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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #361
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Das Konzil - Sigismund

    Soweit in seiner Position gefestigt, konnte er endlich in das Geschehen in Deutschland eingreifen. Sein Bruder Wenzel dort war nämlich ein erschreckend schwacher König, an dessen Herrschaft das Erstaunliche war, dass sie überhaupt so lange hielt. Wenzel war ein Alkoholiker auf dem Thron, dessen Phlegma nur von seinen gelegentlichen Zornesausbrüchen unterbrochen wurde. Anfangs mögen sich die Kurfürsten noch gefreut haben, dass sie einen schwachen König haben. Mit der Zeit wurde die Inaktivität von Wenzel, der den Beinamen „der Faule“ erhielt, aber zu einem echten Problem für das Reich. In den 1390ern begann man schon darüber nachzudenken, Wenzel zum Rücktritt zu zwingen. Bei diesen Plänen durften Sigismund und sein mährischer Cousin Jobst natürlich nicht fehlen! Das komplizierte Ränkespielen brachte Sigismund an die Seite des Habsburgers Albrecht IV. von Österreich, mit dem er einen umfassenden Beistandsvertrag schloss. Dieser beinhaltete die Bestätigung, die schon Karl IV. mit den Habsburgern geschlossen hatte, nämlich dass sich der Habsburger und der Luxemburger für den Fall der Fälle (den kinderlosen Tod eines Vertragspartners) als gegenseitige Erben bestimmten.



    Wenzel wurde 1400 zum Rücktritt gezwungen und legte die deutsche Krone nieder, er blieb aber König von Böhmen. Dort hatte er genug zu tun, die Anhänger des Predigers Jan Hus machten ihm mit ihren radikalen Forderungen nach einer Reform der Kirche allerhand Probleme. Im Grunde war Jan Hus ein Vorgänger von Martin Luther, der gut einhundert Jahre später ähnliche Ansichten und Forderungen verkündete. Im Reich wurde der Pfalzgraf Ruprecht III. zum Nachfolger gewählt, jedoch nur von einem Teil der Kurfürsten – einige erkannten Wenzel weiterhin als König an. Eine paralysierende Situation: Beide Könige hatten kein Geld, um die Frage militärisch zu klären, einen allseits anerkannten Papst, der als Schiedsrichter hätte fungieren können, gab es auch nicht.

    Wenzels Kräfte reichten zumindest, um sich in Böhmen seine Verwandten Sigismund und Jobst vom Leibe zu halten. Weil Sigismunds Verbündeter Albrecht IV. im Jahre 1405 vermutlich einem Giftanschlag zum Opfer fiel (auch Sigismund erkrankte, überstand die Sache aber), musste Sigismund von Böhmen ablassen. Für die Ungarn war das gut, endlich investierte ihr König seine Aufmerksamkeit in ihr Land. Sigismund kümmerte sich um die Infrastruktur im Land, förderte Handel und Wirtschaft und gründete 1408 den Drachenorden. Das mit den Orden war zu dieser Zeit ja eine regelrechte Mode. Dem Orden trat übrigens auch der walachische Fürst Vlad bei, stolz trug er fortan den Titel des Dracul, des Drachen.

    Im Jahre 1410 kam die große Chance für Sigismund: Zugleich starben der Papst Alexander V. sowie der deutsche König Ruprecht. Dieses Mal wollte sich Sigismund nicht in die zweite Reihe schieben lassen und sprach beim neuen Papst Johannes XXIII. (der residierte in Bologna, es gab ja noch zwei weitere Päpste) wegen eines umfassenden Konzils vor, das die großen Probleme der Zeit anpacken sollte. Dem Papst gefiel es, er sprach sich bei den deutschen Kurfürsten für die Wahl von Sigismund zum König aus. Von Böhmen aus beanspruchte zwar immer noch Wenzel, der wahre deutsche König zu sein, aber das war nicht so wichtig. Bedeutender war, dass Sigismund Cousin - und Konkurrent um die Krone - Jobst zufällig einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Da war eine Einigung mit Wenzel plötzlich auch möglich, Sigismund teilte mit ihm einvernehmlich das mährische Erbe von Jobst auf, Brandenburg ging an Sigismund zurück. Da war dann auch Wenzel damit einverstanden, dass Sigismund die Krone des Reiches bekommt. Die Wahl der Kurfürsten fand im Juli 1411 statt, Sigismund wurde der neue deutsche König!



    Zuvor hatte Sigismund bereits den Titel „König von Ungarn, Dalmatien, Kroatien, Serbien etc.“ geführt, dazu war er Markgraf von Brandenburg und Erbe des Königreichs Böhmen und des Herzogtums Luxemburg.



    Jetzt war er römisch-deutscher König und hatte noch mehr Probleme als vorher. Seine politische und ökonomische Basis im Reich war gering. Die größte Gefahr sah er als Betroffener in den Türken. Nur mit den vereinten Kräften der christlichen Reiche aus West und Ost konnte man nach seiner Ansicht diese Gefahr beseitigen. Eine Einigung Europas war aber nur über eine Beseitigung des Schismas zwischen West- und Ostkirche und zwischen den Päpsten zu erreichen. Dies musste also die vordringlichste Aufgabe sein. Deshalb also das große Konzil, auf dem all diese Probleme angepackt werden sollten.

    Es gab da noch einen Punkt im Vorfeld zu erledigen. Sigismund musste im Nordosten Stellung beziehen. Dort war sein Verbündeter, der Deutsche Orden, am 15. Juli 1410 bei Tannenberg vom polnischen König Jagiello vernichtend geschlagen worden. Trotzdem verhielt sich Sigismund zurückhaltend und lavierte zwischen den Parteien herum. Immerhin brauchte er auch die Polen, wenn er das päpstliche Schisma überwinden wollte. Und auch mit Venedig musste sich Sigismund eine Weile beharken, dabei ging es um die Vorherrschaft über Dalmatien. Venedig war gut vernetzt in Italien, Mailand und Neapel hielten zu der Handelsstadt. Auch hier musste schließlich ein Waffenstillstand her, um das große Konzil realisieren zu können. Günstig für Sigismund war zumindest, dass Frankreich nach dem aufsehenerregenden Mord an Herzog Ludwig von Orleans in zwei Lager gespalten war. Unter dem König Charles VI. (genannt der Wahnsinnige) rangen Armagnacs und Bourgugnons blutig um die Macht. Frankreich war als dominierende Ordnungsmacht zeitweise aus dem Spiel, das konnte Sigismund nutzen – übrigens auch England, aber das ist eine separate Geschichte.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #362
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Sehr interessant. Insbesondere, da jetzt gerade der Zeitabschnitt 1400 dran ist, der in KC beleuchtet wird. Jetzt frag ich mich allerdings wo denn die Passage auftaucht, als Wenzel von Sigismund laut Spiel unter Arrest gestellt wurde?
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  3. #363
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    Hm... ursprünglich wollte ich mir für diesen Abschnitt der Story ein Buch zulegen...
    https://www.amazon.de/gp/product/340...A15UX8GPD9OYJE
    ... habe es aber nicht gemacht, weil ich zügiger zum Jahr 1444 EU-Start vorankommen wollte. Da steht bestimmt zu Böhmen um 1400 drin.

