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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #136
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    Heinrich IV.

    5. Reges geminati, papae geminati

    Heinrich IV. konnte jetzt den Gang in die Höhle des Löwen wagen: nach Rom. Zwar stellten seine Widersacher einen zweiten Gegenkönig auf, der war aber schwach. Das Volk gab Hermann von Salm den verächtlichen Namen „König Knoblauch“. Dieser Gegenkönig konnte Heinrich nicht gefährlich werden, der Gegenpapst Gregor umso mehr. Denn Heinrich hatte ja den Erzbischof Guiberto von Ravenna zum Papst Calixt II. wählen lassen. Dieser war eine starke, bei Freund und Feind geachtete Persönlichkeit, wohl imstande, dem unbeliebten Gregor entgegen zu treten. Heinrich gab den Eid ab, dass er sich nur von Calixt II. zum Kaiser krönen lassen werde.



    Da der König auch die untreuen Herzöge abgesetzt und durch Männer seines Vertrauens ersetzt hatte, gab es nun Gegenkönig, Gegenpapst, Gegenherzöge, und die Klage der Augsburger Annalen gab die Stimmung im Land wieder: „Oh Reich, oh herrliches Reich, wie düster ist Dein Antlitz. Alle sind wir gedoppelt. Doppelte Herzöge, doppelte Päpste, doppelte Könige“.



    Heinrich wollte nach dem ersten Gegner nun auch den zweiten schlagen. Im April 1081 überschritt er mit einem Heer die Alpenpässe. Nur die Markgräfin Mathilde von Tuszien, die kurz zuvor ihren gesamten Besitz der römischen Kirche vermacht hatte, konnte den König noch stoppen. Aber ihre Truppen wurden besiegt, sie selbst von Heinrich IV. und einem Fürstengericht geächtet.



    Der König belagerte gemeinsam mit den Lombarden Rom anfangs ergebnislos. Heinrich IV. hoffte insgeheim wohl immer noch auf eine Einigung mit dem Papst – vergebens. Verhandlungen mit den Römern über einen Ausgleich scheiterten ebenfalls, und Gregor VII. verdeutlichte seine unnachgiebige Haltung, indem er Heinrich abermals bannte. Er konnte aber noch nicht mit der Hilfe der Normannen aus dem Süden rechnen, den die waren mit anderen politischen Zielen beschäftigt. Beim Heinrichs dritten Angriff auf Rom im Mai 1082 gelang dem König immerhin die Eroberung der Leostadt mit der Peterskirche.



    Rom war gefallen, der Papst aber befand sich nicht unter den Gefangenen. Er hatte sich hinter die Mauern der Engelsburg geflüchtet und beantwortete jeden Vermittlungsversuch mit einem unbeugsamen „Niemals“. Er sei, so ließ er durch seine Parlamentäre melden, zur Versöhnung erst bereit, wenn der Deutsche öffentlich Buße leiste und sich in aller Form unterwerfe. Eine Haltung, die man halsstarrig oder heroisch nennen konnte, doch angesichts einer fast hoffnungslosen Situation nötigte sie Respekt ab.

    Heinrich IV. war gekommen, um sich die Kaiserkrone zu holen. Er hätte sie sich von seinem eigenen Papst aufsetzen lassen können, davor aber scheute er zurück. Gregors Macht über die Seelen war noch groß genug, so dass eine solche Krönung der ganzen christlichen Welt als eine Farce erscheinen musste. Anstatt Calixt II. zu inthronisieren, suchte Heinrich IV. deshalb erneut den Kontakt zu den Römern, um so zu einem Ausgleich zu kommen, dem er wohl auch „seinen“ Papst geopfert hätte. Eine Zeit lang sah es sogar so aus, als ob nun auch Gregor VII. nachgeben würde. Aber die Verhandlungen zogen sich so lange hin, bis Heinrich selbst schließlich das Interesse an einer Einigung verlor.

    Denn die Zeit arbeitete für den Salier. Die Zeit und das von den romfeindlichen Byzantinern reichlich gespendete Geld. Mit solcher Hilfe gelang es Heinrichs Agenten, eine Stütze nach der anderen aus der gregorianischen Front herauszubrechen. Allein dreizehn Kardinäle und zahlreiche Adelige gingen in das Lager des Königs über. Das merkte Gregor VII. bei der Synode im November 1082, die unter seiner Leitung zusammentrat. Sie erbrachte nämlich kein Ergebnis. Bezeichnend war, dass es dem Papst nicht einmal mehr gelang, eine neuerliche Exkommunikation des Königs durchzusetzen. Zusehends verlor Gregor im eigenen Lager an Unterstützung.

    Besonders aktiv war dabei der Kardinal Hugo von Worms. Er brachte erneut die wüstesten Anschuldigungen gegen Gregor VII. vor, diesmal auch die Behauptung, der Papst habe meuchlerisch den Tod von vier seiner Vorgänger herbeigeführt. Auch die Umstände von Gregors Erhebung wurden wieder aufgetischt und jetzt in noch absurderen Versionen von Gewalt, Betrug und Bestechung verpackt. Die gegenseitigen Anschuldigungen wurden grotesk. An allen Ecken, mochte man meinen, tauchte der Antichrist auf. Bischof Benzo von Alba formulierte, es sei die letzte Zeit vor dem Ende: „Die Welt ist friedhofsreif! Der Antichrist und die Bösen allerorten, angeführt vom Kuttenträger Gregor VII. alias dem Mönch Prandellus, treiben ihr Unwesen.“ Weitere Gerüchte wurden gegen den Papst gestreut: Dieser habe ein heimliches Gottesgericht zwischen seiner Sache und der des Königs veranlasst, eine Wasserprobe. Dabei habe sich gezeigt, dass Gott selbst den Papst schon aufgegeben habe:

    Nach dreitägigem Fasten wurde das Wasser für die Probe gesegnet und ein Knabe, der den Kaiser Heinrich IV. repräsentieren sollte, ins Wasser hinabgelassen. Zum Schrecken der Prälaten sank er wie ein Stein. Als dem Papst Gregor VII. davon berichtet wurde, ordnete dieser eine Wiederholung des Versuchs an, der das gleiche Ergebnis hatte. Dann wurde der Knabe als Vertreter des Papstes hineingeworfen und blieb während zweier Versuche an der Oberfläche, trotz aller Versuche, ihn ins Wasser zu tauchen. Allen Beteiligten sei ein Eid abgenommen worden, das unerwartete Ergebnis der Wasserprobe geheim zu halten.

    Auch das einfache Volk war es müde geworden, seine Haut für einen Mann zu Markte zu tragen, dessen Ziele längst nicht mehr die eigenen waren, dessen Stern außerdem am Sinken war. Und Verlierer hatte man in Rom schon immer gemieden.

    Im Frühjahr 1083 wandte Heinrich IV. sich gegen die wichtigsten Verbündeten des Papstes, die Normannen in Süditalien. Da erreichte ihn die Nachricht, dass Rom ihm die Tore öffnen wolle. Die Römer waren kriegsmüde und von der sturen Haltung Gregors enttäuscht.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #137
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    Heinrich IV.

    Heinrich berief eine Synode ein, auf der er den Papst anklagte, der sich weiter in der Engelsburg verschanzt hatte. Er wurde als Majestätsverbrecher verurteilt, abgesetzt und exkommuniziert. Guiberto wurde als nominierter Kandidat zum Papst gewählt und trat als Calixt II. an die Spitze der römischen Kirche. Anschließend nahm der neue Papst die Kaiserkrönung an Heinrich IV. und seiner Frau Bertha vor. Der Salier war auf dem Höhepunkt seiner Macht.



    Nur zwei Monate später, Heinrich hatte gerade die Stadt verlassen, wurde Rom stark zerstört. Die Normannen waren endlich dem Hilferuf des Papstes gefolgt, da ihnen ein starker Kaiser gefährlich werden konnte. Mit 6.000 Reitern und 30.000 Mann Fußvolk nährte sich ihr Heer unter dem Befehl von Robert Guiscard, dem Normannenherzog. Heinrich IV. erhielt die Nachricht vom Anmarsch Guiscards, als er bereits Vorbereitungen zu seiner Rückkehr nach Deutschland ergriffen hatte. Er beschleunigte sie, denn für den Kampf mit den gefährlichen Normannen war er nicht stark genug. So zog er nach Norden, wohl wissend, dass er die Römer einem ungewissen Schicksal auslieferte.

    In der Dämmerung des 28. August 1083 drangen des Herzogs Krieger unter dem gellenden Schlachtruf „Guis-caaard!“ durch die Porta Flaminia ein, befreiten den Papst aus der Engelsburg und führten ihn im Triumphzug zum Lateran. Normannen, Langobarden, Griechen, Süditaliener und Sarazenen waren es, ein wüster Haufen von Söldnern, zusammengehalten durch barbarische Strafen und die Aussicht auf Beute. Ein Haufen, den keine Macht der Welt abhalten konnte, die neben Byzanz reichste Stadt der Welt zu plündern. Wer auch immer Rom im Laufe seiner Geschichte blutig heimgesucht hatte, verglichen mit dieser Soldateska waren es Menschenfreunde gewesen.

