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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #406
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    Der kleine Drachen

    Der kleine Vlad wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr am Hof seines Vaters in Targoviste auf. Allerdings konnte sein Vater nach seiner Rückkehr aus Nürnberg die Macht nicht sofort übernehmen. Nicht nur Sigismund, sondern auch der osmanische Sultan hatte den bisherigen Woiwoden als zu unzuverlässig ersetzen wollen. Und der Sultan war schneller gewesen: In der Walachei regierte nun Vlad Draculs Halbbruder Alexandru I. Aldea. Es wurde ein jahrelanger Kleinkrieg, bei dem Dracul aber die besseren Karten hatte. Erst Alexandrus Tod 1436 beendete den Streit.



    Dass der Fürstenthron umstritten war, lag nicht allein an den Osmanen, sondern auch an den einflussreichen walachischen Bojaren. Das waren Großadelige mit ordentlichem Grundbesitz, die die Bauern in Abhängigkeit hielten. An der Macht des Adels – und des Klerus – kam auch der Woiwode nicht vorbei. Sie behielten sich vor, den Woiwoden zu wählen. In der Praxis führte das dazu, dass die Bojaren gerne mal verschiedene Kandidaten gegeneinander ausspielten, um ihre eigene Macht in Ruhe erweitern zu können. Rücksicht nehmen musste der Woiwode auch auf die Autonomie der Handelsstädte, von Siebenbürgen aus handelte man wie erwähnt mit profitablen Waren wie Erz, Salz, Gold und modernen Waffen. Einer ähnlichen Autonomie erfreuten sich auch die Szekler, eine Art berittene Grenztruppe. Am unteren Rand der sozialen Skala waren die Bauern, und auch die waren schwierig zu regieren: Diese Untertanen waren Rumänen oder Ungarn, dementsprechend orthodox oder katholisch. Klar, dass die Ungarn den Katholizismus förderten, um in der Walachei Einfluss zu gewinnen. Vlad II. Dracul war von Sigismund auserkoren, diese Absichten in die Tat umzusetzen, dafür dürfte er eigens zum Katholizismus übergetreten sein. Es war also keine Beiläufigkeit, dass Vlad 1436 einen katholischen Bischof für die Walachei ernannte. Man kann sich jetzt schon denken, dass er sich damit nicht nur Freunde gemacht hat.



    Das bekam Vlad II. bald zu spüren. 1437 fielen osmanische Truppen von Serbien her in Siebenbürgen ein. Die dortigen Bauern nutzten das zum Aufstand, um ihre alten Freiheiten zurückzuerlangen. Das musste niedergeschlagen werden! Vlad II. zog dem Sultan entgegen und zahlte ihm Tribut, damit er sich aus dem Land zurückzog. Dann nahm das Heer aus Adel und Szekler grausame Rache an den Bauern. 1438 waren die Osmanen schon wieder im Land, dieses Mal wegen einer Operation, die sich (erfolgreich) gegen Serbien richtete. Vlad II. blieb nichts anderes übrig, als die Osmanen mit Truppen und Proviant zu unterstützen. Er konnte lediglich beim Sultan darum bitten, dass die Untertanen in Siebenbürgen nicht allzu hart von den osmanischen Truppen behandelt wurden. Nicht aus Menschenliebe, sondern weil Vlad sich Siebenbürgen nicht ganz zum Feind machen wollte.

    Was blieb, war der Eindruck, dass man sich in der Walachei nicht auf Nachbarn wie Ungarn verlassen konnte, wenn es ernst wurde. Dort entbrannte 1439 sowieso ein heftiger innerer Streit verschiedener Adelsfraktionen, nachdem zunächst König Sigismund und bald danach dessen Schwiegersohn Albrecht II. gestorben war. Wer sollte nun auf den ungarischen Thron sitzen? Eine Partei wollte Albrechts neugeborenen Sohn Ladislaus (Postumus genannt, weil der nach Albrechts Tod auf die Welt gekommen war) haben, andere traten für eine Personalunion mit Polen-Litauen unter Wladislaw III. ein. Das war eine Großmacht, von der man sich in Ungarn Schutz vor den Osmanen versprach. Die Ungarn führten also einen netten Thronfolgekrieg, während die Walachei erneut von den Osmanen verwüstet wurde. Es war nicht zuletzt der Verdienst des Adeligen Hunyadi, dass die polenfreundliche Partei die Oberhand behielt. Hunyadi war ein exzellenter Kriegsherr, der auch den Osmanen offensiv Paroli bieten konnte. Das machte auch auf Vlad II. Eindruck, der sich deshalb an die Seite von Hunyadi stellte.

    Irgendwie verständlich, dass Vlad je nach aktuellem Kräfteverhältnis zwischen den Mächten schwanken musste, um bestehen zu können. Es brachte ihm aber den Ruf der Unzuverlässigkeit ein – auch beim Sultan. Deshalb hatte er 1440 Vlad aufgefordert, ihm zwei seiner Söhne als Geisel zu übergeben. Vlad kannte die Situation, er war selbst viele Jahre Geisel am Hof Sigismunds gewesen, um für die Treue des Vaters zu bürgen. Jetzt entschied er, seinen ältesten Sohn Mircea bei sich zu behalten und die jüngeren Söhne Vlad Draculea und Radu an den Hof des Sultans zu schicken. Die beiden Söhne teilten das Schicksal vieler Kinder christlicher Herren, die der Sultan aufnahm, um sich des Einvernehmens mit seinen Vasallen zu versichern. Zugleich sollten die Geiseln sorgfältig erzogen werden, um später einmal im Geiste und Interesse des Sultans als Feldherrn oder hohe Amtsträger dem Osmanischen Reich zu dienen, vielleicht sogar in ihrem Heimatland als Gefolgsleute des Sultans zu herrschen. Eine der bekanntesten Geiseln war der Sohn des albanischen Adeligen Georg Kastriota. Er war inzwischen in osmanischen Diensten aufgestiegen, zum Islam übergetreten und hatte sich militärisch ausgezeichnet. In Albanien übernahm er Aufgaben und erhielt den Namen Iskender Beg = Skanderbeg. Ob sich Skanderbeg und Vlad Draculea nach 1440 am Hof des Sultans begegnet sind, ist nicht bekannt. Der Albaner sollte aber indirekt im Leben seines viel jüngeren Schicksalsgenossen eine wichtige Rolle spielen. Skanderbeg wurde 1442 als osmanischer Heerführer in Siebenbürgen besiegt und fiel vom Sultan ab – vermutlich, weil der Sultan ihm sein Erbe vorenthalten hatte oder weil der Sultan die Ermordung seines Vaters befohlen hatte. Um seine Ehre zu bewahren, musste Skanderbeg Rache üben. Gemeinsam mit Hunyadi führte er fortan den Krieg gegen das Osmanische Reich.

    Der Zeitpunkt dafür war günstig, 1443 waren die Osmanen auf dem Balkan militärisch angeschlagen, auch wegen Hunyadis Erfolge. Die christliche Koalition, die nach Varna ziehen sollte, fügte sich zusammen. Die Walachei war daran nur mit einer kleinen Truppe beteiligt. Vlad II. wollte wohl lieber abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Und seine beiden Söhne nicht gefährden. Von Hunyadi musste sich Vlad II. harsche Kritik anhören, als er mit seiner kleinen Truppe auftauchte. Hunyadi ging soweit, dem Woiwoden Verrat und Zusammenarbeit mit den Türken vorzuwerfen. Vlad zog seinen Dolch und konnte nur mit Mühe von einem Zweikampf abgebracht werden. Nach diesem Eklat reiste Vlad II. heim und überließ seinem Sohn Mircea die Führung der paar Leute innerhalb des Koalitionsheeres. Wir wissen bereits, dass die Christen am 10. November 1444 bei Varna von den Osmanen geschlagen wurden. Aber nun verstehen wir auch, warum Vlad II. den auf der Flucht befindlichen Hunyadi vorläufig gefangen nahm.

