IV. konnte jetzt den Gang in die Höhle des Löwen wagen: nach Rom. Zwar stellten seine Widersacher einen zweiten Gegenkönig auf, der war aber schwach. Das Volk gab Hermann von Salm den verächtlichen Namen „König Knoblauch“. Dieser Gegenkönig konnte Heinrich nicht gefährlich werden, der Gegenpapst Gregor umso mehr. Denn Heinrich hatte ja den Erzbischof Guiberto von Ravenna zum Papst Calixt II. wählen lassen. Dieser war eine starke, bei Freund und Feind geachtete Persönlichkeit, wohl imstande, dem unbeliebten Gregor entgegen zu treten. Heinrich gab den Eid ab, dass er sich nur von Calixt II. zum Kaiser krönen lassen werde.
Da der König auch die untreuen Herzöge abgesetzt und durch Männer seines Vertrauens ersetzt hatte, gab es nun Gegenkönig, Gegenpapst, Gegenherzöge, und die Klage der Augsburger Annalen gab die Stimmung im Land wieder: „Oh Reich, oh herrliches Reich, wie düster ist Dein Antlitz. Alle sind wir gedoppelt. Doppelte Herzöge, doppelte Päpste, doppelte Könige“.
Heinrich wollte nach dem ersten Gegner nun auch den zweiten schlagen. Im April 1081 überschritt er mit einem Heer die Alpenpässe. Nur die Markgräfin Mathilde von Tuszien, die kurz zuvor ihren gesamten Besitz der römischen Kirche vermacht hatte, konnte den König noch stoppen. Aber ihre Truppen wurden besiegt, sie selbst von Heinrich IV. und einem Fürstengericht geächtet.
Der König belagerte gemeinsam mit den Lombarden Rom anfangs ergebnislos. Heinrich IV. hoffte insgeheim wohl immer noch auf eine Einigung mit dem Papst – vergebens. Verhandlungen mit den Römern über einen Ausgleich scheiterten ebenfalls, und Gregor VII. verdeutlichte seine unnachgiebige Haltung, indem er Heinrich abermals bannte. Er konnte aber noch nicht mit der Hilfe der Normannen aus dem Süden rechnen, den die waren mit anderen politischen Zielen beschäftigt. Beim Heinrichs dritten Angriff auf Rom im Mai 1082 gelang dem König immerhin die Eroberung der Leostadt mit der Peterskirche.
Rom war gefallen, der Papst aber befand sich nicht unter den Gefangenen. Er hatte sich hinter die Mauern der Engelsburg geflüchtet und beantwortete jeden Vermittlungsversuch mit einem unbeugsamen „Niemals“. Er sei, so ließ er durch seine Parlamentäre melden, zur Versöhnung erst bereit, wenn der Deutsche öffentlich Buße leiste und sich in aller Form unterwerfe. Eine Haltung, die man halsstarrig oder heroisch nennen konnte, doch angesichts einer fast hoffnungslosen Situation nötigte sie Respekt ab.
Heinrich IV. war gekommen, um sich die Kaiserkrone zu holen. Er hätte sie sich von seinem eigenen Papst aufsetzen lassen können, davor aber scheute er zurück. Gregors Macht über die Seelen war noch groß genug, so dass eine solche Krönung der ganzen christlichen Welt als eine Farce erscheinen musste. Anstatt Calixt II. zu inthronisieren, suchte Heinrich IV. deshalb erneut den Kontakt zu den Römern, um so zu einem Ausgleich zu kommen, dem er wohl auch „seinen“ Papst geopfert hätte. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob nun auch Gregor VII. nachgeben würde. Aber die Verhandlungen zogen sich so lange hin, bis Heinrich selbst schließlich das Interesse an einer Einigung verlor.
Denn die Zeit arbeitete für den Salier. Die Zeit und das von den romfeindlichen Byzantinern reichlich gespendete Geld. Mit solcher Hilfe gelang es Heinrichs Agenten, eine Stütze nach der anderen aus der gregorianischen Front herauszubrechen. Allein dreizehn Kardinäle und zahlreiche Adelige gingen in das Lager des Königs über. Das merkte Gregor VII. bei der Synode im November 1082, die unter seiner Leitung zusammentrat. Sie erbrachte nämlich kein Ergebnis. Bezeichnend war, dass es dem Papst nicht einmal mehr gelang, eine neuerliche Exkommunikation des Königs durchzusetzen. Zusehends verlor Gregor im eigenen Lager an Unterstützung.
Besonders aktiv war dabei der Kardinal Hugo von Worms. Er brachte erneut die wüstesten Anschuldigungen gegen Gregor VII. vor, diesmal auch die Behauptung, der Papst habe meuchlerisch den Tod von vier seiner Vorgänger herbeigeführt. Auch die Umstände von Gregors Erhebung wurden wieder aufgetischt und jetzt in noch absurderen Versionen von Gewalt, Betrug und Bestechung verpackt. Die gegenseitigen Anschuldigungen wurden grotesk. An allen Ecken, mochte man meinen, tauchte der Antichrist auf. Bischof Benzo von Alba formulierte, es sei die letzte Zeit vor dem Ende: „Die Welt ist friedhofsreif! Der Antichrist und die Bösen allerorten, angeführt vom Kuttenträger Gregor VII. alias dem Mönch Prandellus, treiben ihr Unwesen.“ Weitere Gerüchte wurden gegen den Papst gestreut: Dieser habe ein heimliches Gottesgericht zwischen seiner Sache und der des Königs veranlasst, eine Wasserprobe. Dabei habe sich gezeigt, dass Gott selbst den Papst schon aufgegeben habe:
Nach dreitägigem Fasten wurde das Wasser für die Probe gesegnet und ein Knabe, der den Kaiser Heinrich IV. repräsentieren sollte, ins Wasser hinabgelassen. Zum Schrecken der Prälaten sank er wie ein Stein. Als dem Papst Gregor VII. davon berichtet wurde, ordnete dieser eine Wiederholung des Versuchs an, der das gleiche Ergebnis hatte. Dann wurde der Knabe als Vertreter des Papstes hineingeworfen und blieb während zweier Versuche an der Oberfläche, trotz aller Versuche, ihn ins Wasser zu tauchen. Allen Beteiligten sei ein Eid abgenommen worden, das unerwartete Ergebnis der Wasserprobe geheim zu halten.
Auch das einfache Volk war es müde geworden, seine Haut für einen Mann zu Markte zu tragen, dessen Ziele längst nicht mehr die eigenen waren, dessen Stern außerdem am Sinken war. Und Verlierer hatte man in Rom schon immer gemieden.
Im Frühjahr 1083 wandte Heinrich IV. sich gegen die wichtigsten Verbündeten des Papstes, die Normannen in Süditalien. Da erreichte ihn die Nachricht, dass Rom ihm die Tore öffnen wolle. Die Römer waren kriegsmüde und von der sturen Haltung Gregors enttäuscht.