    Gregor sah hilflos und untätig zu, als die geschändeten Frauen und die geblendeten Männer wie Vieh zu den Sklavenmärkten transportiert wurden, ihre gemordeten Kinder, ihre zu Tode gefolterten Eltern in den Trümmern der Häuser zurücklassend. Als die Normannen sich nach dem Blutbad zurückzogen, folgte Gregor VII. ihnen aus Furcht vor der Rache der Römer. Er verließ die ewige Stadt, denn er konnte sich nicht mehr sicher fühlen unter Menschen, die ihn für die Schandtaten verantwortlich machten und ihm mit den Augen des Hasses verfolgten. Der Abzug dieses großen Papstes aus dem zerstörten Rom, im Schwarm von Normannen und Sarazenen, gegen deren Glaubensgenossen er einst das Kreuz gepredigt, von Scharen gefangener Römer und von Beutewagen gefolgt, war ein Drama in dem an Extremen so reichen Leben Gregors.



    Gregor VII. verblieb noch ein Jahr. Er verbrachte es im süditalienischen Salerno, bis zu seinem Ende im Mai 1085 an einem Feldzugsplan arbeitend, der ihn wieder nach Rom bringen sollte. In die Stadt, in der Calixt II. nun herrschte. Die Worte, die Gregor VII. am Ende seines Lebens sprach, waren von schneidender Bitterkeit: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Sünde gehasst, darum sterbe ich nun im Exil.“ Und als es ans Sterben ging, vergab er, nach der Sitte der Zeit, allen seinen Feinden, bis auf einem, dem „sogenannten König Heinrich“.

    Im Reich hatte die gregorianische Partei immer noch Schwerpunkte in Sachsen und im Südwesten, aber ihre Anhänger waren verunsichert. Die Zeit war reif für eine Einigung, denn die Menschen konnten das Hin und Her nicht länger ertragen, weil ihr Alltag völlig durcheinander war. Denn niemand wusste, ob die Sakramente, die ein Priester spendete, wirklich ihre Gültigkeit hatten. Heinrich IV. wollte die Reichskirche wieder ganz an sich binden und begann mit dem Mainzer Erzbistum, das er an Wezilo übertrug. Als die Gregorianer sich unnachgiebig zeigten, berief der Kaiser Anfang Mai 1085 eine folgenreiche Synode in Mainz ein, auf der in Anwesenheit der Legaten von Calixt II. fünfzehn Bischöfe abgesetzt und exkommuniziert wurden. Heinrich IV. und seine Anhänger kämpften nach dem Tod von Gregor VII. nicht mehr gegen eine Person, sondern gegen die Idee.

    Eine weitere wichtige Entscheidung war die Erhebung Wratislaws (Haus Premyslid) von Böhmen zum König, wobei der Titel nicht erblich sein sollte, aber das Prestige des Herrschers erheblich aufgebessert und Böhmen näher an das Reich gezogen wurde.



    Von eminenter Wichtigkeit war aber der Gottesfrieden, der in Mainz verkündet wurde. Hiermit griffen die Bischöfe mit dem Kaiser die Friedenspolitik der Salier wieder auf, die sie schon 1082 mit dem Lütticher und 1083 mit dem Kölner Frieden angeschoben hatten. Dieser neue Frieden sollte für das ganze Königreich gelten und stellte Frauen, Kleriker, Kaufleute und Bauern unter seinen Schutz. Übergriffe wurden nicht nur mit kirchlichen Strafen, sondern auch mit weltlichen Strafen an Vermögen, Leib und Leben geahndet.



    Der König selbst verhielt sich nicht friedlich, sondern versuchte, seine Gegner auszuschalten. Mit einem Sommerfeldzug zwang er den Gegenkönig und seine Anhänger zur Flucht über die Elbe zu den Dänen. Als Heinrich IV. jedoch über den Besitz der Adeligen verfügte, stellten sie sich unter Führung Markgraf Ekbert von Meißen gegen ihn und drängten ihn erfolgreich zurück. In weiteren Kämpfen bei Würzburg und in Thüringen verlor der Kaiser zwar, aber der Gegenkönig blieb ohne jede Bedeutung, so dass man sogar überlegte, ihn durch den Brunonen Ekbert zu ersetzen. Hermann von Salm verzichtete auf sein Königtum und zog sich im Sommer 1088 in seine Heimat zurück, wo er während einer Privatfehde schon am 28. September 1088 starb. Das Gegenkönigtum war erloschen. Heinrich IV. hatte dagegen schon im Vorjahr einen weiteren großen Erfolg errungen: Ende Mai 1087 war sein Sohn Konrad in Aachen zum König gekrönt worden, damit war die Herrschaft der Dynastie gesichert. Allerdings starb Heinrichs Frau Bertha im Dezember 1087, die er in Speyer bestatten ließ. Schon kurze Zeit später verlobte er sich mit Praxedis (im deutschen: Adelheid), der Witwe des Grafen Heinrich von der Nordmark und Tochter des Großfürsten Wsewolod von Kiew. Die Hochzeit fand 1089 statt.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #138
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    Heinrich IV.

    Immer noch leisteten die süddeutschen Fürsten und Bischöfe Widerstand, eine Aussöhnung mit ihnen erschien durch Fallenlassen des Papstes Calixt II. möglich, aber damit würde Heinrich IV. seine Kaiserkrönung in Frage stellen. Die Entscheidung dieser Angelegenheit musste in Rom gesucht werden, daher beschloss Heinrich einen neuen Italienzug. In Rom waren die Reformer nach dem Tod von Gregor VII. lange im Ungefähren geblieben. Der von Gregor empfohlene Kandidat Anselm von Lucca starb bereits im März 1086. Die Normannen favorisierten Abt Desiderius von Montecassino, waren aber untereinander zerstritten. Doch die Kardinäle griffen den Vorschlag auf und wählten zu Pfingsten 1086 in tumultartiger Form Desiderius zum Papst, der sich Viktor III. nannte. Mit normannischer Hilfe gelang die Eroberung von Rom und die Inthronisation in Sankt Peter ein Jahr später. Die Anhänger von Calixt II. vertrieben ihn wieder, so dass er sich nach Montecassino zurückzog, wo er schon im September 1087 starb. Als Nachfolger wurde ein halbes Jahr später Odo von Ostia gewählt, der den Namen Urban II. erhielt, um den Anschluss an Gregor VII. zu dokumentieren, der am Tag des heiligen Urban gestorben war.



    Urban II. war in Frankreich geboren, wurde Prior in Cluny und 1079 von Gregor VII. zum Kardinalbischof von Ostia ernannt. Mit ihm kam das Gedankengut von Cluny auf dem Papstthron zur Entfaltung. Aber Rom hat er niemals ganz in Besitz nehmen können., denn ein Teil der Kardinäle hielt weiterhin zum Gegenpapst Calixt, der im Reich, in Italien, zeitweise in England, Ungarn, Serbien, Kroatien und Polen anerkannt war. Calixt II. hoffte nun auf den erwähnten Italienzug Heinrichs, der ihm wieder mehr Geltung verschaffen sollte. Aber mit dem neuen Papst Urban II. erwuchs dem Kaiser bald ein Gegner, der es an Format mit Gregor VII. aufnehmen konnte. Schon bald gewann er gegenüber Calixt II. an Boden. Vor allem aber gelang es ihm, eine Heiratsallianz zwischen seinen wichtigsten weltlichen Anhängern in Süddeutschland und in Mittelitalien zu schmieden. Zum einen war dies Welf IV., der Baiernherzog. Er hatte sich inzwischen mit Heinrich IV. überworfen und die Seiten gewechselt. Er stammte mütterlicherseits zu der in Schwaben und Baiern reich begüterten Familie der Welfen. Auf der anderen Seite handelte es sich um die Markgräfin Mathilde von Tuszien – jene von Canossa – die treueste Helferin der Reformpartei. Sie war damals über 40 Jahre alt und verwitwet. 1089 vermählte sie sich auf Wunsch des Papstes mit Welf V. - dem erst siebzehnjährigen Sohn Welfs IV.



    Über die Alpen hinweg entstand so eine Machtkonzentration, die dem Kaiser durchaus gefährlich werden konnte. Heinrich IV. reagierte und erschien im Frühjahr 1090 mit einem großen Heer in Italien. Seine Gegner waren ihm militärisch unterlegen und schließlich sogar zum Einlenken bereit, selbst die Markgräfin Mathilde. Aber der Kaiser hätte seinen Papst Calixt aufgeben müssen und das lehnte er ab. Schließlich wandte sich das Kriegsglück gegen ihn. 1092 schlug sein Versuch fehl, das symbolträchtige Canossa zu erobern.