    Große Erfolge gegen die Türken waren jetzt nicht mehr zu erwarten. Einzig Skanderbeg in Albanien konnte dem Sultan militärisch die Stirn bieten. Vlad II. sah sich wieder einmal veranlasst, die Seiten zu wechseln und ging 1446 ein Bündnis mit der Hohen Pforte ein. Darauf reagierte Ungarn mit entschlossener Härte, und das war kein Wunder: Nach dem Tod des polnischen Königs in Varna hatten sich die Ungarn entschlossen, den kleinen Ladislaus zu ihren König zu machen. Und wer war der ungarische Reichsverweser, also Ladislaus' Regent? Jawohl: Johann Hunyadi. Der knüpfte Kontakt zu den walachischen Bojaren und fiel 1447 in die Walachei ein, um mit Vlad II. aufzuräumen. Vlads Einheiten wurden geschlagen, sein Sohn Mircea gefangen und hingerichtet, Vlad selber auf der Flucht getötet. Hunyadi ernannte Vladislav II. aus der Linie der Danesti zum neuen Woiwoden und setzte auch in der Moldau einen ihm ergebenen Fürsten ein. Die Gegenreaktion war vorhersehbar. Sultan Murad II. ernannte umgehend seine Geisel, den inzwischen 17jährigen Vlad Draculea, zum rechtmäßigen Thronanwärter der Walachei und sicherte ihm zu, ihn bei der Durchsetzung seiner Ansprüche zu unterstützen.



    Die Gelegenheit dazu bekam Dracula unverzüglich, er wurde mit einer kleinen osmanischen Streitmacht gegen den Ungarn Hunyadi geschickt und ergriff nebenher die Macht in der Walachei. Die Hauptstreitmacht der Türken marschierte direkt gegen Hunyadi und stellte diesen Mitte Oktober 1448 auf dem Amselfeld im Kosovo. Hier hatte schon 1389 einmal eine entscheidende Schlacht stattgefunden. Drei Tage dauerte der Kampf. Skanderbeg zog mit seinem Heer im Eilmarsch aus Albanien heran, konnte den Ausgang aber nicht mehr beeinflussen. Hunyadis Heer erlitt eine entscheidende Niederlage. Die Hoffnung, das Osmanische Reich zurückdrängen zu können, musste für viele Jahre begraben werden. Einer hatte sich rechtzeitig mit seinen Männern vom Amselfeld abgesetzt: Draculas Rivale Vladislav, der nun in die Walachei zurückkehrte und ihn vom Fürstenthron verjagte. Dracula hatte einfach keine Hausmacht, um das verhindern zu können. Schlimmer noch: Der Sultan erkannte die Realitäten und nahm den Tribut an, der ihm von Vladislav II. angeboten wurde. Das war eine schlimme Enttäuschung für Vlad Dracula, eine Rückkehr an den Hof des Sultans schien unter diesen Umständen nicht klug. Er bevorzugte es, sich in das Fürstentum Moldau abzusetzen.

    Drei Jahre lang hockte Dracula dort herum, dann musste er sich erneut absetzen. Den politischen Wirren dort fiel der Woiwode Bogdan II. zum Opfer, der seine schützende Hand über Vlad gehalten hatte. Dracula musste nach Siebenbürgen fliehen. Es war sein Glück, dass es hier durchaus Unzufriedene mit Vladislavs Herrschaftsstil gab. Selbst als Hunyadi Kronstadt aufforderte, Vlad das Aufenthaltsrecht zu entziehen, geschah erst einmal nichts. Vlad war zu nützlich und Hunyadis Stern bereits im Sinken begriffen: 1452 wurde Ladislaus Postumus volljährig, und damit endete auch Hunyadis Zeit als Reichsverweser. Dracula hatte das Schlimmste für ihn abgewendet, aber für einige Jahre hörte man nichts weiter mehr von ihm – obwohl große Dinge geschahen. Im Osmanischen Reich folgte Mehmed II. auf den verstorbenen Murat und eroberte 1453 die Bastion Konstantinopel. Damit war das Kaiserreich Byzanz endgültig zerschlagen, der Weg auf den Balkan frei. 1454 und 1455 besetzte Mehmeds Heere weite Teile Serbiens. Auf den Vasallen Brankovic nahm der Sultan keine Rücksicht mehr, Anfang Juli 1456 stand er vor Belgrad. Mit der Eroberung dieser Stadt wäre das Zentrum Ungarns reif zur Eroberung gewesen. Hunyadi war erneut gefordert, aber er konnte auf keine Hilfe aus dem Ausland hoffen. Das war die Chance für Dracula.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #407
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    Der kleine Drachen

    Mehmed II. bereitete sein Reich gut auf diese Aufgabe vor. Innenpolitisch hatte er seine Position gefestigt, das Militärwesen modernisiert und eine Flotte aufgebaut. Ein neues Thronfolgegesetz sicherte die Unteilbarkeit der Herrschaft: Der Sultan bestimmte den fähigsten seiner Söhne zur Nachfolge, und wenn dieser den Thron bestieg, hatte er die Pflicht, seine Brüder töten zu lassen – so wie es Mehmed selbst praktiziert hatte.

    Der ungarische König Ladislaus räumte den Siebenbürger Städten neue Rechte ein, namentlich die Zollerhebung an den Pässen zur Walachei. Dies missfiel Vladislav, weil die Handelswege zwischen den beiden Regionen dadurch unter die Kontrolle der Städte gerieten. Vladislav brach mit Hunyadi, und der stellte daraufhin Dracula dem ungarischen König vor. Dracula fiel nun der Schutz von Siebenbürgen zu, weil Hunyadi sich um die Verteidigung von Belgrad kümmern musste. Belgrad wurde ein Massaker: Militärisch waren die Christen klar unterlegen, aber sie wurden durch Glaubensfanatiker derart aufgestachelt, dass sie standhalten konnten. In Belgrad brach im Heer der professionellen Soldaten die Pest aus, an der auch Hunyadi starb. Die anderen Soldaten – christliche wie muslimische - wurden von den aufgebrachten Fanatikern erschlagen. Für Dracula hätte es nicht besser kommen können.



    Er hatte das Einverständnis Ungarns sicher und musste kein Eingreifen der Osmanen fürchten. Mit einem Heer marschierte er von Siebenbürgen in die Walachei ein, besiegte Vladislav und ließ ihn in Targoviste öffentlich hinrichten. Auf dem gleichen Platz, an dem Vladislav Draculas Bruder Mircea hatte hinrichten lassen. Vlad III. Dracula bestieg erneut den Fürstenthron der Walachei. Verständlich, dass er es beim zweiten Anlauf besser machen wollte. Oder besser gesagt: Seinen Thron wackelfester machen wollte. Viele Möglichkeiten hatte er nicht, er blieb ein Spielball der Mächte: Sowohl Ungarn als auch den Osmanen musste er den Treueid leisten, die Städte Siebenbürgern pochten ebenso auf ihre Rechte wie die Bojaren. Der einzige halbwegs verlässliche Bündnispartner war vielleicht Skanderbeg. Wenn Dracula eine Strategie vorschwebte, dann war es die, zunächst die Wirtschaftsmacht der Walachei zu stärken und damit die Voraussetzung für ein stehendes Heer zu schaffen. Mit diesem Heer würde er in der Lage sein, seinen Bojaren die Stirn zu bieten und die innere Ordnung aufrechtzuerhalten. Klingt theoretisch einleuchtend, war in der Praxis aber schwer umzusetzen. Die Gegenreaktion erfolgte bereits, als Dracula in einem ersten Schritt das Stapelrecht beim Handel verkündete. Das bedeutete, dass auswärtige Händler, die durch die Walachei ziehen wollten, ihre Waren für eine gewisse Zeit innerhalb des Landes lagern und zum Verkauf anbieten mussten. Die walachischen Kaufleute erhielten dabei ein Vorkaufsrecht und damit auch die Möglichkeit, ihrerseits mit den erworbenen Waren Handel zu treiben. In der damaligen Zeit war das Stapelrecht das entscheidende Mittel, um den Handel des eigenen Landes zu schützen und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern.