    In einem anderen Buch steht dazu: Wenzel gelang es nicht, die böhmischen Barone an sich zu binden, auch weil Sigismund selber scharf auf die Krone war und ihn behinderte. Im Jahre 1393 gründeten die oppositionellen böhmischen Barone die "Herrenliga", die von seinen Halbbrüdern Jobst von Mähren und Sigismund unterstützt wurde. Und das, obwohl Wenzel vorher Sigismund bei der Zuweisung von Reichsvikaren sowie in Ungarn geholfen hatte. Auch mit dem Prager Erzbischof Johann von Jenstein hatte Wenzel Stress wegen Kirchenimmunitäten und Besitzrechte. Wenzel wollte ihn ausbooten, indem er ein neues Bistum in Westböhmen gründet und mit einem Parteigänger besetzt, das war unüberlegt von ihm. Auf den Widerstand des Klerikers reagierte Wenzel mit Gewalt und Folter. 1393 wurde der Generalvikar Joann von Pomuk auf seinen Befehl in der Moldau ertränkt, das kostete Wenzel sein restliches Ansehen als König.

    Die Barone und Sigismund forderten Wenzel auf, sich von seinen Beratern zu trennen bzw. die Landesverwaltung an seinen Bruder Johann von Görlitz zu übertragen. Sigismund setzte 1394 durch, dass er für Böhmen zum Reichsvikar, eine Art Regierungschef, ernannt wurde - falls sein Bruder "mal verhindert sein würde". Kurz darauf wurde Wenzel das erste mal von den Baronen gefangengenommen, um ihn zu Änderungen in seiner Politik zu zwingen. Eine zweite Haft ereignete sich am 1402, aus der er entfliehen konnte. Diese hatte wohl Sigismund eingefädelt, um Wenzel dauerhaft zu beseitigen.

    (Auch Sigismund wurde am 28. April 1401 von seinen ungarischen Baronen festgenommen - weil er ausländischen Vertrauten zu viel Macht geben würde. Diese Sache klärte Sigismund, indem er seine nicht abgestimmte Verlobung löste und versprach, stattdessen die Tochter des mächtigen Grafen von Cilli zu heiraten.)

    Als Wenzel dann noch bemerkte, dass die anderen Reichsfürsten unter Führung des Mainzer Erzbischofs seine Absetzung als deutscher König betrieben (als Ersatz stand Pfalzgraf Ruprecht III. bereit), fiel Wenzel in völlige Lethargie ab. Er wollte keine Verhandlungen, stattdessen rief er die Reichsstädte zu seiner Verteidigung auf. Das war völlig realitätsfern. Am Ende standen Geheimverhandlungen 1399-1400 zwischen den Reichsfürsten und Papst Bonifaz IX. - dem drohten sie an, zum Gegenpapst überzulaufen, wenn er Wenzels Absetzung nicht zustimmen würde. Weil Wenzel nicht auf die schriftliche Aufforderung zu seiner Rechtfertigung reagierte, setzten ihn die Fürsten im August 1400 als deutschen König ab. Offiziell hat Wenzel das nie anerkannt.

    Seit 1403 fand Wenzel zu einer ausgewogeneren Politik in Böhmen, die ihm allgemeine Anerkennung sicherte. Er hatte aber schwer zu tun mit den Folgen des Papst-Schismas, in Böhmen wurden die Hussiten stärker, das Land war ein religiöses Pulverfass. Als Gegenkönig Ruprecht 1410 starb, gab Sigismund für die Nachfolge einen besseren Kanditaten ab als Wenzel. Selbst Wenzels Sohn Ludwig neigte eher dem Onkel zu. Auch Jobst, der dritte der Brüder, hatte Ambitionen auf die Krone. Praktischerweise für Sigismund starb Jobst aber überraschend am 18. Januar 1411, wohl an Gift. Damit war der Weg frei für Sigismund. Wenzel musste sich also weiter auf sein Böhmen beschränken und starb schließlich 1419.
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  4. #364
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    Welchen Zeitraum umspannt denn DKC? Kenne das Spiel nur aus der Gamestar-Ausgabe neulich.

    P.S. Schaue eben auf Wikpedia, ist das JAhr 1403. Gibt es tatsächlich eine Rassismus-Debatte, weil das Spiel keine nciht-weißen Charaktere zeigt? Wer kommt denn auf sowas?
    Geändert von Mark (13. März 2018 um 21:27 Uhr)
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  5. #365
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    Das Konzil - Sigismund

    Die Reform an Haupt und Gliedern

    Ende 1414 war es also endlich soweit. Nachdem Sigismund sich - mit ordentlicher Verspätung von über drei Jahren – endlich am 5. November 1414 offiziell zum deutschen König krönen ließ, ging es weiter nach Konstanz. Alleine dass das Konzil an diesem Ort und unter seiner Leitung stattfinden konnte, war ein politischer Sieg für den Luxemburger. Zum Weihnachtsfest also zog Sigismund nun im Fackelschein in Konstanz ein. Er hatte eine Liste mit den großen Problemen parat, die auf dieser internationalen Konferenz abgearbeitet werden sollten. Starker Tobak:



    Das Konzil begann eigentlich schon am 28. Oktober 1414 mit dem Einzug des Papstes. Johannes XXIII. war gebürtig aus Neapel, in seiner Jugend mit seinen Brüdern an den Raubzügen einer Piratenbande beteiligt, dann Landsknecht, liederlicher Student, Kämmerer am Vatikan in Rom, ein Amt, das er zu Wucher, Korruption, Ämterhandel missbrauchte. Als Kardinal war er gewalttätig, gelangte durch Drohung und Bestechung 1410 auf den Stuhl Petri. Und der Verdacht schien greifbar, dass er der Mörder zweier Vorgänger gewesen war. Trotzdem: Die Präsenz des Heiligen Vaters ließ die Menschen in Konstanz jubeln. Man konnte sich schwerlich vorstellen, dass sein Name Johannes XXIII. Bald aus den Kirchenannalen gestrichen werden würde – so dass es in neuerer Zeit einen neuen 23. Johannes geben konnte.

    Die große Spaltung der Kirche, das Schisma, währte nun bereits 36 Jahre und war der Zwietracht zwischen dem Papsttum und den Kardinälen entsprossen, auch dem Interessengegensatz zwischen den Italienern und Franzosen. Für die Kirche und die Päpste hatte mit der „Babylonischen Gefangenschaft“ in Avignon eine Zeit des Machtverfalls eingesetzt. Frankreich bestimmte den Kurs in Avignon. Seit 1378, als die Römer einen Nachfolger wählten und die französischen Kardinäle dies mit der Wahl eines eigenen Nachfolgers in Avignon beantworteten, schieden sich die Geister. Nach über dreißig Jahren Spaltung sollte ein Konzil in Pisa die Einheit wiederherstellen, man ernannte einen gänzlich neuen Papst. Das führte dummerweise dazu, dass es fortan sogar drei Päpste zugleich gab. Die drei exkommunizierten sich natürlich munter gegenseitig, im Grunde war inzwischen ganz Europa unter dem Kirchenbann. Für Sigismund war damit klar, was in Konstanz passieren musste, wenn er Erfolg haben wollte: Die drei Päpste mussten zunächst mit breiter Zustimmung abgesetzt werden. Besser noch, sie traten alle drei von sich aus zurück. Erst dann konnte die Wahl eines neuen, allseits anerkannten Papstes erfolgen. Das Dumme daran war, dass die anderen beiden Päpste nicht persönlich in Konstanz erschienen. Sowohl der römische Gregor XII. als auch der avignonesische Benedikt XIII. schickten lediglich Vertreter.