    Das Jahr 1093 brachte die Wende und ein böses Erwachen für Heinrich. Urban II. zeigte, zu welchen Schachzügen er fähig war. Heinrich IV. schickte nämlich seinen Sohn Konrad nach Turin, damit der dort die kaiserlichen Ansprüche auf das Erbe der verstorbenen Markgräfin Adelheid von Susa (Heinrichs Schwiegermutter, Konrads Großmutter) geltend macht. Die Besitzungen der Markgräfin waren von Interesse, von ihnen aus konnte man die Alpenpässe beherrschen. Die Sperrungen der Alpenübergänge durch die süddeutschen Fürsten wären wirkungslos geworden, und der Kaiser hätte seine Bewegungsfreiheit zurückgewonnen. Konrad wird als ein schöner, schwermütiger Jüngling geschildert, der in seinem Naturell der frommen Kaiserinmutter Agnes nachkam. Der Markgräfin Mathilde gelang es jedenfalls, ihn umzustimmen und auf die Seite des Papstes zu ziehen.

    Heinrichs Sohn Konrad ging in das Lager der Gegner über und ließ sich in Mailand vom Erzbischof zum König von Italien krönen. Im April 1095 trafen sich Papst und König in Cremona, wobei der König ihm einen Eid und den Marschalldienst – er führte also das Pferd des Papstes eine gewisse Strecke am Zügel und half dem Papst in die Steigbügel - leistete. Dabei nahm ihn Urban II. als „Sohn der Kirche“ auf und versprach ihm sogar die Kaiserkrönung.

    Einem Gebannten, meinten die Priester - und Konrads Vater war gerade wieder einmal gebannt worden - brauche niemand die Treue zu halten. Papst Urban löste den Sohn offiziell von seinem Eid, äußerte seine Freude, dass Konrad die Nichtwürdigkeit seines Vaters erkannt habe und fragte: „Hat nicht der Heiland selbst gesagt, dass nur der sein Jünger sein könne, der bereit sei, selbst Vater und Mutter zu hassen?“



    Zur Stärkung seiner Stellung in Italien sorgte der Papst für eine Hochzeit mit Maximilla, der Tochter des Grafen Roger von Sizilien. Konrad ließ sich dazu hinreißen, weil er glaubte, auf diese Weise – indem er mit dem legitimen Papst zusammenarbeitete – die macht für die Dynastie zu erhalten. Dasselbe wollte Heinrich, wenn er gegen den Machtanspruch des Papstes kämpfte. Die Hoffnungen, die der Papst in Konrad setzte, erfüllten sich nicht. Im Reich fand er keine Anerkennung, in Italien blieb er ein bloßes Werkzeug des Papstes und der Markgräfin, die das Interesse an ihm verloren. Er starb 1101 in Florenz weitgehend unbeachtet. Der Leibarzt der Markgräfin Mathilde soll ihm einen vergifteten Trank gereicht haben.

    Fast gleichzeitig zu Konrads Abfallen entstand 1095 der erste gegen einen Kaiser gerichtete Städtebund Oberitaliens, bestehend aus Mailand, Lodi, Piacenza und Cremona. Zudem gelang es seinen Feinden, die Alpenpässe zu sperren – Heinrich IV. saß nun im nördlichen Italien fest. Nur Aquileja und Venedig unterstützten ihn. Weder militärisch noch politisch konnte er jetzt die Initiative zurückerlangen, während Urban II. nun freie Bahn hatte.

    Urban II. zog nach Heinrichs Sohn jetzt auch noch Heinrichs eigene Frau in sein Lager über. Praxedis, die Nachfolgerin der verstorbenen Bertha, eine leidenschaftliche Russin, war zwanzig Jahre jünger als Heinrich IV. und von einer Ehe enttäuscht, in der nicht nur ihr Ehrgeiz unbefriedigt geblieben war. Als sie ihren Stiefsohn Konrad zu verführen versucht hatte, setzte sie Heinrich zu Verona in einem Turm gefangen, aus dem sie jedoch entkommen konnte. Mit wessen Hilfe das geschehen war, wurde auf der großen Fastensynode in Piacenza offenbar, wo man die Kaiserin als Zeugin in einem Schauprozess auftreten ließ.



    Sie enthüllte vor der versammelten geistlichen und weltlichen Prominenz, vor Rachedurst fiebernd, intimste Schlafzimmergeheimnisse, schilderte die Perversitäten ihres Gemahls, die Orgien, die er inszenierte, nannte die Namen der Männer, von denen sie auf kaiserlichen Befehl öffentlich vergewaltigt worden war. Sorgfältig wurden die Bekenntnisse protokolliert und tausendfach vervielfältigt, um von den Päpstlichen als Waffe benutzt zu werden. Praxedis verschwand nach dieser peinlichen Szene wieder nach Kiew. Sie starb dort im Juli 1109 in einem Kloster.

    Von seinem Sohn verraten, von seiner Frau verleumdet, von den einst zuverlässigen Lombarden verlassen, sah sich Heinrich IV. auf einen kleinen Winkel Venetiens zurückgedrängt, an der Rückkehr nach Deutschland gehindert. Die Gegend um Verona und eine einzige Burg, das war alles, was einem Kaiser geblieben war von seinem Reich. Dort vegetierte er dahin, lebendig begraben, trug sich mit Selbstmordgedanken und bemerkte mit Erschrecken, wie die Welt ihn zu vergessen begann. Die Christenheit Europas zur Befreiung des Heiligen Landes aufzurufen, eine Aufgabe, eines Kaisers würdig gewesen, sie wurde jetzt vom Papst übernommen.
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  4. #139
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    Wahnsinns Story, Respekt und die Jahreszahlen stimmen auch so ziemlich

  5. #140
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    Danke schön! Momentan läuft bei mir parallel eine Partie ab 769 (bis 1821) mit der Grafschaft Pfalz, bin gerade im Jahr 1140 und habe bis dahin Bilder gemacht.
    Nachdem mir in der ersten Story dazu kurz vor Schluss die Grafikkarte kaputtgegangen war, ist das nun mein zweiter Versuch, von den kleinen Anfängen in der CK2-Pfalz zur Weltmacht in EU4 aufzusteigen.
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  6. #141
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    Heinrich IV.

    6. Deus lo vult!

    Ohne sich weiter um den Kaiser zu kümmern, zog Urban 1095 nach Frankreich, um im November in Clermont eine weitere Reformsynode abzuhalten, auf der vor allem das Verbot der Laieninvestitur einmal mehr bekräftigt wurde. Zweitens hatte man über die Eheaffäre des französischen Königs Philipp zu beraten.



    Die recht erfolgreiche erste Hälfte seiner Herrschaftszeit verkehrte Philipp I. selbst durch eine eigenwillige Handlung in das Gegenteil, als er im Jahr 1092 seine Ehefrau verstieß, weil diese angeblich zu dick geworden war. Ersetzen sollte sie Bertrada von Montfort, welche die Frau des Grafen von Anjou war, in die sich der König verliebt hatte und die er entführen ließ, um sie am Tag darauf, dem Pfingstsonntag (15. Mai 1092), zu heiraten. Der Bischof von Senlis nahm bereitwillig die Trauung vor, doch da sowohl Bertrada als auch Philipp zu diesem Zeitpunkt noch rechtmäßig verheiratet waren, schaltete sich der Heilige Stuhl in diese Angelegenheit ein. Nachdem die Ermahnungen Papst Urbans II. nichts ausgerichtet hatten, wurde Philipp am 16. Oktober 1094 auf einer vom Erzbischof von Lyon einberufenen Synode in Autun von zweiunddreißig Bischöfen exkommuniziert. Nun, auf dem Konzil von Clermont (18. bis 28. November 1095) bestätigte der Papst den Bann und untersagte der Geistlichkeit, den Lehnseid gegenüber dem König abzulegen. Mehr als zehn Jahre blieb Philipp gebannt, was seinen politischen Handlungsspielraum erheblich einschränkte, da er auf seine wichtigste Herrschaftsstütze, den Klerus, nicht mehr zurückgreifen konnte.

    Urban II. hielt in Clermont aber auch jene berühmte Rede, die die Kreuzfahrer in das Heilige Land bringen sollte. Solche Aktivitäten des Papsttums waren nicht neu. Bereits 1055 hatten die Päpste vor allem in Südfrankreich zum Kreuzzug gegen den Islam in Spanien aufgerufen, die Reconquista (Rückeroberung) des ehemals christlichen Gebietes setzte ein. Dafür erhielten die christlichen Kämpfer den Kreuzzugablass, einen Nachlass ihrer Sünden. Schon Gregor VII. hatte den Plan gehabt, an der Spitze eines Heeres nach Palästina zu ziehen und die heiligen Stätten des Christentums zu befreien. Urban II. konnte im November 1095 die Menschen begeistern.

    Der Andrang von Klerikern und Laien war so groß, dass die Menge nicht in der Kathedrale von Clermont, in der das Konzil bisher getagt hatte, untergebracht werden konnte. So wurde der päpstliche Thronsessel am Osttor der Stadt im freien Feld aufgestellt, und hier sprach Papst Urban inmitten der um ihn versammelten Menschenmenge. Die Christenheit müsse aufbrechen, die Brüder im Osten zu retten vor heidnischer Unterjochung. Er mahnte, von den inneren Kriegen im Abendland abzulassen, sich zu vereinen, und gemeinsam das Werk Gottes zu tun, Gott selbst werde sie dann anführen. Er versprach allen, die auf dem Zuge oder in der Schlacht das Leben ließen, volle Absolution und Vergebung der Sünden. Immer wieder wurde die päpstliche Rede unterbrochen durch den Jubelruf "Deus lo vult!", Gott will es!