    Die Siebenbürger Städte waren angesickt, sie hatten von Dracula mehr Dankbarkeit erwartet, nachdem sie ihm jahrelang Asyl gewährt und ihm dann den Weg auf den Fürstenthron ermöglicht hatten. Das Mittel ihrer Wahl war ein neuer, eigener Prätendent für den walachischen Fürstenthron: Kronstadt wählte Dan, Hermannstadt einen Halbbruder Draculas, nämlich Vlad den Mönch. Das wollte sich Dracula nicht bieten lassen. Mit einem Heer marschierte er 1457 nach Siebenbürgen und verwüstete die Gegend um Kronstadt. Man einigte sich auf ein Unentschieden: Die Städte ließen ihren Prätendenten fallen, Dracula verzichtete auf das Stapelrecht. Also vorläufig zumindest.

    Für Dracula gab es 1458 gute Neuigkeiten aus Ungarn. Ladislaus war am 10. November gestorben, den Thron bestieg nun Hunyadis Sohn, Matthias Corvinus. Der hatte an seiner westlichen Grenze Ärger mit dem Habsburger Friedrich III. und war Dracula aus diesem Grund bei dessen Clinch mit Siebenbürgen wohlgesonnen. Aber Dracula überzog es mit Corvinus' Nachsicht, als er sich bei der Gelegenheit gleich noch den moldauischen Schwarzmeerhafen Chilia des Woiwoden Stefan einsacken wollte.



    Konsequenterweise suchte dieser Stefan den Schulterschluss zu den Siebenbürger Städten und bot ihnen gute Handelskonditionen an. Da war es nur logisch, dass Dracula 1459 prompt das Stapelrecht wieder in Kraft setzte. Oh, mehr noch: Wer von den Siebenbürger Kaufleuten seine Walachei umging, um mit dem Fürstentum Moldau Handel zu treiben, war des Todes. Na ja, und prompt hatten Siebenbürgen auch den Thronprätendenten Dan wieder hervorgeholt. Also alles wie vorher.

    Matthias Corvinus hatte nichts dagegen, wenn Dan in die Walachei einmarschierte. Also dann, er ließ sich von Siebenbürgen ausrüsten und fiel in Draculas Fürstentum ein. Pech für ihn, dass Dracula in den letzten Jahren sein Heer professionalisiert hatte und Dans Truppen besiegte. Das kostete Dan im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf. Dann folgte die Retourkutsche, wieder verwüstete Dracula Siebenbürgen und zwang sie 1460 an den Verhandlungstisch. Jetzt hatte er nicht nur den Rücken frei, in der Walachei hatte er sich inzwischen genügend Unterstützer gesichert, um sich einige der Bojaren vorzuknöpfen, die er als unsicher empfand.



    Gnadenlos und mit unerbittlicher Grausamkeit verfolgte und bestrafte er sie, lockte sie in Fallen und ließ sie samt ihren Familien hinrichten. Ihre Ländereien und Vermögen wurden beschlagnahmt und an Draculas Anhänger verteilt, soweit er nicht selbst Hand darauf legte. Ebenso brutal soll er Bettler, Zigeuner und andere Menschen, die sich nach seiner Meinung nicht in seine Ordnung eingliederten, beseitigt haben. So schaffte er sich einen ihm loyalen Rat, und auch der orthodoxen Kirche gefiel es, von ihm bedacht zu werden.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #408
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    Der kleine Drachen

    Dracula saß jetzt fest im Sattel, Zeit für eine selbstbewusste Außenpolitik. 1460 schickte der osmanische Sultan Mehmed II. eine Gesandtschaft zu Dracula, um die überfälligen Tribute einzufordern. Die Antwort war eindeutig und erfreute Mehmed ganz sicher nicht: Als die Diplomaten vor Dracula ihre Turbane nicht abnahmen, weil dies bei ihnen nicht Sitte sei, bestärkte der sie darin, indem er ihnen die Turbane an den Köpfen festnageln ließ. Mehmed schickte noch einmal einen Sekretär, der Dracula aufforderte, in Istanbul zu erscheinen und sich zur Knabenlese zu verpflichten (das war die Sache mit dem Überlassen einer Zahl einheimischer Jungen zur Erziehung bei den Osmanen). Das lehnte Dracula auch ab, er wusste, was ihm bei einem Erscheinen in Istanbul vermutlich blühen würde. Die diplomatische Gepflogenheit gebot es, den Sekretär auf seiner Heimreise bis zur Grenze zu begleiten – auch wenn Dracula richtig vermutete, dass ihm dort ein Hinterhalt gestellt werden würde. Er sorgte vor, nahm Truppen mit, die das türkische Kommando überwältigten und samt ihres Anführers gefangen nahmen. Dracula ließ sie alle pfählen. Eindeutiger konnte eine Kriegserklärung an den Sultan nicht formuliert werden.



    Ein gewagter Schritt, den auf Hilfe von Außen konnte Dracula nicht hoffen. Europa war mit sich selber beschäftigt, ein Kreuzzug nicht zu erwarten. Skanderbeg hatte mit dem Sultan einen Waffenstillstand schließen müssen, weil Albanien am Ende seiner militärischen Kräfte war. Und Mehmed II. hatte Serbien und Griechenland besetzt. Selbst Bosnien neigte den Osmanen zu, weil der Sultan den dortigen Bogomilen ein Ende der Verfolgungen versprach. Dracula überlegte sich, die Osmanen mit einem Guerillakrieg zu begegnen, bei dem mit Überfällen der Nachschub des feindlichen Heeres lahmgelegt wurde. Das das funktionieren konnte, hatte er sich bei Skanderbeg abgeguckt. Und dann hatte er noch zwei Festungen in der Walachei errichten lassen, eine als „Frontburg“, die zweite als abgelegenen Rückzugsort. Ende 1461 schlug Dracula zu und überfiel die Osmanen in Bulgarien. Das Ziel war, möglichst viele von ihnen zu töten und das Land zu verwüsten, damit die Türken es nicht als Aufmarschgebiet für den Gegenschlag nutzen konnten. Und das gelang ihm so erfolgreich, dass der ungarische Corvinus ebenso beeindruckt war wie Sultan Mehmed – wenn auch in unterschiedlicher Weise. Dracula hatte sich vom unbedeutenden Woiwoden zu einem Kriegshelden gemausert, der die Osmanen das Fürchten lernen konnte.

    Sultan Mehmed erklärte Dracula zur Chefsache und setzte sich im Frühjahr 1462 persönlich an die Spitze einer riesigen Armee, die dem Spuk in der Walachei ein Ende setzen sollte. Das Heer war zweigeteilt, die Masse rückte auf dem Landweg vor, eine zweite Abteilung wählte den Flussweg die Donau aufwärts. Bei dieser befand sich Mehmed. Bei sich im Gepäck hatte er Draculas Bruder Radu, der als künftiger Woiwode vorgesehen war. Bei Nikopolis vereinigten sich die beiden Armeeteile. Dracula wich einer offenen Schlacht aus und zog sich in die Wälder und Sümpfe zurück. Die Osmanen fanden nur menschenleere Gegenden, verbrannte Felder und Häuser sowie unbrauchbar gemachte Brunnen. Ständig wurden sie von den Walachen überfallen. Und eines nachts schlug Dracula mit seiner ganzen Streitmacht zu. Er überfiel das große Lager seiner Gegner und überraschte die Osmanen. Kaum hatten sie sich versehen, stand Dracula schon im Zentrum ihres Lagers, nur durch Zufall verfehlte er das Zelt des Sultans. Als die Osmanen endlich ihre Reihen gerichtet hatten, waren die Walachen ebenso schnell, wie sie gekommen waren, verschwunden.

    Mehmed stieß nun nach Targoviste vor. Unterwegs soll er den „Wald der Gepfählten“ durchzogen haben, in dem Dracula seine hingerichteten Gegner zur Schau gestellt habe, um Schrecken zu verbreiten. Die Einnahme der Hauptstadt brachte keine Entscheidung: Die Einwohner waren geflüchtet, und es ließen sich keine Vorräte mehr finden. Der Sultan musste sich mit dem Gedanken befassen, sein Heer zurückzuziehen. In Schwierigkeiten kam Dracula in dieser Situation, weil Stefan von Moldau sie nutzte, um sich des Hafens Chilia zu bemächtigen. Vlad Dracula musste sein Heer teilen, um das zu verhindern und den Hafen zu halten. Dem Sultan gab das zumindest so viel Auftrieb, dass er eine Besatzungstruppe in Targoviste zurücklassen konnte, die den Gegen-Woiwoden Radu stützen sollte. Die Türken zogen sich zurück, die Walachei war komplett verwüstet.