    Das erste wichtige Etappenziel erreichte Sigismund mit diplomatischem Geschick: Jede in Konstanz vertretene Nation sollte mit jeweils einer Stimme gewertet werden, unabhängig von der Zahl der anwesenden Landsleute. Italien, England, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Polen, Ungarn, Skandinavien, Böhmen und das Kardinalskollegium – alle hatten eine gleichberechtigte Stimme. Das brach die Dominanz der in großer Zahl erschienen italienischen Bischöfe. Eine Art Völkerbund war entstanden, in dem die Geistlichen aller Ränge nicht mehr die führende Rolle spielten, sondern zusammen mit den anderen Konzilteilnehmern lediglich den Beschlüssen der Nationen zuzustimmen hatten. Eine Neuerung, die sie mit verschrecktem Staunen zur Kenntnis nahmen.

    Die Nationen brachten mit scharfem Druck den Papst soweit, das er seine Abdankung verkündete – unter der Bedingung allerdings, dass die beiden anderen Heiligen Väter seinem Beispiel folgen würden. Aufregung kam auf in Konstanz, als eines Morgens der Papst verschwunden war: Mit Hilfe des Herzogs Friedrich von Österreich hatte sich Johannes XXIII. abgesetzt. In dem allgemeinen Tumult, der bei dieser Nachricht ausbrach, bestand die Gefahr, dass das Konzil auseinanderlaufen würde wie eine Schar Hühner. Sigismund griff durch, belegte den Herzog mit der Reichsacht und ritt dem geflohenen Papst hinterher, um ihn „am Rockkragen zurückzuholen“. Und das gelang Sigismund auch, es hatte sogar weitreichende Konsequenzen. Denn unter dem Eindruck dieser Ereignisse erklärte die Synode, die nun in Konstanz zusammentrat, ihre Gewalt als unmittelbar von Christus gegeben. Und dieser habe sich jeder Stand, auch der Papst, zu fügen habe. Ein Konzil, das über dem Papst steht! Das war ein Dekret, das einhundert Jahre zuvor noch eine Anklage wegen Ketzerei zur Folge gehabt hätte. Doch die Zeiten hatten sich geändert, so sehr hatte der gewaltige Bau des Papsttums Risse bekommen.

    Dem zurückgebrachten Johannes machte das Konzil sogleich den Prozess und breitete all seine Verfehlungen aus. Bei so vielen Zeugenaussagen war es folgerichtig, dass der Papst seines Amtes enthoben wurde. Herzog Friedrich, der Johannes gern für seine eigenen Ziele eingespannt hätte, ließ ihn augenblicklich fallen und kroch in Konstanz buchstäblich zu Kreuze. Triumphierend wies Sigismund auf den vor ihm Knienden und sprach zu der Versammlung: „Seht, meine Herren, was ein deutscher König vermag!“ Der erste Papst war damit weg vom Fenster.

    Der zweite Papst, der in Rimini mehr vegetierte als residierte, war Gregor XII. Er zeigte mehr Verständnis für die Nöte der Kirche und trat, beflügelt von einer in Aussicht gestellten großzügigen Abfindung, freiwillig zurück. Blieb noch der Dritte im Bunde, und der erwies sich als der halsstarrigste Gegner. Benedikt XIII. saß in Spanien auf der weltfernen Felsenburg Peniscola. Auf den Stuhl Petri erhoben, weil bereits steinalt und deshalb ein idealer Übergangskandidat, hatte er seine Wähler enttäuscht, weil er einfach nicht ans Sterben dachte. Nach dem Rücktritt seiner beiden Brüder in Christo, argumentierte er nicht ohne Logik, sei er nun der einzige und damit rechtmäßige Papst. Einen Grund für seinen Rücktritt sehe er nicht.

    König Sigismund war nicht gewillt, sich kurz vor dem Ziel den Weg durch einen starrsinnigen Greis verlegen zu lassen. In einem Gewaltritt drang er durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Frankreich bis nach Spanien vor. Dort war er also, der 90jährige, der sich mit einem „Hofstaat“ aus Kardinälen, Bischöfen, französischen Adeligen und spanischen Granden umgab. Die wichtigsten Verhandlungspartner für Sigismund waren die Spanier, unter ihrem Schutz stand der Gegenpapst. Sigismund bot den Spaniern die Beteiligung am Konzil als fünfte stimmberechtigte Nation an, und hatte Erfolg damit. Benedikt durfte auf seiner Felsenfestung weiterhin Vatikan spielen, was er mit Ausdauer bis 1423 tat. Offiziell aber galt er als abgesetzt. Damit waren die „verruchten Drei“ beseitigt, und nichts stand mehr der Wahl eines neuen Papstes im Wege. Haken dran am ersten Punkt der Konzilliste!

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  6. #366
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    Das Konzil - Sigismund

    Hatte das Konzil dieses Problem auf zwar langwierige, aber gewaltlose Weise gelöst, so endete das zweite Problem mit Schrecken, Schrecklicheres noch gebärend. Jener Turm bei Konstanz, in dem Johannes XXIII. Einige Tage lang eingesperrt gewesen war, umschloss noch einen anderen Häftling. „Vergangenheit und Zukunft der Kirche begegneten einander in Fesseln: Der eine dieser Gefangenen war der verbrecherische Steuerer der schiffbrüchigen Kirche des Mittelalters, der andere ein erster Kolumbus der Reformation, und doch wie ein Pirat zum Tode verurteilt.“

    Es begann in Prag, der Stadt, die unter Karl IV. zur goldenen Stadt geworden war. Ein Sohn einfacher Leute kam dorthin aus dem böhmischen Flecken Husnitz – daher sein Name Jan Hus. Priester war er geworden, Magister an der Karlsuniversität, weit bekannt für seine wortgewaltigen Predigten. Er wetterte gegen Pomp, Macht und Luxus des hohen Klerus wie gegen die schmierige Bettelei der einfachen Mönche, die Schamlosigkeit der Kirche, die Armut und Keuschheit verrieten, gegen den heidnisch anmutenden Glauben an die Wunderkraft heiliger Knochen, heiligen Blutes, heiliger Kreuzsplitter, heiliger Textilien, der zum bloßen Reliquienschwindel verkommen war. „Wer Wunder braucht, ist schwach im Glauben“, predigte Jan Hus in tschechischer Sprache vor den einfachen Leuten. Nun gut, es war durchaus populär, gegen den Verfall der Kirche zu wettern. Aber Hus führte die Gedanken radikaler Theologen weiter, die die Ohrenbeichte und das Zölibat ablehnten, und das beim Abendmahl gereichte Brot nicht als Leib des Herrn, sondern nur als Repräsentation des Herrn ansahen. Hus stellte nicht die Kirche in Frage, er verlangte aber die Läuterung ihrer Diener. Denn wie konnte ein sündiger Priester das Sakrament spenden? Die Konsequent seiner Predigten war, dass die Gnade nur aus der Heiligen Schrift selbst kommen könne, und daher müsse jeder Mensch Zugang zur Bibel haben. Das war etwas viel für den katholischen Klerus, milde formuliert. Immerhin beanspruchten sie für sich, das Bindeglied zwischen Christus und den Menschen zu sein, das den Segen vermittelt.