    Vier Jahre später war der Kreuzzug an sein Ziel gelangt, Jerusalem wurde von den christlichen Kämpfern eingenommen. Dieser Erfolg veränderte das politische Machtgleichgewicht dieser Region, denn in Edessa, Antiochia und natürlich Jerusalem selbst wurden nun christliche Herrschaftsgebiete installiert. Ein Teil der Invasoren war ausdrücklich gekommen, um dauerhaft im Heiligen Land zu bleiben. Das Kernstück war das Königreich Jerusalem, zu dessen König der Franzose Gottfried von Bouillon ernannt wurde. Sowohl die Byzantiner wie die Araber mussten schauen, wie sie auf diese Änderung reagieren sollten. Diese Ereignisse sollen aber anschließend Thema für ein eigenes Kapitel sein, sobald der letzte Akt aus dem Leben Heinrichs IV. erzählt ist.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  7. #142
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Deine Storys lese ich immer gerne, je mehr desto besser.

    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Make Byzantium even greater!
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Imperium first, Bedenken second!

  8. #143
    Registrierter Benutzer Avatar von Herbert Steiner
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    Zitat Zitat von Mark Beitrag anzeigen
    Danke schön! Momentan läuft bei mir parallel eine Partie ab 769 (bis 1821) mit der Grafschaft Pfalz, bin gerade im Jahr 1140 und habe bis dahin Bilder gemacht.
    Nachdem mir in der ersten Story dazu kurz vor Schluss die Grafikkarte kaputtgegangen war, ist das nun mein zweiter Versuch, von den kleinen Anfängen in der CK2-Pfalz zur Weltmacht in EU4 aufzusteigen.
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    Na klar! Vielleicht kommt ja noch ein Vicki raus und du kannst gleich bis ins 20. Jh spielen.

  9. #144
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    Würde ich glatt machen. Ich muss zugeben, dass ich Victoria 2 noch nicht gespielt habe. Gekauft, Tutorial-Videos dazu angeschaut und erste Gehversuche im Spiel gemacht. Natürlich habe ich zunächst, wie immer bei Paradox, wenig verstanden. Dummerweise habe ich das Spiel wieder zur Seite gelegt, bevor ich es kapiert hatte. Ein Victoria 3 käme mir da schon recht.

    So, der Link zur parallelen CK2-Partie mit der Pfalz:

    https://www.civforum.de/showthread.p...und-entfesseln
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  10. #145
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    Heinrich IV.

    7. Heinrichs letztes Gefecht

    Heinrich IV. saß in Venetien fest, als der Kreuzzug seinen Anfang genommen hatte. Unverhofft schien sich für ihn aber noch eine Wende anzukündigen. 1095 verließ Welf V. seine Gemahlin Mathilde – vielleicht wegen des großen Altersunterschiedes der Ehepartner, vielleicht aber auch, weil er sich in der Hoffnung auf das reiche Erbe Mathildes getäuscht sah. Jedenfalls zerbrach das Bündnis zwischen der Markgräfin von Tuszien und den Welfen, die nun wieder Fühlung mit dem Kaiser aufnahmen. Nachdem der Kaiser Welf IV. 1096 als Herzog von Baiern anerkannt hatte, konnte er Pfingsten 1097 nach Deutschland zurückkehren, das er sieben Jahre zuvor verlassen hatte. Auch mit Berthold von Zähringen, dem Schwiegersohn Rudolfs von Rheinfelden, gelang ein Ausgleich: Dieser verzichtete auf das Herzogtum Schwaben, erhielt dafür die Reichsvogtei Zürich zu Lehen und durfte den Herzogtitel weiterführen. Als schwäbischer Herzog wurde nun allseits der Schwiegersohn des Kaisers, der Staufer Friedrich, anerkannt, den Heinrich IV. bereits 1079 mit Schwaben belehnt hatte.



    Auch die Thronfolge regelte der Kaiser neu: Im Mai 1098 ließ er seinen Sohn Konrad durch ein Fürstengericht in Mainz als König absetzen. Dann designierte er seinen jüngeren Sohn Heinrich, der im folgenden Jahr zum König gekrönt wurde. Der Kaiser ließ ihn auf das Holz des Kreuzes Christi schwören, nie gegen ihn vorzugehen oder sich in die Regierungsgeschäfte einzumischen. Eine Ungeheuerlichkeit, angesichts von Heinrichs bisherigen Erfahrungen aber nachvollziehbar. Das Beispiel Konrads, der bedeutungslos geworden und 1101 in Florenz starb, hatte ihn misstrauisch gemacht. Schon zuvor hatten zwei andere Todesfälle die Lage nachhaltig zu Heinrichs Gunsten verändert. 1099 war Urban II. gestorben, und im Jahr darauf folgte ihm Calixt II. ins Grab. Dessen Anhänger wählten zwar insgesamt drei Nachfolger, aber Heinrich IV. beteiligte sich nicht daran, sondern suchte nun einen Ausgleich mit Urbans Nachfolger Paschalis II., der zuvor als Legat der Reformer in Spanien tätig gewesen war.



    Der Papst war freilich zu keinem Kompromiss bereit und schlug Heinrichs Einladung zu einer Reichsversammlung nach Mainz aus. Aber der Kaiser meinte es allem Anschein nach mit seinen Versöhnungsbemühungen ernst. In Mainz vergab er öffentlich allen seinen Feinden und erließ für das ganze Reich einen Landfrieden, der fünf Jahre gelten sollte. Im Unterschied zu den vorhergehenden Verkündigungen des Gottesfriedens erstreckte sich dieser Frieden über das ganze Reich und während der fünf Jahre nicht nur auf bestimmte Tage. Ohne Unterscheidung von Freien und Unfreien wurden schwere Verbrechen mit harten Strafen wie Verstümmlung bedroht. Damit wurde für die Armen und schwachen der Gesellschaft mehr Gerechtigkeit geschaffen, denn bis dahin konnte man sich mit Geld von vielen Strafen freikaufen. Von Wichtigkeit war ebenso, dass die weltliche Zentralmacht den Reichslandfrieden betrieben hatte und über seine Einhaltung wachte.

    „Warum, so beschwöre ich Euch, könnt Ihr nur vom Raub leben? Gebt dem Acker die Menschen wieder, die Ihr ihm des Waffendienstes wegen entzogen habt. Richtet die Zahl Eurer Gefolgschaft nach dem Maß Eurer Mittel, kauft Eure Güter wieder zurück, die Ihr töricht verschleudert habt, um viele Krieger zu haben. Und Eure Scheunen werden Überfluss haben an allem Guten, dann wird es nicht mehr nötig sein, fremdes Gut wegzunehmen, da jeder aus eigenem Überfluss haben kann. Dann braucht Ihr auch den Kaiser nicht mehr verleumden, und es wird keinen Krieg mehr geben im Reich“.



    Heinrich IV. verkündete in Mainz zudem, die Einheit der Kirche müsse wiederhergestellt werden. Weiter versprach er, ins Heilige Land zu ziehen, falls der Papst ihn vom Bann löse. Paschalis II. reagierte jedoch nicht, sondern erneuerte im März 1102 den Bann über den Kaiser, nach seiner Ansicht der Führer der Häretiker. In seinem Eifer für die Sache Gottes rief der Papst sogar zum Kreuzzug gegen den Kaiser auf und versuchte, die süddeutschen Fürsten gegen ihn anzustacheln, was aber misslang. Dass der Investiturstreit mit unverminderter Härte fortgesetzt wurde, war in gewisser Weise eine Nachwirkung des Canossa-Gangs und der besonderen deutschen Vorstellung der Einheit von Priestertum (sacerdotium) und Königsherrschaft (regnum). Denn mit Frankreich und England hatte der Papst bereits eine einvernehmliche Lösung im Streit um die Einführung von Geistlichen in ihre Ämter gefunden.

    Seine Friedenspolitik machte dem Kaiser besonders im Hochadel, dem er als Schutzherr der Armen und Schwachen, der Bürger und Bauern stets auch entgegentrat, nicht nur Freunde. Dieser Reichsfrieden schuf ihm neue Feinde und ließ die alten sich wieder formieren. Denn der fehdelustige Adel war an einem allgemeinen Frieden nicht interessiert. Zu lange hatte man sich daran gewöhnt, seine Händel mit dem Schwert auszutragen und die friedlichen Menschen auszurauben.

    Außerdem förderte Heinrich den für ihn verlässlicheren niederen Adel und mehr noch die Städte, denn während der zurückliegenden Auseinandersetzungen hatte er sich insbesondere auf etliche rheinische Städte verlassen können.



    Hinzu kam ein schwerer Fehler des Kaisers: Anfang 1104 ermordeten Ministerialen und Bürger in Regensburg den Grafen Sigehard von Burghausen. Heinrich IV. ließ den Mord ungesühnt und brachte damit den hohen Adel nur noch weiter gegen sich auf. Nicht zuletzt setzte sich die permanente Hetze des Papstes fort, der keinen Frieden mit Heinrich IV. wollte. Paschalis II. war ebenso kompromisslos wie Gregor VII., zudem hegte er ganz allgemein eine tiefe Abneigung gegen die Deutschen, die er als „natio prava et perversa“ bezeichnete.