    Dracula kümmerte das Leid seiner Bevölkerung nicht sonderlich. Er reiste nach Ungarn, um mit König Matthias Corvinus den geplanten Feldzug für das Folgejahr 1463 zu besprechen. Der empfing ihn aber überraschend kühl: Vielleicht war er neidisch auf dessen Erfolge gegen die Osmanen, Corvinus sah sich selber als Anführer in diesem Kampf. Außerdem hielt Corvinus Briefe von Dracula in der Hand, in denen dieser dem Sultan und dem Fürsten Stefan einen Seitenwechsel anbot, um sich gemeinsam Siebenbürgen und Ungarn aufzuteilen sowie Corvinus nach Möglichkeit zu beseitigen. Bei Draculas Temperament ist nicht ausgeschlossen, dass er solche Pläne hegte. Sie wichen aber klar von seinem strategischen Ziel, der walachischen Unabhängigkeit von den Osmanen, ab. Gut möglich also, dass die Briefe Fälschungen waren.



    Jedenfalls handelte Corvinus sofort. Er ließ Vlad Dracula Anfang Dezember 1462 verhaften, erkannte Radu an und gab den Siebenbürger Städten nach. Außerdem informierte er den Papst über Draculas Verrat und teilte ihm mit, dass es unter diesen Umständen sinnvoller sei, den Feldzug gegen die Osmanen auf das nächste Jahr zu verschieben. Bei einem so schwerwiegenden Verrat wäre zu erwarten gewesen, dass dieser nur durch den Tod hätte gesühnt werden können. Doch dies geschah nicht. Vlad blieb für zwölf Jahre in einer eher milden königlichen Gefangenschaft, vermutlich unter Hausarrest. Innerhalb dieser Zeit ereignete sich etwas Unvermutetes: Matthias Corvinus kam seinem früheren Versprechen nach und gab Dracula seine Verwandte zur Frau (über das Schicksal von Vlads erster Frau, einer siebenbürgischen Adeligen, wissen wir nichts Näheres). Der genaue Zeitpunkt dieses Ereignisses ist nicht bekannt – 1467, 1473 oder 1475 werden genannt. Voraussetzung der Eheschließung war Vlads Übertritt vom orthodoxen zum römisch-katholischen Glauben. Das alles klingt so, als habe Corvinus den Vorwurf des Verrats selber nicht geglaubt und nur aus taktischen Gründen erhoben.

    Mitte der 1470er Jahre hatte sich die weltpolitische Lage für Matthias Corvinus grundlegend geändert, und Vlad Dracula wurde wieder gebraucht. Obwohl sich die Osmanen seit Jahren darauf konzentrierten, Venedigs Einfluss zurückzudrängen, und Ungarn dementsprechend weniger Druck durch den Sultan verspürte, peinigten doch türkische Überfälle die ungarische Bevölkerung in den Grenzgebieten. Der Adel in Ungarn murrte, Corvinus solle nicht so viel Energie in die Zwistigkeiten um Böhmen und Polen hineinstecken, sondern etwas gegen die osmanischen Übergriffe unternehmen. Corvinus' zweites Problem im Osten war das Erstarken des moldauischen Fürsten Stefan, den wir schon kennengelernt haben. Er hatte in der Zwischenzeit die Hafenstadt Chilia erobert und sich so gut mit den Städten Siebenbürgens vernetzt, dass sein Fürstentum Moldau faktisch souverän geworden war. Lehnsrechtlich war Moldawien zwar immer noch ein Vasall Polens, aber na und?



    Selbst die Herrschaft über die Walachei nahm Stefan bereits ins Visier, im Jahre 1475 fiel nach jahrelangen Kämpfen Draculas Bruder, der von den Osmanen installierte Radu, einem Mordanschlag (oder dem Heldentod) zum Opfer. Mehrere Thronanwärter zankten sich anschließend um den Thron der Walachei und verwüsteten fortlaufend das Land.

    Sultan Mehmed II. kam zu dem Entschluss, Stefan in die Schranken zu weisen, und schickte seinen Großwesir Suleiman mit einer großen Armee gegen Stefan. Dieser verfolgte dieselbe Taktik wie Dracula und wich einer offenen Schlacht aus. Das osmanische Heer zog durch die Walachei und die Moldau, litt unter Überfällen sowie Lebensmittelmangel und den den Nachschub nicht ausreichend sicherstellen. Schließlich wurde es von Stefan in die Falle gelockt und vernichtend geschlagen. Wutentbrannt beschloss Mehmed einen Rachefeldzug für 1476. Damit schlug die Stunde für Dracula. Mit Matthias offenbar ausgesöhnt, konnte dieser seine militärischen Fähigkeiten nun gut gebrauchen (Skanderbeg war bereits seit 1468 tot). Im Februar 1476 stieß Vlad mit ungarischen Truppen nach Bosnien vor, eroberte Srebrenica und drängte die Osmanen weit zurück. In der zweiten Jahreshälfte zog er unter dem Oberbefehl des Siebenbürger Woiwoden Stefan Báthory (auch ein Mitglied des Drachenordens) Richtung Moldau, um Stefan zu unterstützen.

    Das osmanische Heer hatte sich rechtzeitig nach Süden in sicheres Gebiet zurückgezogen, im Fürstentum Moldau konnte Stefan aufatmen. Was also tun mit den ungarischen Truppen, die eh schon aufmarschierten? So wie die Situation war, stimmten die christlichen Anrainerstaaten nun alle dafür, Dracula die Herrschaft über die Walachei zu übertragen, damit die Osmanen diese Gegend nicht mehr ungestört als Aufmarschgebiet nutzen konnten. Gesagt, getan, am 26. November 1476 wurde Vlad zum dritten Mal zum Woiwoden der Walachei ausgerufen. Überraschend musste wenige Tage später Stefan Báthory mit seinen Einheiten die Walachei verlassen, weil Sultan Mehmed an der Donau vorgedrungen war und Ungarn bedrohte. Einer von Vlads Gegenkandidaten, Basarab Laiota, der ursprünglich von dem moldawischen Stefan favorisiert worden, dann aber auf die Seite der Osmanen umgeschwenkt war, nutzte die günstige Gelegenheit und fiel Ende 1476 in der Walachei ein. Dracula stellte sich zum Kampf.

    Diesmal bezahlte Dracula seinen Einsatz mit dem Leben. Es ist strittig, ob er im Gefecht fiel oder ob ihn ein gedungener Mörder von hinten enthauptete. Jedenfalls soll sein Kopf, in Honig konserviert, Sultan Mehmed überbracht und dann auf einer Stange zur Schau gestellt worden sein. Der Körper des Woiwoden wurde wohl im Kloster Snagov bestattet. Als man in den 1980er Jahren das vermutete Grab öffnete, war es allerdings leer. So gehört sich das für Dracula!

    Vlad Dracula hatte seine Kräfte und seinen Spielraum innerhalb des damaligen Mächtesystems überschätzt. Ermutigt durch die Erfolge Hunyadis und Skanderbegs sowie durch seine Kenntnis der osmanischen Herrschaft und ihrer militärischen Fähigkeiten glaubte er, deren Truppen bezwingen zu können. Als Sieger wollte er sich dann an die Spitze des vereinigten christlichen Heeres stellen. Auf diese Weise hoffte er, auch seine Unabhängigkeit vom ungarischen König gewinnen zu können. Im Inneren trat er entschlossen für eine Stärkung der Zentralmacht auf Kosten des Hochadels und für eine strenge Ordnung des Landes ein. Dabei schreckte er vor grausamen Strafen nicht zurück. Vielleicht ist ihm dieses despotische Verständnis einer uneingeschränkten Herrschaft bei seiner Erziehung am Hof des Sultans vermittelt worden. Er war ein typischer Renaissancefürst, von denen wir noch mehr kennenlernen werden: Souveränität und Zentralgewalt als Leitlinie der Politik, für die der Einsatz aller Mittel gerechtfertigt war.