    Die Anhänger von Hus in Böhmen waren bald so zahlreich, dass weder kirchliche noch militärische Strafaktionen sie zähmen konnten. Schon gar nicht bekam der betrunkene König Wenzel die Lage unter Kontrolle. Mehr und mehr geriet das Land in Verruf, es hieß „Böhmerland – Ketzerland“. Niemand konnte an einem solchen Ruf weniger Interesse haben als Sigismund. Einst würde ihm das Königreich Böhmen als Erbe zufallen. Er wollte über kein Land herrschen, dessen Bewohner keine braven Untertanen abgeben würden. Also sollte Magister Hus nach Konstanz kommen und seine vom Kirchendogma abweichende Lehre vor dem Konzil verantworten. Sigismund sicherte ihm dafür sicheres Geleit zu. Als Hus in Konstanz eintraf, wurde er sogleich in die erwähnte Turmfestung geworfen, der Gerichtsprozess gegen ihn eingeleitet. Vor dem Konzil weigerte sich Hus, abzuschwören und bestand darauf, aus der Heiligen Schrift widerlegt zu werden. Frechheit! Das Urteil folgte rasch und hart: Degradation aus dem Priesterstand und der Tod eines verstockten Ketzers durch Verbrennen. Am 6. Juli 1415 musste Jan Hus seinen letzten Weg zur Richtstätte antreten.

    Der Tod des Reformators beendete nicht die religiösen Unruhen in Böhmen, im Gegenteil. Vorerst betrachtete Sigismund das Problem aber als gelöst. Denn wenn die Kirche erst einmal durch Reformen erneuert sein würde, dann würden auch diese Ketzerei an Boden verlieren. Wenn – dann. Haken dran beim zweiten Punkt.



    So, dann also ging es an die Kirchenreform, mit der die Missstände im Klerus beendet werden sollten. Diese Aufgabe hatte ein Papst zu übernehmen, und den gedachte man jetzt zu wählen. Ende 1417 setzten die Kardinäle der Konklave aber durch, dass einem noch gar nicht gewähltem Papst keine bindenden Bestimmungen im Voraus auferlegt werden dürften. Reform ja, argumentierten die um ihre Pfründe besorgten Geistlichen, aber nur im Einvernehmen mit dem Heiligen Vater. Sigismund protestierte vergeblich. Er kannte seine Kardinäle und wusste, dass sie wie alle Politiker nach der Wahl anders sprechen würden als vor der Wahl. Am 11. November 1417 endlich ging es an die Wahl und Kardinal Oddo aus dem römischen Geschlecht der Colonna ging aus ihr als Papst Martin V. hervor. Er orientierte sich bei seiner Namenswahl an dem Tag dieses Ereignisses. Die Kirche hatte endlich wieder einen einzigen, anerkannten Papst! Martin ging gleich daran, die Befürchtungen des Königs zu bestätigen. Die einzelnen Reformvorschläge, die man in Konstanz mühsam ausgearbeitet hatte, verwies Martin an Kardinalsausschüsse. Dort erlitten sie jenes Schicksal, das ihnen heute noch in solchen Ausschüssen bereitet wird. Statt zu einer Reform „an Haupt und Gliedern“ kam es zu unverbindlichen Dekreten und Konkordaten mit den einzelnen Staaten, deren Inhalt sich fast ausschließlich auf Verwaltungsfragen bezog. Solche Details interessierten die meisten Menschen eh nicht, viel wichtiger war ihnen, dass die Kirche wieder geeint worden war. Das Konzil ging auseinander, jeder wollte nach drei Jahren heimkehren. Punkt Drei also nur vordergründig abgehakt.



    Was war mit den beiden restlichen Problemen? Sigismund hatte es versucht. Während seiner Mission nach Spanien hatte er einen Abstecher nach Paris und London gemacht, um in dem Krieg dieser beiden Mächte zu vermitteln. Die Engländer hatten den Franzosen im Oktober 1415 bei Azincourt eine deutliche Niederlage beigebracht. Als Sigismund mit Englands Henry V. im Dialog stand, hintertrieb die französische Orleans-Partei die Friedensinitiative. Verärgert blieb Sigismund am Ende nur die Rückreise in die Heimat. Er war ziemlich pleite und musste sich um langsam um die Angelegenheiten in Deutschland und Ungarn kümmern. Über die Gefahr durch die Türken war auf dem Konzil nur am Rande gesprochen worden. Punkt Vier und Fünf blieben also ungelöst.



    Bei seinem Aufenthalt in Deutschland ging Sigismund daran, jene Fürsten zu belohnen, die sich im Zusammenhang mit Sigismunds Königswahl und dem Konstanzer Konzil nützlich verhalten hatten. Es war Zahltag – vor allem für den Hohenzollern Friedrich VI. von Nürnberg, den Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnte. Zwar behielt der König die Kurfürstenstimme bei sich, Friedrich konnte sich aber der Vererbbarkeit des Lehens erfreuen. Damit begann die lange Karriere der Hohenzollern in Brandenburg, aus der einmal Preußen und das Zweite Deutsche Kaiserreich hervorgehen sollten.



    Die Bedrohung durch die Türken empfand man in Ungarn sehr viel deutlicher, das stellte Sigismund nach seiner sechsjährigen Abwesenheit rasch fest. Und Venedig hatte in der Zwischenzeit Dalmatien nebst Friaul und Aquileia einkassiert. Dagegen konnte Sigismund nicht einmal etwas unternehmen, er hatte kein Geld für ein Heer. Und es gab plötzlich Dringenderes zu tun: In Prag starb 1419 Sigismunds Bruder Wenzel. Also musste er rasch sehen, dass er sich den Zugriff auf die Krone, sein Erbe, sicherte.

    Spätestens jetzt wurde das Problem, das Wenzel in Böhmen mit den Hussiten gehabt hatte, zu Sigismunds eigenem Problem. Kriegsglück hatte er weder gegen die Hussiten wie gegen die Türken. Militärisch ließen sich die wild entschlossenen Hussiten nicht besiegen, selbst fünf (!) eigens auf sie angesetzte Kreuzzüge besiegten sie dank ihrer Wagenburg-Taktik. Der Niedergang der Hussiten wurde durch eine innere Spaltung eingeläutet: Die Unterfraktionen der Kalixtiner und der radikaleren Taboriten machten sich gegenseitig so gründlich nieder, wie es äußere Feinde nicht vermocht hatten. Die Reste konnte Sigismund bis 1434 aufwischen.