    Der Sohn des Kaisers, Heinrich V., sah wegen der allgemeinen Gegnerschaft im Reich und wegen der andauernden Exkommunikation des Vaters sein Erbe in Gefahr und lehnte sich gegen diesen auf. Auch dieser Eid war also beim ersten Hahnenschrei gebrochen.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #146
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    Heinrich IV.

    Heinrich V. war ein scharfsinniger junger Mann, berechnend und absolut ohne Gefühl, wenn es um die Staatsräson ging. Der ideale Politiker also? Vielleicht hat ihn nicht nur die Macht verführt, sondern die Furcht, dass es mit dem Geschlecht der Salier zu Ende gehen müsse, ja mit dem Reich überhaupt, wenn nicht der Vater geopfert werde. Heinrich V. gehörte zu einer neuen Generation, die reformerisch eingestellt war und bereit zum Wechsel in der althergebrachten autokratischen Politik.



    Die Unterstützung, die Heinrich IV. von den Fürsten genoss, verfiel atemberaubend schnell. Bald war der Rückhalt des jungen Saliers bei Bischöfen und Adligen kaum noch zu erschüttern. Der Papst ließ Heinrich V. durch Bischof Gebhard von Konstanz von den Eiden, die er dem alten Kaiser geschworen hatte. Vor der entscheidenden Schlacht verließen diesen schließlich auch die letzten Anhänger, namentlich der Babenberger Leopold und der Böhmenherzog Bodiwori.



    Aber noch war Heinrich IV. auf freiem Fuß und wollte sich auf einer Versammlung rechtfertigen, die sein Sohn zu Weihnachten 1105 in Mainz einberufen hatte. Dorthin konnte sein Sohn ihn locken, weil er dem Vater zuvor in Koblenz Versöhnungsbereitschaft vorgespielt hatte. Dort hatte sich Heinrich V. dem Kaiser zu Füßen geworfen und die väterliche Gnade erbeten. Heinrich IV. war gerührt, man umarmte sich und vergoss gemeinsame Tränen. Mit der Versicherung, künftig immer zusammenbleiben zu wollen, begab man sich zu dem Hoftag nach Mainz.

    Doch erneut beging der Sohn Verrat und setzte seinen Vater auf der Burg Böckelheim an der Nahe gefangen. In Bingen, kurz vor Mainz, überredete Heinrich V. den Kaiser, sich zu seiner Sicherheit auf dieser Burg an der Nahe zu begeben. Dort eingetroffen, wurde Heinrich IV. in den Kerker geworfen. Der Burgherr war Gebhard von Speyer, ein grimmiger Feind des Kaisers. Er sorgte für eine strenge Kerkerwacht an den Weihnachtstagen 1105.

    Der Kaiser musste die Reichsinsignien herausgeben und am 31. Dezember in Ingelheim vor den versammelten geistlichen und weltlichen Fürsten abdanken. Der Kaiser versuchte, vom päpstlichen Legaten die Absolution zu erlangen, weigerte sich aber, sich selbst öffentlich wegen seines Vergehens gegen Gregor VII. und wegen des Gegenpapstes anzuklagen. Er appellierte noch einmal an die Öffentlichkeit und schrieb sogar an den König von Frankreich, um ihn als Partner zu gewinnen.

    Heinrich V. dagegen wurde am 5. Januar 1106 in freier Wahl der Fürsten zum König ernannt. Das Reich schien gerettet.



    Aber Heinrich IV. gab nie auf, und wieder einmal schien das Schicksal es gut mit ihm zu meinen: Ihm gelang die Flucht, und er fand Aufnahme bei den Kölner Bürgern. Bischof Otbert von Lüttich und Herzog Heinrich von Niederlothringen hielten zu ihm, und bald wuchs die Zahl seiner Anhänger wieder – besonders in Lothringen und den rheinischen Städten. König Heinrich V. beunruhigte das und zog zunächst mit starker Heeresmacht rheinabwärts nach Köln. Vom Kölner Erzbischof Friedrich aufgefordert, feierte er dort am 18. März den Palmsonntag. Die Kölner Bürger waren dem alten Kaiser zugetan, wehrten sich aber nicht. Dann zog der König weiter nach Aachen in der festen Überzeugung, das Osterfest in Lüttich – wo sein Vater die Stellung hielt – zu feiern.

    Die Kaiserlichen hatten sich vorsorglich gegen einen Angriff des Königs gewappnet und die Maasübergänge blockiert. In den heiligen Tagen der Karwoche kam es an einer Maasbrücke zum Kampf, den auch die auf der Seite des Königs stehenden Chronisten als eine Anstiftung des Teufels sahen. Heinrich V. entsandte eine Speerspitze aus 300 gepanzerten Reitern auf das linke Flussufer, wo diese in einen Hinterhalt gerieten und bei ihrem fluchtartigen Rückzug zu einem guten Teil niedergemacht wurden oder in ihren schweren Rüstungen in der Maas ertranken. Dieses Blutbad war ein Frevel, denn es ereignete sich am 22. März 1106 unmittelbar vor dem heiligen Karfreitag.

    Heinrich V. zog sich mit dem Heer nach Köln zurück, doch dort verschlossen die Bürger der Stadt ihre Tore vor ihm. Der König musste grimmig nach Bonn weiterziehen, wo er die Ostertage verbrachte. Sein Vater beging das Osterfest in Lüttich, frohen Mutes, wieder auf der Straße der Sieger zu sein. Doch Heinrich V. bereitete seinen nächsten Schlag vor und rüstete in Mainz für einen allgemeinen Reichsfeldzug gegen Lothringen. Den Herzog von Lothringen hatte er als Hochverräter abgesetzt und dafür den Grafen von Löwen eingesetzt. Im Juli 1106 zog Heinrich V. wieder nach Köln, das er nun belagerte. Der Verteidigungswille der Kölner war beeindruckend, und das Kalkül des Königs war, dass die übrigen kaisertreuen Städte rasch aufgeben würden, wenn mit Köln ihr stärkstes Glied gefallen war.

    Doch Heinrich V. kam mit seinem Heer in ziemliche Schwierigkeiten, denn die Belagerten drehten den Spieß um. Die Kölner fingen die Schiffe ab, die mit Lebensmitteln für das Heer den Rhein herabfuhren, und so hatte es mit drückendem Hunger zu kämpfen. Die Belagerer litten auch unter der Sommerhitze, so dass Seuchen ausbrachen.

    Inzwischen hörte man, dass der Kaiser ein Heer sammelte und gegen seinen Sohn marschierte. Heinrich V. brach die Belagerung von Köln ab und zog weiter nach Lothringen, um dort den Kampf zu erwarten. Ein blutiger Krieg stand bevor, da starb Heinrich IV. am 7. August 1106.



    Auf dem Sterbebett verzieh er dem Sohn und ließ ihm seinen Ring und sein Schwert überbringen. Er bat um Gnade für seine Anhänger und darum, im Dom von Speyer begraben zu werden. Der Sohn folgte aus politischen Gründen dieser Bitte nicht, sondern ließ den Vater aus der Erde in der Domkirche in Lüttich holen und als Verbannten vor den Toren der Stadt begraben. Erst Jahre später erfüllte Heinrich V. diesen letzten Wunsch, nachdem er erreicht hatte, dass der Kirchenbann über den längst Verstorbenen gelöst wurde.

    „Während der König und seine Fürsten noch heftig bewegt in ihren Entschlüssen hin und her schwankten, kam plötzlich eine Nachricht, die den trüben Himmel ihrer Verwirrung in heiteres Blau verwandelte. Es hieß nämlich, der Kaiser habe das Zeitliche gesegnet. Zunächst nahmen sie die Kunde noch zweifelnd auf, aber als ein Bote gekommen war, der dem Sohn das letzte Geschenk des Vaters, nämlich Schwert und Ring, mit seinen letzten Weisungen brachte, da brach ein solcher Jubel aus, dass die Rufe der Glückwünschenden kaum mehr enden wollten. Aber nicht minder heftig war die Trauer an der Bahre des Kaisers. Fürsten trauerten, das Volk wehklagte, zu seiner Bestattung strömten Witwen und Waisen und alle Armen des ganzen Landes herbei. Sie weinten, weil sie den Vater verloren, ihre Tränen fließen über seinen Leichnam, sie küssen seine freigebigen Hände.

    Glückselig bist Du, Kaiser Heinrich, der Du Dir solche Wachen und solche Fürbitter erworben hast, vielfältig erhältst Du aus der Hand des Herrn nun zurück, was Du im Verborgenen den Armen gabst. Das Reich der Unruhe hast Du mit dem Reich der Ruhe, das endliche mit dem unendlichen, das irdische mit dem himmlischen vertauscht. Jetzt herrscht Du in der Tat, jetzt trägst Du ein Diadem, das Dir Dein Erbe nicht entreißt und kein Widersacher neidet.“
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #147
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    Heinrich IV.

    … und was wurde aus den anderen?