    … und wie ging es weiter?

    Die Walachei geriet, ebenso wie später die Moldau, wieder unter osmanische Oberherrschaft, wenngleich sie nicht dem Reich eingegliedert, sondern durch einen meist willfährigen Woiwoden regiert wurde. Das Osmanische Reich dehnte sich weiter aus. 1526 fiel Ungarn, 1529 standen die Osmanen zum ersten Mal vor Wien, wurden jedoch zurückgeschlagen. Ende des 17. Jahrhunderts begann der Niedergang des Osmanischen Reichs, im Jahre 1859 schlossen sich die Fürstentümer Moldau und Walachei zu Rumänien zusammen, zwanzig Jahre später war der rumänische König unabhängig vom Osmanischen Reich.

    Draculas Linie starb übrigens im 17. Jahrhundert aus, einige von seinen Nachkommen waren durchaus erfolgreich in der Walachei und sogar der Moldau. Seitenlinien sind bis in die Gegenwart zu verfolgen. Eine kinderlose Nachfahrin Vlad Draculas hielt die Linie aufrecht, indem sie 1987 einen Bäcker namens Ottmar Berbig adoptierte, der den Namen Dracula annahm. Seit dessen Tod im Jahre 2007 ist sein ein Jahr davor geborene Sohn Ottomar der einzige Vertreter des Dracula-Geschlechts. Oder so ähnlich.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  4. #409
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    Wie immer schön zu lesen

  5. #410
    Hamburg! Avatar von [DM]
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    Und wieder ein Kapitel zu Ende.

    Es ist mit deinen anderen Geschichten mit der beste Thread hier.
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Make Byzantium even greater!
    Zitat Zitat von Bassewitz Beitrag anzeigen
    Imperium first, Bedenken second!

  6. #411
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    Die Rosenkriege 1444 bis 1485

    Vielen Dank, Kommentare motivieren immer zum Fortsetzen. Nach Dracula, Ihr habt es in der Kapitelliste schon gesehen, kommt jetzt der eigentliche Teil zum englischen Rosenkrieg. Und ich gebe es selber zu: Selbst nach dem mehrfachen Lesen über dieses Thema habe ich mir seinerzeit auf Dauer nie merken können, wer denn nun wer gewesen war. Alles Cousins und Schwager mit identischen Namen. Deshalb habe ich dieses Schaubild gebastelt, das zwischendurch einige Male zum Einsatz kommt. Und siehe da, seitdem klappt es besser mit dem Merken.

    Die Rosenkriege 1444 bis 1485

    • Henry VI. Lancaster, König von England von 1422 bis 1461 (lebte 1421-1471)
    • Edward IV. York, König von England von 1461 bis 1470 (lebte 1442-1483)
    • Henry VI. Lancaster, erneut König von 1470 bis 1471
    • Edward IV. York, erneut König von 1471 bis 1483
    • Edward V. York, sein Sohn, war 1483 für kurze Zeit König (lebte 1470-1483)
    • Richard III. York, Onkel des kurzzeitigen Königs, selber König von England von 1483 bis 1485 (lebte 1452-1485)
    • Startdatum: Natürlich 11. November 1444




    Was für einen Absturz erlebte dieses Land in so kurzer Zeit! Würde EU4 bereits im Jahre 1420 starten, stünde England prächtig da. Der Vertrag von Troyes, den die Franzosen unterzeichnen mussten, war für Henry V. ein großartiger politischer Erfolg, nachdem er 1415 bereits den großartigen militärischen Sieg von Azincourt errungen hatte. In Troyes akzeptierten die Franzosen, dass nach dem Tod des amtierenden Charles VI. nicht dessen Sohn, sondern der englische König Henry V. bzw. dessen Sohn die Krone erben würde. Nun waren sowohl Henry V. als auch Charles VI. im Jahre 1422 gestorben, und der enterbte Dauphin Charles VII. sah seine Chance gekommen, den Vertrag von Troyes zu revidieren. Es war nicht allein das Auftauchen der charismatischen Jungfrau von Orleans, die Charles auf die Siegerstraße zurückbrachte. Es war auch das völlige Versagen des jungen englischen Königs Henry VI., einem Null-Null-Null-Monarchen.



    Bis 1444 war der englische Besitz auf dem Kontinent fast vollständig verloren. Wer in EU4 also eine Partie mit England startet, der muss zumindest anfänglich eine gewisse Portion Frusttoleranz mitbringen. Es beginnt nämlich mit weiteren Niederlagen gegen Frankreich – und dem aufziehenden Bürgerkrieg in England, den Rosenkriegen. Unter dem schwachen König Henry VI. zerriss es das Land zwischen den Fraktionen der Lancaster und der York, die sich beide auf ihre Abstammung von Edward III. berufen konnten.



    Vorerst konnte 1444 eine weitere Verschlechterung der Lage verhindert werden. Im Frieden von Tours wurde die Heirat von Henry VI. und Margarete von Anjou (eine Nichte des französischen Königs, die man in einer Partie als englische Königin bekommt, wenn Henry VI. früh stirbt) vereinbart, eine Geheimklausel sah zudem den englischen Verzicht auf die Grafschaft Maine vor. Das Bekanntwerden dieser Klausel am englischen Hof führte zum Ausbrechen der Spannungen, die sich zuvor aufgebaut hatten, ein eigenes Event in EU4. Henry VI. hatte eine Reihe von Günstlingen um sich gesammelt, die zunehmend in Konflikt mit den beiden ehemaligen Regenten, John von Bedford und Humphrey von Gloucester, gerieten. Als der in Adel und Volk beliebte Gloucester sich offen gegen die Geheimklausel des Friedensvertrags aussprach, ließ ihn Herzog William de la Pole, ein wichtiges Mitglied der Hofpartei, im Jahre 1447 inhaftieren. Gloucester starb wenige Tage später unter dubiosen Umständen. Auch das Leben von Bedford endete noch in jenem Jahr.



    Wenige Jahre später endete der Waffenstillstand mit den Franzosen, und Charles VII. griff dieses Mal nach der Normandie, das er sich 1450 aneignete. England sollte das Herkunftsland seines eigenen Erobererkönigs William I. niemals mehr zurückerlangen. In der Folge dieser demütigenden Niederlage für England musste sich Henry VI. von einem seiner Berater trennen, der kurz darauf unter mysteriösen Umständen starb. Dann brach auch noch ein Bauernaufstand in Kent aus, der von Teilen des Landadels unterstützt wurde. Der brach zwar im Juli 1450 zusammen, König Henry VI. litt aber psychisch schwer an den Niederlagen und dem Widerstand, der ihm entgegenschlug. Ein entfernter Cousin des Königs entschloss sich, die tatsächliche Regierungsgewalt zu übernehmen, und sammelte zu diesem Zweck Unterstützer um sich: Edmund Beaufort, der Herzog von Somerset. Er hatte eine besondere Unterstützerin, nämlich die Königin Margarete von Anjou. Da sie eine Frau war, konnte sie das bedeutende Regierungsamt nicht persönlich übernehmen, also brauchte sie einen männlichen Platzhalter, der als ihr verlängerter Arm in Parlament und Kronrat zu fungieren hatte. Wer nicht einverstanden war mit Somerset und seinen Kumpanen, der hielt es mit der Gegenpartei, die sich hinter Richard, dem Herzog von York, sammelten. Richards Thronanspruch war nicht weniger wert als der von Henry VI. selbst, wenn man sich das Schaubild anschaut. Die Abneigung zwischen den Richard York und Edmund Somerset war aber auch persönlicher Natur: Richard war früher Statthalter der Normandie gewesen und hatte hier viel Geld und Arbeit investiert, als er dann von Edmund in dieser Funktion abgelöst worden war (bis die Normandie dann ganz an Frankreich verloren ging).