    Hatte Sigismund danach Zeit, sich um die Türken zu kümmern? Nein, wieder nicht. Bei einem Konzil in Basel kam es zum Eklat. Eugen IV., der Nachfolger von Martin V. auf dem Heiligen Stuhl, stritt sich mit dem Gremium über die Entscheidungshoheit in verschiedenen Kirchenfragen. War ja zu erwarten gewesen, dass sich die Päpste nicht auf Dauer den Rang ablaufen lassen wollten. Nach harten Debatten und Intrigen waren Teile der Konzilteilnehmer so satt, dass sie sich nach Avignon absetzen wollten. Was dann geschehen wäre, lag für jeden auf der Hand: Ein erneuter Gegenpapst unter französischer Fuchtel. Auch Sigismund war über Eugen IV. erbost, aber eine Spaltung durfte es nicht wieder geben. Zähneknirschend besänftigte er mit seiner Autorität das Konzil und den Papst.

    Mitte der 1430er musste Sigismund erkennen, dass sein Leben sich dem Ende näherte. Jahrelang war er schon von der Gicht geplagt, nun ging es rapide bergab mit ihm. Über seine Nachfolge wurde schon offen spekuliert, in Böhmen hatte man genug von der deutschen Bevormundung und favorisierte den polnischen König für den Thron. Sigismund hatte nur noch ein Ziel: Seinen loyalen Schwiegersohn, den Habsburger Albrecht von Österreich die Kronen des Reiches, von Böhmen und Ungarn zu sichern. Bis auf die Knochen abgemagert ließ sich Sigismund in einer Sänfte nach Böhmen transportieren, um sich dort mit Albrecht zu treffen und schnell eine Amtsübergabe hinzubekommen, bevor seine Gegner handelten.

    Am 9. Dezember 1437 hörte Sigismund am Morgen in kaiserlichem Ornat die Messe, legte den Ablauf der Totenfeier fest und starb am Nachmittag auf seinem Thron. Am nächsten Morgen symbolisierte das Zerstören aller Siegel das Ende seiner Herrschaft. Der Leichnam wurde drei Tage aufgebahrt und dann nach Rumänien überführt. Dort hatte sich Sigismund zu Füßen des Nationalheiligen Ladislaus seine Grablege vorbereitet. In Brokat gekleidet, mit einer silbernen Krone auf dem Kopf, den Reichsapfel und das Zeichen des Drachenordens auf der Brust wurde er beigesetzt.



    Fünfzig Jahre lang hatte Sigismund insgesamt geherrscht. Aus dem Prinzen mit der Ambition auf den polnischen Thron war ein König über Ungarn, das Reich und über Böhmen geworden. Seine Ziele verfolgte er zeitlebens mit einer Politik der kleinen Schritte: die Beseitigung des päpstlichen Schismas, die Einigung der europäischen Herrscher und die Konzentration auf die Türken. Falsch eingeschätzt hatte er die Wirkung von Jan Hus, was ihm beinahe zum Verhängnis wurde und die Krone von Böhmen hätte kosten können. Und mit seiner Mittlerrolle zwischen England und Frankreich hatte er sich überhoben, Sigismund unternahm später keine weiteren derartigen Versuche. Dasselbe galt auch für den Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und Polen. Vor lauter Taktieren zwischen den Parteien fand er keine Lösung. Im Reich hatte er sowieso keine eigene Hausmacht, hier gaben die Kurfürsten den Ton an. Am meisten lag ihm Ungarn am Herzen, das er vor den Türken beschützen wollte. Ein schlagkräftiges Bündnis, zu dem auch das mit Ungarn konkurrierende Venedig hätte zählen müssen (ally venice, build galleys), brachte Sigismund aber nicht zusammen. Es war reines Glück, dass die Osmanen genug andere Probleme hatten, die sie vom Vordringen auf dem Balkan ablenkten - noch. Ohne Geld war Sigismund ständig damit beschäftigt, einen Brand nach dem anderen löschen zu müssen. Seine Königreiche waren wohl einfach zu groß, um sie alleine beherrschen zu können.

    Das letzte große Anliegen gelang ihm aber: Sein Schwiegersohn Albrecht konnte 1438 seine Nachfolge antreten. Die große Zeit der Habsburger begann jetzt erst so richtig.
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    Ich will nicht erröten, wie einst Kaiser Sigismund.

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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2



    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Das Jahr 1377/78 bedeutete in verschiedenen Königreichen Westeuropas einen gleichzeitigen Wechsel der Generationen. Mehrere ebenso bedeutende wie fähige Herrscher wie Edward III. von England, Charles V. von Frankreich , sowie Kaiser Karl IV., starben und vererbten ihre Kronen an ihre Nachfolger. Bei diesen jungen Thronfolgern handelte es sich um ebenso junge wie unerfahrene Monarchen, die beim Regieren keine glückliche Hand haben sollten. Weniger elegant formuliert: Es kam eine Generation unfähiger Männer ans Ruder. Im Heiligen Römischen Reich war das der geschilderte Wechsel von Karl IV. auf seinen Sohn, Wenzel der Faule. In Frankreich bestieg Charles VI. den Thron, dem man den Beinamen „der Wahnsinnige“ gab – auch nicht gerade schmeichelhaft. England erlebte das Ende der Plantagenet-Dynastie, die das Land seit über zweihundert Jahren mit teils energischen, teils unfähigen Königen gelenkt hatte. Begonnen hatte das ganze im Grunde mit der Invasion Englands durch den normannischen Herzog William der Eroberer, dem ich ja ein ausführliches Kapitel gewidmet hatte.



    Edward III. war im Jahre 1377 bereits hochbetagt und nur noch ein Schatten früherer Tage. Das Drama daran war, dass sein berühmter Sohn und Erbe Edward, der Schwarze Prinz, im Jahr zuvor bereits gestorben war. Die Thronfolge ging daher auf dessen kleinen Sohn Richard über, also auf den Enkel des greisen Königs. Er gilt als der letzte der Plantagenet auf dem englischen Thron. Zwar wechselt die Krone anschließend auf weitere mehr oder weniger nahe Verwandte, die Historiker zählen diese Könige angesichts der bevorstehenden Rosenkriege zu den Dynastien der Lancaster bzw. der York, den Namen der beiden späteren Kriegsparteien. Wer die Serie Game of thrones schaut (ich kenne nur einige der frühen Folgen), darf sich bei dem Namen Lannister gerne an die Lancaster erinnert fühlen, bei Stark darf man an York denken.

    Um es vorneweg zu nehmen: Die Beziehungen der Protagonisten untereinander sind nicht besonders übersichtlich. Ich habe mich dazu entschieden, in diesem Kapitel mit einem entsprechenden Schaukasten zu arbeiten. Und damit dieser nicht gleich voll einschlägt, füge ich die Personen, sobald sie auf die Bühne der Geschehnisse treten, jeweils mit einer roten Umrandung hinzu. Also dann, es wird von den Plantagenet über die Rosenkriege bis hin zu den Tudors gehen.