    Agnes von Poitou (1025-1077)
    Heinrichs Mutter zog sich nach Heinrichs Schwertleite aus der Politik zurück und nahm den Schleier. Die restliche Zeit verbrachte sie meist in Rom, wo sie als Parteigängerin des Papstes wirkte. Nach ihrem Tod 1077 wurde sie im Petersdom bestattet, für einen Laien eine große Ehre.


    Bertha de Savoie (1051-1087)
    Trotz Heinrichs Scheidungsersuchen von 1069 gingen aus seiner Ehe mit Bertha fünf Kinder hervor. Zwei Kinder starben früh, danach folgten Agnes von Waiblingen (1072-1143), Konrad (1074-1101) und Heinrich V. (1086-1025), der Thronfolger. Nach der Krönung zur Kaiserin 1084 lebte sie noch drei Jahre, nach ihrem Tod wurde sie im Dom von Speyer bestattet.


    Rudolf von Rheinfelden (1025-1080)
    Nach Rudolfs Tod in der Schlacht von 1080 gab es keinen weiteren Gegenkönig, der es vom Format her mit ihm aufnehmen konnte. Sein Sohn Berthold folgte in Schwaben als Herzog nach, konnte sich hier aber nicht gegen den Staufer Friedrich durchsetzen. Als Berthold 1090 ohne Sohn starb, übernahmen die Zähringer die Nachfolge und arrangierten sich den Staufern. Die Linie der Rheinfelden spielte keine Rolle mehr.


    Vratislaw II. Premyslid (1035-1092)
    Der böhmische König starb 1092 bei einem Reitunfall. Wie vereinbart war seine Krone nicht erblich. Seine vier Söhne hielt das nicht davon ab, um seine Nachfolge Krieg zu führen. Gleichwohl: in späteren Jahren wurde der König von Böhmen zu einem mächtigen Kurfürsten im Deutschen Reich.


    Mathilde von Tuszien (1046-1115)
    Die bedeutende Markgräfin, die über die Toskana herrschte und damit über den Zugang von den Alpen nach Rom, widmete sich auch nach der Trennung von Welf V. der Förderung der Kirche. Als sie starb, stritten der Papst, der Kaiser und ihr Exmann um ihr umfangreiches Erbe, die Mathildischen Güter. Das meiste davon kassierte der Kaiser ein.


    Heinrich V. (1086-1125)
    Der Sohn und Nachfolger Heinrichs IV. führte nach dem Abservieren seines Vaters 1106 dessen Politik ab 1111 im Wesentlichen fort. Gegen die Sachsen führte er ohne Erfolg Krieg, den Papst zwang er mit Gewalt zu seiner Kaiserkrönung. Erst im Jahre 1122 wurde der Investiturstreit zwischen ihnen beigelegt. Weil die Ehe von Heinrich V. und Mathilde von England kinderlos blieb, war das Ende der Salischen Linie 1125 mit Heinrichs Tod besiegelt. Er wünschte sich den Staufer Friedrich zum Nachfolger, die Fürsten wählten jedoch zunächst den Sachsen Lothar zum König.


    Je nachdem, welchen Autor man liest, fällt das Bild von Heinrich IV. ziemlich verschieden aus. Manche kommen zum Schluss, dass in Canossa ein liederlicher Herrscher eine demütigende Schlappe gegenüber dem Papst erlitten hat. Neuere Bücher bewerten Heinrichs Vorgehen und die Sache mit Canossa ambivalenter, diese Sichtweise habe ich hier in die Story übernommen. Im folgenden auch zwei Videos, die eben diese verschiedenen Einordnungen wiedergeben.

    Heinrich der Tyrann (negatives Bild)
    https://www.youtube.com/watch?v=GhE4VPuCfYE

    Heinrich im ZDF-Clip
    https://www.youtube.com/watch?v=uTiH_F8kX1g


    Verwendete Literatur zu Heinrich IV.
    • Schneidmüller/Weinfurter: Die deutschen Herrscher des Mittelalters
    • Knefelkamp: Das Mittelalter
    • Fischer-Fabian: Die deutschen Kaiser
    • Weinfurter: Canossa, die Entzauberung der Welt
    • Wies: Kaiser Heinrich IV. - Canossa und der Kampf um die Weltherrschaft
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  13. #148
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    Der Erste Kreuzzug



    Achtung Spoiler:
    1. Frühmittelalter
    Karl der Große
    1. Wie man einen König macht
    2. Bruderzwist
    3. De bello saxonici
    4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
    5. Die Krönung zum Kaiser
    6. Die Nachfolgeregelung
    Das byzantinische Kaiserreich
    1. Konstantin V. (769-780)
    2. Leo IV. (780-797)
    3. Romylia (797-801)
    4. Konstantin VI. (801-810)

    2. Das Zeitalter der Wikinger
    Alfred der Große
    1. Ethelred (867-884)
    2. Alfred (884-918)
    Die ersten deutschen Könige
    1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
    2. Ludwig der Deutsche (840-873)
    3. Karlmann von Baiern (873-886)
    4. Arnulf von Kärnten (886-898)
    5. Ludwig III. (898-937)
    6. Heinrich I. (937-968)
    7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

    3. Das Hochmittelalter
    Wilhelm der Eroberer
    1. Vorgeschichte
    2. Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft
    3. Die Normandie und England
    4. Der König und sein Königreich – Wilhelmus Rex
    5. Williams letzte Jahre – die liebe Familie
    Heinrich IV.
    1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!
    2. De bello saxonico
    3. Der unheimliche Mönch
    4. Der Gegenkönig
    5. Reges geminati, papae geminati
    6. Deus lo vult!
    7. Heinrichs letztes Gefecht
    Der Erste Kreuzzug
    1. Prolog – über das Leben Philipps I. von Frankreich
    2. Der byzantinische Hilferuf
    3. Der Zug durch das byzantinische Reich
    4. Im Heiligen Land



    Der erste Kreuzzug
    König Philipp I. von Frankreich, lebte 1052-1108
    Startdatum: 30. November 1095



    1. Prolog – Über das Leben Philipps I. von Frankreich

    Mit eigener Hand führte der hagere Mann im Kerzenschein die Feder gekonnt auf dem Pergament. In disziplinierten, gestaucht wirkenden Reihen fügten sich die Buchstaben zu Wörtern zusammen, die Wörter fügten sich zu einem anklagenden Text zusammen. Bereits die Handschrift ließ auf einen macht- und sendungsbewussten Charakter seines Verfassers schließen. Der Inhalt des Briefes bestätigte diesen Eindruck.

    „Viel Zeit ist verflossen, seitdem die Königsherrschaft in Frankreich, einst berühmt und außerordentlich mächtig, sich zu neigen und der meisten Zeichen der Tugend entblößt zu werden begann, während üble Gewohnheiten heranwuchsen. All dieser Dinge Haupt und Ursache ist auf Einflüsterung des Teufels hin Euer König, der nicht als König, sondern als Tyrann zu bezeichnen ist. Sein ganzes Zeitalter beschmutzt er mit Schand- und Übeltaten, und das Ruder der Herrschaft, das er aufgenommen hat, führte der Elende und Unglückselige ohne Nutzen.“

    Es war Papst Gregor VII., der mit diesen scharfen Worten in einem Brief an die französischen Bischöfe den König Philipp I., der kurz zuvor wie ein Straßenräuber italienische Kaufleute, die durch sein Reich zogen, überfallen hatte. Man schrieb das Jahr 1074. Philipp war seit vierzehn Jahren an der Herrschaft und hatte in dieser Zeit bereits herbe Niederlagen einstecken müssen. Sein Versuch, die Streitigkeiten um die Nachfolge in der flandrischen Grafenwürde zu regeln, war im ersten Anlauf gescheitert. Die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm (siehe Kapitel über „Wilhelm der Eroberer“), seinen eigenen Lehnsmann, hatte er nicht verhindern können. Statt dessen musste Philipp I. nun zusehen, wie ihm im anglonormannischen Reich ein gefährlicher Rivale erwuchs. Und nun auch noch der Konflikt mit dem Papst, der drohte, ihm die Bischöfe und damit eine der wichtigsten Stützen seiner ohnehin schon angeschlagenen Macht abspenstig zu machen. Im deutschen Reich wurde diese Auseinandersetzung zwischen regnum und sacerdotium als Investiturstreit bezeichnet. Die Herrschaft des salischen Kaisers Heinrich IV. stürzte der Konflikt mit Gregor VII. in eine schwere Krise.

    Ganz anders hingegen die Entwicklung in Frankreich. Als Philipp I. nach fast fünfzig Jahren auf dem Thron im Jahre 1108 stirbt, ist das Papsttum wieder zum engen Verbündeten der französischen Krone geworden, und die monarchische Gewalt, die im Laufe eines Jahrhunderts an Ansehen und Macht ständig einbüßen musste, vollzog die Wende zu einem Aufstieg, der den König von Frankreich zum wichtigsten Herrscher Europas machen würde.