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  7. #412
    Sie/Er/Whatever Avatar von Fimi
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    Zitat Zitat von Mark Beitrag anzeigen
    Vielen Dank, Kommentare motivieren immer zum Fortsetzen.
    Man tut sich hier immer schwer, etwas zu schreiben: Immer nur die gleichen Lobeshymnen sind ja auch langweilig. Und man möchte diese spannenden Geschichtsauszüge ja auch nicht einfach so mit schnödem unterbrechen.
    "La majestueuse égalité des lois, qui interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain." - Anatole France

    Zitat Zitat von Fonte Randa Beitrag anzeigen
    Manchmal kann ich Fimi verstehen...
    Zitat Zitat von Kaiserin Uschi Beitrag anzeigen
    Ja, aber das ist nur ein Grundgesetzbruch, aber kein Verfassungsbrauch. Bring das mal vors Bundesgrundgericht ;)

  8. #413
    Legion Doge Avatar von Zplash
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    Hab zwar im Moment kaum Zeit zum Lesen, aber wie immer Hammer!
    Zitat Zitat von Paidos Beitrag anzeigen
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  9. #414
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    Und ich mampf fröhlich schnödes

  10. #415
    racebear75 Avatar von racebear75
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    Ich sehe das richtig, dass die Yorks die ältere Linie sind gegenüber den Lancasters, oder? Also ist deren Anspruch sogar höherwertig.
    bin inzwischen nicht mehr ganz so ein Neuling ;-)

  11. #416
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Achtung Spoiler:


    Da ist Dir direkt die eine "künstlerische Freiheit" aufgefallen, auf die hinzuweisen ich vergessen habe. In dem Schaubild ist die Reihenfolge der Kinder von Edward III. vertauscht, weil es später ansonsten grafisch völlig unübersichtlich wird. Deshalb habe ich einige Töchter bzw. Kinder von Edward III. auch gar nicht in die Grafik eingesetzt, weil sie früh starben. Die korrekte Folge bei den im Bild genannnten Söhnen ist eigentlich:

    1. Edward der schwarze Prinz (*1330)
    2. Lionel (*1338)
    3. John of Gaunt (*1340)
    4. Edmund (*1341) - bei mir auf Rang Zwei neben Lionel geschoben, weil er mit diesem zu den York verknüpft wird
    5. Thomas (*1355)


    Zitat Zitat von racebear75 Beitrag anzeigen
    Ich sehe das richtig, dass die Yorks die ältere Linie sind gegenüber den Lancasters, oder? Also ist deren Anspruch sogar höherwertig.
    Dazu tatsächlich in Wikipedia:
    Edmund (*1341). Edmund war der Stammvater des Hauses York. Als es mit der Linie Clarence-Mortimer verschmolz, nahm es für sich in Anspruch, den ältesten Anspruch auf den Thron zu haben, da die Lancasters von einem jüngeren Sohn als Lionel abstammten und der Thronanspruch der Tudors auf eine außereheliche Verbindung zurückging.
    Geändert von Mark (30. Juni 2018 um 10:12 Uhr)
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  12. #417
    racebear75 Avatar von racebear75
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    Die Wiki hatte ich nicht zu Rate gezogen vor meiner Frage. Wäre ja zu einfach gewesen😉.
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  13. #418
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    Die Rosenkriege 1444 bis 1485

    Drei Jahre lang belauerten sich die beiden Kontrahenten, bis es 1453 zu einer Verschiebung der Gesamtsituation kam. Richard von York gelang es nämlich, die Unterstützung der mächtigen und mit ihm verwandten Familie der Neville zu erlangen. Die ebneten ihm den Weg an die Spitze des Kronrats, der die Politik des Landes bestimmte. Richard war es nun, der anstelle des inzwischen regierungsunfähigen Henry VI. die Amtsgeschäfte wahrnahm. Dann ereignete sich 1453 die Schlacht von Castillon. Nach der Eroberung der Normandie hatte Charles VII. nämlich nach Süden geblickt und sich Aquitanien vorgenommen. Rund dreihundert Jahre, nachdem die berühmte Eleanor das Herzogtum quasi als Mitgift an die englische Krone eingebracht hatte, hauten die Franzosen den Engländern auch dieses Standbein im Süden weg. In Castillon kam es zu einer blut- und verlustreichen Schlacht. Dieses Mal machten nicht die englischen Bogenschützen Kleinholz aus den Franzosen, sondern die französische Artillerie Hackfleisch aus den Engländern. Das Zeitalter der Rüstungstechnik hatte nämlich begonnen.



    Als König Henry VI. die Nachricht erhielt, dass alle englischen Besitzungen in Frankreich bis auf Calais verloren waren, tat er das, was auch sein französischer Großvater Charles VI. in Krisensituationen häufig getan hatte: Er erlitt einen Nervenzusammenbruch und verlor den Verstand. Siebzehn Monate lang blieb Henry umnachtet, bettlägerig und teilweise überhaupt nicht ansprechbar. In diesem Zustand verpasste er im Oktober 1455 sogar die Geburt seines ersten und einzigen Kindes Edward. Der Konflikt zwischen York und Somerset, die ja beide einen gewissen Anspruch auf die Krone anmeldeten, hätte mit der Geburt des männlichen Thronfolgers normalerweise ein Ende gehabt. Die Zeiten waren nun aber andere, König Henry war so schwach wie die beiden Herzöge einflussreich waren.



    Es wurden Gerüchte verbreitet, dass der Herzog Somerset der wahre Vater des Prinzen Edward sei. Die Beliebtheit des Königs, um die es wegen seines mönchischen Gehabes, seiner Abneigung gegen das Reiten und Waffentragen sowie wegen seines Vertrauens in unpopuläre Berater bereits zuvor schlecht gestanden hatte, ging weiter in den Keller. Die please die, jedoch Henry VI. war gerade einmal 22 Jahre alt! Und da er kein Interesse am Reiten und am Jagen hatte, war selbst ein Jagdunfall unwahrscheinlich.



    Jemand musste das Amt des Lord Protektor übernehmen, als Regent für den unmündigen König. Richard von York schob sich selbstbewusst nach vorne und griff im März 1454 zu, sah sich dann aber mit dem Widerstand der Königin Margarete samt der Partei der Lancaster konfrontiert, die Richard prompt zum Niederlegen des Amtes zwingen ließ. Er zog sich grollend in den Norden nach York zurück.

    Ein Chronist berichtete, damals seien sich Richard York und Edmund Somerset einmal in London zufällig in einem Garten über den Weg gelaufen. Nachdem sie sich ein paar Gehässigkeiten an den Kopf geworfen hatten, riss Somerset eine rote Rose von einem Busch ab (die Wappenblume des Hauses Lancaster) und sagte: „Lasset all jene, die treu zu Lancaster stehen, eine rote Rose tragen!“ Daraufhin riss York eine weiße Rose ab (die Wappenblume seines Hauses) und erklärte, sie solle fortan das Erkennungszeichen der Yorkisten sein.



    Um die Auseinandersetzung um das Amt des Lord Protektor zu lösen, wurde für den 21. Mai 1455 ein großer Rat nach Leicester einberufen. Richard York sammelte inzwischen im Norden seine Truppen. In der Schar seiner Anhänger gab es viele mit dem Namen Neville. Sie alle waren Nachkommen jenes Grafen Ralph Neville (1364-1425), der einst der Erzieher von Richard York gewesen war. Ralph hatte damals Joan Beaufort geheiratet, eine Tochter von John of Gaunt, und mit ihr fünfzehn Kinder bekommen. Der älteste Sohn aus dieser Ehe hatte seinerseits zwölf Kinder. Ach ja, mit einer weiteren Ehefrau hatte Graf Ralph übrigens weitere neun Kinder gehabt. Kein Wunder also, dass es in Nordengland vor lauter Nevilles wimmelte. Und Richard von York hatte eine von ihnen geheiratet. Nun marschierte er mit den Neville-Scharen und seinen sonstigen Anhängern gen Süden.