    Richard II. (1377-1399)



    Am 21. Juni 1377 starb der große englische König Edward III. nach fünfzig Jahren auf dem Thron. Ein ganzer Ritter, hatte er (gemeinsam mit seinem Sohn und Thronfolger Edward, dem Schwarzen Prinzen) in der erste Phase des Hundertjährigen Kriegs bedeutende Siege gegen die Franzosen errungen. Die militärischen Triumphe von 1346 und 1356 waren in den letzten Jahren von Edwards III. Herrschaft jedoch weitgehend wieder verspielt worden, allzu sehr drückten Schulden und Korruption das englische Königreich. Noch vor Edward III. war im Jahr zuvor der Schwarze Prinz ins Grab gesunken, die Thronfolge auf dessen Sohn Richard übergegangen. Obwohl Richard beim Tod seines Großvaters erst zehn Jahre alt war und drei mächtige Söhne Edwards III. (John, Edmund und Thomas) für die Herrschaftsübernahme zur Verfügung standen, verlief die Krönung Richards am 16. Juli 1377 bemerkenswert unproblematisch.



    Insbesondere Richards Onkel John of Gaunt, wegen seines Herzogstitels auch schlicht Lancaster genannt, hätte die Macht gehabt, bei der Thronfolge selber zuzugreifen. Dieser „von Gaunt“ hieß so, weil er seinerzeit in Gent geboren worden war. Wir erinnern uns: Seinerzeit hatte König Edward III. zu Beginn des Hundertjährigen Krieges seine schwangere Frau sozusagen zur Absicherung eines Kredites in Gent/Gaunt zurückgelassen.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Lancaster war im März 1340 also in Gent geboren und schon früh von seinem älteren Bruder, dem Schwarzen Prinzen (den er sehr bewunderte) zum Ritter ausgebildet worden. Es war der Krieg, der Johns Jugend prägte. Mit zehn Jahren erlebte er die Seeschlacht von Winchelsea, erhielt mit fünfzehn seinen Ritterschlag, mit neunzehn befehligte er erstmals eine eigene Truppe während eines zermürbenden Kriegswinters in der Normandie. Den Titel des Herzogs von Lancaster erlangte er, weil sein Vater ihn mit der einzigen Erbin seines Cousins, Henry of Lancaster, verheiratete. Als Herzog von Lancaster wurde John der größte Landeigner in England nach dem König und der reichste der englischen Lords. Das war auch gut so, denn seine Prunksucht und seine Vorliebe für alles, was schön und teuer war, übertrafen die seines Vaters und Bruders. Lancaster war ein typischer Vertreter seiner Klasse und seiner Zeit: Er strebte nach den Idealen des ritterlichen Ehrenkodex, war ein Förderer der Künste, in hohem Maße arrogant gegenüber jenen, die gesellschaftlich unter ihm standen, und er hatte einen enormen Verschleiß an Frauen.



    Dieser Herzog von Lancaster war es also, der während der Minderjährigkeit seines königlichen Neffen die Geschicke Englands lenkte und sich der Herkulesaufgabe stellte, den festgefahrenen Krieg mit Frankreich fortzuführen und die Folgen der Pest und der Schuldenpolitik seines Vaters in England zu bewältigen. Er machte einen hervorragenden Job, aber die Sache war einfach völlig aussichtslos.

    Angesichts völlig leerer Staatskassen war Lancaster gezwungen, sich neue und immer höhere Steuern auszudenken. Mit der beabsichtigten Einführung einer Kopfsteuer brachte er den Volkszorn zum Überkochen:



    In Essex begann eine Revolte der Bauern und einfachen Handwerker, weil die königlichen Geldeintreiber es nicht nur auf das Vermögen der Untertanen einen Blick werfen wollten, sondern nebenher auch auf die Tochter des Kriegsveteranen Wat Tyler. Dieser erschlug einen der Beamten, die seine Tochter vergewaltigen wollten, floh, und wurde zum Anführer der aufständischen Bauern, die sich überall in Südengland zusammenrotteten. Sie alle verlangten eine Abschaffung der Leibeigenschaft, des Frondienstes und der Gerichtsgewalt der Lords. Und das war nicht nur die Meinung der Unterschicht, auch verschiedene Denker des 14. Jahrhunderts stellten die alten Autoritäten in Frage. Vorneweg: Der Oxford-Professor John Wycliff, der den korrupten Papst kritisierte, die Notwendigkeit der Beichte vor dem Priester in Frage stellte und in Abrede stellte, dass sich Brot und Wein beim Abendmahl wahrhaftig in Leib und Blut Christi verwandeln. Die englische Bischofssynode lud Wycliff zu einer kritischen Anhörung und entzog ihm die Lehrerlaubnis, aber sonst passierte ihm nichts. So viel liberaler war das 14. Jahrhundert gegenüber dem 15. Jahrhundert, wo Menschen mit solchen kirchenkritischen Meinungen klar die Hinrichtung drohte.



    Die aufständischen Bauern zogen durch Essex und Kent und vergossen viel Blut. Im Juni 1381 stürmten sie ohne Gegenwehr in London rein und veranstalteten ein Massaker an den dort lebenden Ausländern. Der Hass des Mobs richtete sich in erster Linie aber gegen Lancaster, den Kanzler sowie den Schatzmeister. Lancaster befand sich nahe der schottischen Grenze, doch die beiden letzteren erwischten die Aufrührer, als sie den Tower stürmten.



    Mit ihnen machten sie kurzen Prozess und köpften die zwei. Im Tower von London befand sich auch Lancasters Sohn und Erbe Henry Bolingbroke (geboren auf Castle Bolingbroke, daher der Name), der zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt war und nur deswegen mit dem Leben davonkam, weil er sich im Tower verstecken konnte.

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  11. #371
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Frustriert, dass sie den verhassten Herzog nicht gefunden hatten, zogen die Rebellen zu Lancasters Londoner Residenz und machten sie dem Erdboden gleich. Jetzt schlug die große Stunde des jungen König Richard. Ganze vierzehn Jahre alt, genau wie sein Cousin Henry, traf er sich mit Wat Tyler, um mit ihm über die Forderungen der Rebellen zu verhandeln. Damit bewies Richard II. großen persönlichen Mut. Sein Glück war, dass die Aufständischen nicht den König, sondern Lancaster mit allem Übel der letzten Jahre in Verbindung brachten. Die Rebellen glaubten daher, König Richard sei ein Freund der kleinen Leute, ein fataler Irrtum. Der junge Plantagenet ging nur zum Schein auf ihre Forderungen ein, ließ Tyler bei einem Treffen vor der Stadt niedermachen und die Rebellen durch die Londoner Miliz auseinandertreiben.



    Die große Bauernrevolte war danach ebenso tot wie ihre Rädelsführer, und London feierte König Richard II. als seinen Befreier. Einer der Rädelsführer wagte es vor seiner Hinrichtung, Richard an seine gegebenen Versprechen zu erinnern, doch der erwiderte nur kühl: „Leibeigene seid ihr, und Leibeigene sollt ihr bleiben.“ Ende der Debatte.