    Philipp – schon sein Name war auffällig. Diesen Namen hatte vor ihm noch niemand in der Königsfamilie getragen. Den jüngeren Kinder hatten seine Eltern – Heinrich I. und seine dritte Ehefrau Anna von Kiew – Namen gegeben, die in der Kapetingerdynastie auf eine lange Tradition zurückblicken konnten. Hugo wurde später der Graf von Vermandois, Robert starb noch im Kindesalter. Den Erstgeborenen benannte man im Jahre 1052 nach dem vor allem in Byzanz verehrten Apostel Philipp, was sich wohl mit der orthodoxen Herkunft seiner Mutter Anna erklären lässt.

    Im Alter von sieben Jahren wurde Philipp zum König geweiht. Heinrich I. war damals bereits von Alter und Krankheit gezeichnet, und man rechnete mit seinem baldigen Tod. So entschloss sich der französische König, dem Beispiel seiner Vorgänger Hugo Capet und Robert des Frommen zu folgen und seinen ältesten Sohn zum Mitkönig erheben zu lassen. Die Königserhebung fand am Pfingstfest des Jahres 1059 in der Kathedrale von Reims statt.



    Als Heinrich I. ein Jahr später, am 4. August 1060, starb, war die Nachfolge nicht mehr offen. Philipp war nun alleiniger König, aufgrund seines Alters aber noch nicht allein regierungsfähig. Es stellte sich also die Frage der Regentschaft für den minderjährigen König, und auch sie scheint Heinrich noch selbst geregelt zu haben, indem er seinen Schwager, den Grafen Balduin V. von Flandern, damit betraute. Balduin gehörte zu jenen Großen, die den französischen König zwar als ihren Lehnsherrn anerkannten, im übrigen aber selbstständig regierten und auf Unabhängigkeit bedacht waren.

    Philipp I. nannte sich „von Gottes Gnaden König der Franken“, seine königliche Herrschaft umfasste jedoch nicht das gesamte Frankreich. Die tatsächliche Macht Philipps beschränkte sich nämlich auf die Krondomäne, jener Kernbereich von Orleans bis Paris bis in das Tal der Oise, an dem der König alle Rechte, Besitzungen und Einkünfte hielt. Diese Gebiete waren zentral gelegen und ragten durch ihre Wirtschaftskraft hervor. Zudem verfügte der König über die Kronbistümer, die etwa ein Drittel der französischen Diözesen ausmachten, darunter vorneweg Reims und Sens. Der weitaus größte Teil Frankreichs aber befand sich in der Hand mächtiger Fürsten. Von ihnen allen war nur Herzog Wilhelm VIII. von Aquitanien persönlich zu Philipps Krönung in Reims erschienen. Burgund, Flandern und Anjou waren durch Gesandte vertreten. Die übrigen Fürsten, insbesondere der Herzog der Normandie, glänzten durch Abwesenheit. Es sollte eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Königs sein, sich gegen die mächtigen Vasallen zu behaupten und die Krondomäne auszubauen.

    1067 wurde Philipp fünfzehn Jahre alt und volljährig. Der Sohn des Grafen Balduin umgürtete ihn mit dem Schwert, und auf einem in Paris abgehaltenen Hoftag übernahm er die selbstständige Regierung (das Ereignis der Schwertleite fand beinahe zeitgleich mit dem jungen Heinrich IV. im deutschen Reich statt). Ein Jahr zuvor hatte sich die politische Situation sehr zu Philipps Ungunsten gewandelt, als Wilhelm, der Herzog der Normandie, England eroberte und das anglonormannische Reich begründete. Der zu dieser Zeit noch als königlicher Regent agierende Balduin V. hatte dies nicht verhindert – er war Wilhelms Schwiegervater und ließ als Graf von Flandern zu, dass viele seiner Untertanen sich dem normannischen Heereszug anschlossen. England wuchs zu einem gefährlichen Rivalen für Frankreich heran, während die Beziehungen Frankreichs zum deutschen Reich eher spannungsfrei waren.

    In den folgenden Jahren führte Philipp I. einen militärisch erfolglosen Krieg mit Graf Robert, dem Nachfolger von Balduin in Flandern. Der König musste sich mit Robert von Flandern schließlich arrangieren, erhielt dafür im Gegenzug aber das Kloster Corbie, so dass Philipp I. seine Krondomäne ausbauen konnte. Der Ausgleich kam zustande, weil sich beide Seiten durch Wilhelm, dem Eroberer von England, bedroht fühlten. Aus dem Vertrag mit Flandern erwuchs ein richtiges Bündnis, weil Philipp I. Roberts Stieftochter, Bertha von Holland, 1072 heiratete.

    Philipp sicherte sich danach das Vexin und fügte kurz darauf 1076 dem englischen König Wilhelm eine seiner wenigen Niederlagen zu, als er die von den Engländern belagerte bretonische Festung Dol entsetzen konnte. Die Ausdehnung des englischen Machtbereichs auf die Bretagne war damit vorerst vereitelt.



    Es blieb weiterhin das Ziel Philipps, die 1066 geschaffene Verbindung der Normandie mit England wieder rückgängig zu machen. Militärisch gab sich Wilhelm nur selten eine Blöße, aber seine Schwachstelle waren die Auseinandersetzungen innerhalb seiner eigenen Familie. Diese suchte Philipp mit diplomatischem Geschick auszunutzen, indem er Wilhelms ältesten Sohn Robert (der wegen seiner geringen Körpergröße den Beinamen „Kurzhose“ erhielt) unterstützte. Robert war als Erbe der Normandie vorgesehen, doch forderte er deren Übertragung bereits zu Lebzeiten des Vaters. Als er damit auf Ablehnung stieß, kam es zur offenen Empörung. Unterstützung fand er beim französischen König, der ihm die Burg Gerberoy bei Beauvais überlies. Hier trotzte Robert dem Heer seines Vaters und schlug es 1079 sogar in die Flucht.

    Als Wilhelm der Eroberer im Jahre 1087 seinen Tod nahen fühlte, verfügte er die Teilung seines Erbes: Robert erhielt die Normandie, Wilhelm (genannt Rufus, der Rote) bekam England, und der jüngste der Brüder, Heinrich, wurde mit Geld abgefunden.

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  14. #149
    vom Werwolf gebissen Avatar von Kampfhamster
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    Immer noch total spannend und lesenswert, was du hier spielst und schreibst.
    Die aktuelle Story:

    [Col2 Werewolves] Nich lang schnacken, Seesack packen!


    Die Story des Monats Juli 2010:

    Tom Driscoll und seine Gefährten begeben sich in das Testgewölbe.
    letzte Aktualisierung: 31.1.2013, 20:19 Uhr

  15. #150
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    Freut mich, dass es Dir zusagt, obwohl es kein klassischer AAR ist.


    Die anglonormannische Einheit des Eroberers war dahin, doch Philipp gefährdete seine gesicherte Position 1092 selber, weil er seine Gattin Bertha verstieß (angeblich, weil sie zu dick geworden war) und somit das Bündnis mit Flandern aufs Spiel setzte. Wilhelm II. Rufus nutzte diese neue Konstellation und knüpfte Bindungen zu Graf Robert II., dem Erben von Flandern.



    Philipp wollte die verstoßene Bertha durch Bertrada von Montfort ersetzen, welche die Frau des Grafen von Anjou war, in die sich der König verliebt hatte und die er von ihrem Gemahl Graf Fulko von Anjou entführen ließ, um sie am Tag darauf, dem Pfingstsonntag (15. Mai 1092), zu heiraten.

    Der Bischof von Senlis nahm bereitwillig die Trauung vor, doch da sowohl Bertrada als auch Philipp zu diesem Zeitpunkt noch rechtmäßig verheiratet waren, schaltete sich der heilige Stuhl in diese Angelegenheit ein. Nachdem die Ermahnungen Papst Urbans II. nichts ausgerichtet hatten, wurde Philipp am 16. Oktober 1094 auf einer vom Erzbischof von Lyon einberufenen Synode von zweiunddreißig Bischöfen exkommuniziert. Auf dem Konzil von Clermont (18. bis 28. November 1095) bestätigte der Papst den Bann und untersagte der Geistlichkeit, den Lehnseid gegenüber dem König abzulegen. Der Bann schränkte den politischen Handlungsspielraum Philipps erheblich ein, da er auf seine wichtigste Herrschaftsstütze, den Klerus, nicht mehr zurückgreifen konnte.



    Allerdings war die Kirche Frankreichs anders organisiert als die im deutschen Reich, der Investiturstreit – im Grunde war es mehr noch der Streit um eine ganze Kirchenreform – traf Philipp daher nicht so empfindlich wie Kaiser Heinrich. In Deutschland verfügte Heinrich IV. über sämtliche Bistümer und die bedeutendsten Stifte und Klöster seines Reiches. Die Kontrolle über die Investitur der Geistlichen war so wichtig, weil die Prälaten zu den wesentlichen Stützen der Königsmacht gehörten. Im Unterschied zu dem Salier kontrollierte Philipp nur 25 der insgesamt 77 Diözesen Frankreichs. Der Kapetinger konnte es sicher eher leisten, gegenüber dem Papst eine pragmatische Politik zu fahren. Für Heinrich IV. stand zu viel auf dem Spiel, er musste in der Wahrung seiner Rechte starr bleiben und band so die Aufmerksamkeit des Papstes – was wieder Philipp nutzte, weil der Heilige Vater davon in Anspruch genommen wurde und Frankreichs König eine vermittelnde Rolle einnehmen konnte.