    In dem kleinen Ort St. Albans nördlich von London trafen Richards Yorkisten auf die Lancaster unter Somerset. Die kurze Auseinandersetzung auf dem Marktplatz endete mit einem großartigen Sieg für Richard: Sein Rivale Edmund Somerset war zu Tode gekommen, ebenso Henry Percy, der Graf von Northumberland. Und dann war auch noch König Henry VI. in die Hände von Richard gefallen, was für ein wertvoller Gefangener! Keine Frage, nach diesem Triumph war Richard das Amt des Lord Protektor sicher, er war de facto Herrscher über England. Möglich machte das auch die Unterstützung der Neville, der wichtigste unter ihnen war Richard Neville, Graf von Warwick. Der ging in die Geschichte ein als „Königsmacher“, und das sicher nicht nur, weil er 1455 Richard in sein Amt verhalf.

    Edmund Beaufort, der Herzog von Somerset, war nun tot. Und der König in Gewahrsam seines Lord Protektor Richard. Wer sollte nun die Partei der Lancaster anführen? Es war die Königin Margarete von Anjou, die kaum jemand auf der Rechnung gehabt hatte. Bis dahin war sie politisch eher passiv geblieben, und das hatte auch an Edmund Somerset gelegen. Er und sein Todfeind Richard York waren sich in diesem einen Punkt einig gewesen: Wenn man die Wahl hatte zwischen einer regierenden Königin und einem Bürgerkrieg, war der Bürgerkrieg allemal vorzuziehen. Doch nachdem Somerset tot war, übernahm Margarete die allmählich die Führung der Lancaster. Sie hasste Richard von York mit großer Leidenschaft, denn ihre Furcht war völlig berechtigt, dass Richard ihren kleinen Sohn aus der Thronfolge drängen wollte. Die rührenden, aber nutzlosen Friedensbemühungen König Henrys unterband sie und machte sich daran, das Geburtsrecht ihres Sohnes mit Klauen und Zähnen zu verteidigen.
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  14. #419
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    Die Rosenkriege 1444-1485

    Es war zu dieser Zeit, am 28. Januar 1457, dass in Pembroke Castle in Wales ein unbedeutender Junge namens Henry geboren wurde. Erinnert sich noch jemand daran, dass sich der ritterliche König Henry V. damals, nach dem Sieg von Azincourt, die französische Prinzessin Katherine von Valois zur Frau hatte geben lassen? Nun, nach dem Tod von Henry V. hatte Katherine in zweiter Ehe den unbedeutenden Owen Tudor aus dem walisischen Adel geheiratet und mit ihm drei Söhne bekommen. Die waren also Halbbrüder des Königs. Nachdem Katherine 1437 in geistiger Umnachtung (sie also auch, schien in der Familie zu liegen) gestorben war, hatte König Henry VI. seine drei kleinen Halbbrüder schützen und erziehen lassen. Inzwischen waren sie erwachsen, und der Älteste, Edmund Tudor, hatte eine Cousine des Königs geheiratet, die zwölfjährige Margaret Beaufort. Sie wurde kurz darauf schwanger. Drei Monate vor der Niederkunft starb ihr Mann Edmund Tudor in Gefangenschaft der York an der Pest. Die Geburt des kleinen Henry Tudor im Jahre 1457 hatte seinerzeit noch keine Bedeutung. Aber das würde sich später ändern.



    Unterdessen waren die Parteien York und Lancaster einige Male militärisch aufeinander getroffen. König Henrys Gesundheits- und Geisteszustand blieb labil. Er war noch keine vierzig, aber er wirkte greisenhaft, abwesend, vergesslich und den Belangen der Welt entrückt. Meistens hielt er sich in seiner dämmrigen Privatkapelle auf. Er wollte gar nicht mehr wissen, was jenseits ihrer Mauern vor sich ging, und überließ der Königin die Kriegsführung gegen York ebenso wie die Regierung – soweit Letztere überhaupt noch stattfand. Margarete von Anjou errang zeitweise die Oberhand über die Yorkisten, und Richard von York musste nach Irland fliehen. Sein ältester Sohn Edward von March suchte gemeinsam mit dem Königsmacher Richard Neville das Exil in Calais. Es dauerte nicht lange, bis die beiden ein Heer aufgestellt hatten, mit dem sie 1460 nach England zurückkehrten und am 10. Juli die Streitmacht der Lancaster bei Northampton besiegten. Wieder war es ein großer Triumph: Zahlreiche Adelige der Lancaster starben, und König Henry VI. war erneut in der Hand der Yorkisten geraten. Königin Margarete erkannte, dass sie es nun war, die zur Flucht gezwungen wurde. Sie wählte das Exil in Schottland.

    Siegesgewiss kehrte Richard von York mit wehenden Bannern nach London zurück und trat vor das Parlament. Vor sich ließ Richard feierlich ein entblößtes Schwert hertragen, und York trat an den leeren Thron, und legte die Hand auf eine Lehne. Hätten die Lords angefangen zu klatschen, wären die Rosenkriege damit zu Ende und Richard von York König von England gewesen. Aber sie klatschten nicht. Diese Quasi-Usurpation des Throns war ein starkes Stück, und offenbar zweifelte die Mehrheit der Lords, ob der so selbstbewusste York ein guter König für England wäre. Sie bevorzugten es, ihm das Amt des Lord Protektor anzutragen. Aber Richard von York sollte nicht lange Freude an seinem Amt haben. Inzwischen waren die Söhne seines in St. Albans erschlagenen Feindes Somerset erwachsen geworden, und der neue Herzog von Somerset – Henry Beaufort – lauerte Richard Ende 1460 mit einigen Männern auf. Es war ein kleines Scharmützel, keine große Heerschlacht, bei dem Richard von York fiel. Mit ihm fielen einer seiner Söhne sowie der Graf von Salisbury, einer jener Yorkisten aus dem Kreis der Neville. Sie wurden auf der Flucht niedergemetzelt bzw. anschließend hingerichtet, was die Yorkisten auf das Äußerste verbitterte. Der Bürgerkrieg nahm eine neue Qualität an, niemand fühlte sich jetzt mehr so richtig an die Gepflogenheiten eines ehrenhaften Kampfes gebunden.



    Mit den Leichen des Lord Protektor Richard und dessen Sohn Edmund gingen die Lancaster nicht zimperlich um. Sie stellten die Köpfe der beiden auf den Zinnen des Stadttores von York zur Schau. Das blutige Haupt des Herzogs zierten sie zum Hohn mit einer Krone aus Papier und Stroh. Das war die Strafe dafür, dass Richard die Hand an den Thron gelegt hatte.



    Richard von York hinterließ drei überlebende Söhne: Edward, George und Richard. Der Älteste Edward erbte den Titel des Herzogs von York und sollte fortan auch das neue Haupt der Yorkisten werden. George wurde später zum Herzog von Clarence ernannt, während die Zukunft des gerade einmal achtjährigen Richard vorläufig offen blieb.



    Und Edward, der neue Anführer der Yorkisten, trat wahrhaft das Vermächtnis seines Vaters an. Der junge Mann war von athletischer Gestalt, hatte ein einnehmendes Wesen, war politisch ebenso wie militärisch versiert. In den beiden ersten Aufeinandertreffen der gegnerischen Parteien war das Kriegsglück noch schwankend geblieben: Einmal besiegte Edward von York den Tudor Jasper, das andere Mal unterlag der York und verlor bei dem Gefecht seine wertvolle Geisel, König Henry, den die Truppen der Lancaster befreiten. Aber am 29. März 1461 kam die entscheidende Schlacht von Towton, und in dieser siegte Edward von York dank der Unterstützung des Königsmachers Warwick über das Lancaster-Heer unter Somerset und der Königin.



    Es war eine der blutigsten Schlachten Englands, von den etwa 80.000 Soldaten kamen zwischen 20.000 und 30.000 ums Leben. Henry VI. und seine Frau Margarete mussten (wieder) nach Schottland fliehen. Während sich Margarete anschließend weiter nach Frankreich absetzte, geriet Henry bald in die erneute Gefangenschaft der York. Für Edward war der Weg nach London frei.

    Wieder erschien der Herzog von York, dieses Mal Edward, vor dem Parlament und dem leeren Thron. Doch in diesem Fall ging es nicht um das Amt des Lord Protektors, denn Henry VI. war ja ins Exil geflohen. Nein, an diesem Tag, dem 28. Juni 1461, ließ sich der neunzehnjährige York mit Zustimmung des Parlaments zu König Edward IV. von England krönen. Der nächstjüngere Bruder George wurde zum Herzog von Clarence ernannt, der jüngste Bruder Richard trug bald den Titel Herzog von Gloucester. Das Haus der York hatte in dem blutigen Bürgerkrieg die Oberhand behalten.