    Offenbar sollte es Richard II. prägen, wie weit er mit der Aura des Königtums sowie mit falschen Versprechungen und Hinterhältigkeit kommen konnte. Selbstbewusst schüttelte er die Gängelung durch den Kronrat ab und führte eine Günstlingswirtschaft an seinem Hofe ein. Der Unmut der Adeligen steigerte sich 1387 hin bis zu einem versuchten Amtsenthebungsverfahren gegen Richard, das dieser mit Waffengewalt unterbinden lassen wollte. Die Truppen des Königs verloren die Schlacht und das war die Stunde der Lords. Die ungeliebten Berater und Günstlinge des Königs wurden hingerichtet, lediglich Richard II. blieb unangetastet und durfte seine Krone behalten. Die Bedingung dafür war aber, dass der König einen Rat von fünf mächtigen Adeligen um sich akzeptierte (unter ihnen war Lancaster). Vermutlich war es lediglich die Furcht vor einem englischen Bürgerkrieg, der die Adeligen davon abhielt, Richard II. einfach abzusetzen. Der Plantagenet musste angesichts seiner Lage einlenken und sich 1389 vordergründig mit seinem Rat versöhnen bzw. arrangieren.

    Richard II. durfte auf dem Thron bleiben. Man könnte vermuten, dass die Nachsicht der Lords ihn nachdenklich oder gar demütig stimmen würde, aber so war der König nicht gestrickt. Er würde diese Schmach niemals vergessen oder verzeihen. Einige Jahre blieb es ruhig und stabil, selbst ein Waffenstillstand mit Frankreich kam in dieser Zeit zustande. Aber nach dem Tod seiner Frau Anna im Jahre 1394 kam endgültig das verschlagene Wesen Richards II. wieder zum Vorschein. Er baute sich eine Privatarmee unter dem Zeichen des Weißen Hirsch auf und holte 1397 zum Gegenschlag gegen die fünf Ratsherren aus:



    Richards Onkel Gloucester wurde verhaftet und in aller Stille ermordet, um einen Prozess gegen ihn zu vermeiden. Den eröffnete Richard II. aber gegen Arundel und Warwick, zwei weitere von den fünf Lords. Arundel wurde hingerichtet, Warwick bat um Gnade und kam mit der Verbannung davon.

    Blieben vom Rat noch Richards Cousin Henry Bolingbroke und Richards einstiger Freunde Mowbray. Erst einmal passierte nichts, was die beiden ziemlich nervös gemacht haben dürfte. Dann zerstritten sich Henry und Mowbray, und Richard II. entschied, der Streit solle nach guter alter Sitte im ritterlichen Zweikampf, also per Gottesurteil, entschieden werden. Der Zweikampf wurde auf den 16. September 1398 festgelegt, und als die beiden Kontrahenten auf das Trefflichste gerüstet vor einer großen Zuschauermenge antraten, blies Richard den Turnierkampf auf Leben und Tod ab, ehe er begonnen hatte, und verbannte alle beide aus England – Mowbray lebenslänglich, Henry für sechs Jahre.

    Das war ein ziemlicher Paukenschlag, ein Staatsstreich von Seiten des Thrones. Henry fügte sich notgedrungen in die Verbannung und ging nach Paris zu seinem greisen Vater Lancaster. Der bemühte sich, für Henry ein gutes Wort einzulegen, aber er starb im Februar 1399. Offenbar bestärkte das König Richard, seinen nächsten Schachzug zur Entmachtung seines Cousins zu machen: Er zog Henrys Vermögen und Grundbesitz für die englische Krone ein. Henry Bolingbroke hatte nicht die Absicht, sich das gefallen zu lassen: Er kehrte mit einigen Freunden nach England zurück, eigentlich, um sich nur sein Erbe zu sichern. Aber dann bekamen die Ereignisse eine Eigendynamik: Während Henry zunehmend Unterstützer fand, sah sich Richard II. von so gut wie allen allein gelassen. Kampflos fiel der König in Henrys Hände und wurde in den Tower von London verfrachtet.

    Im September 1399 trat in Westminster ein Parlament zusammen, das dem König die freiwillige Abdankung nahelegte. Dem besiegten Richard II. hatte keine andere Wahl, er musste dem nachkommen. Dann trug das Parlament Henry Bolingbroke die Krone an, und am 13. Oktober 1399 wurde er zu Henry IV. von England gekrönt. Sicher war der Thron für Henry aber ganz und gar nicht: Wenn er König werden konnte, warum nicht auch ein anderer, der die Ambition und die Macht dazu hatte? Zumal Richard II. auch in seiner Zelle eine stetige Gefahr für Henrys Herrschaft darstellte, einfach durch seine Existenz. Das war keine Paranoia: Am Weihnachtstag wurde ein Anschlag auf König Henry und seine Familie verübt. Henry IV. zog seine Konsequenzen daraus und ließ Richard II. in ein weiter abgelegenes Schloss bringen, wo er ihn in aller Ruhe ermorden ließ – vermutlich durch Verhungern, damit die Tat nicht offenbar wurde. Ein unrühmliches Ende für das Geschlecht der Plantagenet, die fast 250 Jahre lang Englands Könige gestellt und spektakuläre Nieten wie Lichtgestalten hervorgebracht hatten.



    Video Richard II.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #372
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Jipi! Die Rosenkriege! Oh Mann Oh Mann!

    Auch wenn ich deinen Vergleich mit Lannister und Stark etwas gewagt finde. Lancaster hat einen besseren Ruf als York... zumindest in meiner Sichtweise. Aber Geschichte wird auch von Gewinnern geschrieben und mir fehlt der Blick hinter die Kulissen um auch die andere Sichtweise zu kennen. Wobei das mit den "Gewinnern" ja auch so nicht stimmt...

    Ich bin echt gespannt auf dieses Kapitel!
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  13. #373
    vom Werwolf gebissen Avatar von Kampfhamster
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  14. #374
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Henry IV. (1399-1413)

    Mit Henry IV. begann nicht nur eine neue Dynastie, er wurde auch ein König in einer neuen Zeit mit einer selbstbewussten Mittelschicht aus Kaufleuten und Handwerkern, mit Theologen und Denkern, die andere Pfade, solche aus dem Mittelalter hinaus, beschreiten wollten. Das sollte der König bald bemerken. Bis zu seiner Thronbesteigung war er als Hoffnungsträger gesehen worden, man hatte ja genug von Richards Tyrannei und Günstlingswirtschaft gehabt. Aber kaum trug Henry IV. die Krone, schlug die Stimmung um. Das lag vor allem an Richards Ermordung. Sicher, Richard II. war ein Scheusal gewesen und ein Versager auf dem Thron. Aber einen gesalbten König ins Jenseits zu befördern, das gehörte sich einfach nicht.

    Es dauerte nicht lange, da begann man zu kritisieren, dass Henry gar nicht für die Thronfolge legitimiert sei. Richard II. war zwar kinderlos gestorben und Henry sein Cousin ersten Grades. Aber zwischen ihren Vätern hatte es noch einen weiteren Bruder gegeben, Herzog Lionel von Clarence. Und der hatte einen Urenkel (Edmund Mortimer), der nach dem Erstgeborenenrecht vor Henry an der Reihe gewesen wäre. Dieser Graf von March war 1399 allerdings erst acht Jahre alt. Ein Kind mochten viele in diesen Zeiten lieber nicht auf dem englischen Thron probieren, deshalb schob man es auf eine verlassene Burg ab und hoffte, dass es in Vergessenheit geraten würde. Das klappte aber nicht: Jedes Mal, wenn Henry IV. eine unpopuläre Entscheidung traf, erinnerte ihn jemand daran, dass sein Thron auf wackeligen Füßen stand.