    Ein Streit zwischen Philipp I. und Gregor VII. um die Besetzung des Bischofspostens von Macon wurde entschärft, weil der König in dieser Frage 1094 nachgab. Schärfere Töne schlug Gregor jedoch nur kurze Zeit später wieder an, als er von dem eingangs erwähnten Raubüberfall des französischen Königs auf italienische Kaufleute erfuhr. Gregor warf den französischen Bischöfen vor, an den Untaten Philipps mitschuldig zu sein, und forderte sie auf, ihn zur Umkehr zu bewegen. Sei er dazu nicht bereit, so sollten sie sich von ihm lossagen und das Interdikt über Frankreich verhängen. Nütze auch dies nichts, dann werde man ihm die Königsgewalt entreißen. Philipp zeigte sich unbeeindruckt, und Gregor VII. zeigte keine Anstalten, seine Drohungen zu verwirklichen. Rom wollte eine Konfrontation vermeiden. Es blieb wie erwähnt Papst Urban II. vorbehalten, ihn 1094 zu exkommunizieren. Und der Grund lag nicht etwa in der Frage der Investitur, sondern in der neuen Ehe, die der König 1092 geschlossen hatte. Philipp drohte aber keine Absetzung durch den Papst, so wie es Heinrich IV. widerfahren war, denn Urban hatte kein Interesse an einer grundsätzlichen Feindschaft. Der Papst beließ es dabei, auf der Synode den Bann gegen Philipp zu erneuern, um den französischen König nicht unnötig in die Arme des Gegenpapstes Clemens, einer Marionette des salischen Kaisers, zu treiben.



    Das ist die Situation, in der sich der französische König Philipp I. zum Startzeitpunkt dieser Partie (30. November 1095) befindet. Die bekannte Synode von Clermont vom November 1095 wurde aber nicht wegen seiner Beratungen über die Eheangelegenheiten des französischen Königs bekannt, sondern wegen des Ersten Kreuzzugs, der hier in dem Aufruf von Papst Urban II. seinen Ausgangspunkt hatte. Wie war es dazu gekommen?


    2. Der byzantinische Hilferuf

    Es war der 19. August 1071, der zu einem Tag weitreichender Konsequenzen werden sollte. An jenem Tag stießen die Truppen des byzantinischen Kaisers Romanos IV. (1068-1071) mit denen der türkischen Seldschuken des Alp Arslan zusammen. Romanos IV. Diogenes saß seit drei Jahren auf dem Thron Konstantinopels. Seine militärische Laufbahn hatte unter der Herrschaft von Konstantin X. Doukas begonnen, bei dem er jedoch wegen in Ungnade fiel und nach der Anklage wegen Verschwörung gegen den Kaiser 1067 verbannt wurde. Der Tod Konstantins machte Romanos den Weg frei, nach Konstantinopel zurückzukehren. Er heiratete Konstantins Witwe und beteiligte ihre Söhne formell an der Herrschaft. Romanos kämpfte anfangs erfolgreich gegen die Seldschuken, die das für Byzanz wichtige Kleinasien bedrohten.

    Und im Jahre 1071 brach er mit seinem Heer auf, um gegen die muslimische Bedrohung im Osten vorzugehen. Sein Gegenspieler Alp Arslan, der zu dieser Zeit Antiochia belagerte, erfuhr davon und zog ihm mit seinen Männern entgegen. Die Byzantiner waren stärker, hatten viele kriegserfahrene Söldner in ihren Reihen, versäumten aber wegen Streitigkeiten in der Heeresführung, das Gelände aufzuklären. Die Katastrophe ereignete sich bereits in der Nacht vor der Schlacht: Ein Teil der Söldner, vor allem aber das Kontingent des Andronikus Doukas, der die Reservetruppen befehligte, ging in das Lager der Seldschuken über. Der Verrat löste eine Panik in den Reihen der byzantinischen Truppen aus. Kaiser Romanos geriet in Gefangenschaft. Gegen die Zahlung von Lösegeld und einen Friedensvertrag wurde er bald wieder freigelassen. Überliefert ist folgender Dialog zwischen beiden Herrschern:

    Alp Arslan: „Was würdest du tun, wenn ich als Gefangener zu dir gebracht würde?“
    Romanos: „Vielleicht hätte ich dich getötet oder dich in den Straßen Konstantinopels ausgestellt.“
    Alp Arslan: „Meine Strafe ist weitaus härter. Ich vergebe dir und lasse dich frei.“

    Das Aufgebot des byzantinischen Adels flüchtete, um der Familie Doukas zur Kaiserkrone zu verhelfen. Die Nase vorn hatte eine Fraktion, die Michael VII. (1067-1078), dem Sohn Konstantins X., auf den Thron verhalf. Romanos IV. versuchte, gegen ihn vorzugehen, wurde aber besiegt und gefangengenommen. Er wurde gefoltert und schließlich Ende Juni 1072 geblendet: dabei wurde ihm dreimal ein glühendes Eisen in die Augenhöhle gestoßen. Laut einem Bericht von Michael Attaleiates entzündete sich die Wunde und war von Maden befallen, die ihm „vom Gesicht fielen“. Romanos wurde auf die Insel Proti, die viertgrößte der Prinzeninseln vor Konstantinopel/Istanbul, verbannt, wo er wenige Tage später an den Folgen der Verletzung starb. Der von Romanos abgeschlossene Vertrag wurde nach seinem Sturz von den Seldschuken nicht mehr anerkannt. Erst jetzt entwickelte sich die Niederlage zu einer wirklichen Katastrophe, da die Seldschuken den nach der Niederlage mit Romanos geschlossenen Vertrag als gebrochen ansahen und mit der Eroberung Kleinasiens begannen. Das Innere Anatoliens ging für Byzanz verloren und es entstand das Sultanat Rum. Einige lokale Gouverneure in Kilikien und größere Städte wie Edessa konnten sich eine Zeit lang auch ohne Unterstützung der Zentralregierung in Byzanz halten, fielen jedoch meist über kurz oder lang ebenfalls unter seldschukische Herrschaft.

    Der neue Kaiser behielt seine Truppen lieber in der Hauptstadt, statt sie und seine Herrschaft im Kampf gegen die Invasoren zu riskieren, und die Provinzen waren zu schwach und vor allem zu unorganisiert, um sich alleine verteidigen zu können. Im Norden ergriffen die Petschenegen die Chance und überschritten die Donau, in Süditalien wischten die Normannen die Reste der byzantinischen Herrschaft fort. Die Regierung in Konstantinopel schaute diesem Zusammenbruch wie paralysiert zu. Die im Stich gelassenen Provinzen versuchten, ihre Verteidigung eigenständig in die Hand zu nehmen und sagten sich mehr oder weniger von Konstantinopel los. Auch der Sturz von Michael VII. und die Thronbesteigung des Generals Nikephoros III. (1078-1081) im Jahre 1078 änderte nichts an der ernsten Lage: Zölle und Steuerabgaben schrumpften ernsthaft zusammen. Wenige Jahre später musste Kaiser Alexios I. (1081-1118) dann sogar Hand an die Kirchenschätze legen, um seine Truppen besolden zu können. Aber er schaffte es in den folgenden fünfzehn Jahren, die Krise des Reiches zu überwinden, den Bürgerkrieg zu beenden und die Grenzen halbwegs zu sichern.



    Doch der Verlust von Kleinasien an die Seldschuken blieb weiterhin Fakt. Im Südosten war Antiochia 1084 endgültig verloren gegangen. Das Byzantinische Reich litt unter einem Mangel an Soldaten, deshalb suchte Alexios I. im Ausland nach Söldnern. Hierbei konnte er kleinere Erfolge verbuchen: So erlaubte der Graf von Flandern, der auf einer Pilgerreise ins Heilige Land auch Konstantinopel besucht hatte, einigen hundert seiner Ritter, in Byzanz Solddienste zu nehmen. Gegen eine gute Bezahlung stand die venezianische Flotte bereit, einen normannischen Angriff abzuwehren. Dieses byzantinische Werben um ausländische Hilfe sollte sich bald als weitaus erfolgreicher und damit auch folgenreicher erweisen, als Alexios es sich hätte träumen lassen.

    Auch wenn Byzanz Mitte der 1090er das Schlimmste überwunden zu haben schien, bedeutete das noch lange nicht, dass das Reich wieder die Machtstellung erreicht hatte, die es vor Mantzikert eingenommen hatte. Dafür wog der Verlust von Kleinasien zu schwer. Also schickte Alexios I. 1095 wieder eine Gesandtschaft in den Westen, die um Militärhilfe und Söldner bitten sollte. Diesmal war sie auch an den Papst gerichtet. Wahrscheinlich verbarg sich kein besonderer Wunsch dahinter - lediglich die Überlegung, dass der Papst ein besonders effektiver Kommunikator sein könnte, von dem selbst keine materielle Hilfe zu erwarten war, der aber für die bestmögliche Verbreitung der byzantinischen Wünsche im Abendland sorgen könnte.

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    Geändert von Mark (14. März 2017 um 07:49 Uhr)
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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