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  15. #420
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    Die Rosenkriege 1444-1485

    Was war das für ein Unterschied zwischen Henry VI. und dem strahlenden Edward. Der galt als außergewöhnlich schön, hochgewachsen, blond, gewinnend, lebenslustig und sehr modebewusst. Festlichkeiten reihten sich aneinander, Bankette folgten auf Jagdpartien. Edward IV. war der König der Hauptstadt, in die weiter entfernten Grafschaften unternahm er während seiner Herrschaft nur vier große Reisen. Edward wusste, dass er seinen Erfolg zu einem guten Teil dem Königsmacher Warwick zu verdanken hatte. Dementsprechend übertrug Edward ihm lukrative Posten und Ländereien, die Warwick zur größten Macht im Norden Englands machten. Doch offenbar sah Edward in Warwick vornehmlich den Königsmacher, der für die zurückliegenden Zeiten der richtige Verbündete gewesen war. Jetzt, da Edward die Krone trug, wollte er England befrieden – und für dieses Vorhaben schien ihm die Person Warwicks nicht mehr die richtige Person zu sein. Das Verhältnis zwischen König und Herzog geriet 1464 in eine Krise.



    Monatelang hatte Warwick mit König neuen Louis XI. von Frankreich verhandelt, um eine Ehe zwischen Edward IV. und einer französischen Prinzessin anzubahnen. Doch im September 1464 setzte Edward seinen Ratgeber überraschend davon in Kenntnis, dass er bereits sei viereinhalb Monaten verheiratet sei. Der König hatte heimlich Elisabeth Woodville geheiratet, die Witwe eines Lancaster-Ritters, deren Schönheit als legendär galt. Eine Ehe mit der Tochter eines kleinen Landedelmannes war ein Wagnis, das noch kein Monarch vor Edward IV. eingegangen war. Sein Ratgeber Warwick konnte darin nur ein für einen König unwürdiges Verhalten sehen. Ein Herrscher heiratete nicht in einer Dorfkirche! Königliche Hochzeiten waren Staatsangelegenheiten, die außenpolitischen Zwecken zu dienen hatten. Diese Ehe aber brachte keinen Gewinn, im Gegenteil. Elisabeth Woodville hatte eine große Verwandtschaft, die nun mit einflussreichen Posten am Hof, mit Ländereien, Kommandos und eigenen Adelstiteln versorgt werden musste, die der Würde der Angehörigen einer Königin entsprachen. Edwards einsamer Entschluss beschädigte Warwicks Ruf als starker Mann im Reich. Obendrein stand Warwick vor dem König von Frankreich da wie der letzte Trottel, hatte er dem doch schon praktisch die eheliche Verbindung mit dem Hause York versprochen. Der gedemütigte Herzog war bereit, alles dafür zu tun, um wieder an Einfluss zu gewinnen. Er suchte einen Verbündeten gegen die Woodville-Emporkömmlinge – und fand einen im mittleren York-Bruder George, dem Herzog von Clarence.

    Der fünfzehnjährige George war vom König mit Ländereien und Posten ausgestattet worden, aber er neidete den Woodville ihren Aufstieg. Spätestens als die Königin 1466 zunächst eine Tochter, danach bald weitere Mädchen und später zwei Söhne (die Prinzen Edward und Richard) zur Welt brachte, hatte George keine Chance mehr, selber einmal König zu werden. Unzufrieden mit seiner Rolle, war er bereit, gegen den älteren Bruder zu revoltieren. Wenn Warwick schon Edward zum König gemacht hatte, warum dann nicht auch ihn? 1469 rebellierten die beiden gegen den König, ließen ein paar Widersachern und einigen der verhassten Woodville die Köpfe abschlagen, nahmen den König kurzzeitig gefangen und drohten ihm, ihn durch George zu ersetzen. Jedoch: In puncto öffentlicher Beliebtheit konnte es der verschlagene George bei weitem nicht mit Edward IV. aufnehmen, denn der war bei den Leuten äußerst geschätzt (ganz im Gegensatz zu seinen Woodville-Beratern). Schon im Herbst 1469 konnte Edward IV. deshalb seine Macht wieder festigen. Für den jüngsten der Brüder bedeutete dies einen frühen Aufstieg: Richard hatte sich gegenüber Edward IV. loyal gezeigt - obwohl er über Jahre durch Warwick unterrichtet worden war - und erhielt für seine Treue das Amt des Constable of England (eine Art Polizeiminister) sowie das des obersten Verwalters von Südwales. Dieses Amt hatte der König keinem anderen als Warwick entzogen, um es Richard zu geben. Der Schüler zog also an seinem Lehrmeister vorbei.

    Und da tat Warwick das Unfassbare: Er wechselte die Seiten, nahm Kontakt zur abgesetzten Königin Margarete in Frankreich auf und fragte an, ob sie Interesse an einer Allianz habe, um ihren Gemahl wieder auf den Thron zu bringen.



    Für Margarete war das zunächst ein schlechter Witz. Wenn es auf der Welt jemanden gab, den sie leidenschaftlicher hasste als den toten Richard von York und seinen sehr lebendigen Sprössling auf dem englischen Thron, dann war es Warwick. Aber König Louis XI. vermittelte zwischen seiner unversöhnlichen Cousine und dem stolzen Warwick, denn er wollte, dass der burgundfreundliche Edward IV. vom englischen Thron verschwand und der zahme Henry VI. unter Führung des frankophilen Warwick wieder an die Macht kam. Schließlich brachte Louis fertig, was keiner für möglich gehalten hatte: Im Sommer 1470 schlossen Margarete und Warwick ein Bündnis. Beide mussten dafür Kreide fressen: Warwick musste sich der Königin förmlich unterwerfen und auf Knien um Verzeihung bitten. Margarete musste ihren geliebten Sohn Edward von Westminster mit Warwicks Tochter Anne verheiraten. Das war nämlich der Preis für Warwicks Seitenwechsel: Er wollte, dass seine Nachkommen die Krone tragen würden.



    Mit einer Armee, die größtenteils aus französischer Schatulle bezahlt wurde, setzte Warwick nach England über und jagte Edward IV. ins Exil nach Burgund. Im Oktober 1470 wurde der verdatterte Lancaster-König Henry VI. aus dem Tower geholt, wo er die letzten Jahre verwahrt worden war, und in Westminster wieder auf seinen Thron gesetzt. Wieder ein König von Warwicks Gnaden! Aber es ging nicht lange gut. Im Sommer hatte Warwick den Überraschungsvorteil auf seiner Seite gehabt, doch der tatkräftige König Edward IV. erwachte schnell aus seiner Schreckensstarre, lieh sich vom Herzog von Burgund zweitausend Soldaten und landete am 14. März 1471 an der englischen Küste in Northumberland. Dies war das Gebiet der Percy, die für überraschende Seitenwechsel bekannt waren, und kurzerhand zu Edward IV. überliefen.



    Edwards Bruder George überlegte sich, was unter diesen Umständen für ihn zu tun sei und versöhnte sich mit seinem königlichen Bruder. Der forderte als Zeichen seiner neuen Loyalität nichts anderes, als dass George gegen seinen ehemaligen Komplizen Warwick zu Felde zieht. Gemeinsam mit Richard und George stellte Edward IV. den abtrünnigen Herzog zu Ostern 1471 zur Schlacht. An diesem 14. April herrschte dichter Nebel über dem Schlachtfeld und verursachte einen folgenschweren Irrtum: Nachdem Warwicks Ritter einen Flügel der gegnerischen Aufstellung vom Schlachtfeld vertrieben hatten und zurückkehrten, hielten sie die eigenen Truppen versehentlich für die der Yorkisten und machten sie nieder. Als Warwick erkannte, dass seine Sache verloren war, ergriff er im Nebel die Flucht. Doch er wurde von einer Handvoll yorkistischer Ritter verfolgt und niedergemacht.

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