    Werfen wir noch einen zweiten Blick auf die Mortimer. Es ist kein Zufall, dass der Sohn aus der Ehe von Philippa und dem Grafen Mortimer den Namen Roger Mortimer erhielt. Wir erinnern uns, das war auch der Name des Liebhabers von Isabella der Wölfin. In der Tat war Philippa mit einem Urenkel dieses bekannten Mortimer verheiratet, der Name also eine bewusste Wahl. Philippas Sohn Roger erbte 1381 die Grafschaften March und Ulster seiner Eltern. Wie erwähnt ging die Grafschaft March an seinen Sohn Edmund Mortimer (das geschah 1398), dem Ur-Urenkel von Edward III. von England. Und dessen Schwester Anne Mortimer heiratete 1406 den Grafen Richard von Cambridge, den Bruder des Herzogs Edward von York. Weil dieser Edward von York im Jahre 1415 in Azincourt fiel (dazu später mehr) und keine eigenen Kinder hinterließ, erbte sein Neffe Richard – der Sprössling aus Anne Mortimers Ehe mit Richard von Cambridge – das Herzogtum York. Hier ist der Ausgangspunkt der Linie York zu finden.



    Henry IV. verdankte seinen Thron dem Parlament, das als Gegenleistung größere Mitbestimmungsrechte verlangte und auch bekam. Wer ärgert sich in einer Partie CK2 nicht über die ständigen Forderungen seiner Ratsmitglieder nach mehr Mitsprache...? Immerhin, Henry bewies in dieser Hinsicht mehr Geduld als unsereins bei CK2 und verhandelte immer wieder ausdauernd Kompromisse mit dem Parlament aus. England stabilisierte sich. In dem Rat waren vor allem zwei Familien tonangebend, die Nevilles und die Percys. Mit den Nevilles bekam Henry nie Schwierigkeiten, denn seine Halbschwester Joan Beaufort war mit einem Neville verheiratet. Mit den Percys war es schwieriger, sie waren neidisch auf die Nevilles. Sie drohten Henry IV. besonders gerne damit, den jungen Graf Edmund aus dem Hut zu zaubern.

    Im Jahre 1403 gedachte Henry IV. (gemeinsam mit seinem Sohn, dem späteren Henry V.), dem ein Ende zu machen und besiegte die Percy in einer Schlacht. Einige Familienmitglieder wurden hingerichtet, einzig der Graf von Northumberland wurde verschont, nachdem er einen Eid auf den König geleistet hatte. Der hielt natürlich nicht lange. Der Neville verbündete sich mit dem Erzbischof von York – und wurde 1405 erneut geschlagen.



    Während der Neville sich nach Schottland absetzen konnte (wo er drei Jahre später starb), bekam man den Erzbischof zu fassen und richtete ihn ohne Umschweife hin. Das hatte arge Folgen! Zum einen verstieß es gegen das Gesetz, einen Priester hinzurichten, denn Geistliche standen ohne Ausnahme außerhalb der weltlichen Gerichtsbarkeit. Noch schlimmer war, dass es als furchtbares Sakrileg galt, Hand an einen Mann Gottes zu legen. Der erzbischöfliche Kopf lag längst im Gras, als König Henry am Ort der Hinrichtung eintraf, aber natürlich war er es, der die Verantwortung für den Bischofsmord zu tragen hatte. Niemand war davon so überzeugt wie er selbst, und als Henry IV. 1405 krank wurde, glaubte er wie viele andere, dass es eine Strafe Gottes für dieses furchtbare Vergehen sei. Eventuell hatte sich Henry IV. bei einer früheren Pilgerfahrt nach Jerusalem mit der Lepra infiziert, die jetzt ausbrach. Jedenfalls war der König so krank, dass er zeitweise nicht regieren konnte. An seinen Tod mochte der König trotzdem nicht glauben, denn ihm war geweissagt worden, er werde in Jerusalem sterben. Solange Henry in London blieb, war also alles gut. Amtsunfähig krank, hin oder her.

    Zum Glück übernahm sein ältester Sohn Henry V. die Führung, denn in Wales galt es 1409 mal wieder einen Aufstand niederzuschlagen. Prinz Henry war ein hervorragender Heerführer, ebenso charismatisch wie erbarmungslos. Trotzdem erhielt er den Respekt der besiegten Waliser. Offenbar ging der Prinz im Kriege hart, aber niemals hinterhältig gegen seine Feinde vor. Und die Waliser konnten sich nicht erinnern, dass die Engländer sie mal ritterlich besiegt hätten.



    Die Geschicke in der Politik wurden Prinz Henry (als Vorsitzender des Kronrats) sowie Bischof Henry Beaufort (als Kanzler) in die Hände gelegt. Dieser Beaufort war ein Halbbruder des Königs, er stammte aus einer Affäre zwischen Lancaster und Katherine Swynford. (*)



    Prinz Henry und Beaufort machten gemeinsam eine gute Arbeit, bis jemand dem König 1411 einflüsterte, der Prinz würde hinterrücks die eigene Thronbesteigung vorbereiten. Henry IV. enthob seinen Sohn des Amtes, ihr persönliches Verhältnis war danach natürlich im Eimer. Ob die Gerüchte wahr waren oder nicht, der Familienkrach endete am 20. März 1413, als König Henry IV. starb. Übrigens im sogenannten Jerusalem-Zimmer der Abtei zu Westminster, womit sich die Prophezeiung dann doch irgendwie erfüllte. Der Prinz war an der Seite seines Vaters und empfing dessen Segen, ehe Henry IV. starb. Die 13 Jahre seiner Herrschaft waren von Verrat, Aufständen und Krankheit überschattet gewesen. Aber er hinterließ seinem Sohn ein weitaus mehr gefestigtes England, als er selbst von Richard II. übernommen hatte. Die Staatsfinanzen waren halbwegs saniert, auch weil Henry IV. auf kostspielige Kriegszüge in Schottland und Frankreich verzichtet hatte. Er hatte sich in dieser Hinsicht auf die Politik verlegt gehabt, und das mit Erfolg: Henry IV. war es gelungen, die innerfranzösischen Konflikte zwischen Burgund und der Partei des Herzogs von Orleans nach Kräften zu schüren. In Frankreich zeichnete sich ein Bürgerkrieg ab, der England nur nutzen konnte.

    Die Bühne war bereitet für den größten Heldenkönig, der England je beschert wurde: Henry V.

    (*) P.S. Ich habe das in der obigen Grafik falsch eingefügt. So wie es gezeichnet ist, sind die Beauforts die außerehelichen Kinder von Edward III. - richtig ist es aber so, wie im Text genannt, sie waren die Kinder von John of Gaunt und Katherine Sweynford.
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    Geändert von Mark (04. April 2018 um 19:45 Uhr)
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #375
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Zitat Zitat von Mark Beitrag anzeigen
    Übrigens im sogenannten Jerusalem-Zimmer der Abtei zu Westminster, womit sich die Prophezeiung dann doch irgendwie erfüllte.
    Im Ernst?

    Die Menschheit schreibt einfach die besten Geschichten.
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Make Byzantium even greater!
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Imperium first, Bedenken second